(Lori Nix, "The Outpost", 2004)
Das Jahr 2020 begann, in der Wissenschaft und auf diesem Netztagebuch, mit einem kosmischen Ereignis - der Möglichkeit, daß wir Zeugen einer Supernovaexplosion in unserer galaktischen Nachbarschaft werden würden. (Wie sich herausgestellt hat, handelte es sich freilich "nur" um einen massiven Materieausstoß, der das Licht des zweithellsten Sterns in Sternbild Orion über Wochen hinweg verdunkelte.) Es scheint nur passend, daß das Jahr mit einem weiteren "galaktischen Rätsel" endet.
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Wie vor drei Monaten, als an dieser Stelle die Frage nach "Leben auf der Venus" gestellt wurde - allerdings auf einem anderen Level, denn dort ging es um den möglichen Nachweis von Leben überhaupt an einem Ort außerhalb unseres Heimatplaneten und nicht um einen möglichen Nachweis von intelligentem Leben - muß auch in diesem Fall die Antwort lauten: Möglicherweise. Eher nicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Aber es ist nicht auszuschließen.
Aber der Reihe nach: bei dem Signal, das in den Tagen vor dem Weihnachtsfest für ein wenig Echo in den Medien sorgte, handelt es sich um einen Radiopuls, der im Zug der vor fünf Jahren gestarteten "Breakthrough Initiatives" aus der Richtung des nächsten Sterns, Proxima Centauri, im vorigen Jahr registriert wurde, über eine Dauer von 30 Stunden hinweg.
Die am Projekt beteiligten Fachleute haben einhellig betont, daß sie sehr stark davon überzeugt sind, daß es sich bei diesem Signal um einen Fehlalarm handelt. "Wenn ich sage, daß es höchstwahrscheinlich menschlichen Ursprungs ist, meine ich 'in der Größenordnung von 99.9 %," wie es der Leiter des Projekts, Pete Worden, ausdrückte: "The most likely thing it that it's some human cause. And when I say it's most likely, it like 99.9 percent."
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Das Problem
Es liegt in der Natur der Sache, daß für den Nachweis von Leben außerhalb des Sonnensystems nur zwei Möglichkeiten in Frage kommen (vom - angesichts der fast unüberwindlichen interstellaren Distanzen fast kategorisch auszuschließenden - Möglichkeit des Besuchs einer Sonde oder gar einem - nun, "bemannten" Raumschiffs): nämlich dem Nachweis eines chemischen Ungleichgewichts in der Atmosphäre einer fernen Welt, die nur durch die Existenz biologischer Vorgänge erklärbar wäre. Die Atmosphären der Planeten unseres Sonnensystems befinden sich im chemischen Gleichgewicht; was dort reagieren konnte, hat diese Reaktionen schon vor Jahrmilliarden durchlaufen; einzig Terra, die dritte blaue Kugel von der Sonne aus gesehen, fällt mit ihrem Anteil von 21 Prozent eines äußerst reaktionsfreudigen Gases aus dem Rahmen: die Biosphäre sorgt laufend dafür, daß der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre auf diesem Niveau bleibt. Würden nun etwa im Spektrum des Lichts, daß ein Planet von seiner Sonne reflektiert, die charakterischen Absorptionsbanden von Sauerstoff nachgewiesen (und zwar in einem Maß, daß über die chemische Dissoziation durch harte Strahlung in den oberen Atmosphärenschichten hinausgeht, also mit einem Anteil von 5 oder mehr Prozent), dann hätten wir einen recht verläßlichen Indikator für das Vorhandensein von Leben. Darüber, WIE es beschaffen wäre, würde dies natürlich noch nichts aussagen, aber es wäre ein Fingerzeig auf seine Existenz.
Für den Nachweis intelligenten Lebens, für eine Zivilisation, die so weit entwickelt ist, daß sie in der Lage ist, sich über interstellare Distanzen bemerkbar zu machen, kommt nach allem, was wir über die Natur von Raum und Zeit, die überall im Universum herrschen, nur der Nachweis einer "Technosignatur" in Frage: Radiopulse, die im Zug des Einsatzes einer drahtlosen Kommunikationstechnologie entstehen - ob nun als ein Signal an "Außenstehende" gedacht oder nicht. Die antiken Zivilisationen der Erde waren ohne Zweifel Zeichen von Intelligenz, aber sie waren "von außen" in keiner Weise auszumachen.
Dies ist die Überlegung, die hinter all den (wenigen) Initiativen steckt, die Radiostrahlung aus dem All auf Signaturen hin zu durchmustern, die von den Antennenschüsseln der Radioteleskope regstriert werden - angefangen mit Frank Drakes "Project Ozma" von 1960 (vor mittlerweile also 60 Jahren). Niemand kann sagen, "ob" es überhaupt "da draußen", jenseits der einzigen Biosphäre, die wir kennen, zur Evolution von Leben, oder gar von Intelligenz gekommen ist. Aber uns stehen mittlerweile diese (im Hinblick auf die Fragestellung äußerst leistungsschwachen) Instrumente zur Verfügung, um wenigstens zeitweise galaktisches Mäuschen zu spielen. Die Suche nach außerirdischer Intelligenz, abgekürzt SETI (Search für Extraterrestrial Intelligence) ist oft als illusorisch, vermessen und als Verschwendung von Geld und Zeit kritisiert worden. Aber dahinter versteckt sich eine tiefe Wurzel dessen, was den Menschen als forschende, neugierige Spezies ausmacht: der Trieb, alles über die Welt zu erfahren, was in Erfahrung zu bringen ist, und das Bedürfnis von Genus Homo als sozialer Spezies, nicht allein in der Unendlichkeit des Universums zu sein. Einem Ondit zufolge gibt es "zwei Möglichkeiten: Entweder es gibt anderswo Leben im All - oder es gibt keines. Beide Möglichkeiten sind zutiefst erschreckend." Das bisherige Schweigen des Alls - auch als "Fermi-Paradox" geläufig - illustriert wie nichts den Satz aus Blaise Pascals "Pensées": "Le silence eternel des ces espaces infinis m'effraie" - "Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mir Angst." Sollte wirklich eine Botschaft von fern bei uns eintreffen - und sei sie so banal wie in Kurt Vonneguts Roman "The Sirens of Titan" von 1959 ("Bitte das Raumschiff mal umdrehen! Danke!") - und wir würden nicht zuhören, weil wir ein wenig Zeit zum Lauschen nicht erübrigen können, ware das ein galaktisches Armutszeugnis.
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Das Projekt
Bei den oben erwähnten "Breakthrough Initiatives" handelt es sich um den ersten Versuch, die bislang nur sporadisch durchgeführten Durchsuchungen der kosmischen Radiostrahlung auf eine systematische Basis zu stellen. Vom russischen Oligarchen Juri Milner mit einer Spende in Höhe von 100 Millionen US-Dollar lanciert, wurde das Projekt am 21. Juli 2015 in London, am Jahrestag der ersten bemannten Mondlandung, auf einer Tagung der Royal Society lanciert, unter der Schirmherrschaft von Stephen Hawking. Zu den Direktoren zählen unter anderem Frank Drake (der bei den bisherigen SETI-Projekten und ihrer Konzeption eine führende Rolle gespielt hat), der Astronomer Royal Martin Rees und Ann Druyan, die frühere Ehefrau von Carl Sagan und unter anderem treibende Kraft hinter den "goldenen Schallplatten" mit Tonaufzeichnungen, die an Bord der Raumsonden Voyager 1 und 2 als erste materielle Botschaften der Menscheit das Sonnensystem verlassen haben. Das Breakthrough-Projekt umfaßt mittlerweise fünf einzelne Projekte, von denen "Breakthrough Listen" das sagen wir Handfesteste ist - nämlich die Sammlung und Sichtung astronomischer Beobachtungsdaten im Radiobereich des elektromagnetischen Spektrums. Die anderen Initiativen sind:
- Breakthrough Message. Hier geht es um die Möglichkeit, wie wir selbst eine Botschaft ins All, in Richtung möglicher Planeten, die eine Biosphäre beherbergen könnten, zu senden; wie eine solche Botschaft gestaltet werden müßte; auf welche Weise eine solche Kommunikation (die, wenn sie denn je zustande kommen würde, sich über Jahrhunderte oder Jahrtausende erstrecken würde), vor sich gehen könnte.
- Breakthrough Watch. Hier handelt es sich um eine Eingrenzung der allgemeinen Suche nach Exoplaneten (also Sternbegleitern außerhalb des Sonnensystems, von denen mittlerweile fast 4400 bekannt sind), die erdähnlich sind und von Größe und Abstand zum Zentralgestirn als beste Kandidaten für die Entstehung von Leben gelten.
- Breakthrough Enceladus. Die NASA hat dieses spezielle Projekt im September 2018 als Zusammenarbeit mit der Breakthrough-Stiftung begonnen. Es geht um die Konzeption einer Sondenmission zum Saturnmond Enceladus. Es wäre die erste Planetenerkundung, die von privater Seite finanziert würde, nicht von einer staatlichen Raumfahrtagentur. Ziel ist es, die Fontänen, die aus dem warmen, flüssigen Ozean unter der dicken Eiskruste des Mondes hervorbrechen, auf Signaturen biologischer Aktivität zu untersuchen. (Mittlerweile sind solche Ozeane von einer ganzen Reihe von Monden der großen Gasplaneten bekannt; die Gezeitenreibung beim Umlauf hitzt das Innere ausreichend auf, um die Temperaturen für flüssiges Wasser zu erzeugen; allein für den Ozean unter der Eiskruste des größten Jupitermonds, Europa, wird ein Volumen angenommen, das den Inhhalt sämtlicher Ozeane der Erde übertrifft.)
