16. Februar 2022

"Wippchen's ukrainischer Krieg": Isch over!



Was ihnen bewilligt werden wird, steht noch nicht fest. Wie mir heute Herbert von Bismarck, ein junger Staatsmann, der die Diplomatie mit der Vatermilch eingesogen hat, sagte, sei Rußland nicht in der Geberlaune, da dasselbe von seinem Beati kein Possidentes missen wolle. Indes sei doch anzunehmen, daß ihnen schließlich eine Pferdebahn, Straßenbeleuchtung, Droschken erster Classe, Asphaltpflaster und vielleicht auch ein Rieselfeld bewilligt werden würde.


(Julius Stettenheim, „Der Orientalische Krieg,“ Wippchen’s sämmtliche Berichte, Band I)

Selbstlob hat bekanntlich einen leichten Hautgoût, und ich will für mich keine besonderen Sehergaben reklamieren, zumal Voraussagen, einem bekannten Ondit zufolge, schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Aber was die aktuellen Entwicklungen im Zwist zwischen der Ukraine und der Russische Förderation betrifft, so dieses Netztagebuch für sich in Anspruch nehmen, nicht allzuweit daneben gelegen zu haben. An dieser Stelle schrieb ich vor fast 10 Wochen, am 9. Dezember 2021, unter der Überschrift „Der passende Soundtrack“ Folgendes:

Scherz einmal beiseite: eine militärische Invasion russischer Streitkräfte auf dem Staatsgebiet der Ukraine, vor der in der BBC gestern und vor zwei Tagen eindringlich gewarnt wurde und der New York Times auch heute eine Schlagzeile widmete („Ukraine Commanders Say a Russian Invasion Would Overwhelm Them“), dürfte in Moskau nicht auf der Agenda stehen. Die russische Regierung ist daran interessiert, im Sicherheitsgefüge der Welt weiterhin die Rolle einer „kleinen Weltmacht“ zu spielen und ihren Bürgern einen bescheidenen, aber sicheren Wohlstand zu garantieren. Sich zum Pariah der Weltöffentlichkeit zu machen und all die Stabilität der vergangenen 15 Jahre für einen zweifelhaften und nicht dauerhaft beizulegenden kurzfristigen Scheinerfolg zu opfern, dürfte man dort nicht als wünschenswert erachten. Zudem: wenn die Moskauer Führung dergleichen in Betracht ziehen würde, hätten wir in den letzten sieben Jahren, seit der (Re)-Annektion der Krim, dergleichen längst gesehen. (…) Die Halluzination, US-amerikanische Truppen könnten auf dem Gebiet der Ukraine demnächst in Kampfhandlungen mit russischem Militär verwickelt werden, darf getrost als solche verbucht werden: als Illusion, als Wahnidee, an deren Zustandekommen keine der beiden Seiten auch nur das geringste Interesse hat. Freilich gehört solches Rasseln mit dem rhetorischen Schwertgehänge ebenfalls zur Kunst der Diplomatie
.

Das wird besonders augenfällig, wenn man den nur noch als hysterisch zu bezeichnenden Überschriften und „Meldungen“ durchweg aller großen Medien-Outlets der letzten Wochen und Tage vergleicht, von denen ich einmal völlig wahllos ein Bäckerdutzend herausgegriffen habe.

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(BBC)



(BILD)



(Economist)



(Frankfurter Rundschau)



(Münchner Merkur)



(Münchner Merkur, zum zwieten)



(n-tv)



(Der Spiegel)



Der Standard, Wien)



(Der Tagesspiegel)



(Die Welt)



(Die ZEIT)



(Nochmals Die Welt)

