18. September 2007

Randbemerkung: Der Verteidigungsminister, die Moral, das Recht

Nehmen wir an, folgendes würde eintreten:
Auf einem Flughafen mit schlechten Sicherheits- Vorkehrungen irgendwo in Europa oder an seiner Peripherie gelingt es bewaffneten Terroristen, zwei Flugzeuge zu besteigen. Sie entführen sie und erzwingen einen Flug in Richtung Deutschland.

Das erste dieser Flugzeuge wird nach Frankfurt gelenkt und dort gegen ein Hochhaus des Bankenviertels geflogen. Das zweite ist im Anflug auf ein AKW. Die Terroristen teilen über Sprechfunk mit, daß sie beabsichtigen, es auf dieses AKW stürzen zu lassen.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie das verhindert werden kann: Entweder gelingt es mutigen und selbstlosen Passagieren, die Terroristen zu überwältigen und damit das Flugzeug vor diesem Ziel zum Absturz zu bringen, wie an 9/11 in über Pennsylvania. Oder es gelingt, das Flugzeug abzuschießen.



Verteidigungsminister Jung hat erklärt, er werde in einem solchen Fall den Abschuß befehlen:
Der Staat müsse seine Bürger schützen, sagte der CDU-Politiker am Montag am Rande eines Sicherheitskongresses in Berlin. Bis es eine verfassungsrechtliche Klarstellung gebe, gelte daher das Recht des übergesetzlichen Notstands.
Das hat Jung heftige Kritik eingebracht - und zwar auch von denjenigen, die in ihrer politischen Vergangenheit nicht unbedingt als Verteidiger des Rechtsstaats hervorgetreten sind.

Aber auch von Demokraten gibt es, wie anders, schwerwiegende Bedenken gegen das, was Jung gesagt hat. Und der Vorsitzende des "Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Deutschen Bundeswehr" (VBSK), Thomas Wassmann, sagte, er empfehle den Kampfpiloten, die Ausführung eines solchen Befehls zu verweigern.



Wie kommt der Verteidigungsminister Jung, ein bedächtiger Mann, dazu, etwas zu verlangen, was so massive und offensichtlich begründete Kritik auf sich zieht? Mir scheint, weil er eine Situation sieht, die so nicht weiterbestehen kann.

Denn wenn jemals der oben beschriebene Fall - oder, wahrscheinlicher, ein anderer, aber ebenso schlimmer - eintreten sollte, dann kann ja ein verantwortlicher Minister gar nicht anders handeln, als den Abschuß zu befehlen.

Er hat die schreckliche Wahl zwischen dem Tod der Passagiere durch Abschuß und dem Tod der Passagiere durch Absturz, plus dem Tod und der Verletzung einer unabsehbaren Zahl von Menschen am Boden. Es ist eine Variante des Trolley-Problems. Und zwar eine Variante, für die jede vernünftige praktische Philosophie nur die Auskunft geben kann, daß der Verantwortliche das geringere Übel wählen solle.

Aber die gegenwärtige Rechtslage steht dem entgegen. Zwischen dem, was human und vernünftig ist, und dem, was das Recht zu tun befiehlt, besteht eine massive Diskrepanz.

Wenn je der Gesetzgeber "aufgerufen" ist, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, dann hier. Jungs Vorstoß, wie auch den Schäubles vor ein paar Tagen, verstehe ich nicht nur als an die Öffentlichkeit gerichtet, sondern vor allem an den Gesetzgeber.

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