Wenn eine Journalistin die von
ihr rezensierte Fernsehsendung mit Attributen wie „Blase der Blödheit“ und „komplett
sinnleere[n] Dauerschleife“ versieht; wenn sie die in dem
Format auftretenden Kandidaten als „Dumpfgockel“, „Trottel“ und „Brunftwachteln“
apostrophiert; wenn sie für die weiteren Folgen der Show „zumindest einige
Prolligkeiten aus dem Bückwarenbereich“ erwartet; dann könnte man als naiver
Leser vermuten, dass es sich bei dem Artikel um einen drastisch formulierten, ja grenzwertigen Verriss handelt.
In Wirklichkeit ist Anja
Rützel, Verfasserin eines auf Spiegel-Online erschienen, die vorstehenden Zitate enthaltenden Textes über die RTL-Produktion „Die Bachelorette“, laut Autorenporträt auf der Homepage der Fischer-Verlage „bekennender Trash-TV-Fan“. Ihrer Polemik ist zu entnehmen, dass sie mit den Zumutungen für ihr ästhetisches Empfinden gerechnet hat.
Wie kann man als Freundin des sogenannten Unterschichtenfernsehens nur so
despektierlich über einen Exponenten dieses Flimmerkistensegments schreiben, zumal ohnehin alles so gekommen ist, wie man es vorhergesehen hat?
Um dieses Paradoxon zu verstehen, ist es hilfreich, einen Blick auf die Brutalo-Version der Schmuddel-Unterhaltung im Nullmedium zu werfen, nämlich auf das „Dschungel-Camp“. Zettel hat als Ursachen des Zuspruches, den diese Sendung erfährt, Voyeurismus, Sadismus und die Lust am Ekelhaften ausgemacht. Anders formuliert: Das „Dschungel-Camp“ ermöglicht es, im Alltag völlig inakzeptable Regungen der Niedertracht und der Bosheit auszuleben, und zwar mit dem Segen des deutschen Feuilletons.
Dieser Ritterschlag für das, was die bayerische Verfassung in einer schönen Alliteration als "Schmutz und Schund" bezeichnet, mag eine Erscheinungsform des sogenannten prole drift sein, also der Tendenz zur kulturellen Ochlokratisierung. Für den Bildungsbürger birgt die unbefangene Auseinandersetzung mit dem vom Massengeschmack Bevorzugten gleichwohl die Gefahr des Statusverlustes, weshalb sich Rützel und andere im einschlägigen Bereich arbeitende Journalisten ihrem Publikationsobjekt von oben nähern und zu diesem durch das Lamento, wie seicht und banal doch das alles sei, eine gewisse Distanz aufrechterhalten.
Diese Haltung ist freilich zutiefst unaufrichtig. Denn Rützel und die anderen Trash-TV-Fans sehnen sich ja gerade nicht nach einem
Sendungskonzept, dem zufolge gebildete, empathische, kultivierte Männer um die Gunst einer ebenso
niveauvollen Junggesellin buhlen würden. Nein, die geringe intellektuelle Spannweite
der Gespräche zwischen den Show-Teilnehmern ist ebenso erwünscht wie läppisches
oder arrogantes Verhalten der Konkurrenten. Der Zuschauer will ja gerade in den Stand versetzt werden, sich über die geistige Einfalt der
Sendung und ihres Personals – im etymologischen Sinn – zu empören, also zu erheben.
In einer Gesellschaft, in deren besseren Kreisen
ansonsten jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muss, weil die Empfindlichkeit gegenüber als anstößig empfundenen Äußerungen keine Grenzen mehr kennt – bildet
das Lästern über die Trash-Television eine Art sozial akzeptables Réduit des ungeschminkten Wortes. Die Bachelorette und ihre Verehrer sind die Zielscheiben einer ansonsten vom Diktat der politischen Korrektheit und des neuerdings wieder in Mode gekommenen Anstandes verpönten Verbalaggression, die sich dadurch schönreden lässt, dass die Reality-Soap-Akteure ja freiwillig in den Ring steigen und für ihre Auftritte - wenn auch nicht allzu üppig - bezahlt werden.
Dagegen existiert heute ein Bedürfnis nach Formaten, die es gestatten, all das zu tun, was im normalen Leben geringes Ansehen genießt und immer mehr gesellschaftlich sanktioniert wird: nämlich ausgrenzen, verspotten, Häme und Verachtung zeigen. So erweist sich das Programm der Privatsender nicht als Unterschichten-, sondern als Triebabfuhrfernsehen.
Noricus
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