- Breakthrough Starshot. Das ambitionierteste Projekt. Hier handelt es sich um den Plan, tatsächlich unsere stellare Nachbarschaft - in diesem ersten Fall den nächsten Stern, Alpha Centauri - mittels Sondenmission zu erkunden. (Die robotischen Explorationen des Sonnensystems haben Erkenntnisse gezeitigt, die alle Blicke und Aufnahmen durch erdgebundene Teleskope zu einer Quantité négligeable werden lassen.) Und zwar nicht mit einer Raumsonde, sondern mit einer Flotte von 1000. EINTAUSEND. Es würde sich bei diesen StarChip genannten Mikroproben um zentimetergroße Sonden mit einem Gewicht von wenigen Gramm handeln, die mit CCD-Kameras und anderen Sensoren bestückt wäre. Sie sollen von Lasern von einer Leistung von 100 Gigawatt auf 20% der Lichtgeschwindigkeit (also 60.000 Kilometer pro Sekunde) beschleunigt werden. Natürlich könnten die antriebslosen Minispione beim Eintreffen am Zielort nach 20 Jahren nicht abbremsen; sie würden den Zielstern - eigentlich sind es ja drei - im weniger als einer Astronomischen Einheit Distanz passieren (Bahnkorrekturen lassen sich durch an unterschiedlich auf der Erde positionierten Startlasern ausführen) und während der Passage Photos und Daten aufnehmen, die, wenn sie im Jahr 24 der Reise auf Sol III empfangen werden, zu einem Mosaik des Systems zusammengefügt werden.
Während es sich bei diesen Vorhaben vorerst um Planungen und theoretische Konzepte handelt, läuft die zentrale Initiative, Breakthrough Listen, seit Ende des Jahres 2015 auch praktisch-faktisch; die ersten Ergebnisse sind im April 2017 publiziert worden. Mittlerweile beteiligen sich mehr als ein Dutzend großer Radioteleskope an der Datenakquise, darunter auch das größte Radioteleskop der Welt, das FAST in Südchina mit seinem Durchmesser von 600 Metern, das im Sommer 2016 den Betrieb aufgenommen hat. Die Hauptteleskope sind für die Nordhalbkugel das Green Bank Radio Telescope in West Virginia mit seiner Antennenschüssel von 100 x 110 Metern (es handelt sich nicht um das gleiche Instrument, das Frank Drake 1960 für seine Beobachtungsreihe diente, wie in seinem Beitrag zur Havarie des Arecibo-Teleskops erwähnt; kollabierte diese Antenne 1988; es handelt sich um das Nachfolgeinstrument) und das Parkes Observatory mit einem Antennendurchmesser von 64 Metern in New South Wales zur Beobachtung des Südhimmels. Ziel des Projekt ist es, im Lauf von zehn Jahren sämtliche 43 Sterne unserer interstellaren Nachbarschaft in einer Entfernung von 5 Parsec (also 16 Lichtjahren) auf "Technosignaturen" zu untersuchen; des weiteren 1000 weitere aussichtsreiche Kandidaten innerhalb der nächsten 160 Lichtjahre, generell eine Million weiter entfernter Sterne, die Zentralbereiche von 100 nahegelegenen Galaxien aller Klassen, also Spiralgalaxien, elliptische, Zwerggalaxien und Irreguläre; und nicht zuletzt, weil sich in der Geschichte der Astronomie immer wieder Unwahrscheinliches als Faktum erwiesen hat, 20 Weiße Zwergsterne, 20 Neutronensterne und 20 Schwarze Löcher. Die anfallende und zu sichgtende Datenmenge ist gigantisch; pro Sekunde werden in der Zentrale des Projekts, in der University of California in Berkely, 24 Gigabyte an Daten gespeichert und auf wiederkehrende Muster gefiltert. Selbst bei Datenkompression fallen pro Jahr dabei ein Petabyte an abzuspeichernden Daten an.
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Das Signal
Das jetzt bekanntgewordene Signal (sagen wir besser: das "mögliche Signal") wurde aber nicht im Zuge einer solchen algorithmischen Abprüfung aufgespürt, sondern verdankt sich einem Nebeneffekt - etwas, daß aus der Geschichte von Forschung und Technik nicht ganzt unbekannt ist, wie etwa Alexander Flemings Entdeckung des Penicillins (dem es um die Keimfreimachung von Petrischalen ging) oder die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung durch Arno Penzias und Robert Wilson (bei dem es um die Kalibrierung einer Empfangsantenne für Kommunikationssatelliten ging); auch Max Planck verdankt die Entdeckung der Quantennatur des elektrommagnetischden Spektrums dem Versuch, Präzisionsthermometer zu eichen. Seit dem Nachweis von Planeten bei unserem nächsten Nachbarstern, Alpha Centauri und seinen beiden Begleitern, Beta Centauri und Proxima Centauri, gilt dieses System als ein guter Kandidat für die Entwicklung von Leben; Alpha Centauri, ist der Sonne weitgehend ähnlich: von Strahlungsleistung, Temperatur und Aktivität her wäre er eine ideale Heimstatt für Leben, wie wir es kennen - wenn der Stern denn einen Planeten in der Entfernung aufweist, die die Astronomen als "habitable Zone" bezeichen: jene Distanz, in der die Temperaturen in dem Bereich liegen, die zum Vorhandensein von flüssigem Wasser nötig sein - ein Element, das nach all dem, was wir über biologische Vorgänge wissen - Stoffwechsel, Zellausbildung, Transport von Baulementen des Lebens, Reproduktion - unabdingbar ist. Im Oktober 2012 glaubte man an der Europäischen Südsternwarte im wechselnden Spektrum des Sterns den Nachweis für einen Planeten vom 1,1-fachen der Erdmasse gefunden zu haben, der Rigil Kentaurus in einer Entfernung von 7 Millionen Kilometern in gut 3 Tagen umlief. Mittlerweile hat sich dies als "false positive" herausgestellt. Dagegen wurde bei dem uns näherstehenden und somit tatsächlichen erdnächsten Stern, dem Roten Zwerg Proxima Centauri, 2016 ein Planet nachgewiesen, der indertat erhebliche Ähnlichkeit mit unserem Heimatplaneten aufweisen könnte: der nach der üblichen astronomischen Nomenklatur als Proxima Centauri b bezeichnete Begleiter weist ebenfalls eine Masse von 110% der Erde auf und umkreist seinen Stern in 11 Tagen in einer Entfernung von gut 7.2 Millionen Kilometern. Die geringe Wasserstofffusion im Sterninneren, die durch Konvektion fortwährend durchmischt wird, so daß sich kein Helium als "Asche" im Kern sammeln kann, wird übrigens dazu führen, daß der Stern nicht wie unsere Sonne eine Lebensalter von 4 Milliarden Jahren vor sich hat, sondern von vier Billionen Jahren: 4000 Milliarden Jahre.
