2. Mai 2020

"Anschaulichere Umstände zum Virus": Ein Gastbeitrag von Michael Kouklakis

­(Vorbemerkung: Michael Kouklakis, 1970 in Nürnberg mit griechischen Wurzeln geboren und leitender Angestellter mehrerer Logistikunternehmen, hat seit Beginn der Coronakrise aus Athen die Entwicklung des Geschehens, die Trends in den einzelnen europäischen Staaten und die Maßnahmen der griechischen Regierung - die zur Folge gehabt haben, daß das Land von allen europäischen Staaten die Krise am besten gemeistert hat - immer wieder mit stets lesenswerten Beiträgen auf Facebook kommentiert. Heute morgen hat er den im Anschluß wiedergegeben Text gepostet. Da ich ihn für einen hervorragenden Kommentar zur Lage halte und ihm möglichst viele Leser wünsche, habe ich mir erlaubt, ihn hier, unverändert und ungekürzt, als Gastbeitrag auf Zettels Raum einzustellen. Die Weitergabe erfolgt mit Erlaubnis des Verfassers, dem an dieser Stelle dafür ausdrücklich gedankt sei. U.E.)


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"Anschaulichere Umstände zum Virus"

Leider habe ich einen Freund durch das neuartige Virus verloren. Er starb unerwartet und sehr schnell an CoVid-19 im Alter von 52 Jahren. Und ich habe sicher fünf Dutzend Facebook-”Freunde” aus der Liste “verloren”, seit ich mich mit dem Wuhan-Virus beschäftige, wie ich es mit allen Dingen tue, die von übergeordnetem Interesse sind. Das Virus fordert ungleich mehr Opfer als die Befreiung/Annexion der Krim durch russische Truppen, es dünnt die Kontaktliste viel schneller aus als die Debatte um Flüchtling/Invasoren und man wirft sich gegenseitig mehr Defätismus an den Hals als während der Euro-/Bankenrettung.

Denn über all das konnte man trefflich streiten, ohne sich notwendig zu hassen. Das ist nun anders geworden - das merke ich bedauerlicherweise auch an mir und muss suchen, es zu korrigieren.




Dieser Umstand alleine macht SarsCov2 schon gefährlicher als alles, was wir seit dem Wegfall der nuklearen Bedrohung im Kalten Krieg zu erfahren hatten. Die Zersetzung der Gesellschaft beginnt mit der Weigerung einander zuzuhören und sich auf gemeinsame Nenner der Naturgesetze, Werte und Axiome einigen zu können. So wie das Virus die befallenen Zellen umprogrammiert, hat die Konfrontation mit diesem bei manchen zu einer Abkehr von der logischen Weltsicht geführt. Den Grund hierfür mögen Psychologen erkunden, mir geht es um den Rückzug auf gemeinsame Nenner. Natürlich wird das weder die Verschwörungstheoretiker, noch die Leugner und Wissenschaftsignoranten überzeugen. Aber ich werde es versucht haben, das bin ich meinem Gewissen schuldig.

Ja, unser derzeitiges Problem ist viel akuter als der Kalte Krieg in all seinen Facetten - am Ende auch und gerade in der Opferzahl; sei es ob durch direkte Infektion oder durch Folgeerscheinungen der Maßnahmen gegen die neue Krankheit; denn auch die sind gravierend. Manche Epidemiologen meinen, sie könnten größer sein als die direkten Opfer. Damit muss man sich befassen. Aber erst muss die akute Gefahr gebannt werden. Man löscht erst das Feuer und sucht dann nach antiken Erbstücken in der Asche.

Ich hatte schon zu Beginn der Krise den Nörglern wie den Interessierten, den “Angsthasen” wie den “Wissenden”, ja sogar den befreundeten Ärzten meines Umfeldes erkärt, dass es sich vorrangig um ein mathematisches Problem handelt, erst nachgeordnet um ein medizinisch-therapeutisches und erst schlußendlich um ein virologisches, mikrobiologisch-akademisches. Das war nicht ganz richtig, denn über und vor allem ist es ein gesellschaftliches Problem und das hatte auch ich nicht verstanden, da ich leider dazu neige, allen Menschen einen ähnlichen Bildungsgrad und ungefähre Einsichtsfähigkeit zu unterstellen, obwohl eigentlich wissend, dass das völliger Unfug ist. Niemand kann eben aus seiner Haut, ich auch nicht und das ist eines meiner Defizite.

