7. Juni 2011

Zitat des Tages: Der Ausstieg - ein "Risiko für kommende Generationen". Sprachschatz der Rücksichtslosen. Einer ruft in der Wüste.

Geht es auf diese Weise weiter, werden der Ausbau der Stromnetze, die Förderung der erneuerbaren Energien und die Folgen für Recht, Eigentum und Freiheit, die jetzt den Bundestag im Blitzverfahren beschäftigen, nicht zur Chance kommender Generationen, sondern zum Risiko. Die Hypothek auf die Zukunft würde noch größer, wenn es gelänge, die Energiewende "unumkehrbar" zu machen. Abgesehen davon, dass es sich wieder um eine Vokabel aus dem Sprachschatz des Rücksichtslosen handelt, kann es nur bedeuten, künftigen Generationen vorzuschreiben, welche Optionen sie haben, um ihre Energie zu gewinnen.

Jasper von Altenbockum heute in der FAZ über den "Ausstieg aus der Atomenergie".


Kommentar: Der da in der Wüste ruft, Jasper von Altenbockum, ist Chef der politischen Nachrichtenredaktion der FAZ. Das Wort "Sprachschatz der Rücksichtslosen" bezieht sich auf diese Passage in seinem Kommentar:
Die Kehrtwende von CDU, CSU und FDP hat eine Bewegung in Gang gesetzt, die wie eine Flut vieles hinwegspült, das gestern noch fest verankert schien. (...) Es herrschte eine Rücksichtslosigkeit, die Bundesumweltminister Norbert Röttgen den Darwinismus wiederentdecken ließ: Wer nicht mitmache, werde aussterben. Der Satz wäre den Grünen vor Jahr und Tag noch um die Ohren geschlagen worden. Er trägt die Sehnsucht nach Friedhofsruhe im Lärm der Demokratie in sich, die nicht nach besten Wegen fragt, sondern nach dem einzig wahren.
So ist es. Der "Konsens", der dieses Land seit Wochen erfaßt hat, ist nichts anderes als der Geist der guten alten Volksgemeinschaft (siehe "Was dann?" - Aussteigernation Deutschland. Gebt Raum, ihr Völker, unsrem Schritt; ZR vom 28. 5. 2011). Wir Deutschen sind uns jetzt alle einig - das ist die Stimmung. Wir machen alle mit bei der gemeinsamen großen Sache. Und wenn das Ausland uns nicht versteht, dann macht uns das noch gemeinsamer. Wir kennen - wieder einmal - keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Deutsche.

Dieser "Konsens" ist nicht das Ergebnis einer rationalen, strittigen öffentlichen Debatte, sondern er ist über uns gekommen wie eine Offenbarung; wie ja überhaupt das politische Klima in diesem Deutschland des Frühsommers 2011 eine offenkundig pseudoreligiöse Färbung hat. Im Ausstieg "leuchtet etwas vom Reich Gottes auf", so wurde es am Sonntag beim Abschlußgottesdienst des Evangelischen Kirchentags gepredigt; und mit ihm "bekennen" wir uns zu unseren "Verfehlungen" (siehe Die Atomkraft und das Reich Gottes. Theologie als politische Agitation; ZR vom 6. 6. 2011).

Jasper von Altenbockum hat also nur allzu Recht mit seiner bitteren Diagnose. Nur: Was hilft jetzt noch das Rufen in der Wüste? Die Weichen sind gestellt, die Entscheidungen gefallen; die letzte gestern mit dem Beschluß des Bundeskabinetts. Da man sich inzwischen auch mit den Ländern geeinigt hat, ist der Rest die Formsache des Gesetzgebungsverfahrens.

Vor Wochen, als nach dem Unfall von Fukushima (Zahl der Todesopfer: null) Deutschland von dieser kollektiven Besoffenheit erfaßt worden war - ich habe den Ausdruck in diesem Zusammenhang zum ersten Mal am 3. April verwendet, und er erscheint mir unverändert zutreffend -, hätte es vielleicht noch verhindert werden können, daß unser Land zur "Aussteigernation" wird. Es hätte vielleicht - vielleicht! - verhindert werden können, wenn die Vernünftigen und Besonnenen in den Medien, in den Regierungsparteien sich so laut zu Wort gemeldet hätten, wie es nur gegangen wäre.

Aber wir haben damals resigniert, ich ja auch. Die Kanzlerin hatte unmittelbar nach dem Unfall die Stimmung richtig erkannt und sich stracks an die Spitze der Bewegung gesetzt. Damit waren die Würfel gefallen.

Das war taktisch geschickt; bei einer Beibehaltung der Laufzeitverlängerung würde sich der Rückhalt der Koalition in der Bevölkerung in Richtung auf jene 13 Prozent der Deutschen bewegt haben, die eine solche Verlängerung noch befürworten. Die Entscheidung der Kanzlerin war in Anbetracht dieser Realität vermutlich sogar taktisch unausweichlich; bei Strafe eines Scheiterns der schwarzgelben Koalition.

Aber ist diese nicht auch so am Ende? Die FDP, die als einzige Partei zaghaften Widerstand zu leisten versucht hat, ist marginalisiert. Diese Partei, der mit dem jungen Philipp Rösler nicht eben ein politisches Schwergewicht vorsitzt, befindet sich zwar noch an der Regierung, hat aber keinen Anteil mehr an der Macht.

Das schwarzgelbe Projekt ist, wenn es denn je existierte, mit dem gestrigen Kabinettsbeschluß beerdigt worden.

Die Volksgemeinschaft, das Aussteigervolk, das Volk, das sich von seinen atomaren Verfehlungen befreit hat und damit etwas vom Reich Gottes "aufblitzen" läßt - dieses Volk sollte jetzt die ihm adäquate Regierung bekommen: Eine Große Koalition aus den beiden Volks- und Aussteigerparteien "Die Grünen" und CDU/CSU.

Wann diese Koalition à la "Pizza Connection" kommen wird, weiß man nicht. Daß sie angepeilt wird, ist offenkundig. Verdient hat sie Deutschland allemal.



Macht es da noch Sinn, in der Wüste zu rufen? Rufen in der Wüste macht kommunikativ nie Sinn; es fehlt ja der Adressat, den man würde beeinflussen können. Der Niedergang Deutschlands ist beschlossene Sache. Das Rufen kann nur noch Selbstzweck sein. Die Stimme zu betätigen wirkt manchmal richtig erleichternd.
Zettel



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