28. März 2019

Bedeutung von Wissen im Spannungsfeld von Dogma und Naturwissenschaft am Beispiel der Klimafrage

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Kürzlich landete ich zufällig in der Sendung "Hart aber fair." Thema war der Klimawandel. Wie sollte es auch anders sein im Schatten der aktuellen Geschehnisse um Greta Thunberg und der "Fridays for Future" Bewegung. Diskutiert wurde fast alles im Umfeld dieses Themas, politisches und persönliches. Nur eines stand fest und mußte nicht diskutiert werden: Der Klimawandel ist im Wesentlichen verstanden, der Mensch ist der maßgebliche Treiber und hat es in der Hand das Klima zu beeinflussen.

Warum stellt diese Auffassung kein Mensch mehr in Frage? Befragt man dazu einen dieser These zugewandten Laien, wird er sagen: "Weil der (durch den Menschen verursachte) Klimawandel wissenschaftlich bewiesen ist."

Diese Aussage ist auf zwei, grundsätzlichen Ebenen nicht ganz richtig. Zum einen kann Wissenschaft keine Sachverhalte beweisen, sondern lediglich gemachte Annahmen mehr oder weniger gut absichern. – Was grundsätzlich etwas anderes als ein Beweis ist. Zum anderen arbeitet die Wissenschaft zur Absicherung von Theorien mit experimenteller Überprüfung. Dies ist im Falle der Klimamodellierung, bzw. der Klimatheorien aber nicht so ohne weiteres möglich. Was das bedeutet, werde ich im folgenden Beitrag versuchen zu erläutern.

Ich möchte mich dabei nicht mit der Frage beschäftigen, was Klima ist, wie man es definieren oder auch messen kann, beides sehr komplexe Fragen. In der Folge werde ich auch einfachheitshalber die Begriffe "Durchschnittstemperatur" und "Klima" synonym verwenden, da auch die Öffentlichkeit diese beiden Begriffe im Grunde synonym verwendet. Auch nicht möchte ich diskutieren, ob eine höhere Durchschnittstemperatur auf der Erde gut, schlecht oder neutral ist. Eine Frage, die mir hochkomplex erscheint und welche zumindest öffentlich nie diskutiert wurde. Ebenfalls nicht diskutieren möchte ich den Gedanken, ob ein statisches Naturbild mit Optimum in einer sich bisher ständig als dynamisches System präsentierenden Umwelt ein sinnvoller Ansatz sein könnte.

Die Frage um die es mir hier geht ist alleine, welche Qualität der aktuelle Erkenntnisstand über den Klimawandel hat. Wie ist er einzuordnen? Dazu widme ich mich zunächst einer Frage: Wie arbeitet (Natur)Wissenschaft?

In der Naturwissenschaft werden Theorien aufgestellt und dann meist in der Sprache der Mathematik formuliert. Anschließend werden mit dieser Theorie Ergebnisse prognostiziert. Diese Ergebnisse überprüft man anhand von Experimenten in der realen Welt. Stimmt die Vorhersage der formulierten Theorie mit den Ergebnissen von Experimenten überein, geht man davon aus, dass die aufgestellte Theorie die Zusammenhänge in der Natur korrekt beschreibt.

Ein Beispiel:
Mit der Newtonschen Mechanik kann man Vorhersagen darüber treffen, wie sich Massen unter Einwirkung von Kräften bewegen. Misst man im Experiment nach, findet man die Bewegungsgleichungen der Newtonschen Mechanik bestätigt. Die Newtonsche Mechanik beschreibt demnach bestimmte Zusammenhänge in der Natur korrekt.

Je mehr Experimente zur Überprüfung einer Theorie durchgeführt werden und je genauer diese Experimente den zu überprüfenden Sachverhalt messen, desto besser ist die Bestätigung der Theorie, d. h.: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Theorie falsch ist, ist umso kleiner, je besser ihre Bestätigung ausfällt.