And here's the rub: Proxima Centauri ist ein überaus lichtschwacher Stern, von 11. Größenklasse; um ihn am Südhimmel, nicht weit vom Kreuz des Süden, auffinden zu können, benötigt man ein Teleskop von mindestens 8 Zentimetern freier Öffnung. Seine absolute Helligkeit beträgt -15 mag; seine Masse beträgt nur 12% von der unserer Sonne. Für Proxima Centauri b bedeutet das, daß sich der Planet nicht ganz, aber doch annähernd in der bewohnbaren Zone (im Englischen auch als "Goldilocks zone" bezeichnet) befindet. Man kennt natürlich weder seine Oberflächednbeschaffenheit, noch weiß man, ob eine - und wenn: welche Art von - Atmosphäre vorhanden ist. Überschläge anhand der Schwarzkörperstrahlung (also eines idealen physikalischen Körper, der thermische Energie vollständig absorbiert und wieder abstrahlt) ergeben, daß die durchschnittliche Oberflächentemperatur bei minus 39° Celsius liegen könnte. Das ist natürlich zu wenig für flüssiges Wasser; aber es ist - als reine Annahme - ja vorstellbar, daß die Temperatur etwa durch einen großen Treibhauseffekt erheblich höher liegen könnte (es sei daran erinnert, daß auch unsere Erde, strikt genommen, nicht in der Lebensweise kreist: ohne den Treibhauseffekt der Atmosphäre würde die durchschnittliche Temperatur bei uns um 33 Grad niedriger, also bei -18°C, liegen). In dieser Nähe zum Stern ist davon auszugehen, daß der Planet gravitationell gebunden ist; wie beim Mond weist immer die gleiche Seite zum gemeinsam umlaufenden Zentrum. Vor der Ära der Raumsonden wurde dies für den sonneninnersten Planeten, Merkur auch angenommen; die Erkundung vor Ort ergab dann, daß der kleine Planet in einer Zwei-Drittel-Synchronisation rotiert. Wie in alten Science-Fiction-Erzählungen, die dort angesiedelt sind, wäre also eine Hemisphäre ewigen Lichts unter der roten Sonne vorhanden und eine eisige Hemisphäre im ewigen Dunkel; dazwischen würde sich ein Band auf Zwielicht und mittleren Temperaturen zwischen den beiden Extremen um das ziehen, was man wohl den Äquator des Planeten nennen müßte.
Der "Rub", das "aber" in der Shakespeare'schen Wendung (sie stammt aus dem bekannten Monolog des Dänenprinzen über die Entscheidung zwischen Sein und Nichtsein) besteht darin, daß Proxima Centauri ein sogenannter "Flarestern" ist: er zeigt mitunter heftige Ausbrüche in seiner Strahlungsintensität. Am 24. März 2017 registrierte das Millimimeter/Submillimeter Array der ESO in den chilenischen Atacamawüste einen solchen Ausbruch, bei dem für zehn Sekunden lang die Strahlungsleistung um das Tausendfache anstieg, bevor der Flare langsam abklang; es war der bislang hefigste registrierte Ausbruch eines solchen Typs. Nicht nur dürfte dergleichen für Leben an einem solchen Ort nicht bekömmlich sein; solche Kaskaden führen auch dazu, daß sich die oberen Schichten einer Atmosphäre (wenn sie denn vorhanden sein sollte) schlagartig aufhitzen und ein Großteil der Moleküle genügend Energie absorbiert, um die Fliehkraft zu überwinden und ins All zu "verdunsten." Überschlagsrechnungen deuten darauf hin, daß 100.000 Jahre eines solchen gelegentichen Bombardements ausreichen würden, um zur Zerstörung einer Atmosphäre zu führen.
