Es gehört zu den guten Traditionen der Römisch-Katholischen Kirche, daß sie über das Sakrament der Ohrenbeichte verfügt - in Gegensatz zum Protestantismus, bei dieses zwischen den reumütigen (oder zumindest geständigen) Sünder und sein finales Sündenkonto gefügte Bußinstrument abgeht (und der sich im Gegenzug im Hinblick auf diese finale Rechnungslegung salvierte, daß er den christlichen Himmel samt seiner Bewohnerschaft nach und nach entleerte, bis im Zuge etwa der "death-of-God"-Theologie des mittigen 20. Jahrhunderts mit nur das Als-ob eines besenreinen Vakuums zurückblieb). Nicht vergeben werden können durch diese Institution freilich die sieben Todsünden, die peccata mortalia; Superbia, Avaritia, Luxuria, Ira, Gula, Invidia und Acedia (wobei in diesem Fall freilich nicht die leibliche Trägheit, sondern die Gleichgültigkeit des Herzens gemeint ist), und deren Siebenzahl sich eher antiker Zahlenmystik verdanken dürfte als einer strikten ontologischen Feldvermessung. Ob darunter etwa auch jene Sündenkategorie einzureichen wäre, für die es im Englischen die schöne Vokabel schadenfreude gibt (vermeintlicherweise seit der Ausstrahlung der 3. Folge der II. Staffel von The Simpsons; obwohl mir als Leser das Wort in englischen Texten schon in den 1970ern zuhauf untergekommen ist) - bleibe dahingestellt. Da aber Vorsicht die Mutter der Porzellankisten ist, zumal jener jenseitig transzendentaler Natur, ist es geraten, auch ohne theologische Rückversicherung auf Nummer Sicher zu gehen. Einem Religionslosen bleibt da, in Ermangelung des Beichtvaters in den Weiten des Cyberspace, nur das allseits einsehbare quasiöffentliche Geständnis seiner Fehlbarkeit.
Lisa: Dad, do you know what Schadenfreude is?
Homer: No, I don't know what "shaden-frawde" is. [sarcastic] Please tell me, because I'm dying to know.
Lisa: It's a German term for "shameful joy", taking pleasure in the suffering of others.
...
Homer: What's the opposite of that shameful joy thing of yours?
Lisa: Sour grapes.
Homer: Boy, those Germans have a word for everything!
("When Flanders Failed", 1991)
Ich gestehe also: ich habe in der letzten Woche, am Freitag, dem 18. November, um 16:45 Uhr ein Druckexemplar des Spiegel erstanden. Eine kurze Gewissenserforschung, wann ich mich davor zum letzen mal dazu verstanden habe, ergab keine Gewißheit. Das letzte Exemplar des einstigen "Sturmgeschützes des Demokratie", das ich definitiv aufgeschlagen habe, war vor zehn Jahren jener Ausgabe, die sich mit den Ausgrabungen der ältesten Tempel der Menschheit im Fruchtbaren Halbmond bei Göbekli Tepe beschäftigte und deren Aufmacher in euhemeristischer Tradition die vermeintliche Existenz eines biblischen "Garten Eden" zu suggerieren schien. Aber diese Ausgabe habe ich damals von einem Arbeitskollegen ausgeborgt; bei eigenhändig zum persönlichen Besitz erworbenen Kaufexemplaren kann es durchaus sein, daß ich sie während der ausrollenden Schockwellen des 11. September 2001, vor über fünfzehn Jahren mithin, erstanden habe. Salviert fühle ich mich halbwegs durch den Umstand durch den Umstand, daß ich dieses wohl letzte Zeugnis einer Tages- oder Wochenpresse nicht als Lesestoff erworben habe, sondern als reines Artefakt, als Zeitmarke, als Andenken - gewissermaßen ein Äquivalent zu jenen buntgeprenkelten Betonbrocken, die nach dem Mauerfall Berliner Touristen entzückten und die durch ihr Vorhandensein zeigten, daß ihr Ursprung, die tödliche Grenze zwischen den deutschen Teilstaaten, buchstäblich in Trümmern lag. Seit dem Frühjahr 1983, genau: seit dem 2. Mai, hat es mich angelegentlich geärgert, nicht doch schnöder Sensationslust nachgegeben zu haben und den "Stern" mit jener Tagebuchkladde mit den ominösen Frakturlettern "FH" auf dem Titel als plumpe Bauernfängerei links (rechts?) liegen gelassen zu haben und mich damit um ein umschätzbares Zeitdokument der Dummheit und der Roßtäuscherei gebracht zu haben. as soll diesmal nicht wieder passieren.
