(JWST Deep Field)
Zum Vergleich: links dieselbe Region in einer Aufnahme des Hubble Space Telescaope, rechts die des JWST.
I.
„An sich“ hatte ich vor, heute an dieser Stelle etwas zu dem „unerwarteten Mißgeschick“ zu schreiben, daß sich gestern, am 11. Juli auf der „Starbase“ von SpaceX im texanischen Boca Chica, ereignet hat, als es beim ersten „Static Fire“ des Boosters, also der Startstufe von Elon Musks Marsrakete, zu einer höchst eindrucksvollen Explosion gekommen ist (bei einem solchen Test kommt es zur Zündung der Triebwerke unter Vollschub, für einige Sekunden, während die Rakete fest auf dem Startisch verankert verankert ist, um nicht abzuheben. Das erlaubt der Flugleitung das Funktionieren der Komponenten und das Verhalten des Gesamtsystems unter den „Ernstfallbedingungen“ eines tatsächlichen Starts vorab zu testen). Damit dürfte Elon Musks Plan, noch im August mit dem „Starship“ ins All zu starten, vorerst einmal ad acta gelegt worden sein. Dieser Bericht wird noch warten müssen, denn die Chronistenpflicht gebietet anderes.
Heute hat nämlich eine neue Ära in der Geschichte der Astronomie begonnen. Und wir können sagen: wir sind dabei gewesen.
Nun gilt es erfahrungsgemäß, mit solchen Aussagen die gar die Zukunft betreffen, vorsichtig zu sein. Als Neil Armstrong vor fast genau 53 Jahren, am 20. Juli 1969, die ersten menschlichen Stiefelabdrücke in den Regolith des Meers der Ruhe prägte, zitierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am folgenden Morgen den Satz wörtlich, den der Geheime Legationsrat Goethe 1792 am Vorabend der Kanonade von Valmy im Kreis preußischer Offiziere geäußert haben will: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus…“ Nicht nur, daß die Weltgeschichte ihm diesen Gefallen nicht tat; die neuere Germanistik ist nach Sichtung der historischen Dokumente zu dem Schluß gekommen, daß Goethe in dieser Hinsicht schlicht geflunkert hat, als er 30 Jahre später seine „Kampagne in Frankreich“ schrieb.
Ob die Mondlandung tatsächlich „ein neues Kapitel der Weltgeschichte“ aufgeschlagen hat, soll hier nicht erörtert werden – man kann durchaus den Standpunkt vertreten, daß, wenn ein verändernder Impuls vom Abenteuer Raumfahrt ausgegangen ist, dies über die Kommunikationssatelliten mit ihren sekundenaktuellen Verbindungen um die ganze Welt, die Augen der Wettersatelliten und der Aufklärungsspäher sowie der Satellitennavigation erfolgt ist – die dann zusammen mit dem 30 Jahre später entstandenen Internet das vollendeten, war die ersten Telegraphenlinien, die anderthalb Jahrhunderte über die Kontinente gezogen wurden, versprochen hatten: die Welt in ein „globales Dorf“ zu verwandeln.
Aber soviel darf sicher gesagt werden: mit der Vorstellung der ersten Bilder des James Webb Space Telescope, die heute vormittag (nach der Zeitzone im Kontrollzentrum in Baltimore) bzw. am späten Nachmittag (gemäß Mitteleuropäischer Sommerzeit) von der amerikanischen Weltraumbehörde NASA der Weltöffentlichkeit präsentiert wurden, hat zumindest für die Astronomie ein neues Zeitalter begonnen. Es gibt jetzt einen neuen Standard, an dem sich die Beobachtungen im sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums messen lassen müssen, und es eröffnen sich Forschungsmöglichkeiten, die der Wissenschaftler-Gemeinde bislang nicht zur Verfügung standen.
