Liebe Leserin, lieber Leser, ich hoffe, Sie fühlen sich
nicht getäuscht, wenn ich Ihnen verrate, dass dieser Beitrag ein anderes Thema
hat als den Nahostkonflikt. Zweifellos kennen Sie das Gesellschaftsspiel „Reise nach Jerusalem“: Dabei wandern die Teilnehmer zu Musik um einen Stuhlkreis, der
eine Sitzgelegenheit weniger aufweist, als Mitspieler vorhanden sind. Sobald
der Tonmeister die Beschallung unterbricht, muss jeder Kombattant versuchen,
einen freien Platz zu ergattern. Wer stehen bleibt oder es nur auf die Knie
eines bereits akkomodierten Gegners schafft, scheidet aus.
Alle vier Jahre wird in Deutschland eine Variante der „Reise nach Jerusalem“ aufgeführt, bei der nicht natürliche Personen, sondern Parteien gegeneinander antreten, von denen einige gleichsam eine Anwartschaft auf bestimmte Stühle haben. Wie hinlänglich bekannt, sind bei der heurigen Ausgabe unter anderem die Piraten, die FDP und die AfD stehen und somit auf der Strecke geblieben.
Soweit sie aufgrund selbstreflexiver Versenkung nicht ohnehin das Ende der Musik überhört hatten, waren die Piraten deshalb chancenlos, weil sie es auf drei Stühle abgesehen hatten, an denen die SPD, die Grünen und die Linke ältere Rechte beanspruchen. Die FDP machte den Fehler, es nicht auf ihren angestammten Sessel abzusehen, sondern – die Spielregeln komplett verkennend – mit dem Knie der Union zu liebäugeln. Und die AfD? Die hatte sehr wohl einen freien Sitz ins Visier genommen. Vielleicht schadete es ihr, dass alle anderen Mitspieler im Vorfeld beteuert hatten, dieser eine Stuhl dürfe nicht besetzt werden. Es sind also am Ende der Runde paradoxerweise zwei Plätze frei geblieben.
Wie könnte es weitergehen? Die Grünen, die so unsanft auf
ihrem Stuhl gelandet sind, dass sie sich dabei nicht nur das Steißbein
verstaucht, sondern auch die Sitzgelegenheit stark beschädigt haben, werden
vielleicht nach dem ehemaligen FDP-Stammplatz schielen. Freilich löst diese
Option in den Reihen der Alternativen gewisse Ressentiments aus, aber man kann
das vierbeinige Möbelstück ja durchaus ein bisschen zurechtrücken und mit der
entsprechenden Politur behandeln.
Die AfD wird sich vermutlich weiterhin auf den von allen
anderen verfluchten Stuhl fixieren und damit bei der europäischen Polit-Ausgabe der „Reise nach Jerusalem“ den ersehnten Erfolg einfahren. Die Piratenpartei
wird – nach heutigem Sachstand – auf absehbare Zeit besinnungslos vor dem
Stuhlkreis herumtaumeln.
Noricus
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