24. Februar 2022

Der Kulturkrieg ist da. Ein Gedankensplitter.

Man könnte es sich wohl einfach machen und die derzeitigen Verzweifelungsmaßnahmen der kanadischen Regierung auf einen eher mehr als minder durchgeknallten Regierungschef zurückführen. Aber damit würde man sich die Dinge vielleicht etwas einfach machen, wichtiger aber noch, man würde etwas viel tiefgründigeres übersehen.

Die kanadische Regierung, bzw. der Premier, steht mit dem Rücken zur Wand. Ausgelöst durch den "freedom convoy", einer zunächst wirklich vergleichsweise kleinen Gruppe, hat sich der Protest in Kanada inzwischen nicht nur verfestigt, er tendiert auch mehr und mehr dazu sich auf mehr und mehr Menschen auszuweiten. Wie in Deutschland auch schon, versuchte die Regierung, bzw. die mit ihr verbundenen Medien, die Protestler zunächst mal als kleine Gruppe unwichtiger, lauter und unsolidarischer Faschisten darzustellen. In Deutschland hatte das ja auch eine ganze Weile Erfolg (und jede Menge Tagesschau-Gucker glauben es immer noch). In Kanada funktionierte die Nummer nicht ganz so gut und der Protest hatte von Tag eins an eine vergleichsweise gute Resonanz in der Bevölkerung. Umso deutlicher es wurde, dass das Framing nicht nur nicht verfangen würde, sondern die ohnehin ramponierte Glaubwürdigkeit weiter beschädigte, reagierte die Regierung immer aggressiver und ist inzwischen bei Maßnahmen angekommen, auf die Kuba oder Venezuela wohl eifersüchtig wären. Nicht nur werden den Truckern langjährige Haftstrafen angedroht, sowie die Vernichtung ihrer finanziellen Existenz, inzwischen ist Trudeau soweit, dass er selbst denen, die sich weigern gegen die Trucker vorzugehen (in diesem Fall die Eigner von Abschleppfirmen), die selben Strafen androht. Schon die finanzielle Assoziation mit den Truckern steht unter größerer Strafandrohung als hierzulande jemanden zusammen zu treten. Besonders perfide auch, dass diese Maßnahmen ohne Gerichtsbeschlüsse auf pure Regierungsanweisungen umgesetzt werden. Es wird betont, dass Militäreinsätze derzeit nicht geplant sind, was aber am Ende nicht mehr ist als eine geharnischte Drohung, dass die Regierung selbst dazu bereit ist, wenn sie mit ihrer Linie nicht durchkommt. Fürs erste begnügt man sich damit mit nicht gekennzeichneten Sondereinheiten per Pferd in die Demonstranten herein zu reiten. China lässt grüßen. 

So weit, so schlecht. Aber es gibt das eine oder andere Randdetails, dass für einen Blick auf das Gesamtbild vielleicht etwas beiträgt. Da wäre zunächst die "GoFundMe" Kampagne zu nennen. Wie sich das heutzutage gehört gab es sehr schnell eine Kampagne beim größten Anbieter für online-Spenden. Doch beim Stand von 10 Millionen kanadischen Dollar (etwa 7 Millionen Euro) entschied sich GoFundMe das Ganze zu stoppen. Mit der Begründung die Proteste seien in Gewalt eskaliert. Als Beleg dafür dienen immerhin drei Verhaftungen. Von abertausenden Protestierenden. Von diesen dreien wird einem illegaler Waffenbesitz vorgeworfen, der zweite läuft unter "grober Unfug" und der dritte wird verdächtigt auf sozialen Medien gedroht zu haben. Das ist mal Gewalt (den Kommentar mit dem Luftgewehr überlasse ich dem geneigten Leser zur Übung). Umgekehrt ist die BLM Bewegung, bekannt für "mostly peaceful protests", wo auch schon mal der eine oder andere sein Leben lässt, immer noch voll im Programm von "GoFundMe". 

(Den Nebenskandal, dass GoFundMe das Geld zunächst im eigenen Sinne neu verteilen wollte (vulgo "stehlen"), möchte ich nur am Rande erwähnt wissen, da nach sofortigen Protesten hier wohl doch die Ahnung gekommen sein könnte, dass man für die Idee vor Gericht eine Riesenklatsche bekommen würde, also hat man dann schnell den Schwanz eingezogen und will das Geld jetzt "rückerstatten". Der geneigte Leser möge sich selber ein Bild davon machen, wie er GoFundMe in Zukunft einschätzen möchte.) 