Und um genau diesen Effekt näher bestimmen zu können, fand ab dem 29. April 2019 einer Beobachtung des Sterns und seiner Umgebung mit dem Parkes-Radioteleskop statt, bei der über einen Zeitraum von 26 Stunden in drei Abschnitten die Strahlung im Radiobereich aufgezeichnet wurde. Zwischendurch wurde das Teleskop immer wieder auf einen Bereich des Himmels gerichtet, der bekannterweise sehr strahlungsarm ist und dessen Signatur genau bekannt ist. Diese Kontrolle dient dazu, ein etwa registriertes Signal auf einen Instrumentenfehler zurückführen zu können: wenn eine Quelle in der terrestrischen Umgebung sich als ET verlarvt und seine Signatur auf den Schwingkreis des Teleskops moduliert, tritt dies auf, egal auf welches Ziel diei Antennenschüssel gerichtet ist. Im Fall des Parkes-Observatoriums erwies sich eine solche galaktische Botschaft schon als Mikrowellenherd in den Kantine, dessen Sendefrequenzen altersbedingt zu fluktuieren begannen. (Das ist übrigens der Grund, warum in der Nähe von Radioobservatorien keine Verbrennungsmotoren mit Zündkerzen betrieben werden dürfen.)
Das Datenpaket, das herbei aufgezeichnet wurde, ging im Juni 2020 zur "händischen Auswertung" an einen der vielen freiwilligen Mitarbeiter des Projektes, Siemion Smith, einen jungen Studenten am Hillsdale College in US-Bundesstaat Michigan. Im Oktober stieß er bei der Sichtung der Daten für den genannten Zeitraum auf ein nadelscharfes Signal auf der Frequenz von 982,002 Megahertz. Der Peak verschwand, sobald das Teleskop auf das Kontrollareal gerichtet wurde, und tauchte wieder auf, sobald Proxima Centauri b wieder beobachtet wurde. Zudem schwankte die Frequenz des Signals leicht in einer Weise, die dem Umlauf des Planeten entspricht, gemäß dem bekannten Dopplereffekt, der der Klang von Martinshörnern die Tonleiter hinaufsteigen, wenn sich die Feuerwehr nähert, und sinkt, sobald sie vorbeigefahren ist. (Paradoxerweise verlief diese Schwankung exakt umgekehrt, als es vom Umlauf eine Planeten zu erwarten gewesen wäre.) Das Team von Breakthrough Listen hat dem seltsamen Signal mittlerweile die Kennung "BLC1" verliehen, für "Breakthrough Listen Candidate 1."
Es handelt sich nach den Worten von Sofia Sheikh von der Penn State University, die die Auswertung der Daten leitet, nur um "einen reinen Ton," also nicht um ein Signal, das auf eine Trägerwelle aufmoduliert wird - wie es bei Kommunikationssignalen der Fall ist. Ein Paper, das sämtliche Daten und ihre mögliche Deutung publiziert, befindet sich in Vorbereitung; es soll Anfang 2021 publiziert werden, nachdem es den Peer-Review-Prozeß durchlaufen hat.
Die Skepsis, die alle am Projekt Beteiligten an den Tag gelegt haben, ist gut begründet. Außerordentliche Entdeckungen benötigen außerordentliche Nachweise. Es ist zwar das Ziel von Breakthrough Listen, genau diese Art von Signal zu registrieren, aber der Anspruch des Projekts besteht in der Beachtung höchster wissenschaftlicher Maßstäbe. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich hierbei um einen irdischen Effekt nach Art eines Mikrowellenherds handelt, liegt um astronomische Größenklassen höher als die, daß es sich um die genuine Spur von Intelligentem Tun und Lassen handelt. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich Leben, und gar von einer Art, die solches entwickelt, in unserer nächsten stellaren Nachbarschaft entwickelt haben könnte, dürfte dermaßen gering sein, daß man viele Stellen hinter dem Komma benötigen würde, um sie darzustellen. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, daß es keinen bekannten natürlichen Vorgang gibt, der ein solch nadelscharfes Radiosignal erzeugt. In der Raumfahrt findet diese Frequenz keine Anwendung für Kommunikationszwecke; zudem bewegen sich Satelliten auf Umlaufbahnen; das Signal wäre also innerhalb von Minuten aus dem angepeilten Bereich verschwunden. Ausnahmen sind hier Kunstmonde im geostationären Orbit, die aber der Himmelsmechanik gemäß über dem Äquator stehen müssen; Proxima Centauri liegt 62 Grad und 40 Bogenminuten südlich davon. Eine Sonde, die in Richtung Proxima fliegen würde (was diese Signatur ebenfalls erklären könnte) hat die Menschheit bis dato nicht gestartet.
Hinzu kommt, daß sich die wenigen bisherigen Kandidaten für ein solches Signal in aller Regel als höchst irdische Phänomene erweisen haben - etwa das einzige "Signal," das Frank Drakes "Project Ozma" am 27. August 1960 registrierte, und das sich als Transponder eines Verkehrsflugzeugs entpuppte. Oder als Resultat bislang nicht beobachteter, aber natürlicher Vorgänge draußen in den Weiten des Alls, wie das "LGM"-Signal (das Kürzel steht für "Little Green Men"), das Jocelyn Bell am 28. November 1967 mit dem Interplantary Scintillation Array des Mullard Radio Astronomy Observation in Oxford entdeckte, als sie einen kosmischen Taktgeber fand, der unbeirrbar alle 1,337302088331 Sekunden ein Funksignal Richtung Terra abstrahlte. Der Name war als Scherz gedacht; es stellte sich schnell als die erste Entdeckung eines Pulsars heraus, eines Neutronensterns, dem Relikt einer Supernovaexplosion, der im Sekundentakt um die eigene Achse rotiert und seine Strahlungsenergie im Radiobereich durch sein ungeheueres Magnetfeld wie bei einem Scheinwerfer bündelt. In unserem Fall ist es auch denkbar, daß der Ursprung des Signals nicht bei Proxima Centauri liegt, sondern auf Sichtlinie weit dahinter.
