11. Mai 2016

Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen

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Die Landtagswahlen im März und die damit verbundenen Erfolge der AfD liegen nun einige Wochen zurück. Nachdem sich der Staub gelegt hat, welcher durch die erste Aufregung aufgewirbelt wurde, kann man die etablierten Parteien bei der Aufarbeitung des, aus eigener Sicht, "überraschend eingetretenen Desasters" beobachten. Diese Aufarbeitung besteht aus zwei Arbeitsschritten. Zunächst versucht man den Erfolg der AfD zu verstehen, um dann aus diesem Verstehen die richtigen Schlüsse für einen eigenen, zukünftigen Erfolg zu ziehen. In meiner Beobachtung wird dabei immer klarer, daß es den etablierten Parteien unmöglich zu sein scheint, den Kern des AfD Erfolgs zu erkennen, weil dieses Erkennen das eigene Selbstverständnis in Frage stellen würde. Man zieht daher lieber die falschen Schlüsse, um das eigene Selbstverständnis zu retten, verprellt damit immer mehr Wähler und stärkt so weiterhin den politischen Gegner, anstatt ihn zu schwächen.

Die Schlüsse, welche die etablierten Parteien aus dem Erfolg der AfD ziehen, sind beispielhaft in dem neuen Strategiepapier der SPD zum Umgang mit der AfD zu erkennen: Man sieht in der AFD eine rechtspopulistische Partei, welche auf Fremdenfeindlichkeit setzt. Die dadurch bedienten Ressentiments fallen bei vielen Wählern auf fruchtbaren Boden und machen den Erfolg der Partei aus. Ein sachlicher, inhaltlicher Umgang zu diesem Thema soll nun die AfD entzaubern. Die SPD setzt dabei tendenziell auf "den Kampf gegen Rechts", die CDU/CSU auf das zurück Erobern des „rechten demokratischen Spektrums“.

Wenn diese Analyse auch ein Stück Wahrheit enthält, greift sie trotzdem viel zu kurz. Es steht außer Frage, daß ein Teil der AfD und ihrer Wähler von Fremdenfeindlichkeit getragen wird. Diesen Teil, zumindest die Wählerschaft betreffend, halte ich allerdings für relativ klein und vor allem auch durch Argumente gemäßigter Parteien nur eher schwer erreichbar. Rekrutierte sich die Unterstützung der AfD alleine aus diesem Wähler-Reservoir folgte daraus zweierlei: Zum einen wäre die AfD politische bedeutungslos zum anderen wäre ein Großteil der AfD Wähler für gemäßigte Parteien ohnehin nicht zu gewinnen.

Natürlich spielte die Migrationskrise, die auch fremdenfeindliche Töne erzeugte, eine entscheidende Rolle für das Erstarken der AfD. Die Umstände der Migrationskrise waren so etwas wie der "Popularitäts Dammbruch", welcher der AfD politisches Leben einhauchte. Der momentan andauernde Erfolg der AfD aber gründet sich meines Ermessens auf weit mehr als das und man kann das Rezept dieses Erfolges in einem Satz zusammenfassen: Die AfD besetzt in einer aufgeladenen, politischen Stimmung viele der alternativlosen, politischen Positionen der vergangenen Jahre mit der exakten Gegenposition und genau dieser einfache Schachzug treibt ihnen immer mehr Wähler zu.

Diesen Punkt zu erkennen, weigern sich die etablierten Parteien. Sie sind daher nicht in der Lage den Erfolg der AFD zu verstehen und so auch nicht in der Lage, etwas gegen den Erfolg des politischen Gegners zu unternehmen. Um den weit überwiegenden Teil der AfD Wähler für sich zurückzugewinnen, müssen die etablierten Parteien nicht die "Rechtsaußen Gesinnung" der AfD offen legen, sondern endlich wieder unterschiedliche Positionen in der politischen Alternativlosigkeitswüste anbieten. Aber genau an diesem Punkt geht es an das Selbstverständnis der modernen, fortschrittlichen, etablierten Parteien, welches sie nicht aufzugeben in der Lage zu sein scheinen.