Die Farce um die angeblichen Diarien von des Deutschen Lieblingstrauma markierte damals das Ende der Glaubwürdigkeit einer der größten deutschen Illustrierten, die seinerzeit noch als halbwegs ernstzunehmendes Nachrichtenmedium galt - ein auch schon damals unverdienter Ruf. Die - freiwillige oder unfreiwillige - Nähe zu apokalyptischen Sektenblättchen wie dem "Wachtturm" - in die sich der Spiegel jetzt gerückt hat, dürfte in Zukunft als Zeitmarke gelten, an dem sich der bisherige Journalismus von jedem Anspruch auf ernsthafte Berichterstattung, auf Orientierungshilfe, als Informationsmedium überhaupt verabschiedet hat. Diese Funktionen sind längst ins Internet abgewandert; die unsägliche, rein polemische - und vor allem: in der Substanz komplett versagende Berichterstattung auf beiden Seiten des Atlantiks bei der diesjährigen amerikanischen Präsidentenwahl hat dies in ein grelles, von niemandem mehr zu übersehendes Licht gerückt. Vom Garten Eden zur Apokalypse: Rudolf Augstein wäre sicher überrascht gewesen, hätte er sehen können, in welchem Zeichen sich die Endphase des gewissermaßen les- und anfassbaren Öffentlichen Gewissens der alten Bundesrepublik vollzogen hat.
Allerdings lag hier die Sünde nicht begraben. Zu den angenehmeren regelmäßigen Chronistenpflichten im Diskussionsforum dieses Blogs, Zettels kleinem Zimmer, gehört für mich seit dem ersten Quartal des verstrichenen Jahres alle drei Monate der Hinweis auf die Auflagenzahlen der großen, überregionalen Tageszeitungen und Magazine. Ihr beständiges, durch nichts aufzuhaltendes Dahinsiechen und - schmelzen könnte einen dauern oder sogar alarmieren, wenn zum einen kein Ersatz dafür sichtbar wäre und sie weiterhin die Funktion erfüllen würden, die sie in den letzten - je nach Zählung - zwei oder drei Jahrhunderten innehatten. Beides ist längst nicht mehr der Fall. Jenes Internet, von dem man in letzter Zeit so viel hört, bietet hier, sowohl was die Verfügbarkeit der Informationen als auch ihre Vertiefung angeht, einen gleichwertigen Ersatz und eine beispiellose Vertiefungsmöglichkeit, die einen geduldigen Nutzer mit Rechercheerfahrung durchaus auf Augenhöhe mit gestandenen Journalisten hebt. Der zusätzliche Zeitaufwand etwa, den diese Verlagerung der Rezeption vom vermittelnden Journalisten auf den einzelnen Leser, gehört zu den unvermeidlichen Kosten dieses, um das Habermasische Stichwort von 1962 aufzugreifen, "Stukturwandels der Öffentlichkeit".
Aber auch in dieser shadenfrawde lag die Sünde nicht. Die lag vielmehr in meiner Reaktion auf eine kurze Meldung in der New York Post vom späten Montag, dem 21. November, die sich als leichte Anspannung in ungewohnten Muskelsträngen des Gesichtsschädels äußerte und beim sorgenden Blick in einen Spiegel als Riktus eines breiten, ja nachgerade gehässigen Grinsens herausstellte. Der Kern der Meldung lautete:
Donald Trump scolded media big shots during an off-the-record Trump Tower sitdown on Monday, sources told The Post. “It was like a f–ing firing squad,” one source said of the encounter. “Trump started with [CNN chief] Jeff Zucker and said ‘I hate your network, everyone at CNN is a liar and you should be ashamed,’ ” the source said. “The meeting was a total disaster. The TV execs and anchors went in there thinking they would be discussing the access they would get to the Trump administration, but instead they got a Trump-style dressing down,” the source added.
A second source confirmed the fireworks. “The meeting took place in a big board room and there were about 30 or 40 people, including the big news anchors from all the networks,” the other source said. “Trump kept saying, ‘We’re in a room of liars, the deceitful dishonest media who got it all wrong.’ He addressed everyone in the room calling the media dishonest, deceitful liars. He called out Jeff Zucker by name and said everyone at CNN was a liar, and CNN was [a] network of liars,” the source said.
(An dieser Stelle sei The Donald, ganz im Sinne Homers, versichert, daß the Germans, indeed, ein Wort dafür haben, das freilich von den damit Gemeinten als durchaus degoutant und nachgerade unfein dekretiert worden ist.)