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Ich habe für meine Einschätzung der Lage im Diskussionsforum dieses Blogs, dem „Kleinen Zimmer,“ einiges an Kritik einstecken müssen. Das ist völlig in Ordnung: auch ich koche nur mit Wasser, und es kommt des Öfteren vor, daß ich mit solchen Vorrausagen daneben liege (der schmerzhafteste Fall war hier meine Voraussage eines Erdrutschsieges für den Amtsinhaber bei den letzten amerikanischen Präsidentenwahlen). Aber unter dem Strich kommt es darauf an, um es in den Worten eines früheren Bundeskanzlers zu sagen, „was am Ende rauskommt.“ Ich es habe mit dem Beginn des neuen Jahres abgewöhnt, kommende Termine vorzumerken und die verbleibende Zeit bis dahin ab und zu im Auge zu behalten: noch ein halbes Jahr – noch zwei Monate – noch vierzehn Tage. Die Bundestagswahl im letzten September war der letzte Termin, dessen Näherrücken ich so aus dem mentalen Augenwinkel verfolgt habe. Zu vage sind in der jetzt eingetretenen Endphase der Pandemie die in Aussicht gestellten Lockerungen, zu chaotisch ist das fortwährende Ändern des Bedingungen, zu sehr hat sich unsere Politik von aller Vernunft und Rücksichtnahme verabschiedet, als daß man sich noch darauf verlassen könnte, was in drei Monaten, in einem halben Jahr, ein einem Jahr um diese Zeit gelten wird. Es bleibt nur das Abwarten – und falls Maßnahmen tatsächlich aufgehoben werden, das weitere Abwarten, ob die „Freiheit,“ die einem kurzen Freigang auf dem Gefängnishof gleicht, nicht doch wieder im Herbst, zum Jahreswechsel oder beim Auftreten der nächsten harmlosen Mutante kassiert werden wird. Unser Klaboosterminister hat vor zwei Tagen in der Talkshow von Anne Will tatsächlich den Satz gesagt: „Es ist eine gefährliche Legende, daß Corona immer harmloser wird. Vielleicht in 30-40 Jahren – nicht in den nächsten zehn Jahren.“ Solange solche Gestalten mit solchen irrsinnigen Aus- und Ansichten in diesem Land bestimmen können, hat es keinerlei Sinn, auf irgendeine Zukunft hin zu planen. Und externe Ereignisse – „schwarze Schwäne,“ wie Nicholas Nassim Taleb solche Entwicklungen genannt hat, die überraschend die festgemauertesten Planspiele aus dem Gleis werfen, sind ihrer Natur nach nicht vorherzusagen. Daß die Bürger dieses Landes sich irgendwann – in ein paar Monaten, ein oder zwei Jahren – in ausreichender Menge und mit der nötigen Entschlossenheit zusammentun werden, um einen zeitgemäßen Sturm auf die Bastille zustandebringen und dem lähmenden Spuk in Berlin und den Landeshauptstädten ein definitives Ende zu setzen, halte ich (noch) für ausgeschlossen. Und käme es dazu, würde dies als „schwarzer Schwan“ zu verbuchen sein.

Eine einzige Ausnahme von dieser „ewigen Gegenwart,“ dem „nunc stans“ habe ich mir in den Tagen nach meinem oben angeführten Blogpost erlaubt, als mir auf Twitter dieser Eintrag unterkam (die Verlinkung erspare ich mir, da der Account anscheinend nicht mehr, zumindest nicht unter dieser Kennung existiert):

Tom Bohn @realTomBohn

Spätestens im Februar wird #Russland die #Ukraine besetzen. Dann wird man auch in #Deutschland wieder besser verstehen, warum die #Freiheit ein so wichtiges und schützenswertes Gut ist.

1:33 PM · Dec 11, 2021·Twitter Web App


„Bis Ende Februar“ ist ein konkreter Terminus ante quem, um die Richtigkeit einer Prophetie mit der Wirklichkeit abzugleichen, und die in der letzten Zeit verkündeten Terminverkürzungen – am 9. Februar hieß es: bis zum Ende der gleichzeitig in Russland, der Ukraine und Weißrußland beginnenden zehntägigen Manöver (also bis zum 20. Februar); vor vier Tagen wurde die „unmittelbar bevorstehende Besetzung“ eines Großteils des ukrainischen Territoriums bis zum morgigen Mittwoch, den 16. Februar, angekündigt – fügen sich in diesen Zeitrahmen.

Mit dem heutigen Treffen zwischen Wladimir Putin und Olaf Scholz in Moskau dürften sich solche Horrorszenarien, an denen sich die westlichen Medien in den letzten Wochen in einer Weise berauscht haben, wie ich es noch nie in den Jahrzehnten, in denen ich halbwegs bewußt und über historische Zusammenhänge informiert dem Weltlauf folge, erlebt habe, erledigt haben. Jedenfalls vorerst. Es steht nicht zu erwarten, daß der ausbleibende Ausbruch einer „heißen“ Kriegsphase unsere politischen und medialen Akteure zu der dauerhaften Erkenntnis bringt, daß sie schlicht falsch gelegen haben, daß einem hysterischen Massenwahn erlegen sind und daß es von russischer Seite nie darum ging, tatsächlich einen Landkrieg mit Panzerschlachten und militärischer Besetzung zu beginnen. Szenarien, wie sie etwa der Sicherheitsberater im Weißen Haus, Jake Sullivan, am vergangenen Freitag ausgemalt hat, mit einer Besetzung großer Teile der Ukraine und direkten Raketenangriffen auf Kiew, waren von nüchternen Betrachtern der Lage von vornherein dem Reich der Fabel – bzw. der Kriegspropaganda zuzurechnen.

