Das Thema, das
Fußball-Deutschland in der vergangenen Woche beschäftigte, war nicht die am 24.
Spieltag der Bundesliga eingetretene Punktgleichheit zwischen Borussia Dortmund
und dem FC Bayern München, sondern die mit sofortiger Wirkung ausgesprochene
Entlassung von Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller aus den Diensten der
Nationalmannschaft. Sportlich richtig (und eher zu spät als zu früh), jedoch
stilistisch fragwürdig, so lässt sich eine weit verbreitete Kommentarlinie zu
der Entscheidung des Bundestrainers zusammenfassen.
Nach dem, was bisher über die näheren Umstände der Ausbootung der drei Weltmeister von 2014 ruchbar wurde, soll
der Termin in der Isar-Metropole von Jogi Löw sehr kurzfristig anberaumt worden
sein und die Gespräche mit den nicht vorinformierten Spielern nicht besonders
lange gedauert haben. Soweit ersichtlich, hat der DFB dieses Setting bislang nicht
dementiert. Dass der Verband fast zeitgleich mit der persönlichen Verständigung
der drei Athleten an die Presse ging, lässt sich anhand der Chronologie der
Ereignisse nachvollziehen.
Hält man sich diese Inszenierung vollendeter Tatsachen vor Augen, begreift man, was Thomas Müller mit seinem Wort von der „suggerierte[n] Endgültigkeit“ des Beschlusses des Bundestrainers gemeint haben könnte. Tatsächlich befremdet an Löws Vorgehen, dass es so überraschend kam, wie es als irreversibel kommuniziert wurde. Der Schwarzwälder hätte die Nationalmannschaftskarrieren der drei Arbeitnehmer des deutschen Rekordmeisters auch faktisch beenden können, ohne sich derart exponieren zu müssen, etwa indem er Boateng, Hummels und Müller als Edelreservisten auf die Ersatzbank relegiert hätte. Früher oder später hätten die drei Sportler dann wohl selbst das Handtuch geworfen, und Löw hätte bis dahin den Vorteil gehabt, das Bayern-Triumvirat bei Not am Mann noch einsetzen zu können.
Ein Erklärungsversuch
geht dahin, im Charakter des Bundestrainers die Begründung für dessen
unglückliche Art bei der Beendigung von Laufbahnen in der schwarz-rot-goldenen
Auswahl zu vermuten. Unselige Erinnerungen an Löws Gebaren beim Ausscheiden von
Michael Ballack aus dem Team wurden wach. Diese Argumentation vermag aber schon
deshalb nicht zu überzeugen, weil dem einstigen Assistenten Jürgen Klinsmanns häufig
eine bis zur Nibelungentreue reichende Anhänglichkeit an verdiente Spieler
nachgesagt wird und der Fall Ballack die Besonderheit aufwies, dass nach der
gelungenen Vorstellung bei der WM 2010 aus der Mannschaft (zumindest aus nicht
ganz unbedeutenden Teilen derselben) ein gesteigertes Verlangen nach der
Rückkehr des „Capitano“ nicht zu vernehmen war.
In der medialen
Diskussion wurde bisher kaum in Erwägung gezogen, dass Löws Entscheidung
möglicherweise nicht völlig selbstbestimmt war, sondern auch und vielleicht
sogar in erster Linie auf gefühlten oder ihm gegenüber geäußerten
verbandsinternen Druck hin zustande kam. Seit der vergeigten WM 2018 ist der
Kredit des Bundestrainers erheblich dahingeschmolzen. Die personelle Erneuerung
des Kaders wurde von Löw zunächst eher zögerlich angegangen. Mit dem Rauswurf
Boatengs, Hummels’ und Müllers bricht der 59-Jährige die Brücke, welche den
Rückweg vermitteln würde, hinter sich ab. Die gesamte Orchestrierung der
Verabschiedung der drei Nationalmannschaftsrecken spricht dafür, dass die
Entschlossenheit zu einem Neuanfang durch eine konsequent umgesetzte, in ihrer
vollen Schroffheit exakt so intendierte Grausamkeit zum Ausdruck gebracht
werden soll.
Doch Jogi Löw sollte sich
in Acht nehmen: Michael Ballack ist heute nicht darum verlegen, seinen
ehemaligen Nationaltrainer wegen dessen Personalentscheidungen zu tadeln oder dessen Verbleib im Amt zu hinterfragen. Seit letzter Woche könnten drei weitere
Löw-Kritiker hinzugekommen sein. Und wenn Boateng, Hummels und Müller in ihrem
Verein während der Restsaison gute Leistungen zeigen, die verjüngte Bundestruppe
bei den EM-Qualifikationsmatches hingegen patzen sollte, dürfte es in Löws
Chefcoachsessel ziemlich ungemütlich werden.
Noricus
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