In der Astronomie sind solche Revolutionen allerdings alles andere als eine Seltenheit. Mit jeder neuen Generation von Teleskopen ist es zu einer solchen Erweiterung gekommen. Das beginnt mit der Erfindung der Spektralanalyse durch Robert Wilhelm Bunsen und Gustav Kirchhof in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die es erstmals möglich machte, zu bestimmen, aus welchem Stoff die Planeten, Sterne und Gaswolken in den Weiten des Alls zusammengesetzt waren (die erste Überraschung war, daß es auf der Sonne ein chemisches Element gab, das anscheinend nicht auf der Erde vorkam, und deshalb den Namen „Helium“ erhielt). Das setzte sich fort mit der etwas später erfolgten Erfindung der großen achromatischen Objektive, die den Bau der ersten gewaltigen Linsenfernrohre ermöglichten, dann die nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Ära der immensen Spiegelteleskope, beginnend mit dem Bau des 100-Zoll-Reflektor auf dem Mount-Wilson-Observatorium, das von 1917 bis 1947 das größte Teleskop der Welt war und mit dem Edwin Hubble in den 1920er Jahren nachweisen konnte, daß der Andromedanebel eine Galaxis gleich unserer Milchstraße ist sowie die Expansion des Weltalls und Fritz Zwicky während der zwangsweisen Verdunklung während des Zweiten Weltkriegs die ersten Hinweise auf „dunkle Materie“ entdeckte. Bis heute hält die Abfolge von immer neuen Innovationen und größeren Dimensionen an – auch wenn die Hauptspiegel der neuen Teleskopriesen mittweile nicht mehr auf einem Gußblock gefertigt sind, sondern aus Dutzenden von Segmenten, die von Aktuatoren hunderte von Malen pro Sekunde so nachjustiert werden, daß sie die störende Unruhe der Atmosphäre ausgleichen. Wenn das Extremely Large Telescope (ELT) der Europäischen Südsternwarte, das seit dem Juni 2014 auf dem Cerro Amazones in der chilenischen Atacama-Wüste erreichtet wird, 2027 seinen Beobachtungsbetrieb aufnimmt, werden die 798 Segmente einen Hauptspiegel von knapp 40 Metern Durchmesser bilden.
Auch die Stationierung im Vakuum der Umlaufbahn gehört in diese Reihe der Innovationen. Während der Durchmesser des Hauptspiegels beim HST, dem Hubble Space Telescope, noch durch die Größe der Ladebucht des Space Shuttles, der das Instrument 1990 in die Umlaufbahn bracht, auf ein Maß von 2,40 Meter begrenzt war, bilden die 18 hexagonalen, goldbedampften Segmente des JWST ausgeklappt eine Hauptspiegel mit einem Durchmesser von 6,70 Metern Durchmesser. Gut ein halbes Jahr nach dem Start am ersten Weihnachtstag 2021 vom Weltraumbahnhof in Kourou und fünf Monate nach Erreichen seiner Endposition sind heute als repräsentative Beispiele vor die Leistungsfähigkeit der Optik und des Beobachtungsinstrumente fünf Bilder vorgestellt worden, denen in den nächsten 20 Jahren noch ungezählte weitere folgen sollen. Der kleine Pedant kann sich nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, daß der von mir gewählte Titel terminologisch nicht ganz korrekt ist: mit „erstem Licht,“ „first light,“ bezeichnen Astronomen den allerersten Blick, die allererste instrumentelle Prüfung des Hauptstrahlengangs, der noch zahlreiche langwierige Tests und Feinjustierungen folgen. Für das JWST erfolgte dieses erste Licht am 12. Februar 2022, als die noch unfokussierten Hauptspiegelsegmente jeweils ein Bild des Sterns HD 84406 im Sternbild des Großen Bären lieferten, anhand deren festgestellt werden konnte, wie die einzelnen Segmente nachjustiert werden mußten, um diese 18 Punkte zu einem einzigen in Deckung zu bringen. Der Stern ist nicht Teil der Konstellation, der imaginären Verbindungslinien, die in den Darstellungen die „Figur“ eines Sternbilds bilden, weil er mit unbewaffnetem Auge nicht sichtbar ist; er befindet links oben von Kasten des „Großen Wagens,“ dem einzig allgemein bekannten und am Nachthimmel erkannten Part des Sternbild, und befindet sich ungefähr dort, wo bei einem wirklichen Bären der zweite Rückenwirbel sitzt. („Großer Bär, komm herab zottige Nacht, / Wolkenpelztier mit den alten Augen, / Sternenaugen,“ heißt es in Ingeborg Bachmanns bekanntestem Gedicht.)
Drei Monate lang ist das Teleskop in dieser Endposition, 1,4 Millionen entfernt, von seinem Sonnensegel aus fünf hauchdünnen verspiegelten Folien von der Größe eines Tennisplatzes vor der Wärmestrahlung der Sonne geschützt, auf seine „Betriebstemperatur“ herabgekühlt worden. Die „Unterseite“ des gut 25 m langen und 15 m breiten Schilds wird von der Sonne auf eine Temperatur auf gut 45° Celsius erhitzt; während der Hauptspiegel, der immer im Schatten liegt, auf unter minus 235 Grad heruntergekühlt ist, knapp 40 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Dieses Verfahren dient vor allem dazu, das „thermische Rauschen“ in dem optischen Komponenten und der Elektronik möglichst gering zu halten, das sonst als Störfaktor die Messungen im Infrarotbereich überdecken würde. Darin liegt – neben der Abwesenheit einer unruhigen Lufthülle – ein entscheidender Vorteil einer solchen Positionierung: Die Strahlung im sichtbaren Bereich des Spektrums, einem der beiden „Fenster,“ in der die Atmosphäre transparent ist, wird nicht nur von ihre, sondern auch von den Gasen und dem kosmischen Staub absorbiert, der etwa in Bereichen vorherrscht, in dem sich neue Sterne bilden. Infrarotstrahlung hingegen kann diese Schleier passieren und läßt so den Blick auf bislang verborgene Details und daher „versteckte“ Himmelsobjekte frei. Drei weitere Monate haben zudem die Feinjustierungen der vier Hauptinstrumente, die das Teleskop trägt, gedauert. Die oben erwähnte „Endposition“ bildet der zweite sogenannte Lagrange-Punkt des Systems Sonne-Erde. Diese insgesamt 5 Punkte, nach dem französischen Mathematiker Joseph-Louis Langrange (1736-1813) benannt, bilden Punkte, an denen sich die Anziehungskräfte zweier Himmelskörper, die umeinander kreisen, so aufheben, daß ein dritter Körper, etwa ein Raumschiff, dort „stabil“ verharren kann. Im Punkt L1, genau zwischen Erde und Sonne gelegen, dient zurzeit als „Stationierungort“ für die Sonnenobservatorien SOHO und ACE, und vom März bis zum September 2021 für den Orbiter der chinesischen Mondsteinsammlungsmission Chang‘e-5. L2 liegt „genau gegenüber,“ in Verlängerung der gedachten Achse Sonne-Erde (die Punkt L4 und L5) befinden sich in Entfernung der Erdbahn, aber um jeweils 60° „vorwärts“ und „rückwärts“ versetzt, während L3 sich knapp „außerhalb“ des Erdorbits auf der anderen Seite unsere Zentralgestirns befindet. Die Vorstellung einer „Gegenerde“, die in manchen frühen SF-Romanen als Motiv auftaucht, verdankt sich diesem Umstand: die Idee, es könne einen „Zwilling der Erde“ geben, der unserem Planeten in fast allem gleiche, den wir aber niemals zu Gesicht bekommen. Leider wird dabei ein kleiner Faktor außer acht gelassen, der auch im Fall des JWST wirksam ist: Es wirken nämlich außer Sonne und Erde auch noch andere Anziehungskräfte – vor allem die des Jupiter, die dazu führen, daß ein Körper in einer Lagrange-Position nicht stabil verharrt, sondern diesen Punkt in einer weitgestreckter Ellipse umkreist. Somit würde eine „Gegenerde,“ ein „Antichthon,“ wie sie etwa in Edgar Wallaces Roman „Planetoid 127“ oder den „Gor“-Romanen von John Norman auftaucht, regelmäßig aus ihrem Versteck „hinter der Sonne“ auftauchen. Im Fall des JWST führt dieser Effekt dazu, daß das Teleskop den Punkt L2 in einer weiten Ellipse umkreist, mit einer Schwankung von gut 1,15 Millionen km „nach links und rechts“ und gut 800.000 km von Nord nach Süd, wobei sie für eine Umkreisung 168 Tage benötigt. Zurzeit wäre die Sonde, wenn man sie denn sichten wollte, südlich des Sternbildes Fische aufzufinden - ziemlich genau zwischen den Planeten Jupiter und Neptun. Allerdings dürfte dies ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen sein. Zu sehen wäre selbst in großen Teleskopen nur die kleine Fläche des Sonnensegels, in mehr als vierfacher Mondentfernung; Beobachtungen ambitionierter Amateurastronomen in den letzten Monaten haben gezeigt, daß die Helligkeit ungefähr minus 18 Magnituden, Größenklassen, beträgt, also weitaus mehr als 10.000mal zu schwach ist, um mit bloßem Auge gesehen zu werden.
