1. Juli 2019

Kein zweiter "Sommer 1914"

Don Alphonso, dessen Kolumne "Stützen des Gesellschaft" seit geraumer Zeit für Leser mit geistiger Unabhängigkeitserklärung so ziemlich der einzige Grund War, noch ein Augenmerk auf die Tageszeitung, "hinter der immer ein kluger Kopf steckt" (gemäß der längst in den Nebel der Bonner Urzeit entwichenen Eigenbewerbung der FAZ), bevor er im vorigen Frühling seinen Stecken von der immer mehr zur kleinen publizistischen Schwester der taz  mutierendenen faz zur Welt weitersetzte, hat heute auf dem Kurznachrichtendienst Twitter folgenden zum aktuellen Weltaufreger mitgeteilt: 



Es geht, wie jeder momentan auch ohne Hintergrundaufklärung erkennbar ist, um die Kabalen um die Menschenfischerin und "Kaptänin" des Schiffes "Sea-Watch 3", Carola Rackete, die gestern nach dem Versuch, sich Zugang zum italienischen Inselhafen Lampedusa zu erzwingen, um ihre direkt vor der Küste Libyens vor zwei Wochen aus angeblich "akuter Seenot" "gerettete" Menschenfracht, wieder die Anordnungen der Hafenbehörden, der italienischen Regierung sowie, Achtung, einem am vorigen Dienstag ergangenen Urteil des europäischen Gerichtshofs, EUGH, anzulanden, verhaftet wurde, sich in hausarest befindet und deren Fall die italienische Justiz aufarbeiten wird. Falls sie denn, auch das scheint denkbar, nicht schlicht des Landes verwiesen wird. Das bleibt abzuwarten. In beiden Fällen dürfte ihr Vorgehen, ihre Brüche zahlreicher Gesetze, ein recht empfindliches Nachspiel für sie haben. Das unerlaubte Eindringen in die Hoheitsgewässer eines fremden Staates - unter Vorspiegelung medizinischer Notfälle, die sich bei der Inaugenscheinnahme ihrer nichtzahlenden Passagiere als schlichte Lüge erwiesen, und der Versuch, ein Schiff der Küstenwache, das das Anlegen zu verhindern suchte, zu rammen, sind beileibe keine nautischen Bagatelldelikte; die internationalen Seegerichtshof, ISGH, der seinen Sitz in Hamburg hat, wird auch bei einer Ausreise nach Deutschland nicht von einer Strafverfolgung absehen. In Italien drohen ihr allein dafür wohl ein Strafmaß von zehn Jahren Haft. Hinzu dürften aber wohl weitere Straftatbestände wie eben die Mißachtung des Gerichtsentscheids, Schlepperei und tatkräftige Unterstützung des Menschenhandels kommen. Sowohl das Staatsoberhaupt des Bundesrepublik

