24. November 2017

Spätherbstliche Elegie in Prosa

Das Leben verläuft in einer Kurve, die sich üblicher- und auch idealerweise zusehends verflacht. Wer kann sich nicht mehr an die unermesslichen Wonnen aus Kindertagen erinnern, als man am Heiligen Abend auf die Bescherung wartete und dann, als das Geschenk ausgepackt war, dieses in seliger Versunkenheit einer Überprüfung nach allen Seiten unterzog? Wer kann sich nicht mehr an die unermesslichen Drangsale erinnern, wenn das Lieblingsspielzeug defekt und Trost schlechterdings unmöglich war? 

Es folgte die Jugend mit ihren Verzückungen – der ersten Liebelei, dem Gefühl des Erwachsenwerdens – und der rezidivierenden Konfrontation mit der subjektiven Gewissheit, nicht liebenswert und doch noch nicht so sehr gereift zu sein. Nach der Volljährigkeit, der Schulzeit wechselten die Erfolge des Wohlbestehenkönnens in der harten Realität mit dem Erschrecken über den kalten Wind, der das Mann- und Frausein umweht. 

Und irgendwann hat man es sich gerichtet. Wenn nichts dramatisch Gutes oder Schlechtes mehr passiert, verwaltet man sein Leben gleichförmig zu Ende – je nach Temperament mit einer Grundstimmung der Zufriedenheit oder des Missmuts. Der Gedanke an das Sterben verliert seine histrionische Überspitzung: Eines Tages wird er kommen, der stachellose Tod, und alles, was in diesem Leben an Schuld und Schmerz, an Lust und Liebe angefallen ist, im Sinne einer Generalbereinigung auf null stellen. 

Die Dinge ereignen sich nicht zweimal, zuerst als Tragödie und danach als Farce, sondern immer nur einmal: als Tragödie und Farce zugleich.

Noricus

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