8. November 2016

"Trumpery Insanity"

"Postremo petitio cura ut pompae plenae sit, ut inlustris, ut splendida, ut popularis sit, ut habeat summam speciem ac dignitatem, ut etiam, si qua posit ratione, competoribus tuis exsistat aut sceleris aut libidinis aut largitionis accomodata ad eorum mores infamia."
- Quintus Tullius Cicero, Commentariolum petitionis, §52

Vor drei Jahren, zu Ende des Jahres 2013, hat der Verfasser dieser Zeilen verschiedentlich in Gesprächen geäußert, daß es jetzt genau ein halbes Jahrtausend, exakt ein Jahrfünfhundert her sei, daß das älteste Buch fertiggestellt wurde, aus dem in der modernen Welt noch direkt, unverstellt, durch unmittelbare Lektüre das zu ziehen sei, was altfränkischer gepolte Gemüter unter "Nutz und Frommen" einsortieren könnten  - nicht als historische Quelle, als Darlegung einer Philosophie oder Religion, als Dichtwerk - ob nun geistlicher oder schnöde weltlicher Art. Da sind Werke wie Lukrez` De rerum natura oder die Gedichte des Tang-zeitlichen Dichters 李商隱 (Li Shangyin), die Genji monogatari der Murasaki Shikibu oder die Canterbury Tales noch unverstellt zugänglich und genießbar, solange man den Mut - oder die schnöde Wurstigkeit - hat, sich darauf einzulassen (obwohl ein Anmerkungsapparat mitunter gute Dienste als Räuberleiter in versunkene Zeiten tut) . Sondern als lebenspraktische Lektüre, als Ratgeber, als ein unmittelbar Orientierung gebendes opusculum. Werke wie das Laus stultorum, das "Lob de Torheit" des Erasmus von Rotterdam oder Castigliones Hofmann sind uns, bei allem Bemühen, letztlich fern und fremd; das zeitlich am weitesten zurückreichende Werk dürften in aller Regel die Essais von Montaigne darstellen. Nun: im Lauf des Jahres 1513 schloß Niccolò Machiavelli sein erstes bleibendes Werk ab, die Discorsi - eine Darlegung politisch nützlicher oder schädlicher Strategien, der Auswirkungen auf das Gemeinwesen, der Verantwortlichkeit und den Möglichkeiten politischen Handelns. Daß er als Beispiele für diese Erörterungen die ersten fünfzehn Bücher der Ab urbe condita, der Darstellung der römischen Geschichte durch Titus Livius wählte, die nach dem Dafürhalten heutiger Historiker wohl keinerlei historische Geschichtlichkeit für sich beanspruchen können, tut der Sache keinen Abbruch: die dargestellten Ereignisse mit ihren Folgen, die Überlegungen, unter welchen Umständen ein anderes Handeln vorteilhaftere Ausgänge nach sich gezogen hätte: all das wird ungeachtet der "historischen Korrektheit" nicht tangiert. Auch Barbara Tuchman wählte ja noch für ihre Beispielsammlung desaströser politischer Weichenstellungen, The March of Folly (deutsch unter dem Titel Die Torheit de Regierenden) das Beispiel des Trojanischen Krieges, von dessen Historizität vor Heinrich Schliemann niemand überzeugt war wie nach ihm. (Es gibt freilich in dieser Liste zwei Ausnahmen, die die Doppelkriterien des Alters wie der Nützlichkeit erfüllen: die beiden unter dem gleichen Titel Die Kunst des Krieges überlieferten Abhandlungen von Sun Tse und Sun Bin - wobei bei letzterem der wohl einmalige Fall vorliegt, daß ein Werk der Antike, das komplett verlorengegangen war, durch einen glücklichen archäologischen Fund - in diesem Fall die Entdeckung der Yinqueshan-Bambustexte im Jahr 1972 - wiederentdeckt wurde. Da ich aber momentan nicht damit beschäftigt bin, Feldzüge zu planen, nicht einmal solche, die Johann Georg Hamann unter dem Titel Kreuzzüge des Philologen subsumiert hat, bleibt deren Praxistauglichkeit fürs Erste suspendiert.)

Gar nichts weiß man.


