19. Dezember 2016

Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung

Die Exegeten stellten in den letzten Jahrzehnten fest: Jesus von Nazareth war und blieb Jude und war kein Christ. Ob diese historische Wahrheit künftig etwas am christlichen Antijudaismus ändern wird?

Dieser Jude definiert das Wesen des von den Kirchen verehrten Gottes. Reduziert sich dann nicht der Unterschied zwischen Juden und Christen auf den Satz: Juden leben nach ihrem Gesetzbuch, - Christen folgen einer Person, welche dieses Gesetzbuch lebte?

­

Wir denken heute kausalitätsbewusst: Gott kann nicht sprechen. Er braucht Menschen, die ihm eine Sprache verleihen. Der Streit geht also um die Frage, wer Gott richtig auslegte (und ob sein Leben damit übereinstimmte).

Dass die Funktionäre und der Tempel sich an Jesus ärgerten, zeugt eher für als gegen den Gekreuzigten. Wenn man die Menschen kennt. Einer, der sie kannte, schrieb das folgende Kurzpoem.

„Geboren ward zu Bethlehem
ein Kindlein aus dem Stamme Sem.
Und ist es auch schon lange her,
seit's in der Krippe lag,
so freun sich doch die Menschen sehr
bis auf den heutigen Tag.
Minister und Agrarier,
Bourgeois und Proletarier -
es feiert jeder Arier
zu gleicher Zeit und überall
die Christgeburt im Rindviehstall.
(Das Volk allein, dem es geschah,
das feiert lieber Chanukah.)"

Das Gedicht heißt „Heilige Nacht" und stammt von Erich Mühsam, dem jüdischen Anarchisten, der 1934 von den Nazis ermordet wurde.

‚Moderne` Kirchenangestellte halten Jesus für einen Sozialarbeiter oder Therapeuten, maximal für einen guten Rabbi, aber nicht für den einzigartigen „Sohn Gottes", wie es ihr Arbeitgeber verlangt. Sie sind halbaufgeklärt. Die Theologie ist viele Schritte weiter. Sie fragte nicht nur, ob beides zusammengeht: das Mensch-Sein und das Gott-Repräsentieren, sondern auch, wie es zusammengeht. Die Antwort von 451 war: „ungetrennt, aber unvermischt". 681 formulierte ein Konzil: Das ganze Geheimnis sei die Willenseinheit und die Handlungseinheit zwischen Gott und diesem Menschen Jesus.

Beim Laterankonzil von 1215 wurde man sich bewusst, dass alles Sprechen über die Gott-Welt-Beziehungen mit Analogien arbeiten muss, bei denen die Unähnlichkeit immer größer ist als die Ähnlichkeit. Diese Erkenntnis spielt heute eine große befreiende Rolle für das Denken. Mein Lehrer Joseph Ratzinger bestimmte das Ärgernis der Trinitätslehre noch schärfer: „Nur durch die Negation hindurch und nur in der unendlichen [!] Indirektheit, die damit gegeben ist, sind sie [die Glaubensformeln] brauchbar." (Einführung in das Christentum, Kap. 5,1d)

Gott bleibt unsichtbar und unhörbar und scheint völlig arbeitslos und überflüssig zu sein. Was Menschen glaubten aus der Natur und aus der Geschichte über ihn erfahren zu haben, ist im Fall der Bibel eine großartige sprachliche Kunst, aber eben von Menschen erdacht. Eine andere Sprache haben wir nicht als unsere menschliche. Dann sagt, wer bei dem absoluten Unterschied der Ebenen Himmel und Erde das Verhältnis ‚Vater - Sohn` benutzt: Da ist eine Rechtsgleichheit wie beim Vertreter eines Chefs, und da ist noch mehr, nämlich eine familiäre Liebe im Spiel.

Wenn mich Jugendliche fragen, was der Begriff Sohn Gottes für mich bedeutet, antworte ich: So wie dieser Jesus von Gottes Wollen sprach, und sein Gottesbild halte ich für richtig und für mein Leben maßgeblich.

Nur im Heidentum zeugen Götter Söhne. „Sohn" Gottes ist also weit mehr unähnlich als ähnlich zu sehen. Damit ist ebenso Raum für das volle Menschsein Jesu wie für die Beschreibung eines an der Welt so interessierten Gottes.

Später fügten Maler ihre Sprache hinzu: Sie legten das nackte Baby auf den bloßen Stallboden: Gott des Alls im Höhlen-Stall. Oder sie stellten Ochs und Esel an die Krippe, weil das Jesajabuch als Erstes sagt: „Ich habe Söhne großgezogen, doch sie sind von mir abgefallen. Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; mein Volk hat keine Einsicht" (1,2-3). Im Volksglauben ist das verschoben auf das Wärmen des Neugeborenen aus den Nüstern der guten Tiere. Im frömmeren Tirol legte man unter das Krippenkind auf dem Stroh ein Holzkreuz. In Krippen aus Neapel verweist die antike Säule darauf, dass zur Heilung der Menschheit auch Form und Schönheit bewahrt werden müssen.

Das Epiphaniefest am 6. Januar ist älter als das Geburtsfest, das im 4. Jh. den „unbesiegbaren Sonnengott" zur Wintersonnwende ablöste. Die Kirche stellte jenes schon um 120 bezeugte Fest der Erscheinung dem des Weingottes Dionysos entgegen und deutete die Herrlichkeit des Messias in drei Bildern: Kommen der Sterndeuter aus dem Osten nach Bethlehem, Herabkommen des Geistes bei der Taufe Jesu und Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana.

Was die Sternsinger an unseren Türen noch nicht wissen: Die Magier aus dem Osten stehen für die ersten Heiden aus der erwarteten Völkerwallfahrt zum Zion. Denn dies ist das Urverhältnis zwischen Heiden-Christen und Judentum: Jene kommen zum Gottesvolk hinzu und nicht: sie lösen es ab.

Das Ur-Schisma Juden und Christen ist die verborgene Schwäche und, erst recht nach der Shoah, eine verdrängte Hauptaufgabe der Kirchen. Nicht Papst und Luther sind das Problem.

Erich Mühsam hatte eine das Getrennte übergreifende Einsicht, die er in dem Zwölfzeiler „Ich weiß von allem Leid ..." in Verehrung für den Volksgenossen hinterließ:

„Ich weiß vom Leide nur, fühl nur die Scham, -
und kann doch selber nicht Erlöser sein,
wie jener Jesus, der die ganze Pein
der Welt auf seine schwachen Schultern nahm."

Frohe Weihnacht wünscht

Ludwig Weimer

© Ludwig Weimer. Für Kommentare bitte hier klicken.