24. März 2023

Vom großen Wind - Bruno Schulz, "Der Sturm" (1933)



Eskapismus, ruft ihr mir zu,
vorwurfsvoll.
Was denn sonst, antworte ich,
bei diesem Sauwetter! –,
spanne den Regenschirm auf
und erhebe mich in die Lüfte.
Von euch aus gesehen,
werde ich immer kleiner und kleiner,
bis ich verschwunden bin.
Ich hinterlasse nichts weiter
als eine Legende,
mit der ihr Neidhammel,
wenn es draußen stürmt,
euern Kindern in den Ohren liegt,
damit sie euch nicht davonfliegen.

(Hans Magnus Enzensberger, "Der fliegende Robert")




(Bruno Schulz im Jahr 1922)

Im Lauf dieses langen, leeren Winters fuhr die Dunkelheit in unserer Stadt eine gewaltige, eine hundertfache Ernte ein. Viel zu lange war auf den Dachböden und Abstellkammern nicht aufgeräumt worden. Töpfe und Flaschen waren dort abgestellt und gestapelt worden, bis ihre Zahl ins Unermeßliche gestiegen war.

Dort, auf den Dachböden, in diesen verkohlten Urwäldern voller Dachbalken, geriet die Dunkelheit in heftige Gärung und veränderte sich. Dort begannen die schwarzen Verschwörungen der Töpfe, ihre nichtssagenden Ratsversammlungen, das Geschwätz der Flaschen, das Blubbern der Buddeln und Bottiche. Bis zu der Nacht, in der es unter den Schindeln zu gären begann, sich die Schlachtreihen formierten und als Heerstrom in Richtung Stadt flossen.

Die Speicher, die aus den Speichern ausgelagert waren, schoben sich auseinander, schossen als schwarze Spaliere in die Höhe, und die Echos liefen durch die Kavalkaden der Pfosten und Balken, durch die Lancaden der Böcke, die auf ihre Knie aus Tannenholz fielen und dann, als sie in die Weite der Nacht hinausgestürmt waren, das Dunkel mit dem Galoppieren der Dachsparren und dem Lärm der Querbalken erfüllten.

Dann ergossen sich diese schwarzen Ströme, der Fluß der Fässer und Kannen, durch die Nacht. Ihre schwarze, glänzende Menge belagerte die Stadt. Nachts klirrte und wogte dieses dunkle Getümmel wie ein Heer plappernder Fische, ein unablässiger Ansturm knurrender Kübel und rumpelnder Bottiche. ­

Eimer, Fässer türmten sich dröhnend übereinander, alte Hüte und längst aus der Mode gekommene Zylinder kletterten als Säulen himmelwärts und stürzten wieder zusammen.

Und sie alle rasselten unbeholfen mit den Zapfen ihrer Holzzungen, murmelten mit ihren hölzernen Mündern unbeholfen Flüche und Verwünschungen und schmähten unflätig die Nacht, bis sie davon genug hatten.

Angelockt vom Lärm der Gefäße, der das ganze Tal erfüllte, näherten sich endlich die Karawanen des Windes, ein riesiger Heereszug rückte an und schlug über Nacht sein Lager auf. Der mächtige Tross, ein wild schäumendes Amphittheater, senkte sich als gewaltiger Mahlstrom auf die Stadt herab und brach als eine vom Sturm aufgewühlte ungeheure Finsternis über sie hinein, die drei Tage und drei Nächte währte…

(***)

„Du gehst heute nicht zur Schule,“ sagte die Mutter morgens. „Draußen herrscht fürchterlicher Sturm.“ Ein schwacher Rauchschleier hing im Zimmer und duftete nach Harz. Im Ofen heulte und jaulte es, als wäre darin ein ganzer Zwinger voller Hunde oder Dämonen gefangen. Die kitschige Fratze, die ihm auf den runden Bauch gemalt war, verzog sich zu einer bunten Fratze und blies die Backen auf.

Ich lief mit bloßen Füßen zum Fenster. Die Winde hatten den Himmel aufgeblasen. Die silbrigweiße Weite war mit straffen, bis aufs Äußerste gespannten Feldlinien überzogen, von scharfen Furchen, die an erstarrte Adern aus Zinn oder Blei erinnerten. In Energiefelder aufgeteilt bebte er vor Spannung, vor verborgener Dynamik. An ihm zeichneten sich die Kraftlinien des Sturmwinds ab, der selbst unsichtbar und ungreifbar blieb und die Landschaft mit seiner Energie auflud.

