20. September 2013

Das moderne Mittelalter. Ein Gedankensplitter zu Wissenschaft und Glauben.



389 Millionen Euro. Das ist die Menge an Geld, die im Jahre 2011 in Deutschland für homöopathische Arzneimittel ausgegeben wurde. 389 Millionen. Somit ungefähr fünf Euro pro Bundesbürger, vom Baby bis zum Rentner. Eine ganz ähnliche Summe, etwa 500 Millionen Euro, ist das, was wohl ungefähr in Deutschland jedes Jahr mit Astrologie und Wahrsagerei umgesetzt wird. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so hohe Zahlen würden sich finden, würde man Umsätze zu Bach-Blüten und Farbtherapien, zu Spiritismus oder zu Reiki betrachten. 
Im selben Jahr gaben die Deutschen etwa 2 Milliarden für Lehr- und Schulbücher aus.
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Führt man eine Diskussion mit zufällig ausgewählten Teilnehmern, dann hat man schon unter einem Dutzend solcher Zufallspersonen mit aller Wahrscheinlichkeit wenigstens einen Befürworter der Homöopathie dabei, mit gewisser Wahrscheinlichkeit jemanden, der schon einmal  Bach-Blüten genossen hat und gut die Hälfte hat vermutlich schon einmal fest an ihr Horoskop geglaubt.  Und stellt man in dieser hypothetischen Diskussion die Frage, wo die Belege für das, was da propagiert wird sind, dann wird man nahezu sicher irgendwann den Satz hören: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt.“ Das ist zwar ein etwas holpriges Shakespeare Zitat, aber immer wieder gerne genommen. 
Die Aussage des Zitates ist für sich genommen ebenso richtig wie trivial: Die Wissenschaft ist nicht an ihrem Ende angekommen. Es gibt viele Dinge die wir (noch) nicht wissen. Im Gegenteil, umso mehr wir wissen, umso mehr Fragen ergeben sich und sollte der Mensch irgendwann tatsächlich an den Punkt gelangen das Wesen der Natur vollständig verstanden zu haben, dann wird dieser Mensch mit uns nicht mehr viel gemein haben. Wie dieser Zustand auch immer genau beschrieben werden kann, man kann völlig unabhängig davon ob er überhaupt erreichbar ist, beruhigt annehmen, dass wir noch sehr, sehr weit davon entfernt sind.
Diese Erkenntnis jedoch sollte nicht dazu führen den Wert der Wissenschaft an sich in Frage zu stellen, bzw. zu meinen damit sei jede wissenschaftliche Erkenntnis per se relativ zu bewerten. Natürlich ist ebenso trivialerweise jedes Wissen für sich relativ und es soll durchaus auch vorgekommen das grundsätzliche Erkenntnisse über die Natur wieder revidiert, bzw. modifiziert werden mussten. Dennoch ist ebenso klar zu konstatieren, dass solche Modifikationen selten sind und noch viel seltener werden, wenn sie grundsätzliche Bereiche des Wissens betreffen. Die Erkenntnis das der Apfel, wenn er losgelassen wird, nach unten fällt, ist eine ziemlich gesicherte und man tut gut daran, sie als gesichert zu betrachten, wenn man nicht der Falle erliegen möchte überhaupt keine Aussagen mehr treffen zu können. Wer es genauer haben möchte kann der Erkenntnis, dass der Apfel nach unten fällt, eine sehr hohe, extrem hohe, Wahrscheinlichkeit zuordnen.
Kommen wir zurück zu Homöopathie und Astrologie. Beides sind Dinge, die von der Naturwissenschaft abgelehnt werden. Und zwar grundsätzlich. Der vorgebliche Wirkmechanismus der Homöopathie (Gleiches mit Gleichem) gilt als wissenschaftlich widerlegt, die Idee durch Verdünnung (bei den Homöopathen „Potenzierung“) eine höhere Wirkung zu erzielen ist  nicht nachvollziehbar, Erklärungen wie ein stoffliches Gedächtnis von Wasser sind aus Sicht des Chemikers schlicht Unfug. An dieser Stelle sei gesagt, dass ich niemandem seinen Glauben an die Wirksamkeit seiner Kügelchen nehmen möchte, es geht hier um die Sicht der Wissenschaft. Bei der Astrologie sieht es noch schlimmer aus, sie bemüht sich nicht einmal einen Wirkzusammenhang zwischen astronomischen Beobachtungen und dem irdischen Leben aufzuzeigen. Sie behauptet ohne jedwede Belege und stört sich nicht einmal daran, dass die Ausführenden sich gegenseitig permanent widersprechen. 
