18. März 2019

Marginalie: Wo man singt, da lass dich nicht ruhig nieder

Stellen Sie sich vor, Sie wären mit einem ehemaligen deutschen Fußballnationalspieler befreundet und würden zu dessen Hochzeit eingeladen. Als Sie bei der Feierlichkeit eintreffen, müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass Ihr kickender Gastgeber auch einen berüchtigten Autokraten zu seinem Vermählungsfest gebeten hat. Freilich, es gab schon früher Anhaltspunkte für eine gewisse Nähe zwischen dem Ballkünstler und dem Präsidenten, aber dass die Verbindung der beiden Männer so weit geht, dass der Sportler den Politiker seiner Verehelichungszeremonie beizieht und ihn sogar zu seinem Trauzeugen bestellt, hätten Sie nicht gedacht.
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Sie halten dieses Szenario für eine Räuberpistole? Wenn stimmt, was in der Presse kolportiert wird, ist meine kleine Einleitungsgeschichte gar nicht so weit hergeholt. Die spannende Frage lautet: Wie würden Sie auf die Anwesenheit des umstrittenen Gastes reagieren? Würden Sie unter hörbarer Äußerung Ihrer moralischen Entrüstung das Bankett verlassen oder sich – weniger konfrontativ – unter einem Vorwand frühzeitig verabschieden? Oder würden Sie, um den angeblich schönsten Tag im Leben Ihres Freundes nicht zu beeinträchtigen, gute Miene zum bösen Spiel machen und versuchen, die Party möglichst angenehm über die Runden zu bringen?

Nehmen wir an, Sie entscheiden sich für Letzteres: Wie würde es auf Sie wirken, wenn im Nachgang zu der Ringtauschsause ein haltungsbewusster, auch von Ihren Zwangsbeiträgen finanzierter Spaßmacher Ihrem Arbeitgeber auf Twitter Fragen zu dessen Wissen um Ihre Freizeitgestaltung und ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit stellte? Und was wäre, wenn nicht ein in den Gazetten omnipräsenter Gast, sondern weit weniger aktenkundige, Ihnen (jedenfalls teilweise) nicht bekannte Zeitgenossen den Stein des Anstoßes bildeten? (Und wenn es sich nicht um eine Hochzeits-, sondern um eine Geburtstagsfeier handelte?)

Sie könnten mit Jan Fleischhauer argumentieren, dass – so verstehe ich den Succus seiner Kolumne – das Private eben nicht (immer) politisch ist. Oder Sie machen es wie Alexander Wendt, der freilich nicht beim SPIEGEL beschäftigt ist, und replizieren mit einer Mischung aus nüchterner Berichterstattung und beißendem Sarkasmus auf Ihren Ankläger. Oder Sie folgen Reinhold Beckmanns Beispiel und tun auf Facebook Buße für Ihre Missetat. Beckmann ist ebenfalls nicht bei dem hanseatischen Nachrichtenmagazin angestellt, vielmehr wurde und wird er in seiner Moderatorenkarriere immer wieder für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig, was eine gewisse, vielleicht auch von Existenzangst befeuerte Nervosität hinsichtlich des in den Böhmermann’schen Tweets vehikulierten Verdachts auf politische Unzuverlässigkeit der Partyteilnehmer durchaus verständlich erscheinen lässt.

Unser ehemaliger Fußballnationalspieler und unser ehemaliger Kulturressortchef mögen sich durch ihre Gästeliste (vielleicht nicht zum ersten Mal) politisch erklärt haben. Auf den bloßen Mitfeiernden trifft dies keinesfalls zu. Mich stört an Böhmermanns Intervention vor allem ihr totalitärer Gestus: Die Propagation einer guilt by association (kongenial auf Deutsch übersetzt offenbar: „Kontaktschuld“) führt letztlich dazu, dass Menschen aus unterschiedlichen Filterblasen gar nicht mehr miteinander in Kommunikation treten. Ist das wirklich erstrebenswert?

Noricus

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