In der DDR gab es einen Witz über die Toiletten in Sibirien. Sie bestünden, so erzählte man sich, aus zwei Stöcken: Einer dient zum Festhalten. Der andere dient zum Vertreiben der Wölfe.
Wer in jener Zeit die ländlichen Gebiete der Sowjetunion besucht hat, weiß um die bittere Wahrheit, die in diesem Witz steckte. Dort gab es zum Erledigen der Notdurft meist nur ein Loch, über dem zwei Griffe zum Festhalten angebracht waren. Wenn man Pech hatte, fehlte ein Griff. Wenn man noch mehr Pech hatte, fehlten beide.
Die Bedürfnisanstalten waren aber nicht nur in der DDR und in der Sowjetunion ein beliebter Gegenstand von Witz und Satire. Im Jahr 1934 wurde in Frankreich die satirische Novelle »Clochemerle« von Gabriel Chevallier veröffentlicