15. Mai 2016

Aus der Schwalbenperspektive (8): Die Esoterik um den dreizehnten Mann

Was war das doch für ein spannender letzter Spieltag der Fußball-Bundesliga, wenn auch nicht an der Spitze und ganz am Ende der Tabelle: Für die bereits als Deutscher Meister feststehenden Bayern und deren Gegner, die Mannen des in puncto Klassenerhalt nicht mehr zu rettenden Schlusslichts Hannover 96, ging es in der Allianz-Arena nur noch um statistische Kosmetik.

Robert Lewandowski knackte mit dem von ihm erzielten 1:0 die 30-Tore-Marke und sicherte sich dadurch mit deutlichem Abstand zu Pierre-Emerick Aubameyang die Kanone des erfolgreichsten Torjägers der Liga. Wenn es einen Preis für chevalereskes Verhalten gegenüber Team-Kameraden gäbe, hätte der Pole diese Auszeichnung ebenfalls verdient, versagte er sich beim 2:0 der Isarstädter doch den Knipser-Reflex, seinen Fuß hinzuhalten, weshalb dieser Treffer auf das Konto des von Anfang an eingesetzten Mario Götze ging. Für den Helden des WM-Finales von 2014, der in der nächsten Saison möglicherweise nicht mehr auf der Bank des Rekordmeisters sitzen wird, könnte seine makellose Abschiedsvorstellung durchaus einen Trumpf bei der Suche nach einem neuen Arbeitgeber darstellen.
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Eine existenzielle Dramatik entfaltete sich in den Begegnungen Wolfsburg-Stuttgart und Bremen-Frankfurt. Um vom Abstiegsplatz 17 noch auf den Relegationsrang 16 zu klettern, hätten die Schwaben beim Vizemeister der Vorsaison gewinnen und zugleich die Hanseaten gegen ihre Kontrahenten aus der Bankenmetropole verlieren müssen. (Ein - rein theoretischer - Kantersieg über die Wölfe und ein Unentschieden in der anderen Partie hätten den VfB auch ans Ziel gebracht.) Beides ist nicht eingetreten. Vielmehr ließ Dieter Heckings Truppe vor heimischer Kulisse nichts anbrennen und erlöste in der 88. Minute das Nebelhorn im Weserstadion die bangenden und wohl auch schon etwas entmutigten Spieler und Fans des Heimvereins, während der Eintracht nun der Klassenkampf gegen den 1. FC Nürnberg blüht.

Die Neulinge der Saison 2015/2016 – der FC Ingolstadt 04 und der SV Darmstadt 98 – konnten das Liga-Finale hingegen sine ira et studio begehen. Ihr Verbleib im Oberhaus des deutschen Fußballs war bereits gesichert. Während die Lilien in der zu Ende gehenden Spielzeit das eine oder andere Mal in den Abgrund blickten, trieb das Schreckgespenst der Zweitklassigkeit für die Schanzer lediglich im fernen Reich der Legenden sein Unwesen.

In anderer Hinsicht haben sowohl die Oberbayern als auch die Südhessen mit dem Unglaublichen, gleichsam Phantastischen, ihre realen Erfahrungen gemacht: So übernahm der zum RB Leipzig, einem der nunmehrigen Aufsteiger in die höchste Klasse, wechselnde FCI-Trainer Ralph Hasenhüttl den Verein in der Saison 2013/2014 auf dem letzten Rang der 2. Bundesliga und stabilisierte ihn in der Tabellenmitte. In der folgenden Spielzeit setzten sich die Donau-Anrainer auf den ersten Platz und zogen dadurch in die Bundesliga ein. Ihr erstes Jahr in der Klasse der besten deutschen Vereine schließen die Schanzer auf der 11. Position ab.

Noch drehbuchreifer mutet die Erfolgsgeschichte des SV Darmstadt an, den Coach Dirk Schuster seit der Saison 2012/2013 unter für das Profi-Geschäft herausfordernden Bedingungen von der 3. Liga in die Bundesliga und in dieser auf Platz 14 führte. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass Schuster in den Medien als Trainer der Saison gehandelt wird.

Angesichts der zeitlichen Koinzidenz zwischen der Verpflichtung ihrer jeweiligen Feldherren an der Seitenlinie und den Klassenverbesserungen des FCI und des SVD dürfte es schwerfallen zu argumentieren, dass diese beiden Sportmärchen nichts mit der Leistung des jeweiligen Fußball-Lehrers zu tun haben. Doch unberechtigt ist die Frage, welchen Anteil ein Trainer an den Triumphen seiner Mannschaft hat, deshalb noch lange nicht: Was zum Beispiel hat ein Jürgen Klopp beim BVB zwischen den Spielzeiten 2008/2009 und 2013/2014 richtig gemacht und wo lagen seine Fehler in der Saison 2014/2015? Oder war der Höhenflug der Borussen mit dem anschließenden Dämpfer gar nicht (in erster Linie) Klopp geschuldet, sondern etwas anderem? Wäre der derzeit beste Verein aus dem Revier auch unter dem nunmehrigen Liverpool-Coach zum stärksten Vizemeister aller Bundesliga-Spielzeiten geworden oder bedurfte es dafür eines Thomas Tuchel?

Es ist wohl unmöglich, ein Patentrezept für den Erfolg eines Fußball-Trainers zu entwerfen: Ein bestimmter Habitus, welcher der einen Mannschaft ihr volles Potenzial entlockt, weckt bei einem anderen Team Apathie oder Widerstandsgeist. Treue zu einem verdienten Aktiven wird bisweilen mit einer entsprechenden Leistung gewürdigt; manchmal wäre es für die spielerische Entwicklung einer Elf jedoch besser, einen in die Jahre gekommenen Publikumsliebling aufs Altenteil zu schicken. Was die Kader-Angehörigen an einem Tag noch nicht einsehen wollen, wird vielleicht einige Niederlagen später in höchster Not akzeptiert. Und gelegentlich hilft einfach der Zufall.

Es hat sich eingebürgert, den Trainer für den Erfolg oder Misserfolg seines Teams zur Verantwortung zu ziehen. Ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß dies gerechtfertigt ist, kann dahinstehen. Wenn man sieht, welche Wirkung der Austausch des Übungsleiters in einigen Fällen zeitigt, vermag man kaum zu leugnen, dass ein derartiger Personalwechsel positive Effekte haben kann. Deren Ursachen bleiben aber weitgehend im Dunkeln.

Es ist communis opinio, dass die Fans, der sogenannte zwölfte Mann, durch ihre Unterstützung zu den Leistungen der von ihnen angefeuerten Elf beitragen. Abgesehen von leicht verständlichen psychologischen Mechanismen bewegt sich der Zusammenhang zwischen dem Rückhalt bei den Anhängern und den Ergebnissen auf dem Rasen jedoch in kaum fassbaren Kategorien.

Für die Rolle des Trainers, gleichsam des dreizehnten Mannes, mag da nicht viel anderes gelten: Neben einigen nachvollziehbaren Gründen ist ausreichend Raum für esoterische Erklärungen. Wer den Fußball als eine rein rationale Angelegenheit begreift, hat ihn wahrscheinlich ohnehin nicht verstanden.

Noricus

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