14. Juni 2021

Symbolbild





Ein Bild, so lautet das Sprichwort, sagt mitunter mehr als tausend Worte.

Vor einer Woche habe ich an dieser Stelle geschrieben, daß – nach meinem subjektiven, aber hartnäckigen Empfinden – die Politik dieses Landes zu nichts mehr fähig ist: weder zur Analyse der Lage, noch zu einem zielgerichteten Handeln. Mit einer vielsagenden Ausnahme: der Symbolpolitik. Mit der traumwandlerischen Fähigkeit, Situationen und Bilder hervorzubringen, in denen der desolate Zustand dieses Landes und seiner politischen Klasse schlagartig zur Kenntlichkeit entstellt wird.

Und wie zur Bestätigung dieser These findet sich heute mit dem Signum der ZDF, des Zweiten Deutschen Fernsehens, mithin einer öffentlich-rechtlichen Institution, die durch zwangsweise erhobene und nicht zu umgehende Tributzahlungen des Souveräns, des Staatsbürgers, unterhalten wird (hier bekommt dieses Verb, Verzeihung, dieses Tu-Wort, einen netten Doppelsinn) eine „Kachel,“ zur Verbreitung flotter Sprüche und Motti in den sozialen Medien gedacht, die deutlich macht, wie man bei diesem Staatssender sein Publikum einzuschätzen scheint.



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Daß mir der Titel der Sendung nichts sagte, möge mir nachgesehen werden. Selbst bevor ich vor nunmehr 20 Jahren meinen Fernsehkonsum ein für allemal „auf Null stellte,“ war mein Interesse an solchen Themen nichtexistent, zumal in der volkspädagogischen Darreichungsform, die auch von damals diesen „Seniorensender“ kennzeichnete. WISO ist anscheinend ein „Kofferwort“ aus den Kürzeln für „Wirtschaft“ und „Soziales.“ Ich vermute aber einmal, daß, wenn ich meine Kenntnisse sozialer Verhältnisse nicht der Lektüre der entsprechenden Klassiker wie Talcott Parsons oder Max Weber verdanken würde oder mein Wissen um ökonomische Zusammenhänge nicht der näheren Beschäftigung mit der Werken der „Österreichischen Schule“ (also Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek und Wilhelm Röpke), sondern nur dem, was ich aus den Sendungen des Zett-Deh-Eff erfahren hätte, meine Sicht auf solche Zusammenhänge durchaus als „unterkomplex“ bezeichnet werden dürfte. Viele vergebliche Diskussionen mit Bekannten, die sich nie näher aus eigenem Antrieb mit diesen Themen befaßt haben und nicht verstehen können, warum „Mietpreisbremsen“ zu Wohnungsknappheit und Mindestlöhne recht zwingend zu Arbeitsplatzabbau führen, legen das nahe.

Darum soll es aber nicht gehen. Sondern darum, daß man beim Zett-Deh-Eff anscheinend glaubt, man habe bei dem eigenen Publikum mit Kindsköpfen zu tun, denen man schonend die elementarsten Begriffe des Verhaltens in der Öffentlichkeit (fast hätte ich „in der freien Wildbahn“ getippt) beibringen muß, die im Zug der jetzt losbrechenden „Lockerungsorgien“ unterzugehen drohen: „So bereitest du dich auf Menschenmengen vor.“ „Nimm zunächst an Aktivitäten im Freien teil, um sicherer zu werden.“ Wenn man die Meldungen vom vergangenen Wochenende über Randalierer oder, wie es jetzt wohl politkorrekt heißt: „die erlebnisorientierte Eventszene“ aus Düsseldorf und von Aasee in Münster zur Kenntnis nimmt, wird deutlich, daß es durchaus eine Zielgruppe gibt, an die ein solcher Rat zu richten wäre. Nur ist auch jedem klar, daß es sich hier wohl nicht um das typische Publikum eines öffentlich-rechtlichen „Kukident-Senders“ handelt und daß die Betreffenden nicht durch gutes Zureden, sondern höchstens durch eine robust durchgreifende Staatsgewalt in ihre Schranken gewiesen werden können.

Man weiß nicht, ob hier Senilität oder Infantilität vorliegt, und letztlich ist das auch egal. Es ist nur so, liebes ZDF (wenn Du mich als prospektiven Adressaten ungefragt duzt, erlaube ich mir dieselbe Freiheit): wenn Du und Deine „Programmacher“ der Ansicht sind, daß Euer Publikum geistig auf einem derart deplorablen Niveau herumkrebst, dann wundert euch nicht, wenn euch eben dieses pp. Publico den Rücken zukehrt, die Einschaltquoten in den Hades rauschen und eure Relevanz gegen Null tendiert. Es bleibt zu hoffen, daß eine Zeit kommen wird, an dem sich die Politik zu fragen beginnt, warum sie sich den teuersten und aufgeblähtesten Propagandaapparat leisten soll, den sich je ein politisches System in der Weltgeschichte geleistet hat – ohne daß diesem Aufwand eine entsprechende Wirkung gegenübersteht. Denn das war, was den angesehenen Medien in der Vergangenheit das Vertrauen und den Respekt nicht nur der eigenen Landsleute eingebracht hat, angefangen mit der BBC unter Lord Reith: den Eindruck, ausgewogen und sachlich informiert zu werden, und nicht als unmündiges Wesen behandelt zu werden, dem man mit der Brechstange vorgibt, was es zudenken und zu tun hat – und dem man mit jedem Satz zu verstehen gibt, wie man es einschätzt. Nun kannst du, liebes ZDF, dagegenhalten, daß dieses Rezept angesichts der Politik, die seit 10 Jahren dieses Land bestimmt und angesichts des Wohlwollens, mit der der Wähler dies goutiert, bislang durchaus erfolgreich war. Touché; aber ewig wird sich dieses frappantere Auseinanderklaffen zwischen der gelebten Wirklichkeit und eurer immer schlichteren Darstellung nicht durchhalten lassen. Schon dem amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln wird die Erkenntnis zugeschrieben: „You can fool some of the people all of the time, and you can fool all of the people some of the time, but you can’t fool all the people all of the time.” Falls ihr es nicht so mit dem Englischen habt: Man kann allen Leuten eine Zeitlang etwas vormachen, und man kann einige Leute dauerhaft hinter die Fichte führen. Aber man kann nicht das gesamte Publikum auf Dauer zum Besten halten.
U.E.

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