Bei der Nachricht, die sich mittlerweile bis an die pole position der meisten deutschen Miedienoutlets vorgearbeitet hat, handelt es sich freilich nicht, wie SPON in typischer Verzerrung zu formulieren beliebt, um ein Malheur des tapsigen Yankee ("Trump verpatzt Treffen mit Journalisten") sondern, wie es die F,A,Z, treffend sieht ("Trump staucht Medien zusammen") um einen Einlauf, eine Abreibung, einen Rüffel, eine Bastonade, ein schwungvolles Zusammenfalten auf DIN-A-28 der obersten Charge einer Medienkamarilla, die in ihrer Gehässigkeit und ihrem kollektiven Wirklichkeitsverlust seit subjektiv gefühlt diversen Äonen sich diese Watschentanzpartie schwer und redlich verdient hat.
Bei der Nachricht, die sich mittlerweile bis an die pole position der meisten deutschen Miedienoutlets vorgearbeitet hat, handelt es sich freilich nicht, wie SPON in typischer Verzerrung zu formulieren beliebt, um ein Malheur des tapsigen Yankee ("Trump verpatzt Treffen mit Journalisten") sondern, wie es die F,A,Z, treffend sieht ("Trump staucht Medien zusammen") um einen Einlauf, eine Abreibung, einen Rüffel, eine Bastonade, ein schwungvolles Zusammenfalten auf DIN-A-28 der obersten Charge einer Medienkamarilla, die in ihrer Gehässigkeit und ihrem kollektiven Wirklichkeitsverlust seit subjektiv gefühlt diversen Äonen sich diese Watschentanzpartie schwer und redlich verdient hat.
Nett, auch für passionierte Nicht-TV-Konsumenten, ist die Entdeckung, daß Anchorman Claus Kleber offenbar eine kleine Schwester auf der anderen Seite des Atlantiks hat.
“Trump didn’t say [NBC reporter] Katy Tur by name, but talked about an NBC female correspondent who got it wrong, then he referred to a horrible network correspondent who cried when Hillary lost who hosted a debate – which was Martha Raddatz who was also in the room.” The stunned reporters tried to get a word in edgewise to discuss access to a Trump Administration.
Wobei sich hier freilich fragen ließe, ob Frau R. von Herrn K, gelernt hat oder vice versa; oder ob hier ein Fall von ethologischer konvergenter Evolution in diesem speziellen Medienbiotop vorliegt.
Trump spokeswoman Kellyanne Conway told reporters the gathering went well. “Excellent meetings with the top executives of the major networks,” she said during a gaggle in the lobby of Trump Tower. “Pretty unprecedented meeting we put together in two days.” The meeting was off the record, meaning the participants agreed not to talk about the substance of the conversations.
Zumindest wissen die US-amerikanischen Medien nur, woran sie sind und was ihnen blüht. Daß das negative Folgen haben könnte, braucht man wohl nicht zu befürchten: Nicht der künftige Präsident der Vereinigten Staaten will etwas von den Medien, sondern sie etwas von ihm. Wenn sie wissen, daß sie hinfort nur mit ausgewogener Berichterstattung und belastbaren Fakten punkten können, hat jeder interessierte Netznutzer auf diesem Planeten ebenfalls etwas davon. Es gab schließlich einmal eine Zeit (gefühlt etwa zeitgleich mit der Epoche, da die Olympischen noch unter den Sterblichen wandelten), da suchte man in den Medien nach Informationen, aus denen man sich die eigene Meinung nach Lust, Laune, Parteibuch, Kaffeekonsum und dem schwankenden Pegelstand von Blut, Phlegma sowie schwarzer und gelber Galle selbst bilden konnte und nicht nach permanenter Anweisung, was man sich beim kleinsten Vorfall bitte sofort dazuzudenken habe.
Wem der Trumpsche Temperamentsausbruch trotzdem als Kennmerk und Ausweis transatlantischen Grobianismus und grobmotorischer Vulgarität ungustiös erscheint, darf sich, das sei als Trost vermerkt, erleichtert zurücklehnen, Bei uns besteht nicht die geringste Gefahr, daß sich dergleich in Zukunft ereignen wird (außer vielleicht in der Gladiatorenarena der Fernsehtalkshows, die anscheinend das Parlament als Agora verbindlicher kollektiver Willensbildung endgültig abgelöst haben) und daß sich etwa eine Frau Petry nach ihrer Kür zur Bundeskanzlerin mit unserer Vierten Macht in dieser Weise verfahren könnte. Wie Nicolaus Fest in seinen kurzen YouTube-Spots seit seinem Dazustoßen zu dieser Partei Anfang Oktober beständig betont: "Wir haben die besseren Manieren." Pas de chance mithin.
Obschon man sich dergleichen von Herzen wünschen möchte.
(Abb.: Tilo Jung, @nilsdemetry, via Twitter)
* * *
PS: Nachtrag vom 7. 12. 2016: Eine herrliche Coda:
(Time Magazine: Titelbilder vom 22. August 2016, 24. Oktober 2016, 12. Dezember 2016)
Ulrich Elkmann
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