Er war nicht sichtbar. Man erkannte ihn an den Häusern, an den Dächern, in die er wütend hineinfuhr. Einer nach dem anderen schienen die Dachböden, an denen er sich austobte, anzuschwellen und im Wahnsinn zu explodieren.

Er fuhr über die Plätze, ließ eine weiße Leere auf den Straßen zurück, fegte ganze Häuserreihen am Marktplatz kahl. Nur hier und dort klammerte sich ein zusammengebeugter Passant an eine Hausecke. Der ganze Marktplatz schien sich unter den mächtigen Windstößen emporzuwölben.

Der Wind wehte kalte, tote Farben über den Himmel, gelbe, violette und grünspanfarbene Schwaden, die fernen Gewölbe und Arkaden seines Labyrinths. Schwarz und krumm duckten sich die Dächer und diesem Himmel, ungeduldig und voll Erwartung. Die, in die der Wind eindrang, richteten sich voller Begeisterung auf, wuchsen über ihre Nachbarhäuser hinaus und sagten unter dem aufgewühlten Himmel die Zukunft voraus. Dann fielen sie wieder in sich zusammen und schrumpften, unfähig, den mächtigen Atem festzuhalten, der weiterzog und alles ringsum mit seinem Lärm in Entsetzen versetzte. Dann erhoben sich andere Häuser und verkündeten schreiend ihre Prophezeiungen.

Die großen Buchen bei der Kirche standen als Zeugen dieser erschütternden Offenbarungen mit erhobenen Armen da und schrien.

In der Ferne, weit hinter den Dächern am Marktplatz, konnte ich die Brandmauern und die nackten Giebel der Vorstadt ausmachen. Sie waren aufeinander gekrochen und wuchsen empor, starr und gelähmt vor Schrecken. Ein ferner, kalter roter Widerschein tauchte sie in abendliche Farben.

An jenem Tag gab es kein Mittagessen, weil das Küchenfeuer als Rauchschwaden wieder ins Zimmer geblasen wurde. In den Zimmern war es kalt und roch nach Wind. Gegen zwei Uhr nachmittags brach in der Vorstadt ein Brand aus, der sich rasch ausbreitete. Der Mutter und Adela machten sich daran, Bettzeug, Pelze und Wertsachen zu verstauen.



(Ill. von Bruno Schulz aus der polnischen Erstausgabe der "Zimtläden")

Die Nacht brach an. Der Wirbelsturm nahm an Stärke und Gewalt zu, wuchs ins Unermeßliche und erfaßte den gesamten Himmel. Er suchte nicht mehr die Häuser und die Dächer heim, sondern baute sich über der Stadt einen gewaltigen Bau aus Luft, mit zahllosen weiten Stockwerken, ein schwarzes Labyrinth, das in unzähligen Etagen emporwuchs. Aus diesem Labyrinth zog er ganze Trakte von Zimmern hoch, baute in Windeseile Flügel an, entrollte tosend lange Amphyladen und ließ dann diese imaginären Stockwerke, Gewölbe und Kasematten einstürzen und stieg noch höher empor, um seiner chaotischen Maßlosigkeit Form zu verleihen.

Das Zimmer erzitterte leicht, die Bilder an den Wänden schaukelten. Die Fensterscheiben glänzten im fettigen Widerschein der Lampe. Die Vorhänge wehten, aufgebläht vom Atem der Sturmnacht vor den Fenstern. Uns fiel ein, daß wir den Vater seit dem Morgen nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten. Wir vermuteten, daß er früh am Morgen ins Geschäft gegangen war, wo er vom Sturm überrascht worden war und ihn daran gehindert hatte, heimzukommen.

„Er hat den ganzen Tag nichts gegessen,“ jammerte die Mutter. Der älteste Geselle, Teodor, erklärte sich bereit, sich in Sturm und Nacht auf den Weg zu machen, um ihm etwas zu essen zu bringen. Mein Bruder schloß sich der Expedition an.

