9. Juli 2017

Jonathan Swift - "Das jüngste Gericht" (1731)




- Jonathan Swift - "The Day of Judgement" (1731)

With a whirl of thought oppressed,
I sunk from reverie to rest.
A horrid vision seized my head,
I saw the graves give up their dead!
Jove1, armed with terrors, bursts the skies,
And thunder roars and lightning flies!
Amazed, confused, its fate unknown,
The world stands trembling at his throne!
While each pale sinner hangs his head,
Jove, nodding, shook the heavens, and said:
'Offending race of human kind,
By nature, reason, learning, blind;
You who, through frailty, stepped aside;
And you who never fell—through pride:
You who in different sects have shammed,
And come to see each other damned;
(So some folks told you, but they knew
No more of Jove's designs than you)
The world's mad business now is o'er,
And I resent these pranks no more.
I to such blockheads set my wit!
I damn such fools!—Go, go, you're bit'.

- Jonathan Swift - "Das jüngste Gericht"

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Bedrückt vom üblem Weltlauf-Kummer
Sank ich gedankenvoll in Schlummer.
Ich mußte Fürchterliches sehn:
Ich sah die Toten auferstehn!
Und Zeus, mit Schrecken angetan
Bricht sich am Firmament die Bahn.
Verängstigt, mit verwirrtem Sinn
Tritt die Welt zitternd vor ihn hin.
Als jeder bleiche Sünder zagt
Nickt Zeus - der Himmel bebt - und sagt:
Ihr übler Haufen Menschenkinder,
Von Haus aus - und vorsätzlich - Blinder,
Ihr habt aus Schwäche stets gezagt,
Und habt - aus Stolz - nie was gewagt.
Ihr saht als falsche Sektenmeute
Die andern nur als Höllenbeute.
(Die euch dies lehrten, waren schier
genauso ahnungslos wie ihr.)
Der Weltenirrsinn ist vorbei.
Der Unfug ist mir einerlei.
Für euch hab ich kein kluges Wort!
Fluch solchem Pack! Geht - schert euch fort!

(Die deutschen Verse sind auf das Sündenkonto des Endunterfertigten zu buchen.)

Das Gedicht "The Day of Judgement", dessen genaue Entstehungszeit nicht bekannt ist und das zu Swifts Lebzeiten nicht veröffentlicht wurde, findet sich zum ersten Mal in einem Brief, den der Earl of Chesterfield (1693-1774) am 27. August 1752 an Voltaire schreibt,  und den er als Einführungs- und Empfehlungsschreiben für seinen (illegitimen) Sohn an den französischen Philosophen schreibt. Ganz im Sinn der Briefkunst des 18. Jahrhunderts kommt er auch auf weitere Themen, unter anderem auf die Attacken auf Glaubensfanatiker, die Voltaire in seiner Histoire du siècle du Louis XIV. gefahren hat.  Dazu schreibt er:

Vous employez contre ces fous ou ces imposteurs les armes convenales; d'en employer d'autres ce seroit les imiter; c'est par le ridicule qu'il faut attaquer, c'est par le mépris qu'il faut les punir. A propos de ces fous, je vous envoie ci-jointe une pièce sur le sujet par le feu Docteur Swift, laquelle crois ne vous déplaira pas. Elle m'a jamais été imprimée, vous en devinerez bien la raison, mais elle est authentique. J'en ai l'original écrit de sa main propre. - Son Jupiter, au jour du jugement, les traite à-peu-près comme les traitez, et comme ils le méritent.
Sie gebrauchen gegen diese Narren oder Betrüger die passenden Waffen: man muß ihren Stil gegen sie wenden; man muß sie durch Spott angreifen, und sie durch Verachtung abstrafen. Was die Narren angeht, so füge ich eine kleine Übung zum Thema von Dr. Swift bei; ich denke, daß es Ihnen nicht mißfällt. Seitweit ich weiß, ist es nie gedruckt worden, Sie können sich denken, warum, aber es stammt von ihm. Ich besitze das Original in seiner Handschrift. - Sein Jupiter behandelt [die Verdammten] so, wie sie gehandelt haben, und wie sie es verdienen. 

Zum ersten Mal erschienen die Verse im Druck in der Dubliner St. James's Chronicle vom 12. April 1774, wurden in der Londoner Monthly Review vom Juli 1774 nachgedruckt und fanden von dort Eingang in die vierte Auflage von Philip Dormer Stanhope, Earl of Chesterfield, Letters to His Son, die am 29. Oktober 1774 erschien. Aufnahme unter die Werke Swifts fand das Gedicht im folgenden Jahr, im ersten der drei Supplementbände, die John Nichols 1775, 1776 und 1779 herausgab.

PS. Dies ist der 4004. Beitrag auf diesem Blog. Wie es der Zufall will, wird nach der im englischen Sprachraum lange Zeit gültigen Schätzung des biblischen Weltalters die Schöpfung der Welt auf das Jahr 4004 v. Chr. angesetzt. Diese auf den anglikanischen Bischof von Armagh, James Ussher, zurückgehende Ussher Chronology, veröffentlicht 1650 in seiner Schrift Annales Veteri Testamenti, die sich an den Zeitangaben im ersten und zweiten Buch Moses des Alten Testaments orientiert, war nach der Entdeckung der "geologischen Tiefenzeit", des wirklichen Alters der Erde, vor allem im 19. Jahrhundert für Spötter und Kirchenkritiker Anlaß zu endloser Häme - ganz im Sinne Voltaires. Usshers chronologischer Abriß, der den genauer Zeitpunkt der Weltschöpfung auf den 23. Oktober 4004 v.Chr. festlegt - und zwar um 9 Uhr morgens nach der Ortszeit im Paradies - wurde zum allgemein bekannten Fixpunkt, weil sie sich über die folgenden Jahrhunderte als Vorsatz in jeder King James Bible fand.






U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.