Gleichwohl ist es nun, nach etwa drei Monaten intensiven Befassens mit dem Wuhan-Virus und seinen Auswirkungen so, dass die Mathematik ihren Sinn fast erfüllt hat. Die Therapeuten sind nun am Zug und im Hintergrund basteln schon fleißig die Mikrobiologen, wenngleich deren Erfolg noch nicht sicher ist, wogegen die Ärzte immer schneller und immer effektiver dazulernen und die Mathematik ihre Schuldigkeit fast schon getan hat. Erstaunlicherweise - jedenfalls für mich - nimmt der Unmut der Gesellschaft umso schneller zu, je erfolgreicher die Strategien aufgehen. Vielen gilt Schweden als Vorbild obwohl dessen Strategie ganz und gar nicht aufgeht, sondern unnötige Opfer verursacht und der Verantwortliche selbst zurückrudert. Wenn die WHO nun plötzlich Schweden lobt, ist das eher Warnung als Empfehlung - die WHO hat auf ganzer Linie bei der möglichen Erstickung der Seuche im Januar/Februar 2020 versagt.

Hier nun will ich mit einigen Vergleichen ansetzen, die vielleicht etwas Ruhe in die Sache bringen und nicht wieder endlose Diskussionen auslösen, denn es sollen nur Punkte angesprochen sein, über die es keinen Streit geben dürfte. 1+1=2 ist keine Meinung, keine Auslegungssache. Und es ist dies auch keine Fachsimpelei von Statistik, Medizin und Virologie - dafür versteh ich von mindestens 2 der 3 genannten Bereiche viel zu wenig. Auch will ich keine Aussagen über die Implikationen für Unternehmen und Volkswirtschaften treffen, obwohl das mein Spezialgebiet wäre, aber das würde die Meisten fachlich wahrscheinlich überfordern und mit Sicherheit langweilen.

Ich will versuchen, mit gesundem Menschenverstand und einfachen Allegorien die Bilder scharfzuzeichnen. Und ich werde gerne Anregungen in dieses Essay aufnehmen und gegebenenfalls Passagen ersetzen/ergänzen, denn die Parameter sind mannigfaltig und ich tippe dies einfach so runter, wie es mir - nach momentanem Wissensstand - einfällt.


1. Neues Virus - Was heisst das?

Stellt Euch vor, Ihr wärt die Kramp-Karrenbauer. Man sagt ja, sie sei Verteidigungsministerin. LOL. Egal, also: Ihr habt Euch positioniert, im Rahmen der NATO die BunteWehr auf Verteidigung gen Osten ausgerichtet, Waffen angeschafft, welche die Waffen des Gegners konterkarieren sollen und für all das habt ihr zwei Jahrzehnte Zeit gebraucht, fühlt Euch nun aber relativ sicher, denn vor Euch liegt noch Polen und auch das ist recht anständig gerüstet und könnte Russland eine Weile aufhalten. Hinter Euch liegt mit Frankreich Euer engster Freund und stärkste Militärmacht Europas. Alles sicher.

Und nun erklärt Euch plötzlich und ohne Vorwarnung Frankreich den Krieg. Am Rhein stehen keine Truppen, und die an der Oder und Neiße haben keine Abwehrwaffen die auf Frankreich abgestimmt sind. Ihr wisst auch nicht, ob die Franzosen angreifen, die stehen erstmal da und nur ab und an gibt es einen Stoßtrupp, der macht aber gleich ein ganzes linksrheinisches Dorf platt. Was tut ihr? Ignorieren und sagt: Ach naja, die Russen sind trotzdem schlimmer? Nein. Ihr bereitet Eure Verteidigung vor, so gut und so schnell es eben geht. Erstmal muss die Überraschung verdaut werden, dann die Planungen beginnen. Je schneller das geschieht, desto weniger Infizierte und Opfer hat ein Land zu beklagen, das ist in den täglichen Statistiken auch für Laien ersichtlich.

Neu ist immer komisch. Aber die Lebenswirklichkeit ist in ständiger Veränderung begriffen und wir müssen immer bereit sein, uns auf diese Veränderung einzustellen und/oder uns dieser zu erwehren. Das ist diesesmal nur ein Test für eine Gesellschaft, die verlernt hat zu kämpfen. In gewissem Sinne ist SarsCoV2 der Weckruf für eine Zivilisation die vor Langeweile fast eingeschlafen ist und zu Dummheiten neigt.


2. Verteidigung = Lockdown?

Wenn man keine Waffen hat, ist Zeit ein Schild. Zeitgewinn, also - das ist der Sinn der Lockdowns gegen das Virus. Man sammelt Daten, man versucht den breiten Durchbruch (Ausbruch!) des Gegners zu verhindern, mindestens aber zu verzögern, bis man Gegenmaßnahmen entwickelt hat, die Industrie umgestellt, die Gesellschaft mental geschult hat. Und es hat funktioniert. Wenn nun moniert wird, dass es ja “so wenig Tote” gibt, so ist das einerseits zynisch, denn es sind ja zusätzliche Tote, die - zu diesem Zeitpunkt - nur durch das neuartige Virus zu beklagen sind. Andererseits liegt aber auch eine Umkehr der Faktenlage diesem Trugschluss zugrunde: WEIL man so reagiert hat, wie man es tat, gibt es relativ wenig Tote.  Und die ersten Waffen kommen nun langsam zum Schild hinzu.