In große Bärenfelle gehüllt, packten sie sich Bügeleisen und Mörser in die Taschen, als Ballast, um nicht vom Sturm weggerissen zu werden

Vorsichtig wurde die Tür geöffnet, die in die Nacht hinausführte. Sobald der Geselle und mein Bruder mit ihren geblähten Mänteln einen Schritt hinaus in die Finsternis gemacht hatten, hatte sie die Nacht noch auf der Schwelle des Hauses verschluckt. Der Wind löschte sofort jede Spur von ihnen aus. Nicht einmal das Licht der Taschenlampe, die sie mitgenommen hatten, war noch vor dem Fenster zu sehen.

Als er sie verschlungen hatte, ließ der Wind für einen Moment nach. Adela und die Mutter versuchten erneut, das Feuer im Küchenherd anzuzünden. Die Streichhölzer gingen aus, Asche und Ruß wurden durch die Herdtür geblasen. Wir standen vor der Tür und lauschten. Im Heulen des Windes waren allerlei Stimmen auszumachen, Rufe, Ansporne und Gesprächsfetzen. Uns war, als würden wir die Hilferufe des Vaters hören, der im Sturm umherirrte, dann wieder klang es so, als würden mein Bruder und Teodor vor der Tür stehen und sich angeregt unterhalten. Der Eindruck täuschte so sehr, daß Adela die Tür öffnete und tatsächlich Teodor und meinen Bruder aus dem Sturm auftauchen sah, der sie bis unter die Arme verschluckt hatte.

Sie kamen außer Atem in den Flur und drückten mit aller Kraft die Tür hinter sich zu. Einen Moment lang mußten sie sich gegen den Türrahmen stemmen, so heftig drückte der Wind auf die Haustür. Dann gelang es ihnen, den Riegel vorzuschieben, und der Wind ließ nach.

Sie berichteten verwirrt von der der Nacht, vom Sturm. Ihre vom Wind durchnässten Pelze roch jetzt nach Luft. Sie blinzelten ins Licht, und bei jedem Blinzeln ihrer Augen, die noch an die Dunkelheit gewöhnt waren, troff ein wenig Finsternis daraus hervor. Sie hatten es nicht geschafft, bis zum Geschäft zu gelangen, hatten sich verirrt und nur mit Mühe den Weg zurückgefunden. Die Stadt war nicht mehr wiederzuerkennen; es war, als ob alle Straßen die Plätze gewechselt hätten.

Die Mutter hatte sie im Verdacht, daß sie logen. Tatsächlich machte die ganze Szene den Eindruck, als wenn sie diese Viertelstunde lang nur im Dunkeln vor dem Fenster gestanden hätten und überhaupt nicht losgezogen waren. Aber vielleicht gab es die Stadt und den Marktplatz ja tatsächlich nicht mehr, Und der Wind und die Nacht waren nichts als eine finstere Kulisse, die unser Haus umgab, und in der es pfiff, heulte und stöhnte. Vielleicht gab es diese immensen, trostlosen Lufträume, die uns der Wind vorspielte, überhaupt nicht, und ebensowenig diese tristen Labyrinthe, die Trakte mit ihren vielen Fenstern und die Korridore, auf denen der Wind spielte auf wie langen schwarzen Flöten. Mehr und mehr kamen wir zu der Überzeugung, daß dieser ganze Sturm nur eine nächtliche Donquichotterie darstellte, die in diesen beengten Kulissen die finstere Unendlichkeit, die kosmische Unbehaustheit und das Ausgeliefertsein ans Schicksal der Sturm nur vorgegaukelt hatte.



Immer öfter öffnete sich jetzt die Haustür im Flur und ließ Gäste ein, die in Mantel und Schals gehüllt waren. Nachbarn und Bekannte wickelten sich langsam aus Tüchern und Mäntel heraus und berichteten keuchend, abgerissen und unzusammenhängend, in Worten, die die Unermeßlichkeit der Nacht verzerrten und ins Maßlose übertrieben. Wir saßen alle in der hell erleuchteten Küche. Hinter dem Küchenherd und dem breiten Kamin führten ein paar Stufen zu der Tür hinauf, die zum Dachboden führte.