Diese Sicht auf Wissenschaft hat eine ganz wesentliche Implikation: Wissenschaft kann grundsätzlich nichts beweisen, sie kann lediglich sehr gut bestätigte Theorien aufstellen. Es geht sogar noch einen Schritt weiter: Ein Beweis im Sinne einer dogmatisch feststehenden Wahrheit kann keine Wissenschaft sein. Nach Karl Popper ist der Kern von wissenschaftlicher Erkenntnis ihre Falsifizierbarkeit, d.h.: Es besteht immer – ganz grundsätzlich - die Möglichkeit, dass man ein Experiment findet, dessen Ergebnis der aufgestellten Theorie widerspricht, selbst wenn diese Theorie vorher tausendfach bestätigt wurde. Der wissenschaftliche Beweis einer Theorie ist daher per definitionem nicht möglich. Den wissenschaftlichen Beweis im Sinne eines Dogmas kann es niemals geben, ganz gleich ob dieses Dogma im Hinblick auf göttliche Existenz, Naturgesetze, oder Theorien zu beobachteten Phänomenen formuliert wird.

Dies nennt man das Prinzip des Falsifikationismus. Im Kern besagt es, dass es einen wissenschaftlichen Beweis nicht geben kann, sondern nur mehr oder weniger gut bestätigte Theorien zum Beschreiben der Welt, welche von uns wahrgenommen wird. In der Wissenschaft gibt es, so könnte man formulieren, damit drei Abstufungen bei Theorien:

1) Theorien die irgendwann widerlegt (falsifiziert) werden. Ein Beispiel hierfür ist die Lorentzsche Äthertheorie über die Ausbreitung des Lichtes.

2) Theorien, die durch Erweiterung und Anpassung an experimentelle Befunde immer leistungsstärker werden. Als Beispiel kann man die Entwicklung der Atommodelle vom Demokrit Modell über das Bohrsche Atommodell bis hin zum Schalenmodell betrachten. Die einzelnen Modelle sind nicht grundsätzlich falsch, vereinfachen aber und liefern lediglich für Spezialfälle brauchbare Vorhersagen. Um allgemeingültige, leistungsstarke Vorhersagen zu treffen, wurden sie immer mehr verfeinert und angepasst.

Ein berühmtes Bespiel für die Anpassung einer Theorie ist die Newtonsche Mechanik und die Relativitätstheorie. Die Newtonsche Mechanik beschreibt für kleine Massen und kleine Geschwindigkeiten sehr genau die Bewegung von Körpern unter Krafteinfluß. Für große Massen und große Geschwindigkeiten sind ihre Vorhersagen allerdings falsch. Hier braucht es die Relativitätstheorie welche auch bei großen Massen und großen Geschwindigkeiten präzise Vorhersagen liefert. Anders formuliert hat sich die Newtonsche Mechanik als ein Spezialfall der Relativitätstheorie herausgestellt, wenn man Massen und Geschwindigkeiten in einer Grenzwertbetrachtung gegen null gehen lässt.

3) Theorien, welche man aktuell als gültig betrachtet, da sie durch alle Experimente und Beobachtungen bestätigt werden. Eine der derzeit am besten und genauesten bestätigten Theorien ist die Realtivitätstheorie von Einstein. Aber auch bei Ihr kann man nicht sicher sein, ob irgendwann Anpassungen notwendig sind. In der Physik gibt es seit jeher den Versuch die vier Grundkräfte zu vereinigen: Schwache Wechselwirkung, Starke Wechselwirkung, Elektromagnetismus und Gravitation. Während die drei ersten Kräfte im Standardmodell bereits vereinigt wurden, nimmt die Gravitation noch eine Sonderrolle ein. Es ist daher nicht völlig undenkbar, dass sich die Einsteinsche Relativitätstheorie irgendwann als Spezialfall einer "allumfassenden Weltformel" herausstellt.