Der Umstand, dass Spanien pro Kopf mehr Tote zu verzeichnen hat als Schweden, obwohl Spanien einen strikten Lockdown fuhr, während Schweden sehr lax agierte, scheint diesem Paradigma zu widersprechen und als Argument erscheint es bestechend logisch - es klammert aber die Mathematik aus: Der zu führende Beweis ist immer die Ausbreitungsgeschwindigkeit: die war in Spanien rasend schnell, was die Sterblichkeit durch die Überlastung des Gesundheitssystems in die Höhe fahren ließ. In Schweden führten selbst die laxen Maßnahmen zu einer langsameren Ausbreitung, mündeten dann aber selbstverständlich doch in vergleichsweise hoher Sterblichkeit, aufgrund der schieren Durchseuchung und der zu erwartenden Mortalität. Während Spanien schnell sinkende Zahlen aufweist, geht das Sterben in Schweden unvermindert weiter und wird noch große Verwerfungen hervorrufen.

Die hinhaltende Verteidigung war die Aufgabe der Mathematik (und ihrer politischen Exekutive) und sie hat mit den Lockdowns die geforderte Leistung erbracht. Jedenfalls zunächst: denn es war dies die Sache der Planung und der Umstellung auf den plötzlichen Kriegszustand. Nun aber, genau im Jetzt!, sind die Ärzte gefragt, sie sind die Offiziere und Truppen, die nun dem Angreifer entgegentreten müssen, um im Bild zu bleiben.

Ich hielt und halte es für eine vornehme Pflicht sich nicht nur zu schützen, sondern auch andere vor Schaden zu bewahren und denen Zeit und Möglichkeiten zu verschaffen, die diesen Kampf für uns ausfechten.


3. Nur eine Grippe?

Wie jeder neuen Krankheit standen die Ärzte auch CoVid-19 zunächst ein wenig ratlos gegenüber. Nicht mehr so ratlos zwar, wie ein Medizinmann der Irokesen der eingeschleppten europäischen Grippe im 18. Jahrhundert. Auch nicht so ratlos wie die Urgroßväter unserer Krankenhausfrontkämpfer der Spanischen Grippe nach dem Ersten Weltkrieg. Man hat seither Unmengen an Wissen dazugehäuft - aber neu ist neu und wenn man nichts weiß, muss man erstmal schauen, was zu tun ist. Das dauert. Nicht mehr so lange wie früher, aber es dauert und man hat diese Zeit erkauft. Es war teuer und es wird noch teurer werden, aber ein Zusammenbruch wurde fast überall verhindert. Halten wir das fest, nicht das WAS WENN, denn der Fortschritt ist zu spüren und es gibt zwar gesunde Menschen ohne Firma, aber keine Firmen ohne gesunde Menschen. 

Keine Grippewelle legt die Wirtschaft lahm. Keine Grippewelle verursacht 300.000 Opfer in 2 Monaten. Keine Grippe führt dazu, dass massenhaft Pflegepersonal erkrankt und verstirbt, ganze Städte am Rande der Verzweiflung stehen und Massengräber ausheben müssen. Das alleine sollte reichen, um den Vergleich zu beenden. Tut es aber nicht. Warum man den Bildern nicht mehr glauben schenkt, wird uns hinterher ebenfalls beschäftigen müssen - die Politik und die Massenmedien haben seit einigen Jahren jedwedes Vertrauen verspielt. Insofern vertraut man in einer schweren Krise seiner Führung nicht mehr, was verheerend wirken kann und kein tragbarer Dauerzustand für eine Nation ist. Denn es ist die Nation, die den Kampf aufnimmt. Nicht alleine, durchaus mit allen anderen Nationen zusammen, aber eben die Nation, nicht irgendein politisches Konstrukt.

Bei HIV/Aids dauerte es fast 10 Jahre, bis man das Erbgut entschlüsselt hatte. Bei Sars2/Covid-19 brauchte die chinesische Nation kaum drei Wochen und nach anfänglichen Spirenzchen teilte man das Wissen mit dem Rest der Welt. Jedoch konnte man in 35 Jahren Erfahrung mit HIV bislang keinen endgültigen Erfolg verzeichnen, natürlich hat man die Krankheit mittlerweile therapeutisch und nosokomiolgisch im Griff, aber weder gibt es eine Schutzimpfung noch eine vollständige Heilung.