Wir schreiben das Jahr 64 vor Christus. Um das höchste Staatsamt, die beiden Posten des Konsuls, die jährlich neu zu besetzen sind, bewerben sich diesmal sieben Bewerber, darunter der 42-jährige, heute würde man sagen "Staranwalt" Marcus Tullius Cicero (der eine Reputation hat, auch die hoffnungslosesten Fälle in seinem Sinn entscheiden zu können; mit 25 hat er seinen Einstand gehabt, indem er gegen eine Phalanx von Augenzeugen und die gesamte öffentliche Meinung für einen Angeklagten, Lucius Roscius, vor der Verurteilung für das schlimmste Verbrechen, das das römische Recht kennt, ärger als Landesverrat oder Desertion, nämlich Vatermord, einen Freispruch erwirkt hat). Diesem Politneuling nun schreibt sein vier Jahre älterer Bruder, der sich in diesen Dingen schon etwas länger auskennt, aber selber eine Ambitionen auf ein Amt entwickelt hat, einen längeren Brief mit Ratschlägen: was es zu beachten gibt, auf welche Unterstützer man Wert legen soll und welche hinderlich sind ("Sed hoc nomen amicorum in petitione latius patet quam in cetera vita; quisquis est enim qui ostendat aliquid in te voluntatis, qui colat, qui domum ventitet, is in amicorum numerum est habendus." Dieses Wort "Freunde" hat allerdings im Wahlkampf eine andere Bedeutung als im übrigen Leben, denn als "Freund" mußt du jeden ansehen, der dir gegenüber guten Willen zeigt, mit dir zusammen gesehen werden will oder dich zuhause besucht.) Zum Abschluß gibt er ihm ein halbes Dutzend unmittelbare, stets und verzögerungsfrei einzusetzende Taktiken mit auf den Weg, deren letzte oben zitiert steht: 

Zu guter Letzt mußt du darauf achten, daß dein ganzer Wahlkampf ein gutes Schauspiel ist: hinreißend, hervorragend und vor allem populär, eins, das die ganze Aufmerksamkeit und Wertschätzung erzielt, und - wenn es denn irgendwie möglich ist - daß man sich über deine Konkurrenten Skandalgeschichten über deren Verbrechen, lasterhafte Ausschweifungen und Bestechungen erzählt.

Wir wissen nicht, ob der jüngere Cicero davon Gebrauch gemacht hat; wir wissen, daß er in das Amt gewählt worden ist. Die vergangenen achtzehn Monate der amerikanischen Wahlkampfes wirken im Rückblick, vor allem in ihrer Schlußphase, wie eine Bilderbuchillustration zur Nutzanwendung dieser Ratschläge: das persönliche Eingehen auf einzelne Personen und Fälle, die Vorspiegelung einer perfekten Eignung in den Augen der avisierten Klientel, die unermüdliche Ausdauer des persönlichen Einsatzes, die Freigiebigkeit, die nur zum Zweck des Amtserwerbs eingesetzt wird, die digitale Entscheidung, Bitten entweder nicht abzulehnen (obwohl man keinerlei Absicht hat, ihnen zu entsprechen - weil so sich so die Dankbarkeit des Bittstellers im Voraus sichert) oder es höflich, aber bestimmt zu tun, das unablässige Bad in der Menge und die Koppelung von Hoffnung für den Staat mit der eigenen Person. Und natürlich die Anschwärzung der Gegenseite.

Die beiden Kandidaten haben, unschwer ersichtlich, nicht auf allen Gebieten gleichermaßen gepunktet. Nicht nur für das Lager der Demokraten, sondern wohl weltweit dürfte sich der Eindruck verfestigt haben, beim diesjährigen konservativen Prätendenten handle es sich wirklich um ein fleischgewordenes Übel, um ein rein von Instinkten - und den denkbar schlechtesten Instinkten - gelenkten Grobian, der nur Anrichtung aller nur denkbaren Desaster fähig ist. Der Eindruck dürfte täuschen, da Trump keinerlei Anlaß zur Vermutung gegeben hat, er wolle die Grenzen, die Senat und Kongreß dem amerikanischen Präsidenten setzen, sprengen, er wolle unbedacht kriegerische Abenteuer vom Zaun brechen, er wolle die Verfassung mit Füßen treten. (Ein dezidiert kriegerisches Vorgehen gegen die Kräfte des Islamismus steht dem nicht entgegen; nur sollte man, wie es bei uns leider die Regel zu sein scheint, nicht vergessen, daß nicht "wir", der Westen, den extremen Auslegungen der Lehre des Propheten ewige Feindschaft und Auslöschung geschworen haben. Allerdings scheint Trump eher geneigt, die endgültige Bekämpfung etwa des "Islamischen Staates" den Kräften Putins zu überlassen. Bei aller Abneigung gegen den russischen Autokraten sollte man nicht aus den Augen verlieren, daß mit dessen Mitspielen auf der Bühne der Weltpolitik für mindestens die nächsten zwei Jahrzehnte zu rechnen ist, ob wir es goutieren oder nicht - und daß nach den Erfahrungen der letzten anderthalb Jahrzehnte für uns, für Deutschland wie das Europa der EU - keinerlei Gefahr ausgeht, vorgeführt und gedemütigt zu werden. Eher dürfte die konkrete Gefahr bestehen, daß die EU die nächsten zehn Jahre nicht übersteht, weil sie an ihren inneren Widersprüchen und der absoluten Unfähigkeit ihres Führungspersonals zerbricht.) Mit Trump dürfte ein solches Risiko für die Weltmacht USA auszuschließen sein.

