8. Februar 2022

Geschichten von der Demo: Von Framing, Jubelpersern und anderen, dunklen Gestalten

Es ist mal wieder erstaunlich im deutschen Blätterwald: Da demonstrieren jede Woche über 100.000 Leute in der ganzen Republik gegen den Staat, aber die Medien berichten allenfalls am Rande darüber. Randmeldungen. Ein paar (extrem fragwürdige) Zahlen werden abgearbeitet, einige fallen auch unter den Tisch und ab und zu verirrt sich auch ein Foto, vor allem dann, wenn es dem passenden Narrativ entspricht, in den Artikel. Anders sieht es natürlich aus, wenn sich "Gegendemonstrationen" bilden, dann entstehen auch schon mal seitenlange Artikel, gerne auf mit dem einen oder anderen Foto, idealerweise mit möglichst menschlichem Antlitz. 

Die Realität wird dabei im Wesentlichen ignoriert. Sie entspricht nicht dem Narrativ. Um sich ein Bild von Demos zu machen muss der Bürger entweder "dunkle" Seiten wie Reitschuster oder die Achse des Guten besuchen, auf denen gerne auch schon mal stundenlange Videos von solchen Demos gezeigt werden, oder er muss sich selber ein Bild machen. Und der haltungsbewusste Journalist weiß, dass die meisten Bürger das eher nicht tun. Also kann er so weiter machen. Das war in der DDR auch nicht anders, man braucht sich nur entsprechende Artikel aus dem neuen Deutschland anzusehen. Folgen sind bekannt.

Da ich die letzten zwei Samstage damit verbracht habe, auf einer solchen Demo mit zu laufen, erlaube ich mir mal ein paar Beobachtungen dem offiziellen Narrativ entgegen zu setzen. Da ich eine Weile überlegt habe, ob ich überhaupt davon berichten soll, wird das jetzt kein runder Artikel, sondern mehr eine Sammlung von Kontexten, die mir im Kopf rumspringen und wenn nicht die Welt heute morgen den dritten Narrativ-Artikel in dieser Woche dazu geschrieben hätte, hätte ich mir vielleicht nicht die Mühe gemacht. Aber dem Unsinn der dort steht, möchte ich doch etwas entgegensetzen.

Zunächst: Die Demo war riesig. Und zwar deutlich(!) größer als in den offiziellen Angaben, bzw. in dem was sich anschließend in der Lokalpresse wiederfand. Die rheinische Pest berichtet von 4000 Leuten, das Doppelte würde dem auch nur schlecht gerecht. Am Ende waren es vermutlich irgendwo etwas mehr als 10.000, was man vor allem dann gut sehen konnte, als der Protestzug wie eine Schlange aneinander vorbei lief und sprichwörtlich "kein Ende nahm". Wenn die Angaben von anderen Protesten ähnlich "geframet" sind, dann haben am letzten Wochenende nicht einige zehntausend sondern deutlich mehr als hunderttausend Leute demonstriert.

Zweites Thema: Die Jubelperser. In der Presse als "Gegendemonstranten" bezeichnet. Naja, das ist schon etwas lustig, denn die Gegendemonstranten konnte man immer wieder mal am Straßenrand sehen. Und wenn es am Ende vielleicht 200 Figuren waren, dann war das viel. In der Presse nehmen sie trotzdem mehr Platz ein als die eigentliche Demo. Aber die Jubelperser sind aus diversen Gründen sehr interessant: Zum einen aufgrund ihrer Menge, zum anderen aufgrund ihrer Zusammensetzung. Zu ihrer Menge ist zu sagen, dass sie sehr übersichtlich sind. Und das es natürlich ziemlich armselig ist, wenn praktisch alle Parteien, inklusive der Presse (die rheinische Pest hat selber explizit dazu aufgerufen gegen die "Querdenker" zu demonstrieren) dazu aufrufen und am Ende ein paar hundert Figuren zusammen kommen. In gewissem Sinne ist das logisch, denn wer demonstriert schon für einen Staat, in dem die eigenen Positionen gerade umgesetzt werden, da werden die allermeisten mit dem Hintern eher zuhause bleiben. Aber es zeigt sich eben auch, dass so viele dann doch nicht hinter den Parteien stehen, die da der Meinung sind sie würden die ganze Gesellschaft, bis auf ein paar unbedeutende Spinner (der berühmte Wurmfortsatz) repräsentieren. Noch interessanter ist die Zusammensetzung der "Gegendemonstranten". Denn die bringen natürlich auch ihre Fahnen mit (so ganz clever ist das nicht, aber wer sagt schon alle Menschen seien clever). Und da sieht man, dass die sich zu locker 60% aus Antifa und SPD zusammen setzen und der Rest oftmals aus anderen Parteimitgliedern und Gewerkschaftsfuzzies. Da steht nicht "der Bürger". Da stehen Parteimitglieder und demonstrieren für ihre Regierung. Im Unterschied zu den Corona-Protesten, die durch ein durch und durch buntes Potpourri von Menschen organisiert werden, ist die Gegenseite ziemlich eindeutig durch Parteien (im Wesentlichen die SPD) und Antifa organisiert. Solche Demos gab es übrigens auch in der DDR. Und am Ende von den selben Leuten organisiert. 

