5. Mai 2016

Marginalie: Der sterbende Riese

Der Witz ist vermutlich eine Grundkonstante der menschlichen Unterhaltung. In seiner konkreten Form ist er allerdings eminent kultur- und zeitabhängig. Ein ehedem zum Besten gegebener Kalauer fragte nach dem Lieblingssender des Angesprochenen. Nachdem dieser seine Favoritin unter den TV- oder Radiostationen benannt hatte, lautete die Antwort des Sottisenreißers: „Mein Lieblings-Sender ist der Tau-Sender.“

Heutzutage können im deutschsprachigen Raum nur noch die Eidgenossen und die Liechtensteiner über diesen Klamauk lachen: Der Schweizer Franken kennt als größte Papiergeldeinheit nach wie vor die Stückelung mit dem Einser und den drei Nullern. Für Österreicher und Deutsche ist seit Anfang 2002 hingegen Schluss mit lustig. Die höchstwertige Euro-Banknote ist bekanntlich, aus der Tausender-Perspektive gesehen, lediglich eine halbe Portion.

Und auch diesen Schein-Giganten wird man uns jetzt nehmen. Man, das ist die Europäische Zentralbank (EZB). Deren Präsident, Mario Draghi, begründet die Abschaffung des lilafarbenen Riesen mit dem Kampf gegen Terrorfinanzierung und Kriminalität. Dies zeugt von mangelndem Weltwissen des obersten Währungshüters: Hätte er auch nur einen giallo aufmerksam gelesen oder angeschaut, so wüsste er, dass Ganoven (zeit- und kulturunabhängig) die Bezahlung in kleinen Scheinen fordern. Das Argument des Kampfes gegen das Böse ist also offensichtlich nur vorgeschoben.

Wenn man nach dem wahren Beweggrund für die Entscheidung der EZB sucht, so wird man schnell zu der Vermutung gelangen, dass die Beseitigung des Fünfhunderters den Einstieg in den Ausstieg aus dem Bargeld darstellt. Das einzig wahre Zahlungsmittel hat ja beinahe etwas Anarchisches, erlaubt es dem Steuersubjekt doch, finanzielle Transaktionen abseits des allseits wachsamen Auges der Fiskalobrigkeit vorzunehmen.

Aber das ist vermutlich zu verschwörungstheoretisch gedacht. Viel näher liegt eine andere Erklärung: Kleinere Scheine führen zu höheren Tresorkosten. Je höher die Tresorkosten sind, umso weniger attraktiv gestaltet sich die Verwahrung von Bargeld. Ein Betrag, der in Fünfhundertern ein Schließfach füllt, erfordert bei Aufteilung auf 200-Euro-Scheine zweieinhalbmal so viel Platz. Die Tresorkosten stehen somit in direkt proportionalem Verhältnis zu der am Markt durchsetzbaren Höhe der Negativzinsen auf Bankeinlagen.

Der Verfasser dieser Zeilen wird seine gesammelten Fünfhunderter in den Umbau eines Zimmers seiner Wohnung zur Banknoten-Schatzkammer investieren. Das Bargeld, nicht Herr Draghi, soll zuletzt lachen.

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Noricus

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