Auf diesen Stufen saß der älteste Geselle Teodor und lauschte dem Rauschen des Sturms auf dem Speicher. Er hörte, wie sich die die Rippenbögen der Dachsparren zusammenzogen, wenn der Wind nachließ und das Dach einsackte und zusammenfiel wie eine riesige Lunge, aus der der Atem entwicht, wie es wieder Luft holte, sich an den Palisaden der Sparren in die Höhe zog, sich wie ein gotisches Gewölbe erhob, sich zu einem Wald weitete, in dem hundert Echos schallten und wie der Resonanzboden eines riesigen Kontrabasses erdröhnte. Doch dann vergaßen wir der Sturm. Adela zerstampfte geräuschvoll Zimt in einem Mörser. Tante Perazja kam zu Besuch. Klein, emsig und voller Tatendrang, mit einem schwarzen Spitzentüchlein auf dem Kopf, machte sie sich in der Küche ans Werk und ging Adela zur Hand. Adela war dabei, einen Hahn zu rupfen. Adela zündete unter dem Rauchabzug eine Handvoll Papier an und große Funken stoben in den schwarzen Schlund empor. Adela packte den Hahn am Hals und hielt ihn über die Flammen, um die Federkiele abzusengen. Plötzlich begann der Hahn im Feuer mit den Flügeln zu schlagen, krähte und verbrannte. Das begann Tante Adela zu fluchen und zu schimpfen. Bebend vor Zorn drohte sie Adela und der Mutter mit beiden Händen. Ich verstand nicht, was sie wollte, aber sie steigerte sich immer mehr in ihre Wut hinein und wurde zu einem wahren Wirbelsturm aus Gefuchtel und Verwünschungen. Es war, als wollte sie sich in ihrer Wut entzweireißen, sich aufzulösen, zu zerfallen, in hundert wuselnde Spinnen zu zerspringen und auf dem Fußboden zu einem wimmelnden schwarzen Haufen irrsinnig gewordener Schaben zu zerfallen. Aber stattdessen begann sie kleiner zu werden, zusammenzuschrumpfen, während sie pausenlos wilde Flüche ausstieß. Schließlich trippelte sie, klein und gebeugt, in die Küchenecke, in der das Brennholz aufgestapelt war, und suchte hustend und fluchend darin hektisch herum, bis sie zwei lange gelbe Späne gefunden hatte. Sie nahm sie mit vor Aufregung zitternden Händen, nahm an ihrem Beinen Maß, stützte sich dann darauf wie auf Krücken und begann, auf diesen gelben Stelzen davonzueilen, polterte über die Dielenbretter, folgte ihrem schrägen Verlauf, schneller und immer schneller, kletterte auf die Sitzbank, humpelte polternd über Bohlen aus Tannenholz und kletterte auf das Tellerbord, das sich um die Wände der Küche zog, rannte darauf entlang, bis sie schließlich, noch kleiner geworden, in einer Ecke schwarz anlief, sich zusammenrollte wie Papier, das verbrennt, zu einer Aschenflocke verglomm und zu Staub und Nichts zerfiel.

Wir standen hilflos angesichts dieser grenzenlosen Raserei, die sich selber verzehrte und verschlang. Mit Bedauern sahen wir dem traurigen Ablauf dieses Paroxysmus zu, und wandten uns mit einer gewissen Erleichterung wieder unseren bisherigen Beschäftigungen zu, als dieser elende Vorgang sein natürliches Ende gefunden hatte.

Adela begann wieder mit dem Mörser zu lärmen und zerstieß Zimt, die Mutter nahm das Gespräch, das sie unterbrochen hatte, wieder auf, und der Geselle Teodor, der den Prophezeiungen des Dachbodens zuhörte, schnitt Grimassen, zog die Augenbrauen hoch und lachte vor sich hin.