Sullivan said U.S. intelligence believes Russian President Vladimir Putin could order an invasion before the end of the Winter Olympics in Beijing on Feb. 20 and that a rapid assault on the Ukraine capital Kyiv is a possibility.

"We have not seen anything come to us that says a final decision has been taken, the go-order has been given," he said.

But with 100,000 troops massed on Ukraine's border, Sullivan said a Russian invasion could involve seizure of large sections of Ukraine as well as major cities including Kyiv.

Sullivan said there is a "fundamental distinction" between the intelligence situation now and that which the United States used in justifying the 2003 Iraq war, which was based on claims of weapons of mass destruction that turned out to be wrong. (Reuters, 11.2.2022)




Daß der ukrainische Präsident, der in der vergangenen Woche samt zahlreichen Mitgliedern „Entwarnung“ gegeben hatte, seine „westlichen Partner“ vor vier Tagen aufgefordert hat, ihn doch bitte über ihre Erkenntnisse über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff in Kenntnis zu setzen, von denen die Aufklärung vor Ort und hinter den Linien im Donbass gar nicht bemerkt hätte, fügt sich formvollendet in dieses Bild.

Es hat natürlich einen gewissen Reiz, daß genau die Dienste, die in Sachen der „Massenvernichtungswaffen“ im Irak gnadenlos falsch lagen, jetzt – ohne jeden Beweis und Quelle, darauf bestehen, richtig zu liegen. Die Dienste, die den letzten „Einsatz von Giftgas“ gegen die syrische Zivilbevölkerung im Jahr 2018 kurzerhand erfunden haben, so wie sie auch die Lüge über die von irakischen Soldaten 1991 in Kuweit ermordeten Frühgeborenen erfunden haben, um die Zeitungsleser und Nachrichtenkonsumenten im Westen aufzuhetzen. Dieselben Dienste, die sich nicht zu schade waren, über Donald Trump jede Lüge in die Welt zu setzen, um ihn als Kollaborateur und Puppe russischer Interessen zu diffamieren. Nicht zuletzt: dieselben Dienste, die sich gegen Geld dafür hergegeben haben, um die Frau Clinton und ihre Partei die Kommunikation und die Ferngespräche von Donald Trump vor und nach seiner Wahl zum Präsidenten abzuhören, wie wir seit dem vergangenen Samstag wissen.

Man verstehe mich nicht falsch: ich mache mir keine Illusionen über den autokratischen Charakter der Putin’schen Präsidialherrschaft, der „gelenkten Demokratie,“ über die Kurzhaltung jeglicher wirksamen politischen Opposition und dem staatlichen Dirigismus der Wirtschaft. Aber vielleicht könnten sich auch manche Beobachte hier im Westen, die bei diesem Namen eine geradezu pawlowsche Fixierung an den Tag legen, zu der Einsicht durchringen, daß es sich bei ihm um einen nüchtern kalkulierenden, pragmatischen Politiker handelt, der seine Ziele zwar rücksichtslos verfolgt, aber nicht die Absicht hat, sein Land und seine Bürger in einen Abgrund zu stürzen. Zum zweiten: da oft von Kritikern in Westen auf die Propaganda-Ausrichtung der russischen Medien verwiesen wird und auf die Durchgriffigkeit des Staatsapparates: angesichts der Hysterie und des Kriegslärms, die unsere Medien seit mehr als zwei Monaten verbreiten, haben sie jedes Recht verwirkt, sich als „die Besseren“ hinzustellen. Und wenn ein Justin Trudeau kurzerhand gegen streikende Trucker, die aus ohnmächtigem Zorn gegen die nichtendenden Quarantänemaßnahmen das Land für einige Wochen zu einem kleinen Teil (!) lahmlegen, das Kriegsrecht verhängt, das es erlaubt, umstandslos ihre Fahrzeuge zu beschlagnahmen, sämtliche Guthaben einzufrieren und jeden, der die Streikenden materiell oder in den sozialen Medien unterstützt, zum Kriminellen zu erklären: dann ist die Frage erlaubt: worin unterscheidet sich dergleichen etwa von dem Vorgehen der chinesischen Regierung gegen die Opposition in Hongkong? Um die rhetorische Frage zu beantworten: darin, daß weder die russische noch die chinesische Regierung für sich in Anspruch nehmen, die Werte der Demokratie, der Gewaltenteilung, der Menschenrechte zu vertreten. Sie haben sich nicht durch Gesetz, durch Tradition und die Geschichte ihrer politischen Institutionen dazu verpflichtet. Insofern trifft westliche Regime (im Fall des kanadischen Vorgehens ist dieses Wort mit Bedacht gewählt) eine erheblich schwere Schuld: denn dort werden die Prinzipien des eigenen politischen Selbstverständnisses mit Füßen getreten. (Die Tatsache, daß unsere historisch und geistesgeschichtlichen Analphabeten, die die Regierungen im Westen mittlerweile stellen, nicht ansatzweise in der Lage sein dürften, diese Dimension zu erfassen, ändert daran nichts. Gerade für Politiker MUSS der Grundsatz gelten: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Es wird höchste Zeit, daß sich im Westen das Prinzip durchsetzt, daß das politische Personal „skin in the game“ hat: das Versagen und Gesetzlosigkeit zu rasche und tief einschneidende Folgen nach sich ziehen, und nicht nur den komfortablen Übergang in den unverdienten Ruhestand nach der Abwahl.)

