Vorgestern hat der Bundestag nun also die "Ehe für alle" beschlossen. Das kann man gut finden, man kann es schlecht finden, was es aber vor allem war, ist ein Lehrstück in Sachen der neudeutschen Demokratieverachtung. Warum, werden nun nicht wenige fragen? Der Bundestag ist gewählt, es sind reguläre Vertreter, die sogar von ihren Lehnsherren und -damen freigestellt waren, ausnahmsweise mal nach ihrem Gewissen zu handeln (was sie scheinbar, entgegen der Verfassung, sonst nicht tun) und vermutlich, so behaupten die Demoskopen, haben die Volksvertreter auch die Meinung einer Mehrheit der Bevölkerung umgesetzt. Also, warum ist das eine Verachtung der Demokratie?
Weil Demokratie, zumindest war das lange Jahrzehnte so, mehr ist als das reine Beschlussfassen im Bundestag durch Volksvertreter oder (schlimmer) durch einige wenige Machthaber und Parteichefs. Demokratie lebt vom Streit um Themen. Es gibt unterschiedliche Meinungen und diese prallen, naheliegenderweise, auch mal heftig aufeinander. Man erinnere sich an den berühmten Nato-Doppelbeschluss oder (noch extremer) die Debatte zur Wiederbewaffnung. Letztere zog sich am Ende über mehr als sechs Jahre hin und wurde extrem kontrovers geführt. Wer nicht so alt ist (und dieser Autor ist das auch nicht), der wird sich zumindest an die gefühlt ewige Diskussion um den §218 erinnern, die erst mit der Einführung der Fristenregelung 1995 etwas zur Ruhe kam (und bei Licht betrachtet bis heute nicht beendet ist). Ebenso werden sich sicher die meisten an die Debatte zur Asylrechtsänderung 1993 erinnern.
Wir leben in einer Gesellschaft zusammen und es ist nur normal das Konflikte entstehen, unterschiedliche Meinungen vorherrschen und Regelungen getroffen werden, die einer gesellschaftlichen Gruppe auch mal nicht gefallen. Das ist eben auch Teil der Demokratie. Damit man aber zu Regelungen kommt, die für alle akzeptabel sind, bedarf es eines wichtigen demokratischen Prozesses, dessen Grundlage recht banal erscheint: Streit. Debatte. Auseinandersetzung. Diskussion.
Die oben genannten Beispiele sind eben sehr deutlich Vertreter davon. Man führte teilweise jahrelange Debatten um einzelne Themen, und selbst wenn es zu einer Regelung kam, wurde auch diese oft noch lange diskutiert und auch schon mal wieder geändert. Mit diesem Prozess, der für die gesellschaftlich Akzeptanz der Demokratie nahezu grundlegend ist, ist es ähnlich wie mit dem nervigen Onkel, der immer am Wochenende kam: Man merkt erst, wie wichtig der war, wenn er nicht mehr da ist. Und er ist leider nicht mehr da. Man betrachte einmal die wichtigsten, respektive folgenschwersten, politischen Entscheidungsfindungen der letzten 10 Jahre. Da wäre die "Energiewende" zu nennen, der ESM und die Flüchtlingspolitik von 2015. Die aktuelle "Ehe-Entscheidung" spielt sicher nicht in der selben Bedeutungsliga, erfüllt aber am Ende das selbe Problem. Keine dieser Entscheidungen ist gesellschaftlich oder politisch ernsthaft diskutiert worden. Sie wurden beschlossen. Und zwar ohne Debatte. Klar, bei der Flüchtlingspolitik wurde, als die Misere sich langsam zu offenkundig zeigte, dann doch versucht eine Debatte nachzuholen (oder man hat eher kläglich versucht so zu tun). Aber sowohl ESM, als auch Energiewende, als auch die Flüchtlingspolitik wurden einfach effektiv beschlossen ohne überhaupt eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen. Die einzig gesellschaftliche Opposition (die sich durch den ESM erst manifestierte) wurde moralisch erschlagen. Eine sachliche Debatte fand nie ernsthaft statt. Exemplarisch ist das, wenn auch in deutlich weniger Bedeutung, auch für die jetzt beschlossene "Ehe für alle": Montags durch Merkel ins Spiel gebracht, Mitte der Woche durch SPD als Wahlkampfthema entdeckt und jetzt freitags beschlossen. Debatte? Genau null. Die Möglichkeit sich vielleicht mal dagegen zu äußern ist praktisch nicht gegeben. Wo ist die gesellschaftliche Diskussion? Wo ist das Pro? Wo ist das Kontra? Es geht dabei nicht einmal wirklich um die Frage, ob die Entscheidung nun richtig oder falsch ist (was in einer demokratischen Gesellschaft aus Millionen Menschen ohnehin nie absolut beantwortet werden kann). Es geht erst einmal darum, dass es gar keine alternative Sicht mehr zu einer Frage geben darf, zumindest darf diese sich nicht artikulieren.