Es gibt in unserem Land etliche politische Positionen, die dem Prototypen des "umweltbewußten, toleranten und weltoffenen Bundesbürgers" als rückschrittlich gelten, für die es aber dennoch viele Wähler gibt. Keine dieser Positionen wird dabei durch unsere etablierten Parteien mehr angeboten, da sie, im oben genannten Sinne, einem umweltbewußten, toleranten und weltoffenen Deutschland entgegen stehen. So gibt es in der Bundesrepublik seit längerer Zeit keine politischen Alternativen mehr, wenn man sich gegen die Eurorettung, für Atomkraft, gegen die Energiewende, gegen die "Verspargelung" der Landschaft, gegen einen überbordenden Sozialstaat, gegen Klimarettung, für eine Stärkung des traditionellen Familienbildes, für die Freiheit der Forschung, für eine klar geregelte Einwanderung, für Grenzsicherung,  für ein klassisches, mehrstufiges Bildungssystem ohne Frühsexualisierung oder Inklusion, gegen frühkindliche „Indoktrination“ in Ernährungs-, Klima- und Umweltfragen, für mehr Elternverantwortung bei der Erziehung, gegen Genderleitbilder oder vieles andere mehr positionieren will. Eine Partei braucht sich nur auf diese Felder zu setzen und den Gegenpol zur Alternativlosigkeit zu bilden und die Wähler werden ihr in Scharen zulaufen, so inhomogen sie auch sonst in ihren Interessen sein mögen. Genau das tut die AfD. Sie braucht auch keine Lösungen anzubieten. Der über Jahre hinweg angestaute Frust bei vielen Menschen ist so groß, dass es ihnen zunächst einfach nur wichtig ist, ihn (bei Wahlen) artikulieren zu können. Ich denke keine deutsche Partei hat eine in ihren politischen und weltanschaulichen Ansichten so inhomogene Wählerklientel wie die AfD, die aber durch einen Umstand geeint wird: Frustration über die politische Alternativlosigkeit bei Themen, welche ihnen wichtig sind.

Wie blind die etablierten Parteien für diese in meinen Augen offensichtliche Wahrheit sind und wie unfähig sie sind "richtig" zu reagieren, zeigen die Ergebnisse der drei zurückliegenden Landtagswahlen in Form der ausgehandelten Koalitionsverträge. Sie versprechen wieder genau das, was die Wähler in Scharen zur AfD treibt: Ein umweltbewußtes, tolerantes und weltoffenes Deutschland.

Die von dem deutschen Philosophen Hans-Georg Gadamer begründete Hermeneutik geht davon aus, dass jegliches Verstehen an die Sprachlichkeit des Seins vor dem Horizont der Zeit gebunden ist. In diesem Sinne erscheint es mir, als daß der Konflikt zwischen den etablierten Parteien und der AfD in Teilen die Kollision zweier zeitlicher Epochen ist, welchen die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis fehlt. Auf der einen Seite steht eine Wählerschaft, welche ich inhaltlich affin zur Bonner Nachkriegsrepublik sehen würde, auf der anderen Seite steht eine gesellschaftliche Elite, die ein "demokratisches, ökologisches Utopia" zunächst für Europa und dann die ganze Welt erträumt und deren Sprache und Denken bereits weit in unsere Gesellschaft hineinwirkt.

Für die große Zahl der Wähler ist in meinen Augen nur von untergeordneter Bedeutung, dass die AfD auch Positionen vertritt, die in der bürgerlichen Mitte nicht zuhause sind. Für diese Wähler ist der zentrale Punkt, dass sie in der AfD einen politischen Gegenentwurf des eigenen, in einer zeitlichen Epoche verankerten Selbstverständnisses zu erkennen glauben, welcher endlich einem bisher alternativlosen, fremden, sich modern gerierenden Selbstverständnis entgegen tritt. In diesem Bild wird deutlich, warum der Umgang mit der AfD den etablierten Parteien so schwer fällt:

Dazu an das eigene Selbstverständnis zu rühren, sind die allerwenigsten in der Lage. Wenn man es dann trotzdem tut, geht das fast immer nur mit großen Schmerzen und der Aufgabe von sehr lieb gewonnenen einher.
 
 
nachdenken_schmerzt_nicht

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