Was nun die Causa, über den Rahmen des Handeln innerhalb einer Nichtregierungsorganisation, einer NGO, pikant macht, ist die Rückendeckung, die Frau Rackete gestern im Zuge dieser Vorgänge von Seiten der deutschen Regierung erfuhr.Sowohl das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, Frank Walter Steinmeier, als auch ihr Außenminister, Heiko Maas, haben sich, dezidiert und ostentativ, hinter diese - man darf es auch ohne gerichtliche Feststellung so bezeichnen - kriminellen Aktionen gestellt. Und zwar unter einer bewußten Verfälschung der Tatsachen. Anders als von beiden behauptet, wird hier keineswegs die Rettung von Menschenleben "kriminalisiert," sondern die Verletzung der Hoheitsrechte und der Angriff auf staatliche Behörden. Frau Rackete war, nach einem Bericht des ZDF, am 13. Juni der nächste libysche Hafen - Tripolis, in einer Entfernung von 35 Seemeilen - durch die EU-Behörde Frontex als Anlaufort zugewiesen worden, an dem ihre Schützlinge unter internationaler Aufsicht medizinisch hätten versorgt werden können. So, wie es das internationale Seerecht im Fall von Seenot übrigens zwingend vorschreibt. Frankreich und Portugal waren bereits, die Refugees aufzunehmen. Es ging also augenscheinlich in keiner Weise um deren Wohl, sondern einzig um die Konfrontation mit dem italienischen Staat, um eine Brüskierung der dortigen Regierung, deren einziges "Vergehen" darin besteht, geltendes Recht anzuwenden und die postmoderne Variante des alten Sklavenhandels zu unterbinden. Denn genau dies, und nichts anders, ist das Geschäftsmodell, an dem sich die Schlepperorganisationen, die "Transportunternehmen", die Kirchen und Helfershelfer satt verdienen und zudem - anders als bei der alten Spielart - einen gewaltigen "humanitären Bonus" einhandeln. Nur wird jetzt die "schwarze Fracht" nicht mehr rechtlose, gequälte Ware verkauft, um im größtmöglichen Maß entrechtet und ausgebeutet zu werden - nein: stattdessen erwerben sie sich das Privileg, sich im Glücksfall für den Rest ihres Lebens in den Überschußgesellschaften des Westens mit allem in versorgen zu lassen, in einem Maß, das in den Sh*th*l*s ihrer Herkunftsländer ihnen nicht einmal ansatzweise möglich wäre, auf Kosten der dortigen Schonlängerheimischen - und ohne einen Gedanken an die langfristigen Folgen, für die sozialen Verwerfungen, auf die Förderung totalitärer Ideologien im Gewand einer Religion, auf die Schaffung eines schwarzen Lumpenproletariat in den Ländern Europas, ohne jede Bindung an dessen Tradition, Kultur und ohne jede Zukunftaussichten, aber dafür mit einem.Gewalt und Krisenpotential, das gigantisch zu nennen eine höfliche Untertreibung darstellt.

Randy Newman, vielleicht der sardonischste unter den Singer-Songwritern der späten 1960 und 1970er Jahren, hat in seinem damals womöglichst bekanntestem Lied, "Sail Away" 1972 einen sarkastischen Blick auf den Sklavenhandel des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts gerichtet - von dem der Zuhörer, das macht die Doppelbödigkeit dieses Stücks aus, nicht weiß, ob er den Menschenhandel anprangert oder die gutmenschlichen Illusionen, die die mörderischen Brutalitäten ausblenden: Wir versprechen euch Zuckerwatte und Glasperlen, liebe Eingeborene: kommt doch bitte an Bord, das Paradies harrt euer.

In America you'll get food to eat
Won't have to run through the jungle
And scuff up your feet
You'll just sing about Jesus and drink wine all day
It's great to be an American

Sail away, sail away
We will cross the mighty ocean into Charleston Bay
Sail away, sail away
We will cross the mighty ocean into Charleston Bay




Die verbitternde Ironie liegt nun darin, daß dieses Geschäftsmodell, diese Illusion, heute der Motor und Hauptantrieb des Migrationshandels, der Menschenschleusung darstellt, die Europa, der alten Welt, wenn sie sich ungebremst fortsetzt, das Genick brechen wird.

Marco Gallina hat heute zu diesen Vorgängen auf Tichys Einblick treffende Worte zu diesen Vorgägnen gefunden, weshalb ein Passus davon als Zitat hergesetzt sei:

Dem Ganzen liegt nicht die Frage von Seenotrettung zugrunde, sondern ein offener Krieg des gründeutschen Zeitgeistes gegen alles, was nicht seiner Ideologie entspricht. [...] Wenn die deutschgrüne Bewegung demnach von „Menschlichkeit“ spricht, handelt es sich in Wirklichkeit um Hass. Hass auf die italienische Regierung und ihren Innenminister, der alles verachtenswerte, „Rechte“ symbolisiert. Hass auf den gemeinen Italiener, der sich von Salvini hat verführen lassen. Hass auf die Beamten, die sich Rackete entgegenstellten – ansonsten hätte deren mögliches Martyrium längst zum Nachdenken angeregt. Auf Twitter springt #freeCarolaRackete in die Charts. Man feiert Rackete nicht, weil sie eine Deutsche ist; sondern, weil sie die eigene Ideologie verteidigt wie Greta den Klimahype. Das ist auch schon das einzige, was diesen Wahn vom Chauvinismus und Nationalismus des letzten Jahrhunderts unterscheidet. Der hegemonial-imperialistische Vibe, der in den Forderungen von NGOs, Medien und Politikern bebt, lässt den Jingoismus wilhelminischer Zeiten als possierliche Randnotiz erscheinen. ("Rackete: Was erlaubt sich der gründeutsche Zeitgeist noch alles?")