# # #

Freilich: noch ist nicht auf allen Abschnitten des medialen Schützengrabens Entwarnung gegeben worden. Und auch meine Erklärung: „es ist vorbei – erfindet eine andere Krise! Isch over!“ könnte immer noch in den nächsten Stunden durch die Wirklichkeit widerlegt werden. Im britischen Boulevardblatt „Sun“ wurde heute morgen in einem Artikel vorausgesagt, daß heute nacht um 2 Uhr mitteleuropäischer Zeit eine großräumige Besetzung eines Großteils des Ukraine beginnen wird. Der vollständige Text lautet:



RUSSIA is set to invade Ukraine at 1am tomorrow with a massive missile blitz and 200,000 troops, according to US intelligence.

Highly placed sources said preparations to defend the besieged nation would continue - despite reports Putin was withdrawing some troops from the border.

US intelligence said the most likely time for Putin’s order was 3am (1am UK time).

American spooks believe Kyiv’s military and government command and control centres still have a barrage of air strikes before tanks roll over the border.

Russian claimed today to be pulling back around 10,000 troops from its Western and Southern to barracks after military drills.

But around 130,000 remain on Ukraine’s eastern and southern borders with around 40,000 pro-Putin forces in Belarus to the north.

Another 30,000 pro-Russian separatists were facing Ukraine defenders in the captured Donbas enclave.

And preparations continued apace in Kyiv yesterday as anti-aircraft systems were seen moving into position along with columns of National Guard vehicles.

A military source said: “We cannot take anything that Russia says or does at face value. We have to prepare to defend ourselves.”

Senior sources said a Moscow attack would be “almost certainly from multiple points” over Ukraine’s southern, eastern and northern flanks.

It comes as Britain warned a Russian invasion of Ukraine is highly likely, could be imminent and could become the biggest threat to security in Europe since World War II.

But the Kremlin said the warnings of an early morning invasion on Wednesday are "baseless hysteria" designed to ramp up tensions in Europe.

Kremlin spokesman Dmitry Peskov said Putin doesn't want to see "information campaigns" further escalating tensions - and would prefer Russia and the West to calmly discuss their concerns.


Die “gutunterrichten Quellen” wollen also wissen, daß die russische Armee in zwei Stunden mit 200.000 Einsatzkräften ihren Vormarsch beginnen wird, flankiert mit massiven Raketenangriffen, die vorher die militärische Kommandostruktur ausschalten werden.

Auch hier ist es durchaus von Reiz, den Werdegang eines der Autoren etwas näher zu betrachten. Über Jerome Starkey, der neben Nick Parker und Imogen Braddick als Verfasser des Artikels zeichnet, ist in der Wikipedia zu lesen:

Jerome Starkey (born 1981, London) is an English journalist, broadcaster and author[1] best known for covering wars and the environment. In 2006 he moved to Kabul, Afghanistan to write propaganda for Nato's International Security Assistance Force[10] (Isaf). He served with the Combined Joint Psy-Ops Taskforce (CJPOTF) which produced a fortnightly newspaper called Sada-e Azadi, or Voice of Freedom in Dari.


Es handelt sich also um jemanden, der unverhohlen einer Tätigkeit als Propagandist einer kriegführenden Partei im Rahmen psychologischen Kriegsführung gearbeitet hat

Es wird niemanden überraschen, daß ich eine solche Möglichkeit kategorisch ausschließe. Aber ich brauche dazu keine Wette anzuschließen. Morgen früh wird klar sein, wer obsiegt hat: das Mietmaul oder die Wirklichkeit.

Aber auch in diesem Fall ist Polen noch nicht verloren. Aus für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen wurde an "Zettels Raum" heute dieser Geheimplan durchgestochen, den die Deutsche Buntesregierung für den Fall der Fälle ausgearbeitet hat:

U.E.

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