Und dennoch geben Millionen Menschen ihr Geld für diese Dinge aus und ist man dumm genug einem dieser Millionen Menschen zu sagen, dass er sein Geld auch behalten könne, dann wird man in aller Regel eine sehr unangenehme Abfuhr erhalten. Oftmals garniert mit dem obigen Zitat zur Schulweisheit, gerne auch mit Plattitüden wie „wer heilt hat recht“ oder ähnlichem. Gerade letzteren Satz finde ich immer wieder besonders blöde, denn es ist ja gerade fraglich, ob geheilt wird. Die meisten Menschen kämen nicht auf die Idee eine Tuberkulose, eine Leukämie oder einen akuten Blinddarm mit einem homöopathischen Mittel zu behandeln, bzw. die, die auf die Idee kommen, leben meist nicht lange genug, um die Idee weiter zu tragen. Behandelt werden vor allem Dinge, die gerade keine Heilung benötigen. Die Beule, die ich mir gestern am Kopf geholt habe, geht von alleine weg, aber ich kann die Wirkung auch dem Glaubuli zuschlagen, dass ich danach eingenommen habe.
Wir leben in einer Gesellschaft, die ihren Reichtum dem Wissen um technische und naturwissenschaftliche Zusammenhänge verdankt, aber genau das an kaum einer Stelle honoriert. Die Erkenntnis dass für Esoterik mehr oder zumindest ähnlich viel Geld ausgegeben wird als für Lehrbücher erscheint mir geradezu absurd zu sein. Und dennoch ist es der Fall. Dabei ist es nicht so, dass es unbedingt dumme Menschen sind die ihr Heil in Schüssler-Salzen, Kartenlegen oder dem Rückführen in ein früheres Leben suchen. Ich habe einige hochstudierte Leute, gar Promivierte, erlebt, die mit voller Überzeugung ihre Mittelchen einnahmen, die nicht einmal mehr ein Molekül der Wirksubstanz enthielten. Denn es gibt ja mehr als sich die Schulweisheit träumen lässt. 
Ich frage mich seit einiger Zeit was Menschen dazu antreibt an Dinge zu glauben, die sie nicht belegen können, ja nicht einmal den Willen zu belegen haben. Gerade letzteres finde ich dabei so erstaunlich. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es viele Dinge gibt, die wir heute nicht erklären können. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass sie erklärbar sind. Wenn man heute faszinierende Effekte wie die Raumausdehnung beobachtet, dann kann man die zur Zeit nicht erklären. Aber es besteht kein Zweifel, dass es einen Grund dafür gibt. 
Ist der Grund warum Menschen an die Macht der Sterne glauben, darin zu suchen, dass sie sich in einer Art Sonderwissen wähnen, dass anderen nicht zur Verfügung steht (etwas was man durchaus auch Anhängern von Homöopathie zuschreiben könnte) ? Ist es eine Verzweiflung, weil man mit den begrenzten Methoden der normalen Medizin nicht immer eine Heilung erzielen kann ? Ist es die Einfachheit einer Erklärung, da Glauben ja wesentlich einfacher ist als Wissen ? Oder ist es schlicht der Wille daran, dass das Geglaubte wahr sein muss, weil die Welt so viel schöner wäre, wenn es Medikamente ohne Nebenwirkungen gäbe und man die Zukunft aus ein paar Karten vorhersehen könnte ? 
Wir schauen auf das Mittelalter (oder die Zeit davor) und lächeln darüber was man alles mal geglaubt hat. Das die Erde eine Scheibe sei, das die Erde das Zentrum des Universums sei, das Feuer ein Element sei, das man ein Opfer bringen musste, damit mehr Regen fällt. Alles sehr lustig. Aber, und das ist interessant, aus Sicht des begrenzten Wissens dieser Zeit, durchaus nachvollziehbar. Warum sollte die Erde keine Scheibe sein ? Warum sollte Feuer kein Element sein ? Die Naturwissenschaft hat die Antworten geliefert und damit glaubte man diese Dinge nicht mehr. Absurd ist eher das wir es heute tun, obwohl wir eigentlich wissen, dass es anders ist. Im Mittelalter gab es den Doppelblindversuch noch nicht. Es gab auch nicht die heutigen Methoden der Statistik, das Wissen über Chemie, Physik und Biologie. Es gab keine Meteorologie und die Astronomie war zumindest in Europa eher verschüttet. Heute aber haben wir das alles. Und dennoch stehen in Tageszeitungen tausende von Horoskopen und kein Apotheker der hinginge und seinen Kunden darüber aufklärte, dass das teure Mittelchen nichts anderes ist als eine Zuckerpille ohne weiteren Inhalt. Manchmal habe ich den Eindruck wir leben im richtigen Mittelalter. Es wird so viel geglaubt und so wenig gewusst. Es mag viele Dinge geben die sich die Schulweisheit noch träumen lässt. Das nützt einem aber wenig, wenn man nicht einmal die Schulweisheit zur Kenntnis nimmt.


Llarian



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