24. Januar 2019

Aus der Schwalbenperspektive (19): Ist der Handball der bessere Fußball?

Auch bei Menschen, die sich für Fußball interessieren oder gar als Fans dieser Sportart bezeichnen, gehört Gejammer beziehungsweise, um es vorsichtiger zu wenden, eine kritische Haltung bezüglich einiger Phänomene im Zusammenhang mit der Lederkugeltreterei gleichsam zum guten Ton: Die Kapitalismusskeptiker betrauern die Kommerzialisierung der einstigen Arbeitervergnügung; an Fairness und Nüchternheit orientierte Zeitgenossen werden von der Schwalben- und Rudelbildungstheatralik abgestoßen, und außerdem wäre da ja noch der Videobeweis, der wie wahrscheinlich wenige andere Modifikationen des Regelwerks die Zuschauergemeinde spaltet.
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Im Handball ist vieles anders. Alberne Verschwörungstheorien um die Länge der Nachspielzeit sind ausgeschlossen, weil die Uhr bei einer Unterbrechung der Partie angehalten wird. Zwei-Minuten-Zeitstrafen werden allenfalls mit einer kurzen Unmutsgeste, aber nicht mit minutenlangen Menschentrauben um den Pfeifenmann kommentiert. Für Zeitschinderei droht nicht nur eine – häufig problemlos in Kauf zu nehmende – Verwarnung, sondern der Ballverlust. Im Vergleich mit der Nummer 1 im deutschen Handballtor, Andreas Wolff, sehen Fußball-Goalkeeper (außer Tim Wiese, der jedoch erst nach seinem Fachwechsel die entsprechende Körpermasse erworben hat) wie Hänflinge aus; aber schauen Sie mal (zum Beispiel morgen Abend), wie der Fast-zwei-Meter-und-110-Kilogramm-Hüne sein Bein bei einer Fußparade gen Himmel reißt: Das könnten Ballett-Tänzerinnen, welche die Hälfte des Gewichts des derzeit noch vom THW Kiel beschäftigten Schlussmannes auf die Waage bringen, kaum besser. Während man beim Fußball misslicherweise beim Bierholen oder auf der Toilette ist, wenn doch noch die einzigen Tore fallen, kann einem das beim Handball nicht passieren.

Ist der Handball also der bessere Fußball? Die Antwort auf diese Frage lautet nach Ansicht des Verfassers: Nein. Ich muss gestehen, dass mir die Handball-Heim-WM große Freude bereitet und ich morgen ab 20:15 Uhr zum Match der deutschen Mannschaft gegen die norwegische Auswahl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das ja auch von mir zwangsweise alimentierte Erste einschalten werde. Doch Fußball-WM-Stimmung will sich nicht einstellen: Verabredungen zum Public Viewing? Fehlanzeige. Gibt es – außer vielleicht in den Handballhochburgen – solche Angebote überhaupt?

Abgesehen vom Atmosphärischen sind es mindestens zwei Umstände, die mir am Fußball besser gefallen als am Handball (und nein, es ist nicht der intellektuell überschaubare Vorwurf, dass Letzterer „zu kartoffelig“ sei): Zum einen ziehe ich Freiluftsportarten den Hallendisziplinen eindeutig vor. Wenn morgen die tollkühnen Männer in Autobahngeschwindigkeit über die Streif donnern, dann ist das ein Drama auf ganz großer Bühne. Basketball und Eishockey? Lassen mich kalt. Das Finale in Wimbledon: eine Krönungsmesse, die – unter Dach verlegt – viel von ihrem Fluidum verlieren würde. Und Szenen von Shakespeare’scher Tragik wie beim Fußball, wenn der Stürmer allein auf den gegnerischen Torhüter zuläuft und die Hundertprozentige dann doch noch verdaddelt, wie es im Jargon so schön heißt, gibt es beim Handball mit seinen um den Kreis formierten Abwehrriegeln schlechterdings nicht.

Ich möchte beide hier behandelten Ballsportarten nicht missen. Sie haben jeweils ihren eigenen Reiz. In einer Gesellschaft, in der Vielfalt zum unhinterfragt zu begrüßenden Ideal stilisiert wird, sollte es möglich sein, sich nicht zwischen zwei (vermeintlichen?) Körperertüchtigungsantipoden entscheiden zu müssen.

Noricus

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