Aus aktuellem Anlaß:
(Platzregen in Berlin, 29. Juni 2017)
Jonathan Swift, "A Description of a City Shower" (1710)
Careful observers may foretell the hour
(By sure prognostics) when to dread a shower.
While rain depends, the pensive cat gives o'er
Her frolics, and pursues her tail no more.
Returning home at night, you'll find the sink
Strike your offended sense with double stink.
If you be wise, then go not far to dine;
You'll spend in coach-hire more than save in wine.
A coming shower your shooting corns presage,
Old aches will throb, your hollow tooth will rage:
Sauntering in coffee-house is Dulman seen;
He damns the climate, and complains of spleen.
Meanwhile the south rising with dabbled wings,
A sable cloud athwart the welkin flings,
That swilled more liquor than it could contain,
And, like a drunkard, gives it up again.
Brisk Susan whips her linen from the rope,
While the first drizzling shower is born aslope;
Such is that sprinkling, which some careless quean
Flirts on you from her mop—but not so clean:
You fly, invoke the gods; then turning, stop
To rail; she singing, still whirls on her mop.
Not yet, the dust had shunned the unequal strife,
But, aided by the wind, fought still for life,
And wafted with its foe by violent gust,
'Twas doubtful which was rain, and which was dust.
Ah! where must needy poet seek for aid,
When dust and rain at once his coat invade?
Sole coat, where dust cemented by the rain
Erects the nap, and leaves a cloudy stain!
Now in contiguous drops the flood comes down,
Threatening with deluge this devoted town.
To shops in crowds the daggled females fly,
Pretend to cheapen goods, but nothing buy.
The Templar spruce, while every spout's a-broach,
Stays till 'tis fair, yet seems to call a coach.
The tucked-up sempstress walks with hasty strides,
While streams run down her oiled umbrella's sides.
Here various kinds, by various fortunes led,
Commence acquaintance underneath a shed.
Triumphant Tories, and desponding Whigs,
Forget their feuds, and join to save their wigs.
Boxed in a chair the beau impatient sits,
While spouts run clattering o'er the roof by fits;
And ever and anon with frightful din
The leather sounds; he trembles from within.
So when Troy chairmen bore the wooden steed,
Pregnant with Greeks, impatient to be freed
(Those bully Greeks, who, as the moderns do,
Instead of paying chairmen, run them through),
Laocoon struck the outside with his spear,
And each imprisoned hero quaked for fear.
Now from all parts the swelling kennels flow,
And bear their trophies with them as they go:
Filths of all hues and odours seem to tell
What streets they sailed from by their sight and smell.
They, as each torrent drives, with rapid force,
From Smithfield or St. 'Pulchre's shape their course,
And in huge confluence join at Snowhill ridge,
Fall from the conduit prone to Holborn Bridge.
Sweepings from butcher's stalls, dung, guts, and blood,
Drowned puppies, stinking sprats, all drenched in mud,
Dead cats, and turnips-tops, come tumbling down the flood.
- Jonathan Swift, "Platzregen in der Stadt" (1710)
Erfahrene Betrachter wissen auf die Stunde schon
(die Zeichen kennen sie) wann Wolkenbrüche drohn.
Droht Regen, unterbricht die Katz den Tanz
Und hascht nicht mehr nach ihrem eignen Schwanz.
Die Nase registriert beim Heimweg unbedingt
Daß jeder Rinnstein doppelt so arg stinkt.
Zum Abendessen sollte man nicht zu weit fahren
Der Droschkenaufpreis lässt sich nicht beim Wein einsparen.
Ein Gliederreissen kündigt Regenschauer an,
Das Rheuma und der Schmerz im hohlen Zahn.
Im Kaffeehaus läßt sich der Kannegießer sehn
Verflucht das Klima und beklagt den Spleen.
Im Süden steigts derweil mit schweren Schwingen auf
Schwarz klimmt die Wolke in das Firmament hinauf,
Mit Nass gefüllt zum Überdruß
Die sich jetzt wie ein Trunkenbold entleeren muß.
Susan kann man die Wäsche von der Leine reißen sehen
Als schräg die ersten Güsse niedergehen.