Auf die Gefahr hin wieder zur "früher war alles besser" Fraktion gezählt zu werden: In diesem Extrem ist diese Art der Politik, zumindest für die BRD, neu. Sie ist allerdings nicht neu für die derzeitige Frau Bundeskanzler, die ihre Sozialisation in einem Staat erfahren hat, der diese Art von Politik durchaus jahrzehntelang durchgesetzt hat. Dennoch: Ihr diese Entwicklung allerdings alleine in die Schuhe zu kippen, auch wenn sie sicher ihre guten Anteile daran hält, würde erheblich zu kurz springen. In Deutschland hat der Bundeskanzler sicher eine Menge Macht, aber die Macht die gesellschaftliche Diskussion selbst zu bestimmen ist dem Amt bisher -glücklicherweise- nicht gegeben. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die sich durch die letzten Jahrzehnte zieht, aber mit der Regierung Merkel, vor allem durch die große Koalition, feste Formen annahm und in der Person Merkel ihren perfekten Kopf fand. Der Wunsch nach Konsens war auch schon in der Bonner Republik stark ausgeprägt, aber durch doch sehr heterogene Weltbilder natürlich begrenzt. In diesem Jahrtausend erleben wir es aber zunehmend, dass viele Weltbilder als unmoralisch aus der öffentlichen Debatte (so man diese noch so nennen darf) ausgegrenzt wurden, so dass das, was dann übrig blieb, nicht mehr ausreicht um als Konflikt wahrgenommen oder bezeichnet werden kann, entsprechend findet auch keine Diskussion mehr statt. Jetzt kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass das ja kein Bug sondern ein Feature sei, die Konsensdemokratie ist endlich dort angekommen, wo sich so viele Deutsche immer hin gesehnt haben: Ein friedlicher Zustand der Konfliktlosigkeit, kein Streit und alle singen Kumbaja. Aber das ist natürlich nur eine Illusion. Weil die Konflikte natürlich immer noch da sind, nur nicht mehr ausgetragen werden.