Auf der anderen Seite dürfte Hillary Clinton, völlig unabhängig vom heutigen Wahlausgang, die Wirkung der Schlußphase des Wahlkampfs nicht unbeschädigt überstehen. Zu sehr war sie in den letzten Wochen in der Defensive, zu viele bedenkliche Schatten haben ihr Bild - wohl auch in der Wahrnehmung des überseeischen Publikums, sogar des deutschen, das seit jeher die amerikanischen Politiker durch eine manichische Optik wahrnimmt - eingetrübt. Daß es sich bei ihr um eine skrupellose, allein auf Macht ausgerichtete Person handelt, deren finanzielles Rückgrat, die Clinton Foundation, nun durch die Ermittlungen der CIA auch ziemlich offiziell im Verdacht steht, eine korrupte Geldwäscherei für korrupte Regime darzustellen, daß über ihr der Schatten eines Straf- vielleicht sogar Amtsenthebungsverfahrens schweben könnte, wenn sie am 20. Januar 2017 ihren Amtseid ablegen sollte - all das dürfte auch bei uns keine Außenseiteransicht mehr darstellen. Von einer "dritten Amtszeit Obamas", von der in der USA mitunter die Rede ist, träumen sicher auch hier nur noch betriebsblinde Optimisten. Trotzdem: ob sie weniger für dieses Amt geeignet sein könnte, ob solche Kratzer am fleckenreinen Bild von irgendeiner Bedeutung wären, läßt sich im Vorherein in keiner Weise taxieren. Wenn man sich an den abgrundtiefen Haß erinnert, der nicht zuletzt aus Deutschland, aber auch aus dem gesamten Westen, vor 37 Jahren Ronald Reagan entgegenschlagen ist - der wahrscheinlich der beste Präsident war, den die USA in den letzten hundert Jahren gehabt haben, und an die nachgerade Vergötterung von Jimmy Carter oder John F. Kennedy, die in der Rückschau fast ebenso irregeleitet, unfähig, ahnungslos und schaumschlägerisch erscheinen wie der unbestritten schlechteste Amtsinhaber, der dieses Amt seit seiner Einrichtung zu Zeiten George Washingtons innegehabt hat - Barack Hussein Obama - sollte man sich mit Erinnerungen an die Zukunft vielleicht vorerst zurückhalten. 

Für viele, allzuviele Beobachter in Old Europe, in der Alten Welt, erscheint die aktuelle Konfrontation wohl als eins der grellsten Krisensymptome der gegenwärtigen Zeit: als Anzeichen, daß die Welt, zumindest in Teilen, aus den Fugen ist, ihren Verstand an der Garderobe abgegeben hat, daß besonders Trump, als hemmungsloser Agitator, als in keiner Weise ernstzunehmender Clown, eigentlich gar kein Recht habe, in einer halbwegs vernünftigen Welt überhaupt so weit zu gelangen, für das mächtigste Amt der Welt ernsthaft in Frage zu kommen. "Trumpery insanity." Wahnsinn, vom gleichen Holz wie die schaurigen Populisten Europas, ob Wilders, Marine Le Pen, die FPÖ, die AfD, Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung und natürlich die so blinden wie verantwortungslosen Brexiteers. Man kann es auch anders sehen: nämlich daß die Nominierung Trumps, die Tatsache, daß er ernsthaft eine Chance hat, morgen (oder besser: heute) (aber eben doch: morgen, denn wir werden den endgültigen, verläßlichen Ausgang der Wahl nicht vor Mittwoch Mittag erfahren) einen Glücksfall darstellt, eine Sternstunde der wirklichen Demokratie, für das Funktionieren der Kräfte und Institutionen, die die Gründerväter der amerikanischen Demokratie, Madison, Jefferson, Washington, ihrem Staat hinterlassen haben, eine Wahl, die wirklich eine Wahl zwischen Alternativen darstellt: die Bestätigung der Sozialdemokratisierung der amerikanischen Innenpolitik unter Obama, das Wirken einer politischen Filzokratie, einer als weltfremd und autistisch empfundenen Washingtoner Monade gegen ein Votum fürs Ungewohnte, aber konservativ Ungewohnte, nicht das Versprechen von mehr Staat, mehr Regulierung, mehr Weltmoralapostel ohne jede Macht, diese Moral anzuwenden. Defizite haben beide Kandidaten zuhauf - niemand baucht mehr darauf hingewiesen zu werden, nicht einmal die glühendsten MAGA-Hut-Träger. (Für Leser, die die letzten 18 Monate auf einer Marsexpedition ohne Funkkontakt verbracht haben: das Kürzel steht für Trumps Wahlkampfslogan Make America Great Again). Dem Autor dieser Zeilen sei nachgesehen, daß er zur Sicht der Sternstunde neigt - und daß er diese Einstellung auch bei zumindest einigen heimischen Elementen der oben stehenden  Gruselliste erkennt.