So wird auch mancher, der nicht daran denkt,
Von einer Scheuermagd mit nassem Gruß beschenkt.
Man fleucht und flucht den Göttern, dreht sich schäumend um
Sie schwingt trällernd den Mop und kümmert sich nicht drum.
Noch hat der Staub den Kampf nicht aufgegeben
Und ficht, vom Wind bestärkt, noch tapfer um sein Leben.
Hinweggeschwemmt mit einem wildem Guß
Man sieht nicht mehr was Staub, was Regenfluß.
Ach: wohin soll der arme Dichter fliehen
Wenn Staub und Regen beide ihn am Mantel ziehen?
Am einzigen, auf dem der Staub, durchnäßt
Im grobem Stoff untilgbar Flecken hinterläßt.
Jetzt fängt das Wasser wie ein Sturzbach an zu laufen
Und droht die fromme Stadt als Sintflut zu ersaufen.
Zerzauste Damen fall'n in Läden ein
Sie kaufen nichts und feilschen nur zum Schein.
Die Traufen platzen schier. Der angehende Jurist
Winkt Kutschern nur zum Scherz, bis das zu Ende ist.
Die Näherin eilt hochgeschürzt dahin,
Das Wasser perlt in nasser Naht vom Schirm.
Und Fremde, dank des Schicksals Ungemach
Schließen Bekanntschaft unter einem Dach.
Siegtrunkene Tories, deprimierte Whigs: aus freien Stücken
Begraben sie den Zwist und retten die Perücken.
Der Dandy in der Sänfte sitzt mit Ungemach,
Die Güsse peitschen krachend auf das Dach,
Und wenn es auf dem ledernen Bespann
Wie Donner rollt, kommt ihn das Zittern an.
Wie zu der Zeit, als die Trojaner (ungelogen!)
Ein Holzpferd voller Griechen zu den Toren zogen,
(Voll Griechenlümmeln, die sich als modern empfahlen
Weil sie die Träger niedermachten, statt sie zu bezahlen),
Als Laokoon mit seinem Speer dagegen haute
Und jeder Griechenheld sich fast vor Angst zusaute.
Jetzt kommt von überall in angeschwollenen Gossen
Auf wilder Flut das Plündergut dahergeflossen.
Die Farbe und Geruch des Drecks zeigt an
Auf welcher Straße seine Odyssee begann,
Der, als nun jeder Strom an Fahrt gewinnt
Jetzt seinen Weg von Smithfield und St. Pulchre's nimmt,
Zum mächtgen Strom vereint bei Snow Hill Ridge
Wirds in den Fluß geschwemmt bei Holborn Bridge.
Schlachtabfälle, Mist, Gedärme, Blut,
Ertrunkne Welpen, Stinkfisch, schlammiges Treibgut,
Und tote Katzen, Rüben, treiben wirbelnd in der Flut.
("Verhunzdeutschen. Er hat es verhunzdeutscht." Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbuch J 91 (1789-94). Verhunzdeutscht von U.E.)
Das Gedicht ist, neben der "Description of the Morning", die zweite "Mock-Ekloge", die in Richard Steeles Tatler erschien. Veröffentlicht wurde es in der Nr. 238 vom 17. Oktober 1710; die erste Buchpublikation erfolgte ein Jahr später in den von Swift und Alexander Pope gemeinsam zusammengestellten Miscellanies in Verse and Prose. Geschrieben wurde es zwischen dem 7, und dem 13. Oktober. Am 10. schreibt Swift aus London an seine Freundin und große Liebe Esther Johnson, "Stella" genannt: "And now I am going in charity to send Steele a Tatler, which is very low of late," und am 12. "I have finished my poem on the Shower, all but the beginning." Wie so oft bei den Dichtern des Augustan Age handelt es sich um eine Aufnahme, ein Echo - und zugleich eine Parodie - eines antiken Vorbilds, in diesem Fall der Sturmbeschreibung in Vergils Georgica, I, 333, IV, 312.
Z.19: Quean - ein auch zu Swifts Zeit ungebräuchlicher Terminus; im Mittelenglischen hat er, wie auch im Schottischen, eine neutrale Bedeutung: eine junge Frau, danach erhält er einen Beiklang von unanständig und liederlich; das entspricht also dem "Deern".