Wenn also die genannten Herren - nicht die gesamte Bundesregierung, nota bene, aber zwei ihrer gewichtigsten Repräsentanten - sich ostentativ hinter eine solche Aktion stellen, dann bekommt diese ein anderes Gewicht, als wenn dies nur im Rahmen einer über die Stränge schlagenden privaten Organisation verfolgt (so wie etwa die durchaus ebenfalls kriminell zu nennenden Unternehmungen von Greenpeace in the 1980er und 1990er Jahren). Hier lappt der Sachverhalt schon an staatliche Billigung. Und zwar an Handlungen, die im Urteil der italienischen Justiz durchaus auf Terrorismus oder Piraterie lauten könnten. Und genau hier liegt die Pikanterie dieses Sommerlochtheaters: genau solche Zwischenfälle bilden in der Historie nämlich den klassischen Casus Belli. Den Anlaß, und vom Völkerrecht her absolut gedeckten Grund für eine Kriegserklärung. Dadurch, daß sich ein Staat - über das Ausmaß kann man streiten - terroristisches Vorgehen gegen einen anderen zu eigen macht - ohne Kriegserklärung und ohne Militär, mit irregulären Kämpfern, vollzieht er selbst, als Staatswesen, diesen Angriff.

Zwei Aspekte des - zugegeben: unrealistischen - Gedankenspiels setzen der Pikanterie ein Sahnehäubchen auf. Zum einen braucht es in Italien nicht einem einen Beschluß des Parlaments, um, sollte man sich dazu entschließen, Deutschland den Krieg zu erklären. Es braucht nicht einmal eine solche Erklärung. Italien hat Deutschland - damals in der Staatsform des dritten Reichs - nach dem Sturz der Regierung Mussolinis, unter Präsident Pietro Badoglio, am 13. November 1943 den Krieg erklärt. Es gibt, wie vielleicht geläufig sein dürfte, keinen Friedenvertrag. Zwar ist durch die bedingungslose Kapitulation vom Mai 1945, durch die Neugründung der Bundesrepublik, durch die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, die römischen Verträge und die Montanunion, durch all diese nachfolgenden Rechtsverbindlichkeiten, der Kriegszustand als nicht mehr gegeben verifiziert. Aber auf gehoben ist er nicht: er könnte umgehend wieder in Kraft gesetzt werden. (Ebenfalls bekannt sein dürfte, daß auch die Satzung der Vereinten Nationen Deutschland explizit als Feindstaat aufführt - ein aus der historischen Sicht vor 70 Jahren geradezu zwingender Sachverhalt.) Der zweite Aspekt: im Fall, daß diese Karte gespielt würde, hätten wir es mit einer jetzt als kriegerisch gewichteten Angriffshandlung auf einen NATO-Staat zu tun. Es wäre der Bündnisfall gegeben - sämtliche anderen Mitgliedstaaten der North Atlantic Treaty Organization sähen sich verpflichtet, dem Beispiel Italiens Folge zu leisten.