Halten wir also zur Frage "Wie arbeitet (Natur)Wissenschaft?" als Antwort fest:

Wissenschaft stellt Theorien auf, welche Vorhersagen treffen. Sie überprüft dann die Vorhersagen dieser Theorien empirisch durch vielfältige, praktische Experimente. Hält die Theorie dieser Überprüfung stand, ist sie wissenschaftlich akzeptiert. Macht man neue empirische Beobachtungen, welche der Theorie widersprechen (was grundsätzlich immer möglich ist), muß man die Theorie fallen lassen oder anpassen.

In diesem Sinne gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis, kein wissenschaftlich begründbares Dogma. Wissenschaftliche Erkenntnis ist nichts anderes, als die Minimierung des Zweifels. Dieser Zweifel ist aber ebenso wichtig, wie er auch gewollt sein sollte. Dass das Wort Zweifel im Zusammenhang mit der Modellierung des Klimas eine negative Konnotation hat, sollte daher den aufmerksamen Beobachter nachdenklich stimmen.

Im besten Fall könnte die Theorie zur Klimaentwicklung also eine gut abgesicherte Annahme sein, niemals aber eine bewiesene Tatsache. Die Frage lautet daher: Wie gut sind die Vorhersagen der gängigen Klimamodelle abgesichert, bzw. wie arbeitet man bei der Absicherung der Theorie zur Entwicklung der Durchschnittstemperatur. So wie gerade beschrieben oder anders?

Fragen wir uns zunächst, was denn getan werden müßte, um in beschriebenem Verständnis zu arbeiten. Es müßte eine Theorie aufgestellt werden, wie sich die Durchschnittstemperatur unter dem Einfluß bestimmter Parameter ändert. Die Vorhersagen dieser Theorie müßten dann anhand von Experimenten empirisch überprüft werden.

Hier stößt man jedoch  bereits auf ein großes, grundsätzliches Problem: Wie sollte ein solches Experiment aussehen? Man müßte dazu die Erdgeschichte in die Zukunft ablaufen lassen und dann schauen, ob das Ergebnis mit der Vorhersage übereinstimmt. Mit anderen Worten, um zu überprüfen ob die Prognose der Klimatheorie für die Zukunft stimmt, muß man abwarten bis die Zukunft eingetreten ist. Dann stimmt die Prognose entweder oder sie ist falsch. Nur im hier und jetzt sagt mir das über die Qualität der Theorie nichts aus.

Erschwerend kommt dabei hinzu, dass die Klimamodelle als Ergebnis keine diskreten Temperaturen liefern, sondern Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Temperaturen, dass heißt: Selbst wenn die Zukunft abgelaufen ist und man eine beliebige Durchschnittstemperatur beobachtet, kann diese Temperatur das Klimamodell weder bestätigen noch widerlegen. Dies liegt daran, dass man kein Wissen darüber hat, ob die beobachtete Temperatur nahe am Mittelwert der tatsächlichen Verteilung liegt oder einen Extremwert der tatsächlichen Verteilung repräsentiert. Ein einzelner Beobachtungspunkt kann nun einmal ganz prinzipiell keine erwartete Verteilung bestätigen oder widerlegen. Dazu braucht man sehr viele Beobachtungspunkte.

Man müßte daher die Erdgeschichte viele tausend Male in die Zukunft ablaufen lassen, darüber eine empirische Temperaturverteilung messen und diese mit der Vorhersage der Theorie vergleichen. Dies ist faktisch allerdings nicht möglich: Es gibt keine Möglichkeit die Erdgeschichte mehrfach in die Zukunft ablaufen zu lassen.

Was heißt das nun? Zunächst einmal das: Es ist nicht möglich die Vorhersage der Klimamodelle über ein Experiment zu bestätigen oder zu widerlegen, in einem Sinne wie man normalerweise wissenschaftliche Theorien bestätig oder widerlegt. Es ist kaum möglich, bzw. sehr schwierig über die Güte eines Klimamodells zu befinden, da die Methode mit der normalerweise über die Güte von Theorien geurteilt wird, nicht zur Verfügung steht.