* ´* *



Im Gegensatz zu den meisten Autoren, deren Werke ich an dieser Stelle ausgrabe, braucht der polnische Schriftsteller Bruno Schulz (1892-1942) nicht erst vorgestellt zu werden. Sein schmales Werk (zwei Bände mit Erzählungen, einige Essays und etwas mehr als ein halbes Dutzend Rezensionen) zählt zu den Klassikern der polnischen Literatur der frühen Moderne aus der Zeit zwischen den Weltkriegen – wie das Werk seiner Zeitgenossen Stanisław Witkiewicz, Julian Tuwim, Aleksander Wat, Bolesław Leśmian und die beiden ersten Romane von Witold Gombrowicz („Ferdydurke“ und „Besessen,“ 1937 bzw. 1939). Schulz, 1892 im galizischen Drohobycz (dem heutigen ukraninischen Drohobytsch/Дрогобич) in der k.u.k.-Doppelmonarchie als Sohn eines jüdischen Textilwarenhändlers geboren, verbrachte sein ganzes Leben in der Kleinstadt, die Anfang der 1930er eine Bevölkerung von etwas über 30.000 Einwohnern zählte, und die den Hintergrund für seine Erzählungen abgibt, in denen das Alltagsleben in einer abgelegenen Provinzstadt ins Symbolische, Mythische und Phantastisch-Entgrenzte überführt wird – ein Verfahren, das er in seinem Essay „Die Mythisierung der Wirklichkeit“ umrissen hat (erschienen als „Mityzacja rzeczywistości“ in der Nummer 3-4 des Jahrgangs 1936 der in Warschau erscheinenden Zeitschrift „Studio“). Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Zeichenlehrer am örtlichen Gymnasium. Schulz‘ Laufbahn als Künstler endete im August 1939 mit der Besetzung Polens durch deutsche und sowjetische Truppen. Am 11. September 1939 wurde Drohobycz von der deutschen Armee besetzt, acht Tage später, nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee in Polen, von der russischen. Nachdem nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde die Stadt erneut von deutschen Truppen besetzt. Am 19. November 1942, kurz bevor Schulz mit gefälschten Papieren aus der Stadt fliehen wollte, wurde er bei einem Pogrom der SS, bei dem 230 Personen im jüdischen Ghetto den Tod fanden, von dem SS-Scharführer Karl Günther auf offener Straße mit zwei Kopfschüssen getötet.

„Wichura“ ist die vorletzte Erzählung aus dem Band „Sklepy cynamonowe“ („Die Zimtläden“), der Ende 1933, vordatiert auf 1934, beim Warschauer Verlag Rój erschienen ist. Von den 15 Texten des Buchs ist einzig die Erzählung „Ptaki“ (Die Vögel“) als separate Vorveröffentlichung in der Warschauer Zeitschrift „Wiadomości Literackie“ am 3. Dezember 1933 erschienen.

* * *

Aus der Werkstatt des Übersetzers:

Daß „klassische“ Texte – auch solche aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, immer wieder neu übersetzt werden, ist allgemein üblich. Die Gründe sind unterschiedlich: Mitunter haben sich Sprachgebrauch und Ausdrucksformen im Lauf von mehreren Jahrhunderten erheblich geändert ( den Textfassungen der Schlegel-Tieckschen Übersetzungen von Shakespeares Dramen ist dies besonders anzumerken), oder frühere Fassungen, die oft über Jahrzehnte nachgedruckt worden sind, haben sich bei näherer Prüfung als eher als Verzerrungen des Originals denn als möglichst getreue Annäherung erwiesen - so etwa im Fall der deutschen Fassungen der Werke von Federico Garcia Lorca durch Heinrich Beck (die der Suhrkamp-Verlag erst 2007 durch neue ersetzte), oder bei den Übersetzungen des Erzählungen von Ernest Hemingway, die in der Fassung von Annemarie Horschitz-Horst beim Rowohlt Verlag immer wieder nachgedruckt worden sind. Ansonsten sehen es neue Übersetzergenerationen immer wieder als Herausforderung an, solchen Texten wie denen von Bruno Schulz, die durch ihre grotesken, ausladenden Metaphernkaskaden ihr besonderes Flair erhalten, ein angemessenes Kleid in einem fremden Idiom zu verleihen.

„Die Zimtläden“ sind ins Englische übersetzt worden von Celina Wieniewska (1963; in einer in Polen erschienenen Ausgabe, die für den internationalen Markt bestimmt war), von John Curran Davis (2016) und von Madeline Levine 2018. Französische Fassungen der „Boutiques des canelle“ haben Georges Sidre 1961, Thérèse Douchy 1974 und Alain Van Crugten 2014 erstellt.

In der Regel orientiere ich mich bei der Übertragung von Erzählungen (oder bei der Nachdichtung von Lyrik) in keiner Weise an bestehenden Versionen – zumal diese Texte in der Regel noch niemals übersetzt worden sind. Eine Ausnahme habe ich vor geraumer Zeit bei den Übersetzungen einiger Kurzgeschichten von Lord Dunsany und Algernon Blackwood gemacht. In diesen Fällen liegen nämlich deutsche Fassungen vor, die der Wiener Übersetzer Friedrich Polakovics (1922-1911) Anfang der 1970er für die von Kalju Kirde edierte „Bibliothek des Hauses Usher“ im Insel Verlag angefertigt hat, für die er 9 den insgesamt 26 Bänder übersetzt hat. De mortius nil nisi bene – aber Polkavocis hat seinen Versionen einen gezwungen wirkenden Touch von Barockdeutsch, eines altmodisch-gedrechselten Stils gegeben, der in den Originalen in keiner Weise vorhanden ist und nicht nur den Klang, den „Sound“ der Autoren verzerrt, sondern den Lesefluß empfindlich beeinträchtigt.