Gleiches gilt für Krebs und auch für die Todesursache Nummer 1 in der entwickelten Welt, die Herz-/Kreislaufkrankheiten. Alles ist gut behandelbar, aber nicht ganz heilbar und Schutz ist jenseits der Vermeidung von Risikofaktoren - Fehlanzeige. Anders bei der Grippe, die kann man behandeln und sich mit einigem (saisonal wechselhaften) Erfolg vor ihr impfen lassen, und selbst wenn das fehlschlägt, hat man nur ein Risiko von 1:950 an dieser zu sterben. Wobei mit Grippe keine gewöhnliche Erkältung gemeint ist, sondern wirklich schwere Influenza - die durchaus ein paar tausend Opfer im Jahr fordern kann.

Als man die ersten Zahlen aus China bekam, ging man von einer Sterblichkeit von etwa 4% aus. Das ist viel zu hoch gegriffen, obwohl es in Spanien 10% der festgestellt Infizierten nicht überlebten. Weltweit liegt die Sterblichkeit derzeit noch bei fast 7%, was aber ausblendet, dass es wohl 5-6 mal mehr Infizierte als Festgestellte gibt. Trotzdem wird es auf eine Mortalität von fast 1% und damit etwa 8 mal mehr als bei der Grippe hinauslaufen. Weit höher, wenn die Gesundheitssysteme einer Gesellschaft kollabieren, wie in Spanien und Italien. Und selbst Belgien steht bei 12% Sterblichkeit, bei fast 300.000 Getesteten. Man sollte das nicht weiter austesten - es kann übel enden.

Nein, es ist keine Grippe. Es ist eine hochgefährliche Krankheit, auch wenn sie “nur” 1% der Infizierten töten sollte, weil man es schafft die Ausbreitung zu drücken. Denn die Krankheit ist hochansteckend. Das ist ihre schlimmste Waffe. Tötet sie nur ein Prozent von 85.000.000 Deutschen, sind das nahe an der Millionen Menschen. Das würde das Land zerreißen. Dazu wird es aber nicht kommen, denn wir werden das mit Vernunft und Disziplin verhindern. Jedenfalls hoffe ich das, obwohl es nicht danach aussieht und leider statt der Fachleute, die Politiker das Sagen übernommen haben, und jeder seinen Senf zur Problematik beiträgt - auch wenn dieser unqualifiziert ist, wie es selbst dieser Laienbeitrag sein muß.

Keine Grippe, also. Aber eben auch keine Pest, kein Aids, kein Ebola. Eine neue Krankheit, eine moderne Geißel der Menschheit, relativ gut beherrschbar, wenn man aufpasst. Ob zoonotisch entstanden oder bewusst konstruiert ist noch offen. Und den Opfern ist das auch gleichgültig, obschon man die Umstände wird klären müssen, die Schäden, die allenthalben und in allen Dimensionen des Menschseins ihre Opfer fordert, sind zu gewaltig, als einfach umzublättern, wenn man es überstanden haben wird.


4. “Maulkorb”

Gemeint ist der Mund-Nasen-Schutz. Was für ein unwürdiges Theater von WHO, RKI und Bundesregierung. Und es wurde dann nochmal absurder, als manche den MNS zum Maulkorb erklärten und sich des Tragens verweigern wollen.

Es mag diejenigen mit dieser Sprachregelung verwundern, aber ein Maulkorb ist nicht dazu da zu stigmatisieren. Auch verhindert er das Sprechen nicht. Hunden verpasst man einen Maulkorb, wenn sie bissig sind, um Andere - und auch den eigenen Hund selbst! - zu schützen. Der Hund kann so niemanden beißen und wird nicht eingeschläfert, wenn er mal zubeißen will. Wenn nun alle Hunde Maulkörbe trügen, würde kein Anderer (“Hund”) gebissen. Entsprechend eigentümlich ist die Aussage, Mundschutz würde nicht vor Ansteckung schützen, denn man verhindere nur die Ausbreitung. Dieser Logikfehler ist aber offensichtlich nicht jedermann ersichtlich. Warum weiss ich auch nicht. Es ist sogar ein wenig enttäuschend, weil so augenfällig:

Wenn ich mit Mundschutz niemand anstecken kann, und alle Mundschutz tragen, kann auch ich nicht angesteckt werden.

Es ist auch nicht so wie beim Motorradhelm, der nur mich schützt. Mundschutz schützt mich und Andere und ich kann trotzdem sowohl reden als auch “beißen”.

Der Mundschutz ist für CoVid-19 das, was Kondome für Aids sind: wirksamer Schutz vor Ansteckung. Und ich glaube kaum, dass jemand von den mitlesenden Mundschutz-”Rebellen” aus Prinzip gegen die staatliche Bevormundung auf SaferSex verzichtet hat. Der Grund weshalb es einen solchen Zwang nicht gab, außer für Prostituierte, war, das dies einfach nicht augenfällig im Alltag zu kontrollieren war und außerdem die Ausbreitung recht gemächlich vonstatten ging - namentlich in der entwickelten Welt.