Aber wo das Silicon Valley schon so nett war, haben sich die kanadischen Banken auch gleich dazu entschlossen, hier dem Protest die Konten zu sperren, wohlgemerkt bevor Trudeau seine "Anti-Terror-Maßnahmen" ausrief. Ob das rechtlich vertretbar ist, kann man später klären, dann ist der Protest ja vorbei. 

Dazu kommt die schon gewohnte Zensur von Facebook, Google, Twitter & Youtube, Presse analog. Aber das kennen wir schon von Deutschland.

Und last but not least, muss man natürlich erwähnen, dass die internationale Politik schweigt. Proteste gegen Trump waren immer gerne genommen und wenn Polen oder Ungarn den Rechtsstaat einschränken, dann werden sie nicht nur in allen Tönen kritisiert, da werden ganz schnell Sanktionen verhängt. Zu Kanada kann man nur dröhnendes Schweigen hören. Proteste ja bitte, aber nur gegen die Richtigen. Das hier wirtschaftliche Existenzen vernichtet werden, weil Bürger gegen ihre Regierung demonstrieren, dass der Staat sich ohne rechtliche Prüfung durch die Judikative, nach Lust und Laune(!) am Geld seiner Bürger vergreift, ist der deutschen Regierung nicht einmal eine Zeile wert.

Sieht man sich das Ganze an, so betrachtet man eine ziemlich gut aufgestellte Front aus Regierungen, Presse und Bigtech, die allesamt ein Riesenproblem damit haben, wenn Menschen gegen ihre "gute" Regierung protestieren, bzw. ein sehr blindes Auge, wenn diese "gute" Regierung mit Methoden gegen Protestierende vorgeht, die einer kommunistischen Diktatur gut zu Gesichte stehen würden. Auf der anderen Seite sehen wir eine Graswurzelbewegung, die ihre Kraft nicht zuletzt eben genau daraus schöpft, dass gute Teile der Bevölkerung mit ihnen sympathisieren. 

Es gehört kein großes Maß an Phantasie dazu, zu sehen, dass es sich hier um einen Clash von zwei Gruppen handelt: Von tatsächlichen oder selbst ernannten "Eliten", bestehend aus Regierung, Medien & Großkonzernen auf der einen und gemeinen Arbeitern auf der anderen Seite, die nicht mehr wollen als ihr einfaches Leben in Freiheit gestalten. Und das geht weit über Corona hinaus, hier ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung im Gange, wie ein Staat funktionieren sollte und welche Rechte eine Regierung haben darf. Und wichtiger noch: Welche nicht. 

Wenn ich mir erlaube den Bogen größer zu spannen, den selben Clash erleben wir nicht erst seit Corona, sondern schon einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, lang, wenn er auch durch Corona massiv beschleunigt worden ist. Es ist die Auseinandersetzung zwischen Totalitarismus und Freiheit, zwischen "Elite" und Bürger, zwischen Herrschern und Beherrschten. Und nicht nur zeigt der aktuelle Fall auf welcher Seite die meisten westlichen Regierungen inzwischen stehen, es zeigt wo die Medien stehen und wo BigTech steht. Wir haben eine ganz fatale Entwicklung durch die letzten vielleicht 30 Jahre erlebt, die immer mehr zu zentralisierter Gewalt, Lebenssteuerung und Kontrolle geführt hat. Nicht nur in Deutschland sondern eigentlich im ganzen "Freien Westen". 

Ich denke um den Stand dieses Komplex zu verstehen, lohnt es sich unbedingt den letzten Präsidenten der USA zu betrachten. Denn Donald Trump, unabhängig was man von seinem Narzismus halten möge, war alles andere als ein elitärer oder totalitärer Mensch. Er war das genaue Gegenteil davon, deswegen war er bei seinen Wählern extrem beliebt, aber im Machtapparat Washington nicht nur bei den Demokraten sondern auch bei den "alten" Republikanern (beispielsweise Bush oder McCain) geradezu verhasst. Trump war nie ein Kandidat der republikanischen "Partei", sondern ein Kandidat der republikanischen Wähler und viele seiner prominenten, innerparteilichen Unterstützer haben ihn vor allem deshalb gewähren lassen, weil sie Angst hatten, dass ihnen eben jene Wähler davonlaufen würden. Trump war eben gerade nicht "Washington", Trump war eine Graswurzelbewegung, die eigentlich anzeigte wie unzufrieden der einfache Bürger inzwischen mit seiner "elitären" Regierung geworden war. Und das Establishment war durch seinen Durchmarsch nicht nur konsterniert,  die Überraschung und das Gefühl die Pfründe zu verlieren, führte zu einem Ausbruch des Hasses, wie ihn das amerikanische System lange nicht mehr gesehen hatte. 

