21. Oktober 2018

Ein Brief an Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,

im Bundestagswahlkampf 2013 haben Sie mit dem Slogan „Sie kennen mich“ geworben. Das war zwar ein ungewollter politischer Witz; denn als Persönlichkeit sind Sie für die Deutschen in all den Jahren opak geblieben. Aber ich will Sie gleichwohl beim Wort nehmen. Ja, ich kenne Sie, Frau Bundeskanzlerin. Und deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass Ihnen diese lust- und mutlose Große Koalition in Berlin, diese pausenlosen Bloßstellungen, Demütigungen und Niederlagen noch den geringsten Spaß machen.

Gut, Ihres ungeliebten Bundesinnenministers sind Sie wohl bald entledigt. Doch glauben Sie wirklich, dass die CSU so verblendet ist und aus dem Landtagswahlergebnis die doch sehr fragwürdigen Schlüsse zieht, die ihr in den Redaktionsstuben dieser Republik nahegelegt werden? Muss man tatsächlich annehmen, dass eine Partei, die zwar 170.000 Wähler an die Grünen, hingegen jeweils 160.000 Stimmen an die Freien Wähler und die AfD verliert, per Saldo für einen angeblichen Rechtsruck bestraft wurde? Wer könnte bei diesen Zahlen der CSU guten Gewissens raten, ihr Heil in der Flucht nach links zu suchen? Ist angesichts der deutlichen Majorität für das konservative Spektrum nicht viel eher damit zu rechnen, dass die CSU jetzt ganz genau weiß, wo sie sich in der politischen Landschaft zu verorten hat, wenn sie den Traum von der absoluten Mehrheit im Freistaat nicht gänzlich abschreiben möchte? Geben Sie sich der Illusion hin, werte Frau Bundeskanzlerin, dass das Regieren mit dieser zurechtgestutzten, aber in ihrem Selbstverständnis bekräftigten CSU leichter sein wird?

Weniger Sorgen hat Ihnen bisher die SPD gemacht. Dass diese Partei, seitdem sie die von der veröffentlichten Meinung geforderte staatspolitische Verantwortung übernommen hat, nur noch die Abwärtsrichtung kennt, während sie zu einem Zeitpunkt, als die Zeichen noch auf Opposition standen, in Niedersachsen stärkste Kraft wurde, sollte vielleicht die eine Genossin oder den anderen Genossen einmal zum Nachdenken bewegen. (Die Medienlegende, dass die Grünen von ihrer Bereitschaft zu einer Jamaika-Koalition profitieren, glauben Sie vermutlich auch nicht. Denn just bei der besagten Niedersachsenwahl, somit in einer Phase, als die Schwampel aus allen publizistischen Rohren Schützenhilfe erhielt, schnitten die Gutgesinnten mit doch eher mauen 8,7 Prozent ab. Und die FDP wurde nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen für ihre Verweigerungshaltung nicht zurechtgewiesen. In Bayern hat sie es immerhin, was wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist, von einem niederbayerischen Unsicherheitsfaktor mal abgesehen, in den Landtag geschafft. In Hessen wird ihr dies aller Voraussicht nach auch gelingen. Bei der Bundestagswahl-Sonntagsfrage liegen die Liberalen derzeit bei respektablen 8 bis 11 Prozent.)

Klar: So wie man die Sozialdemokraten kennt, werden sie ihr Schicksal möglicherweise in die Hände der Kühnerts und Stegners legen und sich einem linksradikalen Kurs hingeben, der sie noch viel früher an die Fünf-Prozent-Hürde führt, als dies bei einem Fortwurschteln der Fall wäre. Aber es dürfte evident sein, dass die SPD in dieser Großen Koalition nicht wieder zu Kräften kommt und dass sie Ihren als Umarmung getarnten Würgegriff lösen muss, wenn sie einmal wieder frei atmen möchte.

Und was ist mit Ihrer eigenen Partei? Die Causa Brinkhaus brauche ich hier eigentlich nicht breitzutreten. Denn selbst wenn es sich bei dessen Kür zum Fraktionsvorsitzenden um einen Betriebsunfall gehandelt hätte – die Abgeordneten hätten demnach zwar eine weitere Führung durch Kauder gewünscht, diesem mit einem schlechten Ergebnis aber einen Schuss vor den Bug versetzen wollen –, würde dies doch zeigen, dass man mit dem straffen (um nicht zu sagen: autoritären) Top-Down-Stil Ihres Vertrauten im Kreise der Unionsdeputierten nicht mehr allzu viel anfangen kann.

Ich denke auch, dass künftige Landtagswahlen das Grummeln in den Landesverbänden verstärken können. Schauen Sie doch einfach mal nach Hessen: Dort liegt Rot-Rot-Grün (oder besser: Rot-Grün-Rot beziehungsweise Grün-Rot-Rot) nach den letzten Umfragen einige wenige Prozentpunkte vor einer – natürlich völlig fiktiven – Koalition aus CDU, AfD und FDP. Will heißen: Es besteht die Gefahr, dass entweder die AfD eine Mehrheit für das linke Spektrum nicht mehr zu verhindern vermag oder Ihr Parteifreund Volker Bouffier nicht Ministerpräsident bleiben kann, weil er trotz (aufgrund der üblichen Schwankungsbreiten bei Sondierungsergebnissen durchaus möglicher) rechnerischer Mehrheit für ein Bündnis aus CDU, AfD und FDP ein solches noch nicht einmal in Erwägung ziehen darf (und ihm die anderen prospektiven Partner einen Korb geben).

Einige Ihrer Kritiker vermuten, dass Sie den Kontakt zur Realität längst verloren haben. Und auch wenn Sie meine Ansicht nicht teilen, dass Sie in den nunmehr 13 Jahren Ihrer Kanzlerschaft diesem Land immens geschadet haben (und sehr von den Maßnahmen Ihres Vorgängers profitieren, deren Erträge Sie unter tatkräftiger Mitwirkung Ihrer Koalitionspartner verfrühstücken), so müssen Sie doch erkennen, dass Sie sich in einer ausweglosen Lage befinden. Wobei es einen Ausweg schon noch gibt, den zu nehmen ich Sie hiermit inständig ersuche: Verehrte Frau Bundeskanzlerin, erlösen Sie endlich dieses Land. Treten Sie zurück.

Mit freundlichen Grüßen

 Noricus

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