Gäbe es einen solchen Schutz für Krebs oder Schlaganfälle, jeder würde ihn annehmen. Gibt es aber nicht. Entsprechend wäre es sinnlos Stadien zu schließen, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen: die Übertragung funktioniert nur bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder Bluttransfusionen. Und auch wenn die Hälfte der Besucher eines Spiels des FC Bayern an Krebs litt und die andere Hälfte an Bluthochdruck, wird sich niemand gegenseitig mit diesen Leiden anstecken. Übrigens auch nicht mit HIV, es sei denn auf der Toilette beim GV. Den einen oder anderen Herzinfarkt mag es geben, wenn der Schiedsrichter Bockmist pfeifft, aber das ist dann exogenen Faktoren geschuldet.

Bei CoVid-19 haben vollbesetzte Stadien hingegen bereits einen hohen Preis gefordert. Das sollte den Umstand, womit wir es zu tun haben, klar darlegen. Italiens und Spaniens Großstädte sollten Warnung genug sein. CoVid-19 ist ein Lauffeuer, das zwar nicht sehr heiß brennt, aber schnell überspringt.

Ich kann verstehen, wie bedroht sich manche durch die Einschränkungen ihres Alltagslebens fühlen. Auch und besonders angesichts der Tatsache, dass sich die Politik generell nicht mit Ruhm bekleckert und auch hier viel zu spät und teilweise falsch reagiert hat. Sich gegen die Vernunft zu wehren ist aber eine andere Sache - auch wenn sie bitter schmecken mag. Existenzangst ist grausam, aber die Marx´sche Erkenntnis, dass das politische Bewußtsein, dem wirtschaftlichen Sein folgt, ist längst widerlegt und eine Form der Rechtfertigung von Barbarei über die wir uns im Westen längst erhoben haben müssten.


5. Faktoren der Krankheit

Nicht exogen, sondern tief endogen, sind indes die Faktoren die das Virus mit sich bringt. Es dringt enorm schnell in den Wirtskörper ein: Möglicherweise fünfmal schneller als etwa bei der saisonalen Grippe. Es will sich replizieren, es will nicht töten, am besten für das Virus wäre eine asymptomatische Reproduktion. Und genau mit der haben wir es überwiegend zu tun: möglicherweise bis zu 80% der Infektionen verlaufen unbemerkt, erlauben aber die Ausbreitung.

Und dann sind da die übrigen 20%, von denen die Hälfte nur moderate Erkältungssymptome aufweist. Die restlichen 10% werden schwer krank, von diesen muss die Hälfte ins Krankenhaus und nochmals die Hälfte verstirbt daran. Das sind nur ungenaue und unscharfe Zahlen, denn wie oben gesagt, spielen Response (und Qualität!) des Gesundheitssystems eine signifikante Rolle. Außerdem lernen die Ärzte rasend schnell mit den Symptomen umzugehen und verschaffen den Patienten immer mehr Zeit dafür, dass deren eigenes Immunsystem Antikörper entwickelt, welche das Virus entfernen. Aber noch ist die Sterblichkeit hoch und immer neue Symptome tauchen auf.

Schwere Lungenentzündungen, Organschädigungen, Thrombosen im ganzen Körper, das Nerven- und Immunsystem werden angegriffen, Nierenversagen, Herzstillstand....CoVid-19 ist eine systemische Erkrankung, die zwar nur in seltenen Fällen so verheerend wirkt, anders als etwa Sars1 und MERS, dafür aber viel viel mehr Menschen befällt und wenn dann auf vielfältige Weise tötet. Mit Beatmung ist es nicht getan. Es gibt Fälle, wo symptomlose Patienten einfach einen schweren Schlaganfall erleiden und tot umfallen - jung, fit und jenseits jeder statistischen Wahrscheinlichkeit.

Es ist also nicht so, dass man mit diesem Risiko einfach leben kann und muss. Denn der Vergleich mit dem kalkulierbaren Risiko des Straßenverkehrs hinkt ebenso, wie der mit anderen, tödlichen Krankheiten. Zunächst, weil es eine neue Krankheit ist: es kommen also NEUE Tote hinzu, zu den bestehenden vorherigen - jedenfalls zum großen Teil. Schon bald an den Statistiken der Übersterblichkeit augenfällig erkennbar.

Die meisten Verstorbenen hätten noch einige Jahre vor sich gehabt. Eine Studie geht von bis zu 16 Jahren Lebenszeitverlust bei Erkrankten aus. Das ist gravierend.

