Im Gespräch mit Nichteuropäern bekommt man als Deutscher zu hören, wir hätten hierzulande ein falsches Bild von der Wirklichkeit. Nicht dass uns die eigenen Medien bewusst falsch informieren und täuschen wollten. Aber selbst die deutschen Alphajournalisten und die heimischen angeblichen Experten seien Getäuschte.
Man möchte sich gegen diese These spontan wehren: Was, wir, die leiderfahrenen, alt und vorsichtig gewordenen Skeptiker, die Erben der Erfinder der Philosophie und der modernen Aufklärung?
Die Freunde aus dem Nahen Osten und aus Afrika bringen als Beispiel die spezielle deutsche Blindheit gegenüber der islamistischen Bedrohung vor: „Ihr wollt das Wesen dieser Religion nicht wahrhaben. Es ist die Einheit von Glaube, Staat, Recht und Eroberung.“ Aus verweichlichter Friedensliebe verschlössen wir die Augen vor dieser Tatsache und verkennten die Bedrohung, weil wir Postchristen, Zauderer und Gutmenschen geworden seien.
Dem Einwand, der Islam sei spät entstanden und befinde sich in seiner Entwicklung jetzt ungefähr in der Zeit unseres christlichen Mittelalters, er werde rascher als wir damals herauswachsen und zu Demokratie und Trennung von Staat und Religion finden, halten sie entgegen: Nein, das kann er nicht, Reform heißt nur im Westen Entwicklung nach vorn, für sie heißt Reform zum wahren Glauben: Zurück zum kriegerischen Anfang.
Wenn wir dagegen argumentieren, das gelte nur für einen kleinen radikalen Flügel, der Islam als solcher werde sich in die Weltgemeinschaft integrieren und bedrohe den Frieden nicht, erwidern sie: Diese Relativierung sei ja gerade Teil des Problems und ein Symptom unseres kranken Denkens. Wir müssten die Wirklichkeit sehen lernen. Und sie berichten von Morden, angezündeten Kirchen, von Schreckenstaten und Lügen.
Haben die ausländischen Freunde recht? Zu den Gutmenschen gehört gewiss ein großer Teil meiner lieben katholischen Deutschen. Mir selber kam schon der Gedanke: Wann werde ich in einer Zeitungsnotiz lesen: „Der Pfarrgemeinderat von X hat vorgeschlagen, das überflüssig gewordene Kirchengebäude St. Y den türkischstämmigen Mitbürgern zu schenken, damit sie eine Moschee bekommen.“ Vielleicht steht noch die Begründung dabei, so bliebe der Gotteshauscharakter erhalten, oder es wird beteuert, die Katholiken würden ihrerseits künftig bei den Fürbitten den Namen Allah bei der Anrufung hinzunehmen, da es doch um denselben Gott gehe.
Als müssten sie die Kreuzzüge-Sünde wiedergutmachen.
Die Stimmung der modernen Restkirchgänger, die sich in den ersten zwei Reihen versammeln und nur diese noch beheizen, um den christlichen Auftrag der Schöpfungsbewahrung zu erfüllen, wie sie treuherzig formulieren (neulich im Fernsehen), geht in die geschilderte Richtung. Säkulare Mitbürger, aufgefordert, den türkischen Kollegen zur Integration zu ermuntern, reagieren ihrerseits mit einem geschnauften „Wie soll ich das machen, wenn der kein Bier trinkt?“
Ich ziehe den letzten Pfeil aus dem Köcher: Freunde aus Syrien, aus Afrika, die Statistik ist jedenfalls für mein Heimatland beruhigend: Die Einwanderer werden zu Wohlstand kommen und Wohlstand bedeutet weniger Kinder; also keine Angst, dass die Türkei Deutschland übernimmt.
Sie schweigen. Ihre Stirne sagt: Aber bei uns …?
© Ludwig Weimer. Für Kommentare bitte hier klicken.