25. Juni 2017

Sarrazin, Sieferle und die Antisemitismus-Doku: Vom Umgang mit nicht hilfreichen Werken

Der von der römisch-katholischen Kirche weiland herausgegebene Index Librorum Prohibitorum war eine paradoxe Angelegenheit. Denn es ist zu vermuten, dass er so manchem Buch, dessen Lektüre durch die Aufnahme in die schwarze Liste eigentlich verhindert werden sollte, zu neuen Lesern verhalf, die andernfalls nie von dem unter das Bannedikt gestellten Titel erfahren hätten.

Den beschriebenen Effekt erlebte das Publikum in Deutschland in jüngerer Zeit in der Auseinandersetzung um die Schrift „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. In einer bis dahin beispiellosen, von Journalisten, Lobbyisten und Politikern betriebenen Verdammungszeremonie wurden Werk und Autor zu diskreditieren versucht. Die durch die medialen Erregungen entfachte Neugier der Bürger dürfte zum wirtschaftlichen Erfolg der Sachbuchveröffentlichung nicht unwesentlich beigetragen haben.
­
Man sollte also meinen, dass sich die Methode „Index“ im Umgang mit nicht hilfreichen Werken keineswegs als Mittel der Wahl erwiesen hat. Gleichwohl gelangt sie noch zur Anwendung. So auch in der Debatte um das Buch „Finis Germania“ des im letzten Jahr aus dem Leben geschiedenen Historikers Rolf Peter Sieferle.

Die Ironie an der Causa Sieferle liegt nun darin, dass diese von einer Platzierung des genannten Titels auf einer Liste ihren Ausgang nahm; freilich nicht auf einem Verbotsindex, sondern einem von einer Jury erstellten Empfehlungsclassement. Die Änderung des Vorzeichens von Plus auf Minus ging mit dem erwartbaren medialen Getöse einher – und dem daraus folgenden Effekt, dass die Verkaufszahlen von „Finis Germania“ in die Höhe geschnellt sind.

_____________________________________________________________________


Wäre es, um die Aufmerksamkeitsverstärkung durch die Indizierung hintanzuhalten, seitens der Bann-Aspiranten nicht vorzuziehen, über ein als toxisch erachtetes Werk den Mantel ungnädigen Schweigens zu breiten? Nicht unbedingt. Denn wenn das Opus trotz seiner diskursiven Eskamotierung in der Öffentlichkeit Verbreitung findet, fehlt dem Publikum die Handreichung, wie es das Geschaffene zu interpretieren hat.

Genau dies war der Fall bei der Antisemitismus-Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ (die übrigens noch bis Mittwoch in der ARD-Mediathek abgerufen werden kann). Nach der anfänglichen Weigerung von ARTE und dem WDR, das inkriminierte Stück auf die Mattscheibe zu bringen, ergriff BILD die Gelegenheit und stellte den Film 24 Stunden lang ins Netz. Dadurch unter Druck gesetzt, wurde es dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen plötzlich möglich, die Dokumentation redaktionell zu bearbeiten, wenn auch in einer die Urheber gezielt desavouierenden Form. Aber: Viele Interessierte hatten den Beitrag zu diesem Zeitpunkt wohl schon auf der Web-Präsenz der BILD oder in anderen Bereichen des Internets gesehen, dies ganz ohne höchstobrigkeitliche Vorgabe, wie man das alles denn aufzufassen habe.  

Genau an dieser Stelle zeigt sich die faktische Überlegenheit des „Index“-Ansatzes. Denn dieser bewirkt, dass ein Teil des Publikums auf eine eigene Rezption des angeprangerten Werkes von vornherein verzichtet, weil es sich einer bereits vorgefertigten Meinung anschließen kann (so wie die Bundeskanzlerin, die Sarrazins Buch – den Autoritäten folgend – als „diffamierend“ und „nicht hilfreich“ kritisierte) oder sich dem Opus bereits mit einer Voreingenommenheit, einem bias, annähert.

Dabei ist zu bedenken, dass sich der Index nie an die ohnehin verlorenen Seelen der Abtrünnigen, sondern an die Anhänger oder Sympathisanten der eigenen Ideologie wendet. Für einen bestimmten Teil der deutschen Öffentlichkeit stellt die einhellige Ablehnung durch das Feuilleton schon allein ein Prädikat für das rezensierte Werk dar. Andere lassen sich durch die Wortspenden der journalistischen Kulturdezernate jedoch dahin primen, dass sie den besprochenen Text oder Film durch die ihnen aufgesetzte Brille des Vorwurfs betrachten. Wo man böses Gedankengut entdecken möchte, wird man auch fündig.

Noricus

© Noricus. Mit Dank an Manfred Sachs, nocheiner und R.A. für Link-Hinweise. Für Kommentare bitte hier klicken.