II
(Kleiner mathematischer Exkurs: nach der theoretischen Bestimmung sollte die Helligkeit etwas größer sein. Um das zu ermitteln, kann die übliche Formel zur Ermittlung eines Himmelskörpers zur Anwendung kommen:
Wobei m die scheinbare Helligkeit in Größenklassen ist;
log der Dezimal-Logarithmus;
d der Durchmesser des Objekts, gemessen in Kilometern;
p die Albedo, also der Anteil des zurückgeworfenen Lichts, das auf das Objekt trifft;
Ds die Entfernung zur Sonne, gemessen in Astronomischen Einheiten, A.E.,
De die Entfernung zur Erde, ebenfalls in A.E., und
f(F) die Phasenfunktion bezeichnet.)
Für das JWST ergeben sich dabei folgende Werte: die Oberfläche des Sonnensegels beträgt 21 x 24 m = 294 m²; somit ergibt sich nach
ein Wert für d von 0,01935 km.
Die Sonde umläuft einen Halo-Orbit um L2 in einer Erdentfernung von 1,5 Millionen km; mit einer Amplitude von wie erwähnt 800.000 km; somit ergeben sich nach
die Werte 0,01136 AE für De sowie für Ds 1,01004 AE.
Zur Ermittlung der Phasenfunktion dient die übliche Formel
Und die Anwendung einfacher Trigonometrie ergibt für den Winkel F den Wert von 27,8°.
Woraus sich ergibt, daß der Anteil des resultierenden Summanden eine Quantité négligéable darstellt: -2,5logf(F) = +0,06.
Zwar bildet die tatsächliche Albedo der Unterseite des Sonnensegels, weil nirgendwo angegeben, eine unbekannte Größe in unserer Rechnung. Wenn wir davon ausgehen, daß sie möglichst hoch ist, um ein Maximum einfallender Strahlung zu reflektieren, ergeben sich folgende mögliche Werte: Bei einer Albedo von p = 1 (100% Reflektion) eine Helligkeit von +14,5 mag; bei p = 08 mag. +14,8, bei p = 0,65 mag +15,0 , und bei der Absorption der Hälfte der einfallenden Strahlung (p 0,5) eine Helligkeit von +15,3 mag; mithin um einen Mittelwert von +15. Größenklasse zentriert. Die logarithmische Skala der Größenklassen ist so gestaltet, daß jede „höhere“ positive Zahl eine um den Faktor 2,58 schwächere Helligkeit bezeichnet; zwischen 5 Größenklassen liegt also ein Faktor von genau 100.)
(Ein kleines Beiseit: bei dem Obigen handelt es sich nicht – oder: nicht nur – um eine Frivolität. Wer einmal einen Blick in Zeitschriften für Amateurastronomen mit Anspruch geworfen hat, wie etwa „Sterne und Weltraum“ oder dessen amerikanisches Vorbild „Sky and Telescope,“ der weiß, daß dort in jeder Ausgabe solche Durchrechnungen als Denksportaufgabe an die Leser gestellt werden, von denen das vorstehende Beispiel noch zur untersten Gebührenklasse zählt.)
II.