Nicht wenige Kandidaten für ein solches Signal sind auch nur ein einziges Mal aufgetreten - und dann nie mehr. So bei dem bislang besten Signal, dem sogenannten "Wow!-Signal," benannt nach dem Ausdruck des Staunens, den Jerry Ehrman am 15. August (um 22:20) bei der Sichtung des Computerausudrucks neben den Peak schrieb, als die Antennenschüssel des Big Ear Radio Telescope der Ohio State University auf die drei Sterne gerichtet war, die im Sternbild des Schützen ein optisches Dreierpaar mit der Bezeichnung Chi Sagittarii bilden, und für einen Zeitraum von 72 Sekunden ein starkes, scharf begrenztes Radiosignal registrierte. Dieses Signal ist in den letzten 43 Jahren nie mehr registriert worden; was genau es verursacht hat, ist bis heute ungeklärt. Bislang hat es auch kein weiteres Wiedderauftreten von BLC1 gegeben. Weitgehend ungeklärt ist auch, was Nikola Tesla bei seinen Hochfrequenz-Funkversuchen den ersten Tagen des neuen Zukunftsjahrhunderts, Anfang Januar 1901, in Colorado, genau aufgefangen hat. Die Schlagzeilen "Tesla receives signals from Mars!" prangten zwar auf der Titelseite vieler amerikanischer Tageszeitungen; wurden aber mit großer Skepsis kommentiert und galten als weiteres Beispiel dafür, daß der Wechselstrompionier nicht nur ein genialer Tüftler, sondern eben auch der größte Aufschneider nach dem Baron Münchhausen und P. T. Barnum war. Es ist möglich, daß Tesla hier die Entladungen entfernter Gewitter als drei aufeinanderfolgender Doppelpulse im Kopfhörer registriert hat; mit Sicherheit wird es niemand je wissen. Auch die "Long Delayed Echoes," die um mehrere Sekunden verzögerten Echos der eigenen Funksignale, die der Funkamateur Jørgen Hols und der Physiker Carl Størmer im Sommer 1927 in Norwegen bei Langstreckenfunkversuchen empfangen haben, sind nie wirklich gekärt worden. Duncan Lunan, im Nebenberuf zu Anfang der siebziger Jahre Science Fiction-Autor und Amateurastronom, hat 1973 und 1974 die unterschiedlichen Verzögerungen, die damals aufgezeichnet wurden, auf ein graphisches Korrdinatensystem übertragen und die - nie wirklich ernst gemeinte, aber zu den Daten passende - Hypothese aufgestellt, es handele sich um eine Sternkarte, die das Sonnensystem und seine Himmelsumgebung aus der Positon des Sterns Epsilon im Bootes zeigt und die Verzögerung sei darauf zurückzuführen, daß eine Raumsonde von eben Epsilon Bootes seit langer Zeit um den Mond kreise (die durchschnittliche Verzögerung aller Signale betrug knapp unter drei Sekunden) und habe die ersten Funksignale, die anzeigten, daß die Menschheit jetzt der Kommunikation auf diesem Wege fähig sei, entsprechend zur Kontaktaufnahme abgewandelt.
(Was ist das? Nein, es handelt sich nicht um den Hinterhof von Bauer Hempels Haus; es handelt sich auch nicht um das "Schauerfeld," in dem der erste Teil des Buchs, das diesem Netztagebuch als Namensparton gedient hat, Arno Schmidts "Zettels Traum," spielt. Vielmehr handelt es sich, ungelogen, um ein weltberühmtes Teleskop: das Interplanetary Scintillation Array, mit dem 1967 der erste Sekundenpulsar entdeckt wurde; die erste Stufe des Dipolantennenfelds bedeckte eine Fläche von 9 Hektar. Quelle: Wikipedia.)
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Genau solche Allotria führt begreiflicherweise zu einer Zurückhaltung aller, die sich ernsthaft mit dem Thema außerirdischen Lebens befassen. Für Astronomen (und auch Science-Fiction-Autoren, denen es mit ihren Texten ernst ist, auch wenn sie das ludische Element des Genres lustvoll bedienen), ist es so peinlich wie ärgerlich, mit "Aliens" und "Fliegenden Untertassen" in Verbindung gebracht zu werden, mit den schlichten, kindischen Projektionen und, im Umfeld von "Krieg der Welten" und der "X-Akten," mit dem wohligen Schauder von Angst und Bedrohung, der sich unübersehbar aus dem alten Aberglauben an Dämonen speist; aber freilich voraussetzt, daß diejenigen, die daran zu glauben bereit sind, von den Naturgesetzen, von unserer Kenntnis des Universums und seinen Distanzen weniger verstehen als der sprichwörtliche Ochse vom Klavierspiel.