Vor langer Zeit habe ich mal einen interessanten Artikel in einer Psychologie-Zeitung gelesen, wo sich ein Autor darüber auslies, wie unterschiedlich Jungs und Mädchen erzogen werden. Während man es Jungs (zumindest damals) noch gestattete ihre Konflikte offen, d.h. auch durchaus mit Fäusten, auszutragen, wurden Mädchen daran gehindert. Mit der Konsequenz das junge Männer irgendwann gelernt hatten Konflikte offen und direkt auszutragen, nicht mehr gewaltsam, aber konfrontativ und auf den Punkt. Junge Frauen dagegen hatten gelernt zu intrigieren und die Konflikte "hinten rum" auszutragen, während vordergründig Harmonie simuliert wurde. Ich fand diesen Artikel damals wie heute sehr überzeugend und bin auch immer noch der Meinung, dass der Grund warum Männer im Durchschnitt erfolgreicher im Berufsleben agieren, nicht primär an ihren Talenten sondern in zu guten Teilen in genau diesem (und ähnlichem) Erziehungsverhalten begründet ist. Wenn ich mir nun erlaube auf den Anfang zu kommen: Ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft in den letzten 20 Jahren genau in dieser Art "verweiblicht" ist (bitte komme mir jetzt keiner mit der Goldwaage, es geht nicht um Weiblichkeit, sondern um einen Erziehungswert, den man gerne mit weiblichem Verhalten assoziiert). Konflikte werden eben nicht mehr offen ausgetragen, es wird Harmonie simuliert und am besten setzt sich der durch, der durch geschickte Manipulation seine Ziele durchsetzt. Können Sie sich Angela Merkel vorstellen, wie sie einem Parlamentspräsidenten das A-Wort an den Kopf wirft, wie es einst Fischer tat? Kann man sich Angela Merkel vorstellen, wie sie auf einen Eierwerfer losgeht, wie einst Kohl in Halle tat? Oder eine Zensurursula, die sich im Deutsch von Herbert Wehner austobte? Nein? Ich auch nicht. Ich würde auch behaupten, weder Merkel noch ihre Möchtegern-Nachfolgerin sind zu einem ernsthaften und offenen Konflikt in der Lage.
Ist das nun schlimm? Ja, das ist es. Um noch einmal auf den Schulhof zu kommen: Wenn sich zwei Jungen in der Pause prügeln, ist das in der Regel am nächsten Tag der Schnee von gestern. Der Konflikt ist ausgetragen. Und selbst der Verlierer ordnet das in seinem Kopf weg. Die wenigsten Jungen bekommen davon Depressionen oder schlimmeres. Und da der Konflikt offen ausgetragen wird, verhindert das Umfeld in den Fällen, wo etwas außer Kontrolle gerät, eine weitere Verstärkung. Das ist aber ganz anders im intriganten Feld: Der Konflikt kann dadurch nicht beseitigt werden und schwelt jahrelang weiter. Der Unterlegene erlebt ein Gefühl der Hilflosigkeit, Mobbing ist das Stichwort. Gar nicht so wenige werden depressiv. Aber auch der Überlegene geht nicht unbedingt als Gewinner aus diesem Konflikt: Er erlebt gar nicht, was er seinem Opfer antut, weil alles so indirekt passiert. Während im offenen Streit die Verletzung klar zutage kommt ("Blut kommt"), ist beim versteckten Mobbing die Folge erst viel später, teilweise Jahre später zu erkennen. Und diese Parallele ist auch durchaus im politischen zu finden. Wenn eine Sache offen debattiert wird, heißt das ja nicht, dass keine Entscheidung getroffen wird. Und die kann durchaus für die unterlegene Seite recht bitter sein. Aber es hat eine Debatte gegeben und die offene Aussprache sogt auch dafür, dass es zu keinem Exzess kommt. Man muss damit leben auch einmal zu verlieren.
Die nicht vorhandenen Debatten erfüllen aber diesen Zweck gerade nicht. Wer moralisch delegitimiert wird und sich nicht äußern darf, erlebt vor allem die Ohnmacht, sich nicht einmal wehren zu dürfen. Und in dieser Situation stirbt der Respekt vor der Demokratie selber. Unser Justizminister beklagt, dass wir immer mehr Hass im Netz sehen (und will deswegen die Meinungsfreiheit einstampfen). In der Sache hat er recht: Es gibt tatsächlich immer mehr Hass. Auch und gerade auf die Politik. Aber warum wohl? Weil Ohnmacht dazu führt, dass der Respekt für den anderen verloren geht. Ein Mobbing Opfer hat irgendwann keinen Respekt mehr vor dem anderen und auch nicht mehr vor einem System, dass das Mobbing zulässt. Wenn wir also die Frage stellen, warum immer mehr Menschen sich von der Politik verabschieden, dann hat das auch seine Ursache darin, dass die politische Kultur sich in den letzten Jahren in ganz verheerende Bahnen begibt.
