Sehr geehrte
Frau Dr. Merkel,
im Bundestagswahlkampf 2013 haben Sie mit dem Slogan „Sie kennen mich“
geworben. Das war zwar ein ungewollter politischer Witz; denn als
Persönlichkeit sind Sie für die Deutschen in all den Jahren opak geblieben.
Aber ich will Sie gleichwohl beim Wort nehmen. Ja, ich kenne Sie, Frau Bundeskanzlerin.
Und deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass Ihnen diese lust- und mutlose
Große Koalition in Berlin, diese pausenlosen Bloßstellungen, Demütigungen und
Niederlagen noch den geringsten Spaß machen.
Gut, Ihres ungeliebten Bundesinnenministers sind Sie wohl bald entledigt.
Doch glauben Sie wirklich, dass die CSU so verblendet ist und aus dem
Landtagswahlergebnis die doch sehr fragwürdigen Schlüsse zieht, die ihr in den
Redaktionsstuben dieser Republik nahegelegt werden? Muss man tatsächlich annehmen,
dass eine Partei, die zwar 170.000 Wähler an die Grünen, hingegen jeweils 160.000 Stimmen an die Freien Wähler und die AfD verliert, per Saldo für
einen angeblichen Rechtsruck bestraft wurde? Wer könnte bei diesen Zahlen der
CSU guten Gewissens raten, ihr Heil in der Flucht nach links zu suchen? Ist
angesichts der deutlichen Majorität für das konservative Spektrum nicht viel
eher damit zu rechnen, dass die CSU jetzt ganz genau weiß, wo sie sich in der
politischen Landschaft zu verorten hat, wenn sie den Traum von der absoluten
Mehrheit im Freistaat nicht gänzlich abschreiben möchte? Geben Sie sich der
Illusion hin, werte Frau Bundeskanzlerin, dass das Regieren mit dieser
zurechtgestutzten, aber in ihrem Selbstverständnis bekräftigten CSU leichter sein wird?
Weniger Sorgen hat Ihnen bisher die SPD gemacht. Dass diese Partei,
seitdem sie die von der veröffentlichten Meinung geforderte staatspolitische
Verantwortung übernommen hat, nur noch die Abwärtsrichtung kennt, während sie
zu einem Zeitpunkt, als die Zeichen noch auf Opposition standen, in Niedersachsen stärkste Kraft wurde, sollte vielleicht die eine Genossin oder
den anderen Genossen einmal zum Nachdenken bewegen. (Die Medienlegende, dass
die Grünen von ihrer Bereitschaft zu einer Jamaika-Koalition profitieren,
glauben Sie vermutlich auch nicht. Denn just bei der besagten
Niedersachsenwahl, somit in einer Phase, als die Schwampel aus allen
publizistischen Rohren Schützenhilfe erhielt, schnitten die Gutgesinnten mit
doch eher mauen 8,7 Prozent ab. Und die FDP wurde nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen
für ihre Verweigerungshaltung nicht zurechtgewiesen. In Bayern hat sie es
immerhin, was wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist, von einem
niederbayerischen Unsicherheitsfaktor mal abgesehen, in den Landtag geschafft.
In Hessen wird ihr dies aller Voraussicht nach auch gelingen. Bei der
Bundestagswahl-Sonntagsfrage liegen die Liberalen derzeit bei respektablen 8
bis 11 Prozent.)
Klar: So wie man die Sozialdemokraten kennt, werden sie ihr Schicksal
möglicherweise in die Hände der Kühnerts und Stegners legen und sich einem
linksradikalen Kurs hingeben, der sie noch viel früher an die
Fünf-Prozent-Hürde führt, als dies bei einem Fortwurschteln der Fall wäre. Aber
es dürfte evident sein, dass die SPD in dieser Großen Koalition nicht wieder zu
Kräften kommt und dass sie Ihren als Umarmung getarnten Würgegriff lösen muss, wenn sie einmal wieder frei atmen möchte.
Und was ist mit Ihrer eigenen Partei? Die Causa Brinkhaus brauche ich
hier eigentlich nicht breitzutreten. Denn selbst wenn es sich bei dessen Kür
zum Fraktionsvorsitzenden um einen Betriebsunfall gehandelt hätte – die Abgeordneten
hätten demnach zwar eine weitere Führung durch Kauder gewünscht, diesem mit
einem schlechten Ergebnis aber einen Schuss vor den Bug versetzen wollen –,
würde dies doch zeigen, dass man mit dem straffen (um nicht zu sagen:
autoritären) Top-Down-Stil Ihres Vertrauten im Kreise der Unionsdeputierten
nicht mehr allzu viel anfangen kann.
Ich denke auch, dass künftige Landtagswahlen das Grummeln in den
Landesverbänden verstärken können. Schauen Sie doch einfach mal nach Hessen: Dort
liegt Rot-Rot-Grün (oder besser: Rot-Grün-Rot beziehungsweise Grün-Rot-Rot) nach
den letzten Umfragen einige wenige Prozentpunkte vor einer – natürlich völlig
fiktiven – Koalition aus CDU, AfD und FDP. Will heißen: Es besteht die Gefahr,
dass entweder die AfD eine Mehrheit für das linke Spektrum nicht mehr zu
verhindern vermag oder Ihr Parteifreund Volker Bouffier nicht
Ministerpräsident bleiben kann, weil er trotz (aufgrund der üblichen
Schwankungsbreiten bei Sondierungsergebnissen durchaus möglicher) rechnerischer
Mehrheit für ein Bündnis aus CDU, AfD und FDP ein solches noch nicht einmal in
Erwägung ziehen darf (und ihm die anderen prospektiven Partner einen Korb geben).
Einige Ihrer Kritiker vermuten, dass Sie den Kontakt zur Realität längst
verloren haben. Und auch wenn Sie meine Ansicht nicht teilen, dass Sie in den
nunmehr 13 Jahren Ihrer Kanzlerschaft diesem Land immens geschadet haben (und
sehr von den Maßnahmen Ihres Vorgängers profitieren, deren Erträge Sie unter
tatkräftiger Mitwirkung Ihrer Koalitionspartner verfrühstücken), so müssen Sie
doch erkennen, dass Sie sich in einer ausweglosen Lage befinden. Wobei es einen
Ausweg schon noch gibt, den zu nehmen ich Sie hiermit inständig ersuche:
Verehrte Frau Bundeskanzlerin, erlösen Sie endlich dieses Land. Treten Sie
zurück.
Mit freundlichen Grüßen
Noricus
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