28. Dezember 2016

Im Zweifel falsch zitiert

In der am 22.12.2016 erschienenen Ausgabe seiner SPIEGEL-Online-Kolumne Im Zweifel links tischt Jakob Augstein ein Zitatenmenü auf, als deren Köche er in der Öffentlichkeit stehende Personen, überwiegend bekannte Politiker und Publizisten, identifiziert. Der Kontext legt nahe, dass der Tenor der angeführten Passagen Kritik an Merkels Politik der offenen Grenzen und deren Folgen sei. Jedenfalls in zwei stichprobenartig überprüften Fällen zitiert Augstein nicht korrekt oder ohne die zu einem adäquaten Verständnis erforderliche Texteinbettung.
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Richtiges Zitieren, das lernt man schon in der Schule, bedeutet insbesondere, die angeführte Stelle wortgetreu wiederzugeben, sie nicht aus dem Zusammenhang zu reißen und die Fundstelle zu erwähnen. Bei Online-Publikationen bieten sich als Quellenverweise im Zweifel Links an (diese Sottise war unausweichlich). Doch eine Vernetzung seines Textes unterlässt Augstein. "So fühlt man Absicht und man ist verstimmt" (Johann Wolfgang von Goethe, Torquato Tasso, 2. Akt, 1. Szene).

Henryk M. Broder wird als Autor der Worte
Wir bekommen die Krätze geschenkt. Die Milben sind da.
genannt. Broder hat dies auf der Achse des Guten auch tatsächlich geschrieben, allerdings als Überschrift und Spitzmarke zu einem Teaser, an dessen Ende zu einem "Fundstück" aus der Aachener Zeitung weitergeleitet wird. Dessen Autorin spekuliert darüber, ob sich die Zunahme der Fälle der durch Milben ausgelösten Krätze in Teilen Nordrhein-Westfalens auf die Migrationswelle zurückführen lässt. Einen Link oder einen Hinweis auf den Kontext von Broders Zeilen bleibt Augstein schuldig. Man muss kein Schelm sein, um Arges dabei zu denken.

Noch weniger subtil geht der SPIEGEL-Online-Kolumnist bei der Äußerung vor, die angeblich von Horst Seehofer stammen soll:
Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren. Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt. Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren - bis zur letzten Patrone.
Tatsächlich hat der bayerische Ministerpräsident Folgendes gesagt:
[1.] Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren.
[2.] Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt.
[3.] Wogegen wir größte Vorbehalte und Bedenken haben, und da werden wir uns in der Berliner Koalition sträuben bis zur letzten Patrone, liebe Freunde, und niemals nachgeben, dass wir eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme bekommen; das wollen wir nicht, liebe Freunde.
Wie anders und weit weniger verfänglich Seehofers drittes Statement in der filmisch dokumentierten Fassung im Vergleich zu der von Augstein kolportierten Version doch klingt, nicht wahr? Und welcher Unterschied sich auch daraus ergibt, dass die drei Sätze bei verschiedenen Gelegenheiten und nicht, wie von Augsteins Bandwurmzitat suggeriert, in einem fort zu Mikrophon gebracht wurden.

Augstein schließt seinen Beitrag mit dem Bekenntnis, dass er "die Rechten mehr als die Terroristen" [im Original kursiv] fürchte. Vielleicht würde sich das ändern, wenn er "die Rechten" sine ira et studio zitierte?
Noricus

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