Die 3000 Toten auf Deutschlands Straßen sind, je nach Zählweise, 50-75 Millionen Verkehrsteilnehmern geschuldet. Die bislang mindestens 7000 Toten durch CoVid-19 höchstens einer Million Infizierten. Das macht die Krankheit - bisher, denn sie grasiert ja noch! - mindestens 30 mal wahrscheinlicher zur Todesursache als unvorsichtiges Fahren - gegen das man ja etliche Maßnahmen ergriffen hat. Womit wir bei den Forschern wären, denn auch Ärzte sind in diesem Fall Verkehrsteilnehmer und werden somit Opfer.

Im Krieg wissen für gewöhnlich die Obristen am Besten, wie man taktisch vorgeht - sie haben sphärischen Überblick sind aber auch nahe am Geschehen. Nicht die Generale. Man höre also mehr auf die Ärzte bei der Bekämpfung des Gegners, als auf die Professoren. Letztere sind für Strategie zuständig, so weit sind wir noch nicht. Die Zeit der Politik ist vorbei, die der Strategen noch nicht gekommen, jetzt ist die Zeit des Kampfes und der wird klinisch geführt, nicht politisch, nicht akademisch - wenngleich alle Faktoren systematisch ineinander greifen.

Systemische Herausforderungen müssen entsprechend vom gesamten System bekämpft werden. Und zu dem gehören auch wir. Jeder Einzelne kann zum multiplen Infizierer werden. Damit umzugehen ist eine große Verantwortung.


6. Eine neue Normalität?

Dieses Bonmot hört man allenthalben. Von Wissenschaftlern, Politikern, ja sogar die Wirtschaftsgrößen meinen sich so vage ausdrücken zu müssen, was natürlich zu Unsicherheiten führt. Niemand mag Veränderung, auch wenn sie die einzig verlässliche Konstante des Lebens darstellt. Und tatsächlich darf man bei aller Unbestimmtheit einerseits und bei aller Koordination andererseits, davon ausgehen, dass jeder, der die Floskel im Munde führt etwas anderes damit meint.

Die Normalität, auf die man sich bezieht steht in Verbindung mit dem Virus und den sich ergebenden Implikationen. Lässt man die Dinge laufen, wird es Opfer geben, auch wenn man mit Hygienemaßnahmen, mit Mund-Nasen-Schutz und justiertem Verhalten viel Positives wird erreichen können und die Seuche daran hindern, sich so zu verbreiten, dass in der entwickelten Welt die Gesundheitssysteme kollabieren und die Sterblichkeit explodiert.

Solche Maßnahmen werden wirklich zur neuen Normalität werden, und sie werden vielen nicht schmecken, einige werden sich nicht daran halten, aber im Prinzip legt man damit die Eigenverantwortlichkeit in die Hände der Bürger zurück, wobei man dafür sorgen muss, da jene, die sich besonders schützen müssen, auch besonders schützen können. Einfach wird das nicht; so müsste beispielsweise die Anwesenheitspflicht in den Schulen aufgehoben werden, ein Recht auf HomeOffice wo möglich und eine Unterstützung für Vorerkrankte, die nicht mehr zur Arbeit können, ohne sich in nennenswerte Gefahr zu bringen. Der ÖPNV muss eingeschränkt werden und natürlich müssen die Grenzen geschlossen bleiben, bzw abgeriegelt werden. Besonders für Zuwanderer aus der Dritten Welt, denn dort wird man die Ausbreitung nicht eindämmen oder gar verhindern können.

In den drei Monaten seit das Virus in Europa und Nordamerika angekommen ist, wurden über 8000 wissenschafltiche Publikationen zu CoVid-19 veröffentlicht. Das sind so viele wie über Herz-/Kreislauferkrankungen in den letzten 20 Jahren. Damit sollte zumindest einleuchten, wie Mediziner und andere, relevante Forscher die neue Krankheit beurteilen. Weltweit arbeiten sage und schreibe über 1 Millionen Menschen an Erforschung, Therapie und Pharmakologie zur Seuche, zwar etwas unkoordiniert, aber relativ transparent und sogar interdisziplinär, zusammen. Das ist wirklich völlig neu und alles andere als Normalität. Das ist ein neues Manhattan Project, ein neues Apollo-Programm.

Über 250 Medikamente werden bereits ausgetestet und kombinierte Therapien werden maßgeschneidert, da man rasend schnell dazulernt und die Sterblichkeit bereits abnimmt.

Es sind über 80 Impfstoffe in der Erprobungsphase. Zwei davon bereits bei klinischen Tests im Einsatz. Als gesichert kann es nicht gelten, dass man durch Impfung zu immunisieren ist. Die Spekulation darüber hat aber mit der Ankunft in der neuen Lebenswirklichkeit nicht viel zu tun, denn es wird in jedem Fall dauern, bis überhaupt ein Vaccin zugelassen wird. Doch kommt es darauf nicht an, wir Leben auch mit anderen Krankheiten, wenn wir sie verstanden haben.