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Das hapax legomenon "trumpery insanity" findet sich in jenem Text, der oft als Urtext der ästhetischen Moderne, der Verfasstheit des Jetztzeitmenschen, gilt: im 24-Stunden-Ablauf des irischen everyman Leopold Bloom in James Joyces Ulysses. Im mittäglichen Essenfassenskapitel der "Oxen of the Sun" (Joyce blendet ja seine banalen 24 Stunden des 16. Juni 1904 auf die Irrfahrten des listenreichen Odysseus, die Taten des vielgewanderten Mannes, / Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung, /Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat.) geht Bloom beim Betrachten des billig-schmuddligen Restaurants und dessen Laufkundschaft folgendes durch den stream-of-consciousness, den verschleppten, vernuschelten, assonanzeneichen Bewutseinsstrom: 

By mighty! What's he got? Jubilee mutton. Wants it real bad. D#ye ken are socks? Seedy cuss in the Richmond? Thought he had a deposit of lead in his penis. Trumpery insanity. Bartle the Bread we calls him. That, sir, was once a prosperous cit. Man all tatterd and torn and maried a maiden all forlorn. Slong he hook, she did. Here see lost love. Walking Mackintosh of lonely canyon. Tuck and turn in. Schedule time. Nix for the hornies. Pardon? 

Tiens, tiens, but it is well said, that, my faith, yes. O, get, rev on a gradient one in  ine. live axles drives are souped. lay you two to one Jenatzky licks him ruddy well hollow. Jappies? High angle fie, inyah! Sunk by war specials. Be worse for him, ays he, nor any Roshians. Time all. There's eleven of them. Get ye gone. Forward, woozy wobblers. Night. Night. May Allah the Excellent One your soul this night ever tremndously conserve.

"Trumpery insanity" bedeutet hier, wie ersichtlich, eine Kontraktion für "temporary insanity" - die des "seedy cuss" im Richmond - womit Joyce jene Institution in der Richmond Street Dublins meinte, die man 1904 und auch 1922 noch unumwunden "Irrenanstalt" nennen durfte, ohne den Bannstrahl des politkorrekten Establishments auf sich zu ziehen. Hans Wollschläger versucht dies in seiner Übertragung des Ulysses in folgende Logorrhöe umzumünzen:

Jottchen, wat is denn dat fürn komischer Heilijer da in dem Mackintosh? Dusty Rhodes. kuck doch bloß mal seine Klamotten. Allmächtiger! Was frißt er denn da? Jubiläumshammel. Fleischbrühe, heiljer Jakob. Die hat er auch wahrhaft nötig. Kennst du Papa Barfuß? Den kotzjämmerlichen Kerl in der Richmond? Und ob! Bildete sich ein, er hätte 'ne Bleiplombe im Pimmel. Zweiteise nich ganz klar im Kopp. Botfreser Bartle nenn`wir ihn. Das, mein Herr, ist mal ein wohlhabender Bürger gewesen. Ein Mann, der, arm und pleite, ein hilflos Mädchen freite. Ist ihm durchgebrannt, das ist sie. Da könnt ihr mal sehn, was verlorene Liebe ist. ein wandernder Mackintosh in einsamen Schluchten. kipp's runter, und ab durch die Mitte. Polizeistunde. Bloß aufgepaßt auf die Polypen. Tiens, tiens, aber`s ist wohl traurig, das, meiner Treu, ja. Komm mir doch damit nicht, Gas geben bei acht Prozent Steigung. Prinzip der freien Achsenaufhängung ist veraltet. Wette zwo gegen eins, daß Jenatzky ihn nach Takt und Noten schlägt. Die Japse? Steilfeuer, jawoll! Versenkt duch Kriegsberichterstatter. Schlimmer für ihn, sagt er, als für jeden Russen. Jetzt ist aber Schluß. Da schlägt's schon elfe. Macht euch auf die Socken. Vorwärts, ihr schwankenden Gestalten! 'n Abend, 'n Abend. Möge Allah, der Hochmögende, eure Seelen einbruchsicher bewahren heute nacht.














  


       







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Ulrich Elkmann

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