Im Fall von Bruno Schulz habe ich sogar bewußt gegen beide bisherigen Übertragungen ins Deutsche „angearbeitet“ – gegen die erste von Joseph Hahn, die 1961 beim Hanser Verlag herausgekommen ist und über viele Jahre lang in verschiedenen Lizenzausgaben als Taschenbücher nachgedruckt wurden (sogar Volk + Welt hat sie 1982 für eine ostdeutsche Ausgabe übernommen), sowie die neue Fassung von Doreen Daume, die 2008 bei Hanser die ältere Version abgelöst hat. Beim Verschiffen solcher Texte aus einer Sprache in eine andere gibt es immer zwei Stationen – zum einen das Übertragen AUS dem originalen Idiom – in diesem Fall nicht nur dem Polnischen, sondern auch den stilistischen Eigenwilligkeiten des Autors, seiner Metapherngirlanden und dem reichlichen Gebrauch, den er aus oft entlegenen Fachsprachensprachen macht (die „Lancaden“ etwa, in Original wörtlich die Lancaden der hölzernen Böcke, „lansady drewnianych kozłów“ – oder die „Amphiladen,“ die der Sturm mit Tosen ausrollt: „toczył z hukiem długie amfilady“ und in deren Fall sowohl Hahn wie auch Daume sich entschlossen haben, diese architektonische Besonderheit als die geläufigere „Zimmerflucht“ wiederzugeben. Und danach die Übertragung IN die Zielsprache, im Bemühen, hier möglichst flüssige Ausdrucksweisen zu finden, die dem Leser nicht den Eindruck vermitteln, hier werde der Sprache eine Gewalt angetan, die das Original nicht kennt.

Um den Unterschied der drei Versionen deutlich zu machen, setze ich einmal zwei Absätze des Textes im Original her, gefolgt von den Übersetzungen.

Tam, w spalonych, wielobelkowych lasach strychów i dachów, ciemność zaczęła się wyradzać i dziko fermentować. Tam zaczęły się te czarne sejmy garnków, te wiecowania gadatliwe i puste, te bełkotliwe flaszkowania, bulgoty butli i baniek. Aż pewnej nocy wezbrały pod gontowymi przestworami falangi garnków i flaszek i popłynęły wielkim stłoczonym ludem na miasto.


Dort, in diesen verbrannten, balkenreichen Wäldern der Böden und Dächer, begann die Dunkelheit zu entarten und wild zu gären. Dort nahmen die schwarzen Reichstage der Töpfe, die geschwätzigen und eitlen Versammlungen alten Geschirrs, die stammelnden Flaschnereien, Gluckereien der Botteln und Bottiche ihren Anfang. Bis eines Nachts die Phalangen der Töpfe und Flaschen unter den Schindelräumen schwollen und als großer, dichtgedrängter Volkshaufen auf die Stadt zuschwammen.

(Hahn 1961)


Dort, in den verkohlten, balkenreichen Wäldern der Dächer und Böden, begann das Dunkel auszuarten und wild zu gären. Dort nahmen die schwarzen Sejme der Töpfe ihren Anfang, die geschwätzigen und hohlen Versammlungen, das faselnde Geflasche, das Blubbern der Bouteillen und Ballone. Bis eines Nachts in den schindelbedeckten Weiten die Phalangen der Töpfe und Flaschen anschwollen und als riesiges, dichtgedrängtes Volk die Stadt überströmten.

(Daume 2008)


Dort, auf den Dachböden, in diesen verkohlten Urwäldern voller Dachbalken, geriet die Dunkelheit in heftige Gärung und veränderte sich. Dort begannen die schwarzen Verschwörungen der Töpfe, ihre nichtssagenden Ratsversammlungen, das Geschwätz der Flaschen, das Blubbern der Buddeln und Bottiche. Bis zu der Nacht, in der es unter den Schindeln zu gären begann, sich die Schlachtreihen formierten und als Heerstrom in Richtung Stadt flossen.