Alpha Centauri ist, naturgemäß, für das Genre der spekulativen Literatur, als nächster Nachbar der Sonne - und wegen seiner Sonnenähnlichkeit - des öfteren Schauplatz solcher Texte geworden. Proxima Centauri figuriert hier bedeutend weniger; vor der Entdeckung, daß die meisten - tatsächlich existierenden - Planeten ihre Sonnen in engster Entfernung in Tagesfrist umkreisen, schienen Zwergsterne, die nachgearde "auf Sparflamme" glimmen, eine eher ungünstige Umgebung, um ein vielversprechendes Reiseziel abzugeben. Entsprechend sind die vor die Entdeckung von Proxima Centauri b und c verfaßten Texte denn auch eher dem Bereich Satire und Klamauk zuzuordnen, die mit der Astronomie das gleiche freie Spiel mit Versatzstücken treiben wie etwa Händels Oper "Il mondo della luna" von 1777 mit dem Erdtrabanten. So etwa Michael Martins "A Year Near Proxima Centauri" von 1992, bei demm es sich um eine grelle Parodie auf Peter Mayles "A Year in Provence" handelt, oder in Myra Cakans "Drei Mal Proxima Centauri und zurück" aus dem Jahr 2011, das seine viktorianisch camouflierte Steampunk-Kulisse so wenig ernst nimmt wie die üblichen Anhalter durch die Galaxis. Als kleine Fußnote sei notiert, daß der Autor, der noch am ehesten als Nestor, als dienstältester Vertreter des Genres in Flandern, im Niederländisch sprechenden und schreibenden Teil Belgiens, Robert Smets (er ist 1940 geboren), 2018 in seiner Sammlung "Apocrieve verhalen" eine kleine Groteske mit dem Titel "De hoertjes van Proxima Centauri" (also "Die Nutten von Proxima Centauri") veröffentlicht hat.
Am rigorosesten an der erwartbaren Wirklichkeit orientiert ist noch Stephen Baxters "Proxima" von 2013, das sich um eine fabulierlustige, aber an unseren Kenntnissen von Physik und Biologie orientierte Ausmalung des Lebens auf einem Planeten von Erdgröße in unmittelbarer Nähe einer roten Zwergsonne bemüht. Daß Baxters Kolonisten, die zur Urbarmachung dieser Welt namens Per Ardua zwangsweise verurteilt worden sind, um einer drohenden Landnahme durch die Chinesen zuvorzukommen, sorgt für die dramatische Klammer, deren Unwahrscheinlichkeit man im Sinn einer "willing suspension of disbelief" hinnnehmen sollte; Genreleser sind hier Zumutungen gewöhnt. Die Entdeckung eines Sternentors am Schluß des Buches, das die verbliebenen Protagonisten in eine Parallelwelt beamt, führt dann freilich dazu, das die ein Jahr später erschienene Fortsetzung "Ultima" einen kompletten Bruch mit Thema und Erzählmodus des ersten Bandes darstellt.
Zwei kleine Paradoxien: zum einen erschien just in dem Monat, in dem die Aufzeichnung des Signals stattfand, im April 2019, in dem auf Gedichte zu SF-Themen spezialisierten Magazin "star*line" ein kleines Poem aus der Feder des englischen Autorin Mary Soon Lee mit dem Titel "How to Contact Proxima Centauri." Es zählt zu einer Serie ähnlich betitelten Gedichte zu astronomischen Topoi ("How to Emulate Black Holes", "How to Decorate the Moon", "How to Imagine Barnard's Star b"). Offenkundig gilt für die Außerirdischen die alte Maxime aus der Traumfabrik Hollywood: "Don't Call Us, We'll Call You."
Das zweite Paradox knüpft an den Begriff "Nestor" an, der oben bei Erwähnung von Roberts Smets fiel. Das Genre der SF zeichnet sich unter anderem durch die Merkwürigkeit aus, daß es, sehr oft, solch einen Patriarchen (oder eine Patriarchin) aufweist, die ein bliblisches Alter erreichen und von denen bis an ihr Lebensende - oder doch kurz davor - weiterhin Texte erschienen, die oft von erstaunlichen hohem Niveau bleiben: schon dies eine Besonderheit in einem Genre, das so stark am technischen Fortschritt und der wissenschaftlichen Erkenntnis orientiert ist. Im deutschen Sprachbereich war dies lange Zeit Herbert W. Franke, 1927 in Wien geboren, dessen erste Texte Anfang der 1950er Jahre in Zeitungen erschienen und der noch zwischen 2004 und 2008 vier weitere Romane zu seinen bevorzugten Themen virtuelle Realität und politische Dystopien publiziert hat. In den USA hat Jack Williamson diese Position seit Anfang der Fünfziger Jahre eingenommen; die damals noch von den Pulp-Magazinen bestimmte Szene kannte keine langausgreifenden Karrieren, und eine Autorenlaufbahn, die ein Vierteljahrhundert umfaßte, schien staunenswert. Williamson, der seine erste Erzählung, "The Metal Man," 1928 publizierte, hat bis zu seinem Tod im Alter von 98 Jahren im Jahr 2006 Erzhälungen und Romane veröffentlicht. (Sollte jemand angesichts dieser Liste fragen, ob es keine weiblichen Kandidaten gebe, dem sei beschieden: doch: Miriam Allen de Ford, 1888-1975, und Carol Emshwiller, 1921-2018.)