Dieser Umstand gilt zusätzlich zu der Tatsache, dass (wie oben beschrieben) eine wissenschaftliche Theorie ganz grundsätzlich nicht als bewiesen angesehen werden kann und ihre Gültigkeit bzw. ihre Güte nur so gut ist, wie die durchgeführten empirischen Überprüfungen, die im Falle der Klimamodelle gar nicht durchgeführt werden können.

Wenn eine Überprüfung im Experiment aber nun nicht möglich ist, hat man denn dann eine andere Möglichkeit die Klimamodelle zu validieren? Im Prinzip ja: Man schaut in die Vergangenheit und testet das Klimamodell an ihr. Man spricht dabei auch vom einem „Fit“ der Theorie. Im Kern kann man sich das so vorstellen:

Man kennt Parameter, welche die Durchschnittstemperatur auf der Erde beeinflussen. Zum Beispiel, neben anderen, CO2 und Wasserdampf in der Atmosphäre. Was man ebenfalls kennt sind die Durchschnittstemperaturen und die Zusammanesetzung der Atmosphäre in der Vergangenheit. Man erstellt daher eine Funktion, welche die Durchschnittstemperatur der Erde in Abhängigkeit der angenommenen Parameter berechnet. Dann verknüpft man die Parameter so miteinander, dass die Funktion für die Vergangenheit die beobachteten Temperaturen vorhergesagt hätten. Man sprich dabei von einem „Fit“ (englisch für Anpassung) der Funktion an ein vorliegendes Daten Set (die Vergangenheit). Mit dieser Funktion berechnet man dann die zukünftigen, zu erwartenden Durchschnittstemperaturen. Man simuliert also mit den getroffenen und an die Vergangenheit angepassten Annahmen so die Durchschnittstemperaturen der Zukunft.

Dass es sich bei den Klimamodellen nicht nur um eine einfache Funktion, sondern um ein System gekoppelter, nicht linearer Differentialgleichungen mit vielen komplexen Parametern handelt, macht den von mir schablonenhaft dargestellten Sachverhalt zwar ungleich komplizierter, ändert aber nichts an der zugrundeliegenden Überlegung, nämlicher dieser:
Ein solcher Fit an die Vergangenheit, samt Interpolation in die Zukunft ist etwas grundsätzlich anderes, als eine empirisch im Experiment bestätigte Theorie. Dies kann man sich an einem Beispiel verdeutlichen.

Stellen wir uns folgende Situation vor: Wir sehen 10 Luftballons in 10 verschiedenen Größen. Wir beobachten dabei, dass der kleinste Lufballon sehr schnell gegen den Himmel aufsteigt und der größte Luftballon am Boden liegen bleibt. Die anderen Größen steigen alle auf, je kleiner desto schneller.

Man könnte nun eine Funktion aufstellen, die abhängig von der Größe der Luftballons ihre Steiggeschwindigkeit berechnet und diese Funktion so normieren (Größe und Steiggeschwindigkeit entsprechend verknüpfen), dass sie die Beobachtung für das vorliegende Daten Set exakt beschreibt. – Es erscheint ja offensichtlich, dass Größe der Luftballons und Steiggeschwindigkeit miteinander zusammenhängen. Dies ist im Kern die Methode, auf welcher die Modellierung des Klimas beruht.

Ob diese Funktion für Berechnung der Steiggeschwindigkeit von Luftballons nun richtig oder falsch ist, kann zunächst kein Mensch sagen. Man hat eben nur eine in der Vergangenheit gemachte Beobachtung in eine Funktion übersetzt, welche Vorhersagen für die Zukunft erlaubt. Das Einzige was man daher weiß ist, dass die gemachte Beobachtung in der Vergangenheit mit der Funktion erklärt ist, ob aber die von der Funktion getroffenen Vorhersagen für die Zukunft stimmen, kann man nicht wissen.