Drittes Thema: Die Querdenker. Ich suche sie immer noch... Naja, okay, das ist nicht ganz richtig: Ich habe tatsächlich zwei Plakate gesehen, die was von Gates erzählten und das es keinen Corona-Virus gäbe. So ehrlich muss man dann schon sein. Abgesehen davon war von Querdenken nix zu spüren. Die Parole der Demo war ziemlich klar: Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung. Da hat niemand den Virus groß in Frage gestellt oder gegen Geimpfte "gehetzt". Selbst die "Anti-Drosten" oder "Anti-Wieler" Plakate, die man früher gerne in der Presse gezeigt hat, waren nicht vertreten (oder ich habe sie nicht gesehen). Die wenigen "generell politischen" Botschaften waren allenfalls der Hinweis auf die rote Linie, mithin auf unseren Abwesenheitskanzler (mein Favorit waren die Plakate, bzw. die Aufkleber: Nicht mein Kanzler.) Die Botschaft war aber ziemlich klar: Ich habe keine Lust mich zu einer Impfung zwingen zu lassen, bzw. der Wunsch in Freiheit in Ruhe gelassen zu werden. Noch absurder wird die Situation bei den angeblichen Rechtsradikalen: Ich habe an beiden Tagen keine gesehen. Und wenn welche dabei waren, dann waren sie wohl getarnt. Ich habe gerade mal eine -in Worten: eine- Deutschland Flagge gesehen. Und nebenbei eine amerikanische als auch eine spanische. Keine Springerstiefel, keine Flaggen, keine Botschaften. Wenn Rechtsradikale die Demos für sich nutzen wollten, dann waren sie inkompetenter dabei als Panzeruschi bei der Organisation der Bundeswehr (was schwer vorstellbar ist). 

Viertes Thema: Zusammensetzung. Man würde ja meinen, zumindest wenn man dem Narrariv der Presse glaubt, hier würden vor allem viele frustrierte, alte Männer marschieren. Dem ist nicht so. Ich würde sogar eher schätzen, der Männeranteil könnte unter 50% liegen (aber eine Wette würde ich nicht darauf eingehen). Was man vor allem sah, waren extrem viele Paare, aber auch Gruppen, die offensichtlich zusammen gehörten. Familien mit Kindern waren eher die große Ausnahme. Was ich nachvollziehen kann, denn zum einen ist das ein ganz schön langer Marsch, zum anderen, wenn man Bilder von Corona-Protesten aus Berlin gesehen hat, ist man als Familienvater etwas nervös seine eigenen Kinder da mitzunehmen. Ich habe meine auch nicht mitgenommen, weil man tatsächlich nicht wissen kann, wie sich die Polizei am Ende verhalten wird, zum anderen vielleicht doch der eine oder andere Antifant auf die Idee kommen könnte in einem unbeobachteten Moment einen Stein zu werfen. 

Fünftes Thema: Kognitive Dissonanz. Ich hatte den Stein gerade erwähnt. Ich käme nicht auf die Idee, wenn die linke Revolution mal wieder demonstrieren geht, als Gegenprotest neben der Demo zu stehen. Das wäre mir schlicht zu gefährlich, ich hätte immer Sorge, dass sich eine Gruppe aus der Demo löst und mir mal demonstriert was sie von Gegenprotesten halten. Antifa heißt ja nach eigenem Selbstverständnis Angriff.  Umgekehrt scheint diese Sorge ganz und gar nicht zu gelten. So hatten weder die Antifanten noch die SPDler große Angst vor der Demo. Die standen da in zwei Meter Abstand neben dem Protestzug und beschimpften die Teilnehmer. Und das sogar in kleinen Gruppen von drei Leuten. Man sollte meinen, wenn man davon ausgeht, dass die Demo von Rechtsradikalen durchzogen und organisiert ist, man doch etwas Sicherheitsabstand halten würde. Tat man aber nicht. Entweder hatte man von Natur aus keine Angst um die eigene Person oder man war doch nicht so der Meinung, dass hier Nazis demonstrieren. Wer sich natürlich die Demo angesehen hat, der hat schnell begriffen, dass hier keine Gefahr droht. Aus einer bunten Bürgermischung macht man keine Schlägerbande. Die wären weggelaufen, wenn nur ein Polizist laut gehustet hätte. Aber das hindert ja weder die "Gegendemonstranten" noch die Presse von gewaltbereiten Nazis zu fabulieren.


