29. November 2016

Werbepause



Ach, was muß man oft von bösen
Werbemenschen wieder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Jung und von Matt hießen;
Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren,
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten.
Ja, zur Übeltätigkeit,
Ja, dazu ist man bereit!
In das UBW von Muggeln
Bössignale einzuschmuggeln,
Adolfs kaum geheilte Erben
Wieder schwarzbraun einzufärben;
Und mit höchst suspekten Zahlen
Deren Netzhaut zu bestrahlen.
"Heile Welt" zu suggerieren
Und sie damit zu verführen.
Das ist freilich angenehmer,
Und zudem noch viel bequemer
Denn als Masi wachsam walten
Und das #Neuland rein zu halten!
Doch gottlob! nun ists vorbei
Mit der Übeltäterei:
So weist man dem Pack die Schranken:
Frau Sabine ist zu danken,
Denn sie dachte sich ihr Teil
Und fand dies gar nicht supergeil.
Und sie ließ uns alle wissen
Worauf wir künftig achten müssen!
Auch angesichts von Spott und Hohn
Denn Undank ist der Mühe Lohn.
Dementsprechend vorgewarnt
Sehen wir den Feind enttarnt.
Und von diesem Bubenstück
Bleibt kein Fitzelchen zurück.

Erschreckendes, ja nachgerade Bedenkliches war in der vorigen Woche im angesehenen Manager-Magazin zu lesen. Dort teilte die Direktorin der Landeszentrale für Politische Bildung in Hamburg, Sabine Bamberger-Stemmann, in einem Interview die Befunde mit, zu denen sie angesichts der diesjährigen weihnachtszeitlichen Werbekampagne der Supermarktkette "Edeka", in der es nur vordergründig um die Suggerierung einer stressfreien, entspannten Alternative zur feiertäglichen Hektik geht, gelangt war, ja hatte gelangen müssen.


Bamberger-Stemmann: Das ist das Kennzeichen "MU SS 420" Die Buchstaben SS sind gerade wegen der Anlehnung an die NS-Zeit in Deutschland im Autokennzeichen verboten. Da das verboten ist, ist es nicht vertretbar, das in einem Werbespot zu nutzen, auch wenn es sich um ein fiktives Kennzeichen handelt. Die 420 ist eine aus dem angelsächsischen Raum stammende, in rechten Kreisen auch hierzulande gängige Abkürzung für Hitlers Geburtstag am 20. April. 
mm.de: Für diese beiden Codes ist Edeka bereits kritisiert worden. Manche sagen, die Zahlenkombination könne auch auf den Cannabis-Tag hindeuten, der ebenfalls mit der Zahl 420 arbeitet. Was haben Sie noch gefunden?
Bamberger-Stemmann: Den Verweis auf den Cannabis-Tag halte ich im Zusammenhang mit den Buchstaben SS, den wir vor uns haben, für konstruiert. Denn das zweite Autokennzeichen, das im Spot zu sehen ist, zeigt ebenfalls Zahlenkombinationen, die in der rechtsextremistischen Szene verwendet werden. Das Nummernschild laut "SO LL 3849". 
mm.de: Was bedeutet das?
Bamberger-Stemmann: Die Zahl 84 steht für "Heil Deutschland". Sie ist umrahmt von den Zahlen 3 und 9. Die 39 steht für "Christliche Identität" oder "Christian Identity". Dies bedeutet in rechten Kreisen im Umkehrschluss Antisemitismus. Damit ist die Aussage klar....
Bamberger-Stemmann: Ich glaube nicht an einen Faux pas, wie es ja im Netz zum Teil auch diskutiert wird. Angesichts der Häufung von rechtsradikalen Codes ist das verharmlosend und unglaubwürdig. Sowieso vermittelt der Spot besonders am Anfang eine heile Welt und transportiert Werte, die auch für die Neue Rechte stehen. Die Kinder spielen zum Beispiel auch eine altmodische Version von "Mensch ärgere dich nicht". (Manager-Magazin, 23.11.2016: "Es ist erschütternd")