Dann kommt jemand auf die Idee das Ganze im Experiment zu überprüfen. Er bläst daher 10 Luftballons verschiedener Größen auf und schaut was geschieht. Zu seiner Verwunderung stellt er fest, dass alle Luftballons auf dem Boden liegen bleiben und keiner aufsteigt. Die Funktion scheint nicht zu stimmen. Er steht vor einem Rätsel.

Weitere Untersuchungen ergeben dann, dass bei den ursprünglich beobachteten Luftballons zum Füllen nicht normale Atemluft verwendet wurde, sondern abhängig von Ihrer Größe, ein Helium Luft Gemisch. Während der kleinste Luftballon mit reinem Helium gefüllt war und der größte mit reiner Atemluft, waren die anderen von klein nach groß sortiert mit einem immer geringeren Heliumanteil gefüllt, während das jeweils restliche Volumen mit Atemluft gefüllt war.

Mit anderen Worten: Bei der ursprünglich angenommen Funktion wurde der für die Steiggeschwindigkeit verantwortliche Parameter (der Heliumanteil in der Füllung) einfach übersehen. Trotzdem konnte man die Steiggeschwindigkeit mit einem anderen Parameter (welcher überhaupt nichts mit der Steiggeschwindigkeit zu tun hat) über einen Fit an die Vergangenheit funktional erklären, solange man den Sachverhalt nicht im Experiment überprüft hatte. Man sprich hier von einem "Overfit", einer Überanpassung der Funktion.

Was heißt das nun für die Klimamodelle?

Um es klar zu sagen. Das Lufballonbeispiel ist stark vereinfachend und die physikalischen Annahmen, welche der Klimamodellierung zugrunde liegen sind – anders als die Annahme, dass Größe und Steiggeschwindigkeit zusammenhängen – physikalisch, qualitativ gut begründbar. Mir ging es mit meinem Beispiel nicht darum Klimamodellierung zu diskreditieren, denn sie ist ein seriöser Wissenschaftszweig. Mir ging es darum, um mit diesem Beispiel den grundsätzlichen Unterschied zwischen einer annahmeabhängigen Interpolation und einer experimentellen Überprüfung zu illustrieren. Im Kern soll daher mein Beispiel nur zeigen, dass ein Fit an die Vergangenheit bezüglich der Aussagekraft für zukünftige Vorhersagen unter einigem Vorbehalt steht.

Natürlich ist es richtig, dass CO2 gesichert als Treibhausgas wirkt und einen erwärmenden Effekt in der Atmosphäre hat und nicht wie im Beispiel der Luftballongröße völlig ohne Wirkung ist. Der Punkt ist nur, dass es neben CO2 noch viele andere Parameter gibt, welche die Durchschnittstemperatur beeinflussen und von denen man (noch) nicht genau weiß, wie sie wirken. Als Beispiel kann man die Wolkenbildung nennen. Selbst die Wirkung des CO2 (sein asymmetrisches Absorbtionsverhalten) ist zwar unter Laborbedingungen genau verstanden, wie aber antropogener CO2 Ausstoß in einem so komplexen System wie der Erdatmosphäre bzw. dem Ökosystem der Erde wirkt, ist eben nicht bekannt, sondern wird lediglich angenommen (und zwar so, dass man die Vergangenheit replizieren kann).

Was heißt das nun alles?

Letztendlich weiß man nicht wie gut oder schlecht die Klimamodelle sind. Sie sind eine Interpolation der Vergangenheit in die Zukunft unter bestimmten, getroffenen Annahmen. Diese Interpolation kann richtig sein oder falsch, man weiß es einfach nicht. Daher finde ich auch den Begriff „Leugner“ so problematisch im Zusammenhang mit der Klimadiskussion, denn es gibt nichts zu leugnen, weil es kein abgesichertes Wissen gibt. Es gibt nur zu zweifeln und das ist die ursprünglichste Aufgabe der Wissenschaft.