(Z.R, 2023)


Matka podejrzewała, że kłamali. W istocie cała ta scena sprawiała wrażenie, jakby przez ten kwadrans stali w ciemności pod oknem, nie oddalając się wcale. A może naprawdę nie było już miasta i rynku, a wicher i noc otaczały nasz dom tylko ciemnymi kulisami, pełnymi wycia, świstu i jęków. Może nie było wcale tych ogromnych i żałosnych przestrzeni, które nam wicher sugerował, może nie było wcale tych opłakanych labiryntów, tych wielookiennych traktów i korytarzy, na których grał wicher, jak na długich czarnych fletach. Coraz bardziej umacniało się w nas przekonanie, że cała ta burza była tylko donkiszoterią nocną, imitującą na wąskiej przestrzeni kulis tragiczne bezmiary, kosmiczną bezdomność i sieroctwo wichury.


Die Mutter argwöhnte, daß sie logen. Tatsächlich machte diese ganze Szene den Eindruck, als hätten sie eine Viertelstunde lang in der Dunkelheit unter dem Fenster gestanden, ohne sich überhaupt entfernt zu haben. Doch vielleicht gab es die Stadt und den Ring wirklich nicht mehr, und der Wind und die Nacht hatten unser haus nur mit schwarzen Kulissen voller Heulen, Pfeifen und Stöhnen umgeben. Vielleicht gab es diese ungeheuren und kläglichen Räume, die uns der Wind suggerierte, überhaupt nicht. Vielleicht gab es diese beklagenswerten Labyrinthe, diese fensterreichen Trakte und Korridore, auf denen der Wind wie auf langen schwarzen Flöten spielte, schlechthin nicht. Immer mehr festigte sich in uns die Überzeugung, daß dieses ganze Unwetter nur eine nächtliche Donquichotterie war, die auf engem Kulissenraum die tragische Maßlosigkeit, kosmische Obdachlosigkeit und Verwaisung des Sturmwinds nachahmte.

(Hahn, 1961)


Meine Mutter hatte den Verdacht, daß sie logen. In der Tat erweckte die ganze Szene den Eindruck, als hätten sie diese Viertelstunde im Dunkeln unter dem Fenster gestanden und sich gar nicht fortbewegt. Doch vielleicht gab es tatsächlich keine Stadt und keinen Marktplatz mehr und der Sturm und die Nacht umgaben unser Haus lediglich mit dunklen Kulissen, in denen es heulte, sauste und stöhnte. Vielleicht gab es keinen einzigen der riesigen, trostlosen Lufträume, die der Wind uns eingeflüstert hatte, und vielleicht gab es auch die jämmerlichen Labyrinthe nicht, die vielfenstrigen Trakte und Korridore, auf denen der Wind wie auf langen schwarzen Flöten spielte. Mehr und mehr festigte sich in uns die Überzeugung, das ganze Unwitter sei nichts anderes als eine nächtliche Donquichottterie gewesen, die innerhalb enger Kulissen die tragischen Ausmaße, die kosmische Unbehaustheit und die Verwaisung eines Sturms imitiert hatte.

(Daume, 2023)


Die Mutter hatte sie im Verdacht, daß sie logen. Tatsächlich machte die ganze Szene den Eindruck, als wenn sie diese Viertelstunde lang nur im Dunkeln vor dem Fenster gestanden hätten und überhaupt nicht losgezogen waren. Aber vielleicht gab es die Stadt und den Marktplatz ja tatsächlich nicht mehr, Und der Wind und die Nacht waren nichts als eine finstere Kulisse, die unser Haus umgab, und in der es pfiff, heulte und stöhnte. Vielleicht gab es diese immensen, trostlosen Lufträume, die uns der Wind vorspielte, überhaupt nicht, und ebensowenig diese tristen Labyrinthe, die Trakte mit ihren vielen Fenstern und die Korridore, auf denen der Wind spielte auf wie langen schwarzen Flöten. Mehr und mehr kamen wir zu der Überzeugung, daß dieser ganze Sturm nur eine nächtliche Donquichotterie darstellte, die in diesen beengten Kulissen die finstere Unendlichkeit, die kosmische Unbehaustheit und das Ausgeliefertsein ans Schicksal der Sturm nur vorgegaukelt hatte.

(Z.R., 2023)




U.E.

© U.E. Für Kommentare bitte hier klicken.