Ich sprach vor einiger Zeit mit einer Bekannten aus dem Ausland, die auch sehr unter ihren lokalen "Maßnahmen" leidet, die sieht wie einseitig die Presse darüber berichtet, wie stark die Indoktrination inzwischen geworden ist und wie sich ihre Bürgerrechte mehr und mehr in Luft auflösen. Und ich gab ihr zu Bedenken, dass unserer Generation die Freiheit in den Schoss gefallen ist. Wir haben nicht darum gekämpft, wir sind nicht in einen Krieg gegen Diktatoren gezogen, wir haben gegen kein Regime demonstriert, uns nicht mit der Stasi angelegt. Zumindest die meisten von uns. Vielleicht wird die Freiheit so wenig geschätzt, weil so wenige realisieren wie teuer sie eigentlich ist. Nur das eben andere den Preis bezahlt haben.

Und vielleicht, nur vielleicht, ist das jetzt der Kampf unserer Generation. Der ist übrigens nicht verloren. Die Trucker in Kanada haben eindrucksvoll belegt, dass schon eine kleine, friedliche Gruppe die Regierenden so nervös macht, dass sie vollkommen jedes Maß verlieren. Donald Trump hat bewiesen, dass Graswurzelbewegungen durchaus bis in die höchsten Ämter führen können. Und selbst in Deutschland ist in dem Sinne nichts entschieden. Hunderttausende demonstrieren jede Woche für ihre Entscheidungsfreiheit, mehr als in zurückliegenden Jahrzehnten der Geschichte der Republik. Und das obschon sich die Demonstranten einer schieren Übermacht aus Medien, Politik & BigTech gegenüber sehen. Und vielleicht, als kleines Selbsteingeständnis: Auch wenn die staatliche Übermacht groß erscheint, so haben es andere Leute deutlich schwerer. Bei aller Kritik am deutschen, amerikanischen oder kanadischen Staatswesen, kommt morgen noch nicht die Stasi vorbei, um einen abzuholen (Wobei ich nicht so sicher bin, wie lange das noch der Fall sein wird. Der Einsatz von nicht gekennzeichneten Schlägertruppen in Kanada gibt einem schon zu denken.)

Ja, ich weiß, was jetzt kommt. Die Mehrheit dies, die Mehrheit das. Welche Mehrheit eigentlich? Die Mehrheit von Meinungsumfragen, deren Ergebnis schon bei der Fragestellung klar war? Die Mehrheit von Leuten, die brav die Tagesschau gucken und immer ganz irritiert sind, wenn deren Prognosen genau das Gegenteil vorhersagen was dann passiert? Oder die Mehrheit der Leute, die den Mund nicht mehr aufbekommt, weil sie Angst vor den totalitären Herrschern und ihren Hilfstruppen hat? Ich würde auf diese Mehrheiten nicht allzuviel geben. Mehrheiten die man mit Angst und Terror erzeugt, mögen kurzfristig tragen, sind aber jederzeit bereit auch das Gegenteil anzunehmen, wenn die Angst weg fällt. Die SED war auch der festen Meinung die Bürger der DDR würden hinter ihr stehen. Und ich denke gerade die Panik der Regierenden, wie eben jüngst bei Trudeau, zeigt ziemlich klar, dass sich die Herrschenden gar nicht so sicher sind, wo sich solche Mehrheiten hin bewegen. Ein paar Monate oder auch nur Wochen von ausufernden Protesten, und Trudeau müsste sich eventuell seiner persönlichen Verantwortung stellen, das erklärt zumindest seine panische Reaktion. Und das man in Deutschland Demonstranten, die Wohnhäuser von Politikern aufsuchen (was ich nicht ansatzweise entschuldigen werde), per Schnellgericht innerhalb eines Tages mal eben zu 30.000 Euro Strafe verurteilt, ist auch ein Indiz wieviel Angst die Mächtigen inzwischen haben. Die amerikanische Presse müssten nicht seit Jahren gegen Donald Trump hetzen, wenn sie der tatsächlichen Meinung wären, dass er ein dummer Rassist sei. Google müsste Gegenstandpunkte nicht wegzensieren, wenn man dort der Meinung wäre, im Recht zu sein. Und die deutsche Regierung müsste sich keine Gedanken um Zensur machen, wenn sie keine Sorgen hätte, dass die angeblichen "Verschwörungstheorien" am Ende ganz glaubhaft sein könnten. Die Herrschenden glauben im Unterschied zu den Beherrschten durchaus an die Gefahr, sehr schnell ihre Macht zu verlieren. Und das sollten sie auch. Im Januar 1989 konnte sich kein Mensch vorstellen, dass die Mauer demnächst fallen würde. Und im Oktober brachen in ostdeutschen Behörden panikhaft Aktenvernichtungsorgien aus. 
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Llarian

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