Ich glaube man hat, sowohl in der Erziehung als auch in der Politik, vor langen Jahren einen ganz verheerenden Fehler begangen: Man glaubte man macht die Dinge besser und schaffe weniger Konflikte, wenn man das streiten verbietet. Aber das ist falsch: Wir hätten lieber lernen sollen richtig zu streiten. Streit ist nichts Negatives. Streit macht einen Konflikt offen und erlaubt seine Lösung. Nicht streiten ist das Gegenteil dessen.
Weil Demokratie, zumindest war das lange Jahrzehnte so, mehr ist als das reine Beschlussfassen im Bundestag durch Volksvertreter oder (schlimmer) durch einige wenige Machthaber und Parteichefs. Demokratie lebt vom Streit um Themen. Es gibt unterschiedliche Meinungen und diese prallen, naheliegenderweise, auch mal heftig aufeinander. Man erinnere sich an den berühmten Nato-Doppelbeschluss oder (noch extremer) die Debatte zur Wiederbewaffnung. Letztere zog sich am Ende über mehr als sechs Jahre hin und wurde extrem kontrovers geführt. Wer nicht so alt ist (und dieser Autor ist das auch nicht), der wird sich zumindest an die gefühlt ewige Diskussion um den §218 erinnern, die erst mit der Einführung der Fristenregelung 1995 etwas zur Ruhe kam (und bei Licht betrachtet bis heute nicht beendet ist). Ebenso werden sich sicher die meisten an die Debatte zur Asylrechtsänderung 1993 erinnern.
Wir leben in einer Gesellschaft zusammen und es ist nur normal das Konflikte entstehen, unterschiedliche Meinungen vorherrschen und Regelungen getroffen werden, die einer gesellschaftlichen Gruppe auch mal nicht gefallen. Das ist eben auch Teil der Demokratie. Damit man aber zu Regelungen kommt, die für alle akzeptabel sind, bedarf es eines wichtigen demokratischen Prozesses, dessen Grundlage recht banal erscheint: Streit. Debatte. Auseinandersetzung. Diskussion.
Die oben genannten Beispiele sind eben sehr deutlich Vertreter davon. Man führte teilweise jahrelange Debatten um einzelne Themen, und selbst wenn es zu einer Regelung kam, wurde auch diese oft noch lange diskutiert und auch schon mal wieder geändert. Mit diesem Prozess, der für die gesellschaftlich Akzeptanz der Demokratie nahezu grundlegend ist, ist es ähnlich wie mit dem nervigen Onkel, der immer am Wochenende kam: Man merkt erst, wie wichtig der war, wenn er nicht mehr da ist. Und er ist leider nicht mehr da. Man betrachte einmal die wichtigsten, respektive folgenschwersten, politischen Entscheidungsfindungen der letzten 10 Jahre. Da wäre die "Energiewende" zu nennen, der ESM und die Flüchtlingspolitik von 2015. Die aktuelle "Ehe-Entscheidung" spielt sicher nicht in der selben Bedeutungsliga, erfüllt aber am Ende das selbe Problem. Keine dieser Entscheidungen ist gesellschaftlich oder politisch ernsthaft diskutiert worden. Sie wurden beschlossen. Und zwar ohne Debatte. Klar, bei der Flüchtlingspolitik wurde, als die Misere sich langsam zu offenkundig zeigte, dann doch versucht eine Debatte nachzuholen (oder man hat eher kläglich versucht so zu tun). Aber sowohl ESM, als auch Energiewende, als auch die Flüchtlingspolitik wurden einfach effektiv beschlossen ohne überhaupt eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen. Die einzig gesellschaftliche Opposition (die sich durch den ESM erst manifestierte) wurde moralisch erschlagen. Eine sachliche Debatte fand nie ernsthaft statt. Exemplarisch ist das, wenn auch in deutlich weniger Bedeutung, auch für die jetzt beschlossene "Ehe für alle": Montags durch Merkel ins Spiel gebracht, Mitte der Woche durch SPD als Wahlkampfthema entdeckt und jetzt freitags beschlossen. Debatte? Genau null. Die Möglichkeit sich vielleicht mal dagegen zu äußern ist praktisch nicht gegeben. Wo ist die gesellschaftliche Diskussion? Wo ist das Pro? Wo ist das Kontra? Es geht dabei nicht einmal wirklich um die Frage, ob die Entscheidung nun richtig oder falsch ist (was in einer demokratischen Gesellschaft aus Millionen Menschen ohnehin nie absolut beantwortet werden kann). Es geht erst einmal darum, dass es gar keine alternative Sicht mehr zu einer Frage geben darf, zumindest darf diese sich nicht artikulieren.
