Ich ahnte die Gefahr, die ihm drohte. Er wußte so wenig, und der lange Aufenthalt in der Stadthatte ihn die Fähigkeit, etwa zu sehen, gekostet. Ein blindes Vertrauen ist der Anfang aller Weisheit, aber den Stadtmenschen ist ihr Bücherwissen zu Kopf gestiegen, und das Lesen hat die ihnen klare Sicht des Geistes genommen.
Ich begann ihn zu Anfang Oktober zu warnen, wenn sich die Sturmwinde hoch oben am Himmel austoben. Dann sind sie noch harmlos: sie zerren an den Dachpfannen und Schindeln und verschwenden ihre Kraft damit, die Bäume zu zerzausen, aber wir sind sicher, bis das Dunkel kommt.
Ich nahm ihn mit hinaus auf die Stoppelfelder und drehte ihn so, daß er mit dem Rücken zum dünnen schwarzen Band der See in der Ferne stand. Ich wies auf die Krähen, die wie aufgewirbelte Blätter am Himmel flatterten.
„Es ist jetzt soweit,“ sagte ich. „Die schwarze Zeit kommt.“
Er stand da und sah den wild flatternden Krähen zu. „Soll das ein Spiel sein?“ fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. „Sie gehören dem Dunkel an, “sagte ich zu ihm.
Er schenkte mir einem nachsichtigen Blick. „Noch so ein Aberglauben von euch.“
Ich schwieg einen Moment, Ich betrachtete das Muster der schwarzen Felder, die für die Aussaat des Winterweizens gepflügt worden waren, und dachte an all die Zeichen, die hier unterhalb des aufgewühlten Hügels zu lesen waren, alle die deutlichen Hinweise, die er niemals würde deuten können.
„Wissen,“ sagte ich. Ich hatte Angst um ihn, und ich wollte ihn retten. Es war in der kleinen Welt der Stadt eingepfercht gewesen wie eine Möwe, die in einen Käfig gesperrt worden war. Das Starren auf die Wände seines Verschlags hatte ihn geblendet.
Wieder das nachsichtige Lächeln. „Ihr seid hier herrlich rückständig,“ sagte er. „Betet ihr vielleicht die Sonne an und beschwichtigt den Donner mit Opfern?“
Ich seufzte. Mir war klar, daß ich versuchen mußte, seinen Verstand anzusprechen, mit den armseligen Mitteln der Sprache, wenn ich ihn retten wollte. Sie ist ein Götze für solche Stadtmenschen. Sie besitzen keine Weisheit, sie verstehen nur Dinge, die sich mit gedruckten oder gesprochenen Worten beschreiben lassen. Und mir graute vor der Mühe, die es mit kosten würde, seine blinde Verstocktheit zu überwinden.
„Ich bin hergekommen, um dich zu warnen,“ fing ich an.
„Wovor?“ fragte er.
„Vor den Kräften, die in der Zeit der Dunkelheit Macht haben,“ sagte ich. „Schon jetzt werden sie stärker. In einem Monat ist es nicht mehr sicher, wenn man nach Sonnenuntergang auf die Klippen am Strand steigt. Du brauchst mir nicht zu glauben – aber trotzdem: bitte nimm diese Warnung ernst.“
In seinem Lächeln lag Mitleid. „Und was sind das für Kräfte?“ fragte er.
So ist das mit Menschen, die ihr Wissen aus Büchern haben. Sie fragen immer nach Namen. Wenn sie einen Namen oder eine Bezeichnung für etwas haben, glauben sie, sie wüßten etwas darüber. Solche Namen sind für sie wie ein Talisman.
„Wer weiß das schon?“ gab ich zurück. „Wir kennen ihre Macht. Es ist egal, wie du sie nennen willst – du änderst nichts an ihnen, wenn du sie auf einem Namen taufst.“
„Und was machen sie?“ fragte er, immer noch nachsichtig. „Hast du schon mal eine davon gesehen?“ setzte er hinzu, als ob er mich aufs Glatteis führen wollte.
Das hatte ich, aber wie sollte ich es ihm beschreiben? Kann man jemandem, der als Blinder geboren ist, die Farben des Herbstes beschreiben? Läßt sich in irgendeiner Sprache umreißen, wie sich die Wellen an den Felsen am Ufer brechen? Wie konnte ich ihm etwas darstellen, daß ich nur aus der Furcht tief in meiner Selle kannte?
„Hast du jemals den Wind gesehen?“ fragte ich.