In medias res. Das erste der präsentierten Bilder, und zugleich das eindrucksvollste, wurde bereits im Vorfeld der gestrigen Pressevorstellung publik gemacht, als Bill Nelson, Administrator der NASA, es Präsident Joe Biden am Abend zuvor im Weißen Haus präsentierte: die erste „Deep Field“-Aufnahme des JWST, also eines ganzen Feldes von weit entfernten Galaxien, wie sie aus zahlreichen Himmelsdurchmusterungen des Hubble Space Telescope geläufig sind. In diesem Fall zeigt die Aufnahme den Galaxienhaufen SMACS 0723, im Sternbild Fliegender Fisch nicht weit von Himmelssüdpol gelegen. Dieser Bereich ist schon mehrfach vom HAST in Langzeitbelichtungen aufgenommen worden und erlaubt somit einen direkten Vergleich der Leistungsfähigkeit beider Teleskope. Die Galaxiengruppe umfaßt hunderte, wenn nicht gar tausende von „Weltinseln,“ sie befindet sich in einer Entfernung von 4,6 Milliarden Lichtjahren von uns. Oder genauer gesagt: sie befand sich da, als sie das Licht aussandte, das uns heute erreicht. Aus der hohen Rotverschiebung von 3,90 läßt sich errechnen (nein: ich spare mir diesmal die Formeln), daß die heutige Distanz bei rund 5,12 Milliarden Lichtjahren liegen muß (ungeachtet der Mahnung Albert Einsteins, der schon vor 100 Jahren darauf Hinweis, daß solche Aussagen über „Jetzt“ und „Heute“ in einem relativistischen Referenzrahmen schlicht sinnlos sind, weil es keine Möglichkeit gibt, einen tatsächlichen gemeinsamen Beziehungsrahmen aufzustellen.) Die Masse des Galaxienhaufens bewirkt, daß er das Licht dahinterliegender Objekte beugt und verstärkt; Fachleute sprechen von einer „Gravitationslinse.“ Dadurch werden Galaxien, wie noch weit hinter SMACS 0723 liegen. (Das merkwürdige Kürzel steht für „Southern Massive Cluster Survey“, eine Erweiterung des ursprünglichen MACS, das seit 2021 läuft und seither bei der Durchmusterung des Himmelshintergrunds 124 solche massiven Galaxienhaufen ermittelt hat). Die roten, oft verbogenen Gebilde in meiner obersten Abbildung sind solche verstärkten und verzerrten Objekte. Eins davon, im linken oberen Quadranten gelegen, wurde zur Ermittlung des Spektrums ausgewählt. Die Galaxie, deren Spektrum jetzt das des am weitesten entfernte Objekt darstellt, bei dem eine solche Analyse vorliegt, liegt in einer Entfernung von 13,1 Milliarden Lichtjahren, wir sehen ihren Zustand also zu einem Zeitpunkt, als das Universum selbst erst ein Alter von einem halben bis knapp einer ganzen Milliarde von Jahren erreicht hatte. Solchen Analysen werden in Zukunft sehr hilfreich sein, die Frühzeit des Universums genauer zu bestimmen: die ersten Generationen von Sternen haben sich aus den Elementen gebildet, die beim Urknall, beim Big Bang, entstanden sind: Wasserstoff, schwerer Wasserstoff und Helium. Sämtliche Atome aller chemischen Elemente, deren Atomgewicht höher liegt, sind als Asche, als Ergebnis von Fusionsprozessen im Zentrum von Sternen entstanden. (Ja: wir bestehen tatsächlich aus Sternenstaub, aus der Asche erloschener Sterne - wir, jedes Werkzeug, unsere Umgebung, der Boden, auf dem wir laufen – und das ist KEINE bloße Metapher.) Über die Geschwindigkeit und den Zuwachs dieser „Metalle“ (wie die Astromomen solche Elemente nennen, sehr zum Leidwesen ihrer Kollegen aus dem Fachbereich Chemie) können spätere Meßreihen Aufschluß geben. Der Vergleich mit einer früheren „Deep Field“-Aufnahme derselben Himmelsregion durch das HST zeigt frappierend die Leistungsunterschiede der beiden Teleskope. Ganz nebenbei: für die Hubble-Aufnahme war eine kontinuierliche Belichtungszeit von zwei Wochen nötig, um die nötigen Photonen auf den CCD-Chips anzusammeln, während die Belichtungszeit für das Bild des JWST bei 12,5 Stunden liegt. Die den Sternen, von denen Strahlen ausgehen, handelt es sich hingegen nicht um Galaxien, sondern um Vordergrundsterne unserer eigenen Milchstraße. Das ganze abgebildete Areal überdeckt übrgiens eine Fläche, die ungefähr so groß ist wie ein Sandkorn, das auf Armeslnäge sich sich gehalten wird.