Auf die Gefahr hin wieder zur "früher war alles besser" Fraktion gezählt zu werden: In diesem Extrem ist diese Art der Politik, zumindest für die BRD, neu. Sie ist allerdings nicht neu für die derzeitige Frau Bundeskanzler, die ihre Sozialisation in einem Staat erfahren hat, der diese Art von Politik durchaus jahrzehntelang durchgesetzt hat. Dennoch: Ihr diese Entwicklung allerdings alleine in die Schuhe zu kippen, auch wenn sie sicher ihre guten Anteile daran hält, würde erheblich zu kurz springen. In Deutschland hat der Bundeskanzler sicher eine Menge Macht, aber die Macht die gesellschaftliche Diskussion selbst zu bestimmen ist dem Amt bisher -glücklicherweise- nicht gegeben. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die sich durch die letzten Jahrzehnte zieht, aber mit der Regierung Merkel, vor allem durch die große Koalition, feste Formen annahm und in der Person Merkel ihren perfekten Kopf fand. Der Wunsch nach Konsens war auch schon in der Bonner Republik stark ausgeprägt, aber durch doch sehr heterogene Weltbilder natürlich begrenzt. In diesem Jahrtausend erleben wir es aber zunehmend, dass viele Weltbilder als unmoralisch aus der öffentlichen Debatte (so man diese noch so nennen darf) ausgegrenzt wurden, so dass das, was dann übrig blieb, nicht mehr ausreicht um als Konflikt wahrgenommen oder bezeichnet werden kann, entsprechend findet auch keine Diskussion mehr statt. Jetzt kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass das ja kein Bug sondern ein Feature sei, die Konsensdemokratie ist endlich dort angekommen, wo sich so viele Deutsche immer hin gesehnt haben: Ein friedlicher Zustand der Konfliktlosigkeit, kein Streit und alle singen Kumbaja. Aber das ist natürlich nur eine Illusion. Weil die Konflikte natürlich immer noch da sind, nur nicht mehr ausgetragen werden.
Vor langer Zeit habe ich mal einen interessanten Artikel in einer Psychologie-Zeitung gelesen, wo sich ein Autor darüber auslies, wie unterschiedlich Jungs und Mädchen erzogen werden. Während man es Jungs (zumindest damals) noch gestattete ihre Konflikte offen, d.h. auch durchaus mit Fäusten, auszutragen, wurden Mädchen daran gehindert. Mit der Konsequenz das junge Männer irgendwann gelernt hatten Konflikte offen und direkt auszutragen, nicht mehr gewaltsam, aber konfrontativ und auf den Punkt. Junge Frauen dagegen hatten gelernt zu intrigieren und die Konflikte "hinten rum" auszutragen, während vordergründig Harmonie simuliert wurde. Ich fand diesen Artikel damals wie heute sehr überzeugend und bin auch immer noch der Meinung, dass der Grund warum Männer im Durchschnitt erfolgreicher im Berufsleben agieren, nicht primär an ihren Talenten sondern in zu guten Teilen in genau diesem (und ähnlichem) Erziehungsverhalten begründet ist. Wenn ich mir nun erlaube auf den Anfang zu kommen: Ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft in den letzten 20 Jahren genau in dieser Art "verweiblicht" ist (bitte komme mir jetzt keiner mit der Goldwaage, es geht nicht um Weiblichkeit, sondern um einen Erziehungswert, den man gerne mit weiblichem Verhalten assoziiert). Konflikte werden eben nicht mehr offen ausgetragen, es wird Harmonie simuliert und am besten setzt sich der durch, der durch geschickte Manipulation seine Ziele durchsetzt. Können Sie sich Angela Merkel vorstellen, wie sie einem Parlamentspräsidenten das A-Wort an den Kopf wirft, wie es einst Fischer tat? Kann man sich Angela Merkel vorstellen, wie sie auf einen Eierwerfer losgeht, wie einst Kohl in Halle tat? Oder eine Zensurursula, die sich im Deutsch von Herbert Wehner austobte? Nein? Ich auch nicht. Ich würde auch behaupten, weder Merkel noch ihre Möchtegern-Nachfolgerin sind zu einem ernsthaften und offenen Konflikt in der Lage.