Z.35: Templar spruce - beim "Templer" handelt sich um einen Rechtsanwalt oder einen Jurastudenten, der den Inns of Court angehört, der die "vier englischen Anwaltskammern für die Rechtsanwälte (Barrister), die vor Gericht plädieren dürfen," bezeichnet. "Außerdem bezieht sich der Begriff auch auf die Gebäudekomplexe, in denen diese Kammern seit dem 14. Jahrhundert beheimatet sind. Diese umschließen der Lage nach die königlichen Gerichtshöfe (Royal Courts of Justice) in London" (lt. Wikipedia): Lincoln's Inn, Gray's Inn, der Inner Temple und der Middle Temple, wobei der beiden letzeren besonderes Gewicht zukommt. Als Jungspund ("spruce") kann sich unser Held die Fahrtkosten nicht leisten; er muß aber den Anschein wahren.
Z. 41: Triumphant Tories and desponding Whigs - die einzige Anspielung auf die aktuelle Politik. Robert Harley (der spätere Earl of Oxford) hatte erst wenige Wochen zuvor das Amt des Schatzkanzlers angetreten, nachdem Queen Anne am 5. August seinen Vorgänger, den Earl of Godolphin, entlassen hatte und die danach anberaumte Wahl zu einem Erdrutschsieg der Tories geführt hatte. Swift war am 7. September aus Irland nach London zurückgekehrt und arbeitete bis zum Ende der Harley-Regierung 1714 als Dichter und Polemiker für deren Anliegen. "Während dieser Zeit verfaßte Swift mehr als dreißig wöchentliche Artikel für den Examiner, der die Regierungspolitik unterstützte, etwa zwanzig Prosastücke und Pamphlete und gut dreizehn Gedichte, die als Flugblätter erschienen. Möglicherweise gab es noch mehr Gelegenheitsarbeiten von ihm; er war einer der Publizisten, mit denen Harley, auf recht moderne Weise, sein Bild in der Öffentlichkeit steuerte und beinflußte," schreibt Angus Ross in seiner Einleitung zu The Oxford Authors: Jonathan Swift (Oxford University Press 1984, S. xxiii).
Z.43: chair - Gemeint ist ein Sedan-chair, eine Tragsänfte mit je einem Träger davor und dahinter; als Londoner Beförderungsmittel im Zuge der Grand Tour, des Europabesuchs angehender Adliger und reicher Erben Mitte des 17. Jahrhunderts aus Italien importiert und bis Ende des 18. Jahrhunderts in Gebrauch. Die Wendung Dandy ist strenggenommen ahistorisch, weil die Wortprägung erst ein Jahrhundert später kurrent wird; für das 18. Jh. bietet sich "Stutzer" an. Es handelt sich aber um den gleichen Typ des jungen Modegecks.
Z. 58: Smithfield ... St Pulchre`s - Smithfield Market war einer der großen Viehmärkte Londons, mit einer Unzahl von Pferchen für Rinder und Schafe und zahlreichen Metzgereien. "Die offenen Abwässerkanäle liefen von Smithfield aus die Cow Lane hinab und mündeten am Holborn Conduit in den von St. Sepulchre kommenden Kanal" (Angus Ross). Die Kirche von St Sepulchre war nicht weiter auffällig, aber die beiden Stadtbezirke um sie (beide St Sepulchre genannt), die durch dem Smithfield Market getrennt wurden, galten im 18. Jahrhundert als verrufene Gegend.
Der Protokollant gesteht, daß er mannhaft der Versuchung widerstanden hat, die Zeilen Sauntering in coffee-house is Dulman seen; / He damns the climate, and complains of spleen mit "Im Kaffeehaus strapaziert Dulman jedermanns Geduld / Er spricht vom Spleen und gibt dem Klimawandel schuld" zu verhunzen.
Als Coda bleibt vielleicht der Hinweis auf den ersten Film des holländischen Dokumetarfilmers Joris Ivens (1898-1989), zwischen 1927 und 1929 mit einer geliehenen 16mm-Kamera als stilistische Übung zum Thema entstanden: eine 12-minütige Bebilderung des Themas.
Ulrich Elkmann
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