Die zweite der präsentierten Aufnahmen zeigt das Spektrum der Atmosphäre des Exoplaneten WASP-96b. Mittlerweile steht die Zahl von Planeten, die außerhalb des Sonnensystems aufgespürt worden sind, bei mehr als 5100; WASP-96b ist dabei kein „gewöhnlicher Exoplanet,“ der einem „Zwilling der Erde“ möglichst nahekommen soll, sondern ein „heißer Jupiter,“ mit der Hälfte des Masse ‚unseres‘ Jupiters, der sein Muttergestirn, im Sternbild Pfau ebenfalls am irdischen Südhimmel gelegen, in einer Entfernung von gut 6 Millionen Kilometern im nur dreieinhalb Tagen umläuft. Dabei wird der obere Bereich seiner Atmosphäre auf mehr als 1000° Celsius aufgeheizt. Kein Ort also, an dem man nach Leben suchen sollte. Die Überraschung besteht darin, daß die Spektralanalyse des JWST, genauer gesagt, des NIRISS, des „Near Infrared Imager and Slitless Spectrograph starke und eindeutige Hinweis auf große Anteile von Wasserdampf in dieser Atmosphäre zeigen – sowie auf Wolken und Dunst, von denen die bisherigen Modelle annahmen, sie seien dort so gut wie nicht vorhanden. Die beiden Spektralanalysen sind übrigens ganz kurzfristig im Lauf der letzten beiden Wochen angefertigt worden, als Beispiel, daß auch ohne große Vorlaufzeit gediegene Beobachtungsreihen und Datenauswertungen vorgenommen werden können.
Als drittes Bild wurden zwei Aufnahmen des Southern Ring Nebula präsentiert. Der südliche Ringnebel, 1835 von John Herschel am Kap der Guten Hoffnung entdeckt, eher unter seiner Katalognummer NGC 3132 bekannt, ist ein sogenannter planetarischer Nebel, gut 2000 Lichtjahre von uns entfernt gelegen, der das Endstadium eines Sternlebens vor Augen führt. In seinem Zentrum kreisen zwei Sterne umeinander, von denen der lichtschwächere mit einer Oberflächentemperatur von 100.000 Grad seiner äußere Sternhülle abgestoßen hat, die jetzt einen Halo von einem halben Lichtjahr Durchmesser um das Paar bildet, dessen harte Ultraviolettstrahlung in die Gas- und Staubansammlungen des Innenbereiches Erosionsmuster fräst. Die Lichtpunkte, die den Nebel umgeben, sind wiederum Galaxien, die im Hintergrund sichtbar geworden sind (mit Ausnahme des hellen Sterns rechts unten, versteht sich.) Die linke Ausnahme von NIRCam – der „Near Infrared Camera,“ während die linke des MIRI – „Mid InfraRed Instrument“ – zum ersten zeigt, daß der zweite Stern von einer Hülle aus Staub umgeben ist.
Nr. 4 zeigt die wohl am besten untersuchte und beobachtete kleine Galaxiengrupe, die fünf Mitglieder von Stephans Quintet, 1877 im Marseille von dem Astronomen Édouard Jean-Marie Stephan entdeckt. Die fünf Galaxien, in einer Entfernung von gut 250 Millionen Lichtjahren im Sternbild Pegasus gelegen, wechselwirken gravitationell miteinander, was sich an Wasserstoffbrücken festmachen läßt, die sich zwischen einzelnen Mitglieder der Gruppe erstrecken und an der Verformung der Spiralarme. Die zentrale Galaxie, NGC 7318B, durchläuft gerade einen solchen Streifen und die resultierende Schockwelle, die das interstellare Gas verwirbelt und zu einer heftigen Welle von Sternentstehungsregionen geführt hat.