Das im Interview gefallene Stichwort "Sekundenbruchteil", für die das zweite Kennzeichen im Spot auftaucht, wie wie aus dem diesen Befund bestätigenden Bericht in der "Welt" entnehmen können

Der Weihnachtsspot von Edeka rührt viele Herzen. Zeit mit seinen Liebsten zu verbringen, lautet der Appell. Doch die Werbung hat einen Beigeschmack. Autokennzeichen zeigen Codes der rechten Szene. Das Kennzeichen "MU SS" würde folglich zum Spot passen - wäre da nicht ein zweiter Wagen mit einem ebenfalls bedenklichen Kennzeichen. Die Aufschrift "SO LL 3849" ist nur einen Sekundenbruchteil zu erkennen. Darin enthalten ist die Zahl "84"... (Die Welt, 24.11.2016)

weist den aufmerksamen Leser in die Richtung, die uns allen zu denken geben sollte: die der unterschwelligen, subliminalen Botschaften, die durch Einspielungen von Audiobotschaften unterhalb der Hörschwelle oder durch Einzelbildeinschaltungen in Werbefilmen die Aufmerksamkeitsschwelle des Zuschauers oder -hörers oder die Trägheit des menschlichen Auges unterlaufen und daher nicht vom Sinnesapparat des Rezipienten ausgeblendet werden können. Der amerikanische Psychologe Vance Packard hatte zuerst 1957 in seinem Bestseller The Hidden Persuaders (auf deutsch unter dem Titel Die geheimen Verführer erschienen) auf diese perfide Manipulationsmöglichkeit aufmerksam gemacht und von sommerlichen Filmvorführungen berichtet, in denen  etwa als (bewußt) nichtwahrnehmbare Texttafeln die Buchstabenfolge "Thirst!" wiederholt zwischen einzelne Filmbilder geschnitten war - worauf sich der Umsatz von Softdrinks und Popcorn entweder signifikant, weniger signifikant oder nur unwesentlich erhöht hatte. (Der Experimentator, James McDonald Vicary, gab als Einspielungszeitraum 1/3000 Sekunde an; der erste Bericht in den Medien findet sich im Magazin LIFE vom 31. März 1958: Brean Herbert, "'Hidden Sell' Technique is Almost Here") Daß spätere Versuche, diese Ergebnisse zu replizieren, samt und sonders fehlschlugen, sollte man auf keinen Fall überbewerten. Nicht umsonst gilt als Kernstück zumal psychologischer Tests das Kriterium des "Doppelblindtests", bei dem auch der Experimentator nicht um die Wirkung der Stimuli weiß, damit seine mögliche Erwartungshaltung die Erhebung oder Erfassung der Testresultate nicht beeinflußt. Immerhin haben einige US-Bundesstaaten, und auf unserer Seite des Atlantiks etwa auch England, im Gefolge ein Verbot subliminaler Werbebotschaften erlassen - und wie wir spätestens seit der Energiewende wissen, sind die von Vater Staat ergriffenen Maßnahmen allen wissenschaftlichen Einwänden a priori überlegen.

Daß ein Werbespot zur Weihnachtszeit, der seiner Natur ja nur zur Beflügelung und Kanalisierung des Warenkonsums gedacht sein kann, sich expressis verbis gegen Konsum und Hektik wendet, legt schon nahe, daß hier der Zuschauer mit sich diametral widerspechenden Botschaften in einen Zustand kognitiver Dissonanz versetzt werden soll, um dem unterschwelligen Andrang subversiver messages umso hilfloser ausgeliefert zu sein. Auf solche Weise werden etwa in der Hypnose Widerstände, die das intendierte Opfer zu offen vorgebrachten Inhalten bewußt entgegenbringen könnte, elegant unterlaufen. Schon der Versuch, eine "heile Welt" mit unverhohlen traditionell besetzten Akzenten vorzutäuschen, weist darauf hin. Wer zeitgeistig au courant ist, weiß seit den Werbekampagnen der United Colors of Benetton vor zwei Jahrzehnten, daß Konzernen, denen es ernsthaft um Umsatzsteigerung bespielsweise von Luxusartikeln geht, nur mit der Betonung von genuinem Leid und Leichen Erfolg beschieden sein kann. Es geht den "Machern" also um etwas anderes.