Das ist die Normalität, in die uns die letzten Monate geführt haben. Denn seit die Krankheit im Westen ankam, hat die Welt enorm dazugelernt und sich bewegt, zu spät zwar, denn man hätte das Virus ersticken können, aber immerhin wird nun daran gearbeitet und irgendwann wird die “neue Normalität” nicht mehr von der alten zu unterscheiden sein.

Die Furcht vor Einschnitten beim Wohlstand und bei persönlichen Freiheiten ist berechtigt. Das darf aber nicht dazu führen, dass man deshalb steigende Opferzahlen in Kauf nimmt. Denn sobald die ein “erträgliches” Maß übersteigen, schwenkt die öffentliche Meinung gefährlich um. Es muss eine Balance gewahrt bleiben und die Politik lernen vernünftig und einfach verständlich zu kommunizieren.
Die wichtigste Handlungsmaxime für alle Beteiligten und Betroffenen muss indes lauten, das Virus so zu bekämpfen, als gäbe es keine Aussicht auf einen Schutz vor diesem. Damit schützt man sich und andere am Besten und Sichersten. Und man sollte mit ruhiger Sachlichkeit und ohne Egozentrik erfragen, was die neue Normalität für einen selbst bedeutet, welche Verhaltensweisen angepasst werden müssen. Das ist nicht einfach. Für viele wird es so unmöglich sein, sodass die Staaten mit Zwang reagieren werden. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass man sich damit neben der Krankheit auch diktatorische Regime einfängt.

Andere Länder werden damit werben “virenfrei” zu sein und um Touristen, Expats und Investoren buhlen. Man wird die Abkommen über Freizügigkeit ausgesetzt lassen und nachweisen müssen, in Länder, in denen das Virus unter Kontrolle ist, keine Neuinfektionen zu tragen. Es ist das gute Recht jeder Nation ihr Volk zu schützen und die Grenzen zu kontrollieren, das hatten wir fast vergessen.

In diesem Punkt ist die neue Normalität eine sehr alte und es ist eher eine Rückkehr zu Normalität als eine Absonderlichkeit. Denn neue Normalität bedeutet auch nicht, dass irgendetwas ausgestanden ist, weil es wieder Klopapier zu kaufen gibt. Auch bedeutet die Rückkehr zu einer Form des Gesellschaftslebens nicht, dass die entstandenen Verwerfungen zu kitten sind - die komplexen Systeme der modernen, globalisierten Welt hätten auch einen zweiwöchigen Lockdown nicht unbeschadet überstanden. Mehr denn je befinden sich namentlich die westlichen Gesellschaften in einem Zustand permanenter Insolvenzverschleppung: materiell, ideel und leider auch moralisch, wenn man sich ansieht, dass manche Gesellschaften auch mitten in der Pandemie noch die überkommenen Sozialexperimente mit dem Klima, der Zuwanderung und sonstigem Kulturmarxismus forcieren.

Mit Sachlichkeit und Verstand ist diesen Herausforderungen zu begegnen. Mit Vertrauen in die Fähigkeiten und die Integrität der Ärzte, sowie mit Hoffnung and Überzeugung, dass die Wissenschaft ihre mittlerweile erheblichen Mittel so einsetzt, dass wird nach der Forschung an Sars2 vielleicht Viren gegenüber ähnlich abwehrbereit werden, wie wir es mit Antibiotika gegenüber Bakterien geworden waren.


7. Ausblick

Ich kann verstehen, wenn viele Freunde sagen “Man weiss nicht, was man glauben soll”. Es ist kompliziert - keine Frage. Und es hilft nicht, wenn die Wissenschaftler zu früh mit ihren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gehen, da das Verständnis bei der breiten Masse sehr gering ist. Leider. Und wer behauptet, er verstünde etwas von dem, was in den Köpfen von Drosten & Co vorgeht, wenn sie Spike-Proteine, Basenpaare und Polymerase-Sequenzen austüfteln, lügt schlicht und ergreifend. Das ist hochspezialisiert und entsprechend anspruchsvoll, bisweilen auch widersprüchlich. Weltweit gefeierte Wissenschaftler machen Aussagen, die von der Bevölkerung mißverstanden werden können. So etwa die Heinsberg-Studie und die entsprechende der Universität Standford. Sie geben lediglich eine Momentaufnahme einer lokalen Gegebenheit wider. Die Professoren wissen das gewichtend einzuordnen, ihre Zuhörer eher nicht.

