10. März 2017

Des Kaisers kurze Kleider

Der Verfasser dieser Zeilen ist alles andere als ein Kenner traditioneller Kleiderordnungen. Und gesellschaftliche Anlässe scheut er ohnehin wie der Teufel das Weihwasser. Aber wenn der neue Bundespräsident für seinen Amtseinführungsempfang den Dresscode "Dunkler Anzug/Kurzes Kleid" ausgibt, so hätte sich der Erdunterfertigte auch ohne einschlägiges Hintergrundwissen gedacht, dass dies keine Aufforderung an die weibliche Gästeschar darstellt, ihre Beine möglichst freizügig darzubieten. Gemeint ist damit vielmehr, dass die Damen keine Abendgarderobe tragen sollen. Was in den zur Dienstantrittsfeier des Staatsoberhauptes geladenen Kreisen auch so verstanden wird.
­
In den sozialen Netzwerken hat die für den Außenstehenden kryptische Formulierung zwar nicht für einen veritablen Shitstorm, sondern lediglich für dessen kleinen Bruder im Wasserglas gereicht. Eine Bundestagsabgeordnete von der CDU versuchte, ihre 140 Zeichen Ruhm zu ernten, indem sie unter dem Hashtag #gender die Frage nach den gebotenen Maßen des Kleides stellte. Man könnte diese Vorgänge unter den Rubriken "Marginalie" oder "Kurioses kurz [hihihi] kommentiert" verbuchen, wenn nicht die Entrüstung all jener, die sich an der Formulierung der Gewandungsvorschrift stoßen, auf ein tiefer liegendes Problem hindeuten würde. 

Es ist nur ein bisschen böse, wenn man die veröffentlichte Meinung in diesem Land mit dem berühmten Pawlow'schen Hund vergleicht. So wie dieser auf Glockengebimmel mit Speichelfluss reagiert, kann jene, wenn sich eine Äußerung auch nur entfernt als "rechts", insbesondere als fremden- oder frauenfeindlich, (miss)interpretieren lässt, nicht mehr an sich halten. Eigentlich wäre es naheliegend, einer vom Bundespräsidialamt ausgefertigten Einladung prima facie einen unbedenklichen, das heißt in casu: nicht sexistischen, Inhalt zu unterstellen und darauf basierend den Schluss zu ziehen, dass ein Erscheinen mit weitgehend unverhüllten Unterextremitäten nicht erwünscht sein kann. Anstatt munter draufloszutwittern, wäre eine kleine Suchmaschinenanfrage die klügere Nutzung des World Wide Web gewesen.

Aber Deutschland ist nun einmal die Heimat des Aufschreis. Die Multiplikatoren dieser Gesellschaft befinden sich in ständiger Empörungsbereitschaft. Es gilt ja schließlich, den Anfängen zu wehren. Damit die eigene Mission gewichtiger erscheint, muss der Gegner überhöht werden. So geriert sich eine Bundesbehörde in ihrem Kampf gegen eine Außenseitermeinung, die gerne einmal in die Nähe einer Verschwörungstheorie gerückt wird, als Giordano Bruno. Und die Gender-Gendarmen begnügen sich in ihrem Furor gegen den alten, weißen Mann nicht mehr mit dem Exponenten einer verhassten Kleinpartei. Nein, jetzt muss schon der Bundespräsident die Zielscheibe abgeben. Viel Feind, wenig Ehr.

Noricus

© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.