Nur wenige Beispiele müssen hier genügen: in diesem vermeintlich harmlosen Werbebildchen (wenn man von der tödlichen Droge absieht, die seinerzeit damit beworben wurde - aber das ist ein anderes Thema)




verbirgt sich ein heimtückischer Appell an die niedrigsten Instinkte der damals zumeist männlichen Kundschaft:



Und auch die schon weiter oben erwähnte amerikanische Softdrinkmarke hat bereits im Jahr 1887 die Schriftart ihres Logos im Hinblick darauf entwerfen lassen, bereits 30 Jahre vor dem Ende des Osmanischen Reiches den späteren rechtgeleiteten Kunden aus dem morgenländischen Raum mit Hohn und Verachtung zu begegnen. Wenn man nämlich den Schriftzug Coca-Cola spiegelbildlich wiedergibt, so zeigt sich in arabischen Lettern unmißverständlich die Botschaft "no Mohammed no Mecca". Von daher ist der in fortschrittlichen Kreisen auch bei uns seit langem geübte Boykott dieses nur von Ahnungslosen als schlichtes "Getränk" verharmlosten Propagandainstruments lobend zu erwähnen.


   

Als eine der übelsten Varianten solcher Manipulation hat sich das sogenannte "Backmasking" erwiesen, um auf beliebten Rock- und Popsongs zumeist satanische (oder zumindest teufelsfreundliche) Botschaften zu verstecken, die den unschuldigen Hörern von Genres wie "Grunge" oder "death metal" die fleckenlosen Seelen vergiften sollen. Typisch hierfür ist, daß es sich um rückwärts aufgespielte Mitteilungen handelt, die erst vernehmbar werden, wenn die LP, CD oder MP3-Datei rückwärts abgespielt wird - so etwa in Led Zeppelins "Stairway to Heaven", das so des Pudels Kern offenbart: "Oh here’s to my sweet Satan. The one whose little path would make me sad, whose power is Satan. He will give those with him 666. There was a little toolshed where he made us suffer, sad Satan" - oder das "Hotel California" der Eagles, das gefühlt mehrere Jahrzehnte lang die pole position aller hiesigen Charts blockierte: "Satan he hears this. He had me believe." Kein Wunder, daß The Big Lebowski die Eagles von Herzen verabscheute. Zum ersten Mal wurde die Öffentlichkeit damit im November 1969 bekannt gemacht im Zuge der "Paul Is Dead/Turn Me On, Dead Man"-Enthüllungen, mit denen die verbliebenen Liverpudel alias Fab Three ihre Hörer über das Ausscheiden Paul McCarthys aus der Gemeinschaft der Lebenden in Kenntnis setzten.

Da nun nichtwahrnehmbare, unverständliche, und vor allem rückwärts wiedergegebene Sätze, Aufforderungen, Befehle erweislich den sichersten Trigger darstellen, um bislang unverdächtige, sogar harmlose Zeitgenossen in mandschurische Kandidaten zu verwandeln, in Botschafter der Angst, lohnt es sich, einen Blick zurück auf ein der beliebtesten Werbemaskottchen der Bonner Republik zu werfen: auf Bruno, auch als HB-Männchen bekannt (auch hier fällt wieder die Verharmlosung einer tödlichen Suchtdroge zum Zweck der Konsummaximierung ins Auge!): jene cholerische Zeichentrickfigur, die jahrzehntelang im Halbminutentakt an den Widrigkeiten des Alltags seine unaufhaltsame Blitzradikalisierung erfuhr, um schlußendlich "in die Luft zu gehen". Sapienti sat. Aber es kommt noch ärger: nicht nur läßt sein ursprüngliches Ende heutige Leser erbleichen:

Aber auch Bruno machte verschiedene Wandlungen durch. In seinen ersten Spots platzte er noch vor Wut in tausend Stücke, während der kleine HB-König besänftigte: „Halt, mein Freund, nicht gleich vor Ärger platzen!“

- sondern bei den Flüchen und Verwünschungen, mit denen diese Aushebelung des gesamten Tugendkatalogs der Adenauerägide begleitet wurde, um, wait for it, Arabisch.

Der akustischen Identifizierung des Spots dienten die von Bruno eingangs gepfiffene Erkennungsmelodie und eine dem kleinen HB-König zugeordnete besänftigende Melodie am Ende. Bei Brunos unverständlichen Flüchen handelte es sich um rückwärts und schneller abgespielte Wortfetzen einer Waschmaschinen-Werbung für arabische Länder - und nicht, wie mitunter kolportiert, um einen ebenfalls rückwärts gespielten Ausschnitt aus einer Rede des ägyptischen Staatspräsidenten Nasser. (Zeithistorische Forschungen, Heft 1-2/2007, "Das HB-Männchen - Werbefigur des Wirtschaftswunders").

Angesichts des Abgründe, die sich angesichts solcher Traditionslinien vor dem fassungslosen Zuschauer auftun, kann man Frau Bamberger nur dankbar sein, daß sie sich mutig mit ihrer Warnung an die Öffentlichkeit gewagt hat. Von Versuchen, ihr gewissermaßen vorausgreifend, avant le lettre, Fallstricke in den Weg zu legen, weiß Stefan Paetow auf Tichys Einblick zu berichten:  "Als Sabine Supermann vor über 10 Jahren den Job bekam, zweifelten ausgerechnet SPD und GAL daran, dass die Wissenschaftlerin mit dem FDP-Parteibuch die qualifizierteste Bewerberin sei. „Die Bewerberin ist auf hundert Meter Entfernung nicht geeignet, weil sie nicht den ursprünglichen Kriterien der Ausschreibung entspricht”, sagte damals die GAL-Fraktionschefin." Aber nicht nur von solchen Verschwörungen gegen die Wahrheit, kann man dort lesen, sondern auch, daß die Aufdeckung der dunklen Machenschaften wahrscheinlich erst an Anfang steht

Denn es kommt noch schlimmer. Viel schlimmer. Die Werbeagentur des Nazi-Spots heißt JungvonMatt. Genau die Agentur, die sich Angela Merkel für ihren Wahlkampf ausgesucht hat!
Und, noch ärger: die Bekanntgabe dieser Wahl erfolgte am 11.11. ("Merkel will mit Jung von Matt Kanzleramt verteidigen"). Ein Datum, dessen Natur angemessen scheint, für die späte Berliner Republik jene Bedeutung zu erlangen, die der 9. November seit fast 100 Jahren für die vorhergehende deutsche Geschichte hat. 

*   *   *

Als Antidot möge zum Schluß der Hinweis gestattet sein, daß natürlich nicht alle Werbung eine Ausgeburt finsterer Machenschaften ist. Zumal Werbung sicherlich noch nie signifikant im intendierten Sinn gewirkt hat (Henry Ford äußerte bekanntlich: "Ich weiß, daß die Hälfte meines Werbeetats verschwendet ist. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte"). Manchmal ist sie einfach nur gut gemacht und erfreut das Herz des Betrachters - ohne daß er sich nun bemüßigt fühlte, seine Konsumgewohnheiten zu revidieren. (Neuzeitliche Mad Men dürften wohl dazu neigen, ablenkenden Faktoren wie einer gelungenen Atmosphäre die Schuld daran zuzumessen.) Wie etwa in diesem recht neuzeitlichen Exempel:





  
     


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Ulrich Elkmann

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