Und genau dies ist natürlich der Grund, warum solche Überschläge nichts sind als eitel Sommergedanken, Wolkenschiebereien, Firlefanz, Allotria. Niemand hat das leiseste Interesse an einer derartigen Eskalation, an einer sich unkontrolliert steigernden Aggression, um schwelende Konflikte gewaltsam aufzulösen. Es wird beim Mediengeschrei bleiben, folgenlos, auf der Stelle tretend wie immer. Ob Frau R. sich irgendwelchen Konsequenzen aus ihrem Handeln stellen muß, steht in den Sternen. Durchaus möglich, daß wir sie, vielleicht nach Ablauf einer gewissen Schamfrist, auf allen Kanälen als "Heldin" dargereicht bekommen, die sen nazionalisti und fascisti im Süden tapfer die Stirn geboten hat. Und doch - und doch -

Es hätte so schön sein können.

Deutschland, wieder einmal in einem Welterlösungswahn gefangen, der, wieder einmal, keine Parteien, sondern nur noch Gutmenschen kennt, stolpert über eine letztlich banale Angelegenheit, im Lauf des glühendheißen Juli (so, wie der Juli 1914 ein "Jahrhundertsommer" war; der freilich zwei Tage vor dem damaligen Kriegsausbruch, am 28., von wochenlangem kalten Regenfluten abgelöst wurde) in ein militärisches Verhängnis. Die Welt verbündet sich, um diesem Wahn Einhalt zu gebieten. Es wäre eine nette Bestätigung jenes bekanntesten Zitats von Marx:

"Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." (Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon, 1851)
Die Mobilmachung wäre ein Witz. Über die Leistungsfähigkeit von Truppenuschis Plunderwehr braucht man kein Wort zu verlieren. Die Luftfahrzeuge würden wie überreifes Obst vom Himmel fallen - jenes Viertel, das überhaupt noch einsatzfähig ist. Als Marschmusik würde das Gegröle der Lieblingscombo der beiden Hauptverantwortlichen, FW Steinmeier (SPD) und H. Maas (ebenfalls SPD), Feine Sahne Fischfilet, herhalten müssen. Die Panzertruppen würden mit Besenstielen schießen. Herr Böhmermann würde im Staatsfernsehen die "Ideen von 2019" verlesen. Die Kappung sämtlicher Stromlieferungen aus dem umliegenden NATO-Mitgliedsstaaten würden das Land schlagartig im Dunkel versinken lassen. Die Kampfmethode würde lauten: "Kompanie: erzählt den Witz!" (*) Der Spaß-Partei Deutschlands käme das Verdienst zu, nicht nur den dritten Weltkrieg ausgelöst, sondern auch nach höchstens 48 Stunden ohne einen einzigen Schuß verloren zu haben. Doch: die Vorstellung hat etwas.

* PS: die Episode über den "tödlichsten Witz der Welt" wird übrigens in diesem Jahr 50 - am 1. Oktober. Es handelt sich bekanntlich um ein absolut tödlich wirkendes Mem, das über Rückkopplungseffekte eine Überlastung des Humorzentrums im menschlichen Hirn auslöst. In einfacherer, rein optisch wirkender Darreichungsform ist der Effekt als Basilisk bekannt; ein gleiches gilt von manchen Büchern schwarzer Magie, deren bloße Lektüre den Leser unweigerlich in den Wahnsinn treibt (Robert W. Chambers' Bühnendrama, The King in Yellow, von 1895, ist ein Beispiel dafür; auch Lord Dunsany weiß in "The Three Infernal Jokes" 1916 davon zu berichten). Auf die Gefahr hin, daß unvorsichtige Leser, die bis hierhin durchgehalten haben, in Umnachtung versinken, sei der "funniest joke in the world" hier im Original hergesetzt:

Wenn ist das Nunstück git und Slotermeyer? Ja! Beiherhund das Oder die Flipperwaldt gersput!

Man sieht, daß der Blick in die Kristallkugel im Fall der Monty Pythons über die Distanz eines halben Jahrhunderts eine nachgerade unheimliche Präzision offenbart. Kleine Protokollfehler sind durch die stille Post des Sprachunterschieds und der visionären Trance erklärbar. Statt "Slotermeyer" muß es "Steinmeier" heißen und statt "Beiherhund" "Böhmermann".


­
U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.