11. Oktober 2018

Weiß-blaues Wahlorama

Am Sonntag wählen wir Bayern unseren neuen Landtag. Wenn man trotz aller von Trump, Brinkhaus und dem Brexit eingeflößten Skepsis gegenüber Umfragen und Prognosen auf das vorliegende Sondierungsmaterial Bedacht nimmt, so könnte der 14. Oktober ein weiterer Meilenstein in der Erosion der Volksparteien werden. Die CSU pendelt in den Erhebungen zwischen 33 und 35 Prozent, die SPD ist in der von INSA zwischen dem 2. und 8. Oktober durchgeführten Befragung sogar auf gerade noch nicht einstellige 10 Prozent gefallen.
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Die Schwäche der bayerischen Dominanzpartei liegt zweifellos auch, aber nicht nur an ihrem irrlichternden Kurs in der Migrationspolitik. Das Betätigen des rechten Blinkers ohne nachfolgende Fahrtrichtungsänderung hat die CSU sicher sowohl bei merkelaffinen als auch bei konservativen Interessenten Sympathien gekostet. Die innerparteilichen Querelen zwischen Seehofer und Söder dürfen in diesem Zusammenhang jedoch ebenso wenig vergessen werden wie der Umstand, dass der amtierende Ministerpräsident auch im CSU-nahen Milieu sehr stark polarisiert und als Franke im so wichtigen Bezirk Oberbayern (in dem rund ein Drittel der Bewohner des Freistaats leben) keinen landsmannschaftlichen Solidaritätsbonus genießt. Edmund Stoibers Analyse des Beitrags Zugezogener zum voraussichtlichen Absturz der CSU mag man vorschnell als billiges Preißn-Bashing abtun. Ein Zusammenhang zwischen der Auflösung traditioneller sozialer Strukturen und einer Diversifzierung des Stimmverhaltens sollte jedoch durchaus in Betracht gezogen werden.

Die Probleme der CSU sind freilich im Luxussegment angesiedelt. Denn 30 + x Prozent sind ein ordentlicher Wert, mit dem sämtliche Parteien in anderen Bundesländern zufrieden oder jedenfalls nicht todunglücklich wären. Wer indessen vom hohen Niveau einer gleichsam gewohnheitsrechtlichen absoluten Mehrheit kommt, jammert natürlich auch auf diesem. Nach Ansicht des Verfassers ist die demoskopische Einschätzung des CSU-Resultats am unteren Rand des zu Erwartenden angesiedelt. Wie besonders in den letzten Tagen immer wieder betont wird, ist die Hälfte der Wahlberechtigten noch unentschlossen. Mancher Votant, der erst seit jüngerer Zeit mit der CSU fremdelt, wird sich in der Kabine dann doch einen Ruck geben und bei der bewährten Option bleiben.

Das Schicksal der SPD nimmt sich im Vergleich zu ihrer großen Konkurrentin deutlich bitterer aus. Die sozialdemokratische Spitzenkandidatin, Natascha Kohnen, verkörpert dabei fast mustergültig die ganze Tragik der nunmehr schon quälend langen Agonie der Alten Tante. Wer Kohnens Lebenslauf liest, ist vielleicht davon überrascht, dass sie allen gern gehegten Klischees zum Trotz keine kinderlose Geisteswissenschaftlerin, sondern eine Diplom-Biologin mit zwei volljährigen Sprösslingen ist. So erdverbunden sich Kohnens Studienfach und Familienverhältnisse ausnehmen, so neulinks-orthodox ist doch das Gros der politischen Ansichten der 50-Jährigen. Anders formuliert: Kohnen würde bei den Grünen wohl nicht als publikumsträchtige Außenseiterin von der Oberrealo-Fraktion auffallen. In Schwabing oder im Glockenbachviertel kommt sie mit diesem Auftreten zweifellos an. Im ländlichen Rest Bayerns dürfte ihr eine allzu große Zuneigung vermutlich nicht entgegenströmen.

Womit freilich nicht gesagt werden soll, dass die Grünen in Bayern ein Mauerblümchendasein fristen würden. Ganz im Gegenteil: 18 Prozent und damit zweitstärkste Fraktion im Landtag lautet der Wahrspruch der Auguren. Die Begeisterung für die Öko-Partei ist nach Meinung des Endunterfertigten nicht mit rationalen, sondern nur mit religiösen Argumenten zu verstehen. Außerordentlich ist jedenfalls der Imagewandel, den die freistaatlichen Grünen in den letzten dreißig bis fünfunddreißig Jahren vollzogen haben: Gaben Sie zu Strauß' Zeiten ihrer Verunglimpfung als fünfte Kolonne außerbayerischer Provenienz durch ihren ganzen Habitus nur allzu sehr Recht, sonnen sie sich nunmehr im traditionsbewussten Glanz des Heimatschützers, idealtypisch verkörpert durch den genfreien Biobauern, in dessen Stube vielleicht sogar ein Kruzifix den Herrgottswinkel ziert. Dass von dem grünen Spitzenduo Ludwig Hartmann und Katharina Schulze nur Ersterer als Ministerpräsident wählbar wäre (die 33-Jährige ist dagegen noch viel zu jung für das Amt), stört unter den Rechtgläubigen unter den Linksgläubigen vermutlich niemanden.

Die AfD wird angesichts der ihr vorhergesagten 10 bis 14 Prozent mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in den Landtag einziehen. Dass sie ihre Hochburgen in den ostbayerischen Regionen haben wird, die von der Grenznichtschließung im Herbst 2015 und deren Nachwirkungen am stärksten betroffen sind, erscheint als Binsenweisheit und wird gerade deshalb am konkreten Wahlergebnis zu überprüfen sein. Die Freien Wähler dürften mit ihrem Vorsitzenden Hubert Aiwanger, der an bajuwarischer Authentizität so gut wie jeden altbayerischen CSU-Exponenten alt aussehen lässt, auf ein zweistelliges Ergebnis kommen. Will heißen: Der SPD droht realistischerweise die Schmach, nur noch fünftstärkste Kraft im Freistaat zu werden. Wer über die Freien Wähler wenig weiß, dem seien sie in aller Kürze und der damit verbundenen Vereinfachung wie folgt vorgestellt: Es handelt sich dabei um eine Partei, welche diejenigen anspricht, die CSU-Politik, aber nicht die CSU möchten. Um den Einzug ins Landesparlament zittern müssen die FDP (mit günstiger Prognose) und die SED (die voraussichtlich und hoffentlich die Latte reißen wird).

Doch genug der Prophezeiungen: Die Wahrheit liegt bekanntlich in der Urne.

Noricus

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