Er lachte. „Na gut. Welche Beweise hast du?”
Ich suchte nach etwas, das er als Beweis gelten lassen würde. „Früher,“ sagte ich, „haben die Leute geglaubt, daß die kleinen Vögel, wie Finken und Meisen, sich blind auf die Leuchtfeuer der Leuchttürme stürzen und dabei zu Tode kommen würden, wie Motten in Kerzenflammen. Heute wissen wir, daß die Vögel nur Zuflucht in der Nähe des Lichts suchen, und sich bis zum Tagesanbruch auf die Sitzstangen setzen, die dort für sie angebracht worden sind.“
„Das stimmt,“ sagte er. „Und weiter?“
„Wenn es dunkel wird, sind die kleinen Vögel den Mächten der Luft schutzlos ausgeliefert,“ sagte ich, „und sie können sich nur retten, wenn sie den Lichtstrahl erreichen, der sie schützt. Und wenn sie keinen Ruheplatz finden konnten, dann flogen und flatterten sie solange, bis sie geschwächt waren und ins Dunkel fielen, und dann gerieten sie in Panik und schossen über ihr Ziel hinaus.“
„Aber die Möwen…“ fing er an.
„Ein paar,“ unterbrach ich ihn, „einige – obwohl auch sie zur Dunkelheit und zur Wildnis gehören. Sie jagen die kleinen Vögel, die Beute sind – so wie wir.
„Eine hübsche Fabel,“ sagte er. Aber ich sah, daß ihm erste Zweifel gekommen waren. Und als er mir eine weitere Frage stellt, gab ich ihm keine Antwort.
An diesem Abend ging ich mit ihm um zehn Uhr vor die Tür und ließ ich auf das lauschen, was hoch in den Lüften vor sich ging. Tief darunter war es ziemlich still und sehr dunkel, denn die schmale Neumondsichel stand tief, und die Wolken zogen in dichten Massen nach Norden, die bald Regen bringen würden.
„Hörst du sie?“ fragte ich.
Ihn überlief ein leichter Schauer, aber er tat so, als ob es an der kalten Luft liegen würde…
Als die Nächte länger wurden, begann ich die Hoffnung zu hegen, daß er sich meine Warnung zu Herzen genommen hatte. Es sprach nicht davon, aber beschränkte seine Spaziergänge auf die kurzen Stunden, in denen die Sonne ihre Bahn über den Himmel zog.
Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß er sich noch ein schwaches Gespür für solche Ahnungen bewahrt hatte, und einer Nachmittags, als die Zeit der Dunkelheit schon fast angebrochen war, ging ich mit ihm zu den Klippen. Ich wollte ihn auf die Probe stellen und feststellen, ob er tatsächlich dafür empfindsam war.
Der Wind hielt sich an diesem Tag verborgen, aber ich wußte, daß er in den grauen Tiefen die sich hinter der Horizontlinie der See erstreckten. Seine Vorboten überzogenen der verbleichende Blau des Himmels mit weißen, geisterhaften Wolkenstreifen, und die lange Dünung der auflaufenden Flut zerschellte unter Angstschreien an den Felsen am Ufer.
Ich erwähnte ihm gegenüber die aufziehende Gefahr mit keinem Wort. Wir gingen bis zum Rand der Steilklippen betrachteten die Gischt, die in tausend Rinnsalen die schwarzen Wände der Klippen von Trescore mit weißen Schaumfäden überzog, als sich die Wogen gegen das Land warfen und in ihrer letzten Agonie so hoch wie der Mond geschleudert wurden.
Wie sahen zu, wie das Dunkel aus der Ferne auf uns zugekrochen kam, wandten uns vom Meer ab, und sahen, wie die steigenden Schatten schon die Hügel auslöschten. Die ganze Erde zog sich zusammen, um die Ankunft der Nacht abzuwarten.
„Gott – was für eine verlassene Gegend!“ sagte er.
Ihm schien sie verlassen, aber ich konnte die kleinen huschenden Bewegungen zwischen dem schwarzen Wurzelwerk der Sträucher erkennen. Mir schien dieser Ort zu belebt. Trotzdem nahm ich es als ein gutes Zeichen, daß er die Verlassenheit spüren konnte. Dergleichen geht oft der Erkenntnis der Wahrheit voraus…
Und als die Dunkelheit des Winter gekommen war, glaubte ich, daß er in Sicherheit wäre. Er war immer vor Sonnenuntergang zurück, und er ging selten zu den Klippen. Nur ab und zu sah er mich mit trotziger Miene an, als ob er einen Streit vom Zaun brechen wollte.
Ich bestärkte ihn darin nicht. Ich war überzeugt, daß er so zu keiner Einsicht gelangen würde, daß ich ihm keinen brauchbaren Rat geben konnte. Und damit hatte ich recht. Aber er zwang mich dazu. An meinem Nachmittag mitten in der dunklen Zeit stellte er mich zur Rede. Er war fest entschlossen, mir Widerstand zu leisten.
„Es ist lächerlich,“ sagte er, „wenn du vorgibst, du hättest hier eine höhere Weisheit. Wen du deinen Aberglauben nicht begründen kannst, dann gehe ich los und prüfe das selber.“
Ich wußte, daß meine Haltung schwach begründet war und versuchte Ausflüchte zu machen, indem ich sagte: „Ich habe dir meine Gründe genannt.“
„Dafür gibt es mindestens zwei Erklärungen,“ sagte er.
„Warte wenigstens, bat ich ihn. „Du bist noch so jung.“
Meine Schwäche erweichte ihn etwas, aber sein Entschluß stand fest. Er wollte es mir zeigen, er wollte mir beweisen, daß er recht hatte. Er hob den Kopf stolz und lächelte.
„Die Jugend ist die Zeit für Mut und Wagnisse,“ prahlte er.
„Für Leichtsinn und Unvorsichtigkeit,“ verbesserte ich ihn.
„Ich gehe,“ sagte er.
„Du wirst nie zurückkommen,“ warnte ich ihn.
“Aber wenn ich zurückkomme,“ sagte er, „gibst du dann zu, daß ich recht hatte?“
Eine solche schlechte Wette konnte ich nicht annehmen. „Manchen gelingt die Flucht,“ sagt ich.
„Ich werde jede Nacht losgehen,“ gab er zurück. „Und du wirst mit mir kommen, bevor der Winter zu Ende ist. Ich werde dich von deiner Angst kurieren.“
Der Zorn stieg in mir hoch, und ich drehte ihm den Rücken zu. Ich hörte, wie er die Tür öffnete und machte keinen Versuch, ihn aufzuhalten. Ich setzte mich hin, sann nach und tröstete mich mit dem Gedanken, daß er bestimmt wieder heimkommen würde, wenn es dämmerte.
Ich wartete bis zum Sonnenuntergang, und er war nicht zurückgekommen.
Ich trat ans Fenster und sah, daß im Westen noch ein Streifen aus gelbem Licht verlosch, und ich sah ihm zu wie dem letzten Flackern einer Laterne, wenn sich ein Freund über die Hügel auf den Heimweg macht.
Am Rand der Meeres stiegen die aufgewühlten Wolken auf und breiteten ihre ausgetreckten Arme über den fahlen Himmel.
Ich trat in den Flur, nahm meinen Hut und blieb in der Dunkelheit stehen und wartete auf den Klang von Schritten. Ich glaubte nicht, daß er nach Einbruch der Dämmerung oben auf den Klippen bleiben würde. Ich zögerte und lauschte, während die Schatten in den Ecken dichter wurden.
Er hatte mich mit meiner Feigheit aufgezogen, und ich wußte, daß ich mich aufmachen und ihn suchen mußte. Aber bevor ich die Tür öffnete, wartete ich noch einmal und hoffte so sehr auf das Kreischen der Torangeln, daß ich se schon hören konnte. Und doch war mir im sleben Moment klar, daß ich mir das nur eingebildet hatte.
Schließlich nahm ich mich zusammen und ging nach draußen.
Ein Windstoß erfaßte mich, bevor ich das Tor erreicht hatte, und die Luft war von betäubendem Lärm erfüllt. Ich hörte das Schreien der verfolgten Wolken, und die Rufe ihrer Verfolger vermengten sich mit dem Donnern und Dröhnen der endlosen Scharen, die über die Weite des Himmels jagten.
Ich wagte nicht aufzuschauen. Ich hob schützend die Arme über den Kopf und lief stolpernd zum Anfang des Wegs, der zu den ungeschützten Klippen hinaufführt.
Ich versuchte, nach ihm zu rufen, aber meine Stimme ging im Aufruhr der Lüfte unter, mein Schrei wurde von den Atomen der wogenden Gischt verschluckt, der zwischen den Uferfelsen emporsprang, bevor er zerstob.
Dort, wo der Strandhafer begann und der Wind seine volle Kraft entfaltete, blieb ich stehen. Ich wagte nicht weiterzugehen. Dahinter tobte das Chaos, wo der wilde Aufruhr sich in Strudeln und Böen austobte und unverhoffte Windstillen entstanden, die Unvorsichtige an den Klippenrand lockten.
Ich wußte, daß es jetzt sinnlos war, nach ihm zu suchen. Der Lärm des Sturms hatte sich ins Unerträgliche gesteigert; er konnte dort oben im Aufruhr der Elemente nicht mehr am Leben sein.
Ich schlich mich zum Weg und in den Windschatten des Wäldchens zurück, und dann floh ich zurück ins Haus.
Eine Stunde lang saß ich am Kaminfeuer und versuchte mich zu beruhigen. Ich machte mir bittere Vorwürfe, daß ich ihn hatte gehen lassen. Ich hätte nachgeben können; ich hätte so tun können, als hätte er mich überzeugt oder daß ich zumindest Verständnis für seine dumme Haltung hätte; aber dann tröstete mich der Gedanke, daß sein Schicksal ihm schon immer vorherbestimmt gewesen war. Was hätte ich gegen die Mächte ausrichten können, die sein Verhängnis angekündigt hatten? Ich hörte dem Dröhnen des Zuges zu, der hoch oben über den Himmel jagte, dem Heulen der Geister, die herabsteigen, um die irdischen Dinge zu quälen und zu vernichten, und mir war klar, daß ich ihn durch nichts hätte retten können.
Und als die Haustür zuschlug und ich seine Schritte im Flur hörte, dachte ich kurz, daß er mir im Augenblick seines Todes erscheinen würde, aber als er eintrat, mit leuchtenden Augen und geröteten Wangen und sich lachend das Haar aus der Stirn wischte, wich der Schrecken dem Ärger.
„Wo bist du gewesen?“ fragte ich. „Ich habe dich bei der Klippe gesucht. Ich dachte, du wärst tot.“
„Du bist zu den Felsen gegangen?“ fragte er.
„Bis zum Fuß,“ gab ich zu.
„Ah! Während Zeit des Dunkels darfst du auch keinen Schritt weiter gehen,“ sagte er.
„Dann glaubst du mir jetzt also?“ fragte ich.
Er lächelte. „Ich glaube, du wärst dort oben heute nacht in Gefahr,“ sagte er, „weil du an die Mächte der Luft glaubst, und weil du dich vor ihnen fürchtest.“
Es stand in der Tür, gestärkt durch seinen Kampf mit dem Wind, und seine jungen Augen leuchteten im Bewußtsein, daß er Neues erfahren hatte.
Aber er kann nicht abstreiten, daß ich es war, der ihm den Weg dahin gewiesen hat.
* * *
„Powers of the Air” erschien im Oktober 1917 in der letzten Ausgabe des in New York verlegten Magazins „The Seven Arts“ und wurde ein Jahr später in Beresfords ersten Erzählungsband „Nineteen Impressions“ (Sidgwick & Jackson) aufgenommen. Der „Evening Standard“ druckte den Text am 23. August 1933 nach und von dort aus wanderte er ein Jahr später in die ohne Nennung des Herausgebers erschienene Anthologie „The Evening Standard Book of Strange Stories“ (London: Hutchinson, 1934).
„The Seven Arts” gehörte zur Gattung der „Little Magazines,“ die in den USA zwischen den Jahren 1910 und Mitte der zwanziger Jahre entscheidend für die Propagierung der neuen literarischen Entwicklungen und Kunststile verantwortlich waren – in relativ geringer Auflage, aber von großer Wirkung. „Poetry,“ 1911 in Chicago gegründet und das wichtigste Organ für die Durchsetzung des „freien Verses“ zählt ebenfalls zu dieser Gruppe. Das wichtigste Journal dieser Art war sicher „The Smart Set,“ nachdem Willard Huntington Wright 1913 die Herausgabe der 1900 gegründeten Zeitschrift übernommen hatte. Allerdings war dieses Phänomen nicht auf die Neue Welt beschränkt: die amerikanischen Journale orientierten sich ausdrücklich an den Vorbildern in der Alten Welt. Für Berlin wären hier etwa „Der Sturm“ zu nennen, ab 1910 von Herwarth Walden herausgegeben, Fritz Pfemferts „Die Aktion,“ „Der blaue Reiter,“ Maximilian Hardens „Die Zukunft“ (ab 1892) oder für Leipzig ab 1913 „Die weißen Blätter,“ deren Jahrgänge für 1915 bis 1918 wegen der pazifistischen Einstellung ihres neuen Herausgebers Rene Schickele in der Schweiz erschienen. Für Paris wäre etwa „Vers et Prose“ zu nennen, von Paul Fort von 1903 bis 1914 herausgegeben, für St. Petersburg die „Мир искусства“ (Welt der Kunst), 1899 von Leon Bakst und Alexander Benois gegründet, und für London „The Criterion,“ in deren erster Ausgabe vom Oktober 1922 der Mitbegründer T. S. Eliot sein Großgedicht „The Waste Land“ abdruckte.“ (In den „weißen Blättern“ erschien übrigens vom Dezember 1913 bis zur letzten Leipziger Ausgabe vom Juli/August 1914 Gustav Meyrinks erster Roman „Der Golem“ als Vorabdruck.)
Allen diesen Journalen war gemein, daß ihr Einfluß weit über ihre Verbreitung hinausging (die Auflage jener Nummer des „Criterion“ belief sich auf 600 Exemplare) und daß sie auf die beständige Unterstützung durch reiche Mäzene angewiesen waren. „The Seven Arts“ bildet hier keine Ausnahme. Das Journal, von dem vom November 1916 bis Oktober 1917 nur 12 Ausgaben erschienen, wurde gegründet, nachdem die künftigen Herausgeber, Waldo Frank, James Oppenheim und der später als Kritiker und Historiker berühmt gewordene Van Wyck Brooks (1886-1963) in der reichen Erbin Annette Rankine eine Mäzenatin gefunden hatte, durch die Finanzierung von Druck und Honoraren ihren Beitrag zu „Kunst und Kultur“ zu leisten.
Zu den Beiträgern des Blatt zählten John Dos Passos, Sherwood Anderson, D.H. Lawrence, Robert Frost, H.L.Mencken, Theodore Dreiser und, überraschenderweise, auch Khalil Gibran. (Oder vielleicht eben nicht überraschend: wenn man sich ansieht, wie etwa der Schwerpunkt der ursprünglich streng sozialistisch ausgerichteten Magazins „The New Age“ schon auf Mystizismus und Esoterik umgeschwenkt war, als sein Gründer A. L. Orage es 1922 verkaufte - das Magazin gehörte zu den Organen, die die Lehren von Gurdjeff und Ouspensky am stärksten propagierten – dann wird man daran erinnert, daß die 1970er Jahre nicht die erste Zeit waren, in der der Umsturz im Zeichen von Hammer und Sichel durch Räucherstäbchen und Nabelschau ersetzt wurden.
Auch „The Seven Arts“ verstand sich als dezidiert politisches Magazin, und zwar mit einer radikalpazifistischen Einstellung. Gegen den sich abzeichnenden Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, wie ihn etwa John Dewey befürwortete, schrieb vor allem Randolph Bourne an. Bourne, 1886 in New Jersey geboren und im Dezember 1918 an der Spanischen Grippe gestorben, war so etwas wie eine frühe Vorwegnahme heutiger Gutmenschen: er verstand sich als Anarchist, forderte die sofortige Abschaffung des Kapitalismus und vertrat vehement die Ansicht, die Amerikaner sollten ihre eurozentrische Kultur aufgeben und die der Einwanderer aus anderen Teilen der Welt annehmen. Die Idee, ein Kriegseintritt der USA könnte die Ideale von Demokratie und Freiheit sichern, schien ihm nichts als ein Feigenblatt für Imperialismus und Vorherrschaft im Welthandel zu sein. Seine Beiträge „The War and the Intellectuals“ (Juni 1917), „Below the Battle” (Juli 1917), “The Collpase of American Strategy” (August 1917), “A War Diary” (September 1917) und “Twilight of Idols” (Oktober 1917), deren Polemik sich fortwährend steigerte, führte dazu, daß Annette Rankine, die auf den Inhalt des Magazins keinen Einfluß hatte, von ihrer Familie unter Druck gesetzt wurde, ihre Zuwendung einzustellen. Rankine nahm sich daraufhin das Leben, und das Journal wurde eingestellt.
“Twilight of Idols” ist eine deutliche Anspielung auf den Titel der englischen Übersetzung von Nietzsches Spätschrift „Götzen-Dämmerung“ (1889). Man sollte nicht vergessen welchen starken Einfluß die Philosophie Nietzsches gerade unter den Avantgardisten der vorigen Jahrhundertwende im englischen Sprachraum hatte.
U.E.
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