18. November 2017

Zitat des Tages: Der Wählerauftrag und die Verantwortung

"Aber natürlich erwarte ich, dass sich alle Seiten ihrer Verantwortung bewusst sind. Und mit dieser Verantwortung umzugehen heißt auch, den Auftrag nicht an die Wähler zurückzugeben."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Welt-am-Sonntag-Interview, aus dem in diesem Welt-Online-Beitrag vorab zitiert wird, mit Bezug auf die Sondierungsgespräche über die mögliche Bildung einer Schwampel-Koalition.

Kommentar: Der promovierte Jurist Steinmeier weiß natürlich, dass nicht die am Verhandlungstisch sitzenden Parteifunktionäre, sondern er selbst über Neuwahlen entscheiden muss, wenn die Bundeskanzlerwahl für den erfolgreichsten Kandidaten lediglich eine relative Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages ergibt. Hat das Staatsoberhaupt mit dieser Äußerung bereits offenbart, wie es auf den beschriebenen Fall reagieren würde? Überraschend wäre diese Präferenz des Bundespräsidenten nicht; denn Steinmeier kann nicht übersehen, dass Angela Merkel alles andere als die Idealbesetzung für die Rolle der Anführerin einer Minderheitsregierung darstellt: Das System Merkel baut ja gerade darauf auf, eine möglichst breite, duldsame Parlamentsmajorität hinter sich zu haben, die ein von Programmen und Inhalten unbekümmertes, auf den Machterhalt der "Chefin" konzentriertes Durchregieren ermöglicht.

Doch Steinmeier eskamotiert nicht nur seinen Part im Vorfeld eines eventuellen neuen Urnenganges, er wiederholt auch den offenkundig unrichtigen Befund, der Wähler habe einen Auftrag zur Bildung eines Jamaika-Bündnisses erteilt. Rein arithmetisch könnte man nämlich mit gleichem (oder sogar besserem) Recht behaupten, dass die Stimmbürger eine Fortsetzung der Großen Koalition wünschten beziehungsweise dass eine Formation aus der stärksten Fraktion, der Union, und den beiden Gewinnern des Votums vom 24. September, der AfD und der FDP, dem Willen des Volkes entspricht. Dies würde man freilich angesichts der erheblichen Verluste der Großkoalitionäre und der Ankündigung aller anderen Parteien, mit der AfD keine gemeinsame Sache zu machen, als absurd zurückweisen.

Ebenso widersinnig ist es aber, einem CSU-Wähler, für den Seehofers Obergrenzenrhetorik ausschlaggebend war, zu unterstellen, er wollte mit seinem Kreuz bei den Schwarzen den Willkommenseuphorikern von den Grünen zu Ministerämtern verhelfen. Wer hingegen wegen ihres Kampfes gegen den Verbrennungsmotor und die Kohleverstromung für die Öko-Partei gestimmt hat, wird kaum davon geträumt haben, dass sich diese mit der am wenigsten wirtschaftsfeindlichen Gruppierung im Deutschen Bundestag, der FDP, und der auf ihre ländliche, gezwungenermaßen autoaffine Anhängerschaft bedachten CSU in ein politisches Prokrustesbett legen würde.

Die vom Bundespräsidenten angesprochene Verantwortung der sondierenden Parteien besteht natürlich - gegenüber ihren eigenen Wählern. In einer pluralistischen Demokratie kann niemand erwarten, dass eine Partei aus angeblicher Staatsräson gegen ihren Markenkern, gegen ihre DNA handelt. Die CSU kann beim Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte nicht nachgeben, die FDP muss sich beim Thema Steuerentlastung zumindest symbolisch durchsetzen und die Grünen dürfen in allen von ihnen moralisch aufgeladenen Fragen jedenfalls nicht zu weit hinter dem Maximum an ideologischer Unbeflecktheit zurückbleiben.

Die Schwampel ist eine Mésalliance, die nur funktionieren könnte, wenn sich die Beteiligten auf einen lauwarmen Kompromiss-Eintopf verständigten, der Merkels "Weiter-so"-Absolutismus als perfekte Nahrung dienen würde. Beim Wähler hinterließe das alles nur ein erneutes bitteres Geschmackserlebnis.

Noricus

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