Ebenso unsinnig wäre es, die gängigen Klimamodelle aufgrund der hier angestellten Überlegungen als widerlegt anzusehen. Sie können natürlich stimmen. Denken wir noch einmal an das Beispiel mit den Luftballons: Ein besonders kluger Kopf hätte vielleicht auf die Idee kommen können, die Steiggeschwindigkeit über Heliumanteile in den Ballonfüllungen zu erklären und nicht über ihre Größe. Mit diesem Parameter hätte der Fit einer entsprechenden Funktion an die Vergangenheit ein sehr gutes Modell für die Steiggeschwindigkeit der Luftballons geliefert. Genau so könnte es sich auch beim Klima verhalten.

Letztendlich hat man weder ein Beweis dafür, dass der Mensch für die aktuell beobachtete Erderwärmung die (Haupt)Verantwortung trägt und entsprechende Interpolationen in die Zukunft stimmen, noch ein Beweis für die gegenteilige Annahme, nämlich dass die gängigen Klimamodelle widerlegt seien. Man hat Indizien auf gewisse Zusammenhänge, die beide Schlußfolgerungen nicht komplett unlogisch erscheinen lassen. So hat CO2 zum Beispiel definitiv einen erwärmenden Charakter für die Erdatmosphäre und Erdtemperatur und CO2 Gehalt der Atmosphäre scheinen definitiv in einem Zusammenhang zu stehen. Auf der anderen Seite stagniert die Temperaturentwicklung in den letzten Jahren, obwohl sie laut Modellen weiter hätte ansteigen müssen und in den letzten Jahrtausenden waren auch ohne Industrialisierung die Alpengletscher zeitweise fast vollständig abgetaut.

Ob man dem einen oder anderen Argument mehr Gewicht schenkt, eher glaubt das Wesentliche verstanden zu haben oder eher glaubt noch etwas zu übersehen, ist vielmehr eine Frage des Naturells, denn eine intersubjektiv überprüfbare Tatsache.

Klimamodelle sind ein valider Versuch, die klimatische Entwicklung auf der Erde zu verstehen. Sie beschreiben ein unfaßbar komplexes System, mit unglaublich komplizierten, mathematischen Formalismen, welche einige Tücken bereit halten. Ich habe das einmal vor Jahren in einem Beitrag hier in Zettels Raum versucht zu beleuchten.

Klimamodelle sind letztendlich eine wissenschaftliche Disziplin, keine Weltanschauung oder Ideologie. Die Inbrunst, mit der in dieser wissenschaftlichen Disziplin Zweifel bekämpft und nicht als Zweifel, sondern Leugnung bezeichnet werden, stimmen mich daher unbehaglich. Solches Verhalten beschädigt die Freiheit der Wissenschaft, welche aus meiner Sicht ein wesentliches, konstituierendes Element einer freien, rechtsstaatlichen Gesellschaft ist. Zu diesem unbehaglichen Gefühl trägt auch bei, dass die Politik ein so starkes Interesse an der Interpretation einer wissenschaftlichen Fragestellung mit noch einigen wesentlichen Unklarheiten hat und dass sie die Diskussion darüber (fast) ausschließlich wertrational führt.

Für mich fokusiert die Klimafrage die diskursive Falle, in welcher sich unsere Gesellschaft befindet, wie unter einem Brennglas: Interessen werden kaum noch zweckrational, sondern vor allem wertrational diskutiert, wobei die zugrunde gelegte Wertrationalität viel weniger reflexiv als viel mehr dogmatisch grundiert ist. Ein solches Diskursklima ist denkbar schlecht für eine auf Interessenausgleich angelegte, freiheitliche, rechtsstaaliche, parlamentarische Demokratie.


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