Und sehr leicht macht man sich zum Unkenrufer, wenn man versucht das klarzustellen. Das ist aber wichtig, denn jeder kann mithelfen um die Seuche zu besiegen und es gibt Indizien dafür, dass man sich mit einem Nikotinpflaster in der Sonne sitzend einen milderen Krankheitsverlauf nähern kann. Auch das hülfe eine Art Herdenimmunität zu erreichen. Gesichert ist das allerdings noch nicht.

Auch wenn etwa nun doch eine gewisse Kreuzimmunität zu anderen Coronaviren vermutet wird, so ist das bislang ebenfalls genau das: eine vage Vermutung mit einigen Indizien. Nicht mehr. Aber eben auch nicht weniger; auch das müssen die Experten gewichten. Anfangs dachte man, die schweren Krankheitsverläufe beträfen vorwiegend Alte. Das stimmt aber nicht, es trifft vorwiegend Menschen mit angeschlagener Gesundheit und die sind meist alt. Aber eben nicht immer. Gefährdeter sind Vorerkrankte, nicht Alte. Diabetes gilt als Vorerkrankung mit hohem Risiko schwer an CoVid-19 zu erkranken, obwohl ansonsten alles andere als ein Todesurteil im 21. Jahrhundert.

Weder kann man von einer gesicherten Immunität ausgehen, wie beispielsweise bei überstandenen Röteln, noch von einer wirksamen Impfung wie bei den ausgerotteten Pocken. Es ist alles noch sehr vage, da die Krankheit neu, das Virus veränderlich und die Forscher noch am Anfang ihrer Arbeit sind, obschon sie bereits sehr erfolgreich Mittel entwickelt haben, die aber noch erprobt werden müssen. Einstweilen muss der Schild der Mathematik, geführt von den Offizieren in Weißen Kitteln auf den Schlachtfeldern der Öffentlichkeit die Menschen beschirmen. Vorerst sind wir in der Defensive.

Doch wir lernen und wir werden lernen damit umzugehen. Und es wird - ob mit Impfstoff oder ohne - wirklich zu einer Rückkehr zur Normalität kommen. So wie wir gelernt haben mit AIDS umzugehen, so werden wir mit CoVid-19 umgehen lernen und weit weit schneller wird die Sterblichkeit sinken, als das bei Krebs und Kreislaufkrankheiten der Fall war. Wir sind einfach viel schlauer als früher und haben millionenfach mehr Möglichkeiten als noch vor 30 Jahren. Trotzdem ist Sars2 eine Herausforderung und eine große Gefahr, denn leicht können Zustände wie in Madrid, New York und Bergamo überall dort Einzug halten, wo und falls die Ausbreitung unkontrolliert erfolgt.

Deshalb haben (fast) alle Länder mit den Mitteln des Mittelalters reagiert, gehen nun aber mit modernen Waffen zum Gegenangriff über. Wir werden das Virus besiegen. Aber wie in jedem Krieg ist Zusammenhalt die Grundvoraussetzung für den Sieg. Die spartanischen und makedonischen Phalanxen waren deshalb unüberwindlich, weil ihre Kohäsion gewaltig war. Andere Waffen als die Speere der Klugheit und die Schilde des Mundschutzes und Social Distancings, werden kommen.

Noch haben wir sie nicht. Jedenfalls noch nicht so sicher, wie sie bald kommen werden. Bis dahin können wir Resilienz zeigen und einander helfen mit den Auswirkungen umzugehen.

Das würde ich mir für uns alle wünschen und deshalb habe ich dies verfasst.

Wohl dem der nicht Opfer sein will, und sich den Dimensionen der Entmenschlichung dieses Prozesses entziehen kann, so er denn will.


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Zu dem Satz "Die meisten Verstorbenen hätten noch einige Jahre vor sich gehabt. Eine Studie geht von bis zu 16 Jahren Lebenszeitverlust bei Erkrankten aus. Das ist gravierend" paßt der Bericht, der heute in der englischen Zeitschrift The Economist unter dem Titel "Before Their Time" erschienen ist und in dem es heißt:
Would most covid-19 victims have died soon, without the virus? ... Life expectancies for old people are surprisingly high, even when they have underlying conditions, because many of the unhealthiest have already passed away. For example, an average Italian 80-year-old will reach 90.Strikingly, the study shows that in this hybrid European model, people killed by covid-19 had only slightly higher rates of underlying illness than everyone else their age. When the authors adjusted for pre-existing conditions and then simulated deaths using normal Italian life expectancies, the YLLs ("years of life lost")  dropped just a little, to 11.1 for men and 10.2 for women. (They were slightly lower for Britons.) Fully 20% of the dead were reasonably healthy people in their 50s and 60s, who were expected to live for another 25 years on average.



         



(U.E.)

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