Ist das nun schlimm? Ja, das ist es. Um noch einmal auf den Schulhof zu kommen: Wenn sich zwei Jungen in der Pause prügeln, ist das in der Regel am nächsten Tag der Schnee von gestern. Der Konflikt ist ausgetragen. Und selbst der Verlierer ordnet das in seinem Kopf weg. Die wenigsten Jungen bekommen davon Depressionen oder schlimmeres. Und da der Konflikt offen ausgetragen wird, verhindert das Umfeld in den Fällen, wo etwas außer Kontrolle gerät, eine weitere Verstärkung. Das ist aber ganz anders im intriganten Feld: Der Konflikt kann dadurch nicht beseitigt werden und schwelt jahrelang weiter. Der Unterlegene erlebt ein Gefühl der Hilflosigkeit, Mobbing ist das Stichwort. Gar nicht so wenige werden depressiv. Aber auch der Überlegene geht nicht unbedingt als Gewinner aus diesem Konflikt: Er erlebt gar nicht, was er seinem Opfer antut, weil alles so indirekt passiert. Während im offenen Streit die Verletzung klar zutage kommt ("Blut kommt"), ist beim versteckten Mobbing die Folge erst viel später, teilweise Jahre später zu erkennen. Und diese Parallele ist auch durchaus im politischen zu finden. Wenn eine Sache offen debattiert wird, heißt das ja nicht, dass keine Entscheidung getroffen wird. Und die kann durchaus für die unterlegene Seite recht bitter sein. Aber es hat eine Debatte gegeben und die offene Aussprache sogt auch dafür, dass es zu keinem Exzess kommt. Man muss damit leben auch einmal zu verlieren.
Die nicht vorhandenen Debatten erfüllen aber diesen Zweck gerade nicht. Wer moralisch delegitimiert wird und sich nicht äußern darf, erlebt vor allem die Ohnmacht, sich nicht einmal wehren zu dürfen. Und in dieser Situation stirbt der Respekt vor der Demokratie selber. Unser Justizminister beklagt, dass wir immer mehr Hass im Netz sehen (und will deswegen die Meinungsfreiheit einstampfen). In der Sache hat er recht: Es gibt tatsächlich immer mehr Hass. Auch und gerade auf die Politik. Aber warum wohl? Weil Ohnmacht dazu führt, dass der Respekt für den anderen verloren geht. Ein Mobbing Opfer hat irgendwann keinen Respekt mehr vor dem anderen und auch nicht mehr vor einem System, dass das Mobbing zulässt. Wenn wir also die Frage stellen, warum immer mehr Menschen sich von der Politik verabschieden, dann hat das auch seine Ursache darin, dass die politische Kultur sich in den letzten Jahren in ganz verheerende Bahnen begibt.
Ich glaube man hat, sowohl in der Erziehung als auch in der Politik, vor langen Jahren einen ganz verheerenden Fehler begangen: Man glaubte man macht die Dinge besser und schaffe weniger Konflikte, wenn man das streiten verbietet. Aber das ist falsch: Wir hätten lieber lernen sollen richtig zu streiten. Streit ist nichts Negatives. Streit macht einen Konflikt offen und erlaubt seine Lösung. Nicht streiten ist das Gegenteil dessen.
Llarian
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