Sechstes Thema: Zerrissenheit. Ich schreibs jetzt doch, auch wenn es eine Randbeobachtung ist, aber ich finde die Betreffenden verdienen, sie zu erwähnen. Am Rande habe ich ein etwas irritierendes Plakat bemerkt, dass die Zerrissenheit unserer Gesellschaft ganz gut einfängt. Ich bin kein Fan der Antifa (ganz(!) sicher(!) nicht!). Ich denke sie sollte verboten werden. Aber darum soll es hier nicht gehen. Worauf ich hinweise ist, dass hier die Antifa sowohl für als auch gegen den Impfzwang marschiert. Die innere Zerrissenheit wird hier absolut deutlich: Am Straßenrand die Antifa, die die Demonstranten als Nazis beschimpft, in der Demo eine "andere" Antifa, die sich gegen den Zwang ausspricht. Ich hätte zu gern gesehen, wie die aneinander vorbei laufen, denn ich gehe davon aus, da die extrem linke Szene dann doch nicht so groß ist, sich die Personen durchaus persönlich kennen dürften. Wie dem auch sei, hier marschiert sogar die Antifa mit den angeblichen Nazis. Zumindest mir gibt das zu denken, dass die Bruchlinie zumindest nicht rein politisch verläuft und wenn ich auch mit den Personen wenig gemein habe, so hat sich bei mir eine Art von widerwilligem Respekt eingenistet, dafür die eigenen Wertevorstellungen und Ideale so hoch zu gewichten, dass man mit dem eigenen Lager bricht. Ich bin nicht ihrer Überzeugungen, aber ich darf sagen, dass die "Jungs" mich beeindruckt haben. 

Siebtes Thema: Stimmung. Hier wirds endgültig subjektiv. Vielleicht bin ich zu lange nicht demonstrieren gegangen (mal ab vom letzten Jahr war ich davor bestimmt 20 Jahre nicht mehr auf der Straße), aber die Stimmung auf der Demo war außerordentlich gut. Ich habe lange nicht mehr so viel gute Laune, Optimismus und  Freundlichkeit erlebt. Das hatte viel Volksfestcharacter. Vielleicht weil man alle ähnlicher Meinung zu einem wichtigen Thema ist, vielleicht aber auch gerade deshalb, weil man fest stellt, dass man doch nicht so alleine ist. Im Gegenteil. Die positive Rückkopplung, ich bin nur nicht alleine, wir sind tatsächlich sehr, sehr viele, mag der ausschlaggebende Faktor für diese Stimmung sein. Es hat was anmaßendes es damit zu vergleichen, aber ich erlaube es mir dennoch: Ich kann mir vorstellen, dass die Proteste in der DDR 89 zumindest von dem selben Geist getragen wurden: Wir sind nicht alleine. Wir sind viele. Und wir werden immer mehr. 

Letzte Bemerkung: Ich denke, dass die Demos absolut notwendig sind, sich aber trotzdem in einigen Wochen totlaufen werden. Ich halte sie für notwendig, weil die Grundlage der ganzen Angelegenheit durch Omikron ohnehin beendet wird (faktisch beendet ist). Die Gefahr von Corona, so sie denn überhaupt je besonders groß war, in dem Sinne durch. Übrig bleibt eine fiebrige Erkältung. Das bedeutet aber nicht, dass Figuren wie Propellerkarl, Wieler oder auch Söder dabei mitgespielt hätten. Wir würden über Jahre eingesperrt, vollkommen unabhängig von der Realität, wenn es nach diesen Personen ginge. Aber wie man an Wetterfahne Söder sieht, dämmert es schon. Und die Proteste sind ein wichtiger Teil davon. Es stehen Wahlen vor der Tür und Proteste von Hunderttausenden sind nicht das, was man da vorher erleben will. Und dennoch glaube ich, dass sich die Proteste sehr bald tot laufen. Die allgemeine Impfpflicht ist bereits tot (jetzt muss es nur noch jemand Propellerkarl sagen), die einrichtungsbezogene steht kurz vor dem Zusammenbruch (obwohl Totgesagte länger leben, hier kann ich mich auch irren). Die Aufhebung von 2G und damit auch am Ende die Bedeutung des Genesenenstatus wird sehr bald kommen. Den Regierenden ist durchaus bewusst, dass sie dem Protest JETZT den Wind aus den Segeln nehmen müssen, bevor sich das Ding verselbstständigt. Und dennoch glaube ich, dass das alles richtig war. Und vielleicht müssen wir im Herbst, wenn die Welle wieder losgeht, die Plakate wieder rausholen. 
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Llarian

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