Der gegenwärtige "Statthalter," wenn man es so nennen kann, in den Vereinigten Staaten war James Gunn. Gunns erste beide Erzählungen erschienen 1949, in Gründungsjahr der Bundesrepublik; für die nächsten zehn Jahre publizierte er rund 30 Kurztexte und ein halbes Dutzend Romane. Danach nach ihn sein Brotberuf in der Universitätsverwaltung bis Anfang der 1970er in Beschlag, bis er ab 1968 wieder als Autor reüssierte. Von seinem Schaffen wird wahrscheinlich die sechsbändige Anthologienreihe "The Road to Science Fiction" bleiben, in er er in den 1990er Jahren die Genese des Genres, seiner wichtigsten Autoren und Themen über die letzten zwei Jahrhunderte nachgezeichnet hat. Zwischen 2013 und 2017 erschienen von ihm die drei Bände der "Transcendence"-Trilogie, in denen er mit souveränem Spiel mit den Versatzstücken des Genres eine Summa seiner Befassung damit seit mehr als 70 Jahren liefert: die Queste eines Söldners auf der Suche nach einer Maschine, die denen, die sie aufsuchen, tatsächlich Tranzendenz verschafft, eine ewiges Leben jenseits aller Körperlichkeit, und die als Bedrohung des bisherigen Status Quo zerstört werden soll, bündelt eine ganze Reihe der zentralen Obsessionen des Genres, wie man an einem Vergleich mit "2001: A Space Odyssey" oder Arthur C. Clarkes Roman "Childhood's End" leicht sehen kann.
Aber das Buch, das von Gunn im Gedächtnis der Genreleser haften bleiben wird, ist der Roman, der 1972 den Erzählzyklus bündelte, der seit vier Jahren sein Comeback gebildet hatte: "The Listeners." Das Thema des Signals "von Außen", die erste Kontaktausnahme, der Beweisi, daß wir nicht allein im Universum sind, ist erstaunlich wenig zum zentralen Fokus von Romanen oder Erzählungen gemacht worden; das Thema dürfte sich als zu statisch, zu sperrig erweisen, um der dramatischen Dynamik, die ein Text von der Länge eines Romans nun einfalt entfalten muß, zu genügen. In Carl Sagans "Contact" von 1985 folgt denn auch die galaktische Odyssee vermittels der Maschine, deren Bauanleitung die Aliens gesendet haben; in Jack McDevitts "The Hercules Text" von 1986 geht es um die Drohung durch den dritten Weltkrieg, der infolge der Botschaft aus dem All und den technischen Innovationen, die sie vermittelt, droht. Stanislaw Lems "Die Stimme des Herrn" von 1968 und Don DeLillos "Ratner's Star" von 1976 nutzen den Vorwand einer Botschaft, um sie als prinzipiell nicht entschlüsselbar oder gar erkennbar auszumalen; der Fokus liegt auf dem Zerfall des Forscherteams, das bei DeLillo sogar in Gänze dem Wahnsinn anheimfällt. Aber die Kernsituation, das atemlose Warten auf eine solche Botschaft, die jahrzehntelange vergebliche Suche, die der schließliche Erfolg, und die ersten Schritte, darauf zu antworten: das findet sich eigentlich nur in "The Listeners", in dem die Botschaft von einem Team, das nach Jahrzehnten die Hoffnung auf Erfolg fast aufgegeben hat, in den Jahren 2025 bis 2028, endlich aufgezeichnet wird. (Gunn benennt das Radioteleskop nicht, das für diese Aufgabe verwendet wird; aber da es sich, wie das Hauptquartier des Team, in Puerto Rico befindet, kann es sich nur um das vor einem Monat kollabierte Arecibo-Observatorium handeln.) Im Jahr 2027 trifft nun die erste Botschaft von Capella, aus einer Entfernung von 42 Lichtjahren ein. Thema der folgenden Abschnitte ist die Frage, ob es sich hier um die Drohung durch eine technisch weit überlegenere Zivilisation handeln könnte; es also nicht ratsam wäre, sie durch eine Antwort auf uns aufmerksam zu machen. Es stellt sich im Folgenden heraus, daß es sich um das Erbteil dieser Zivilisation handelt, einen letzten Versuch, ihr Wissen und ihre Erkenntnis an jemand anderen im All weiterzureichen. Eine der Sonnen im Vierfachsystem Capella hat die Hauptreihe verlassen und bläht sich unaufhaltsam zu einem roten Riesenstern auf, der das Leben auf dem Planeten, von dem die Botschaft gesendet wurde, auslöschen wird. (Gunn hat diesen Verlauf der stellaren Entwicklung von Olin J. Egge entnommen, die 1960 in den "Monthly Notices of the Royal Astronomical Solociety" erschienen ist; Bd. 120:540-62.)
Und hier liegt das zweite der oben angesprochenen Paradoxa: Das Arecibo-Teleskop ist am 1. Dezember kollabiert. James Gunn ist einen Tag vor Heiligabend, am 23.12., fünf Tage, nachdem der "Guardian" zuerst über das Signal von Proxima Centauri berichtet hat, ein halbes Jahr nach seinem 97. Geburtstag gestorben.
U.E.
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