Aufnahme des JWST
Zum Vergleich: dieselbe Region in einer Hubble-Aufnahme
Das fünfte und letzte Bild schließlich zeigt die „kosmischen Klippen“ – eine kleine Region des Sternentstehungsregion NGC 3324, die Teil des größeren Carina-Nebels ist, in gut 9100 Lichtjahren Entfernung im Sternbild Carina, dem Schiffskiel, gelegen. (Der Schiffkiel war lange Zeit Bestandteil der größeren Konstellation des „Schiffes Argo“ (Argo navis), mit dem Jason und die Argonauten das Goldene Vleiß aus Kolchis raubten - zuerst im Alterum durch Aratos beschrieben, bis der französische Astronom Louis de Lacaille 19755 befand, es sei unpraktisch, ein Sternbild zu haben, daß sich über drei Viertel der Himmelsrundung zieht und mehr als 160 Sterne umfaßt, und die Argo in die seitdem gebräuchlichen Abteilungen Kiel, Segel und Hinterdeck zergliederte, Carina,Vela und Puppis.) Manchen Betrachter wird das, was das Bild zeigt – Staubmassen, die von der harten Strahlung junger Sterne in der Umgebung zu „Klippen“ erodiert werden – sich an jedes ikonische Bild des Hubble-Teleskops aus dem Jahr 1995 erinnern: die „Säulen der Schöpfung,“ die „pillars of creation“ – eine Partie des Adlernebels.
Gasemataufnahme des Carina-Nebels. Die "kosmischen Klippen" befinden sich rechts oben.
Das sind nur erste Probestückchen, Appetithappen, auf das, was den Astronomen für die nächsten 20 Jahre ins Haus steht – so lange soll der Treibstoffvorrat halten, mit dem das JWST seine Position in regelmäßigen Abständen nachjustiert. Als nächste Aktion steht am Donnerstag, dem 14. Juli an, daß diese gesamten Rohdaten der bisherigen Aufnahmen nicht nur den direkt beteiligten Forscherteams, nicht nur er „astronomischen Community“ weltweit, sondern schlicht jedermann mit einem Internetzugang (und hinreichendem Datendurchsatz) zur Verfügung gestellt werden sollen: Ab 9 Uhr morgens EDT soll auf dem Portal MAST, dem Mikulski Archive for Space Telescopes, ein Datenpacket von 40 Terabyte freigeschaltet werden. Überhaupt sollen sämtliche Bilder und Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden – Ausnahmen kann es für einzelne Beobachtungsprojekte geben, bei denen Sperrfristen von einem oder zwei Jahren vorgesehen sind, um den Forscherteams, die Beobachtungszeit am JWST erhalten haben, die Früchte ihrer Mühen in Ruhe auswerten können, ohne befürchten zu müssen, daß ihnen die akademische Konkurrenz zuvor kommt und per Erstpublikation Vorteile bis hin zur einer etwaigen Verleihung eines Nobelpreises einfährt. Der Zugang zu MAST ist kostenfrei, erfordert aber, wie bei den meisten sozialen Webdiensten eine vorherige Registrierung. Das JWST-Team hat in der Pressekonferenz im Anschluß an die Präsentation der Bilder heute Nachmittag noch einmal ausgiebig betont, daß auf die engagierte Mitarbeit auch von interessierten Laien großen Wert gelegt wird. Noch immer sind geschulte Menschenaugen bei der systematischen Erfassung und Auswertung solcher Bilder und Daten sämtlichen Algorithmen überlegen – nicht zuletzt bei der Auswertung der Daten des Digital Sloan Sky Survey seit dem Jahr 2000, bei dem der gesamte Nordhimmel von zwei Kameras in schmalen Streifen aufgenommen wurde, hat sich das gezeigt.
"JWST data will become public starting July 13th at 11:00 AM US Eastern time with the release of "Webb First Images" (ERO) products (24 hours after the ERO press conference), followed by Cycle 1 and Commissioning data beginning July 14th. Users are strongly encouraged to make use of bulk download scripts to retrieve ERO/Commissioning data and Commissioning Data Highlights through the cloud. These are free to use and do not require any accounts to use. At this early stage of the mission, with the current operational pipeline and available reference files, calibration products may show a variety of known issues. Please check the JWST Calibration Pipeline Caveats page in JDox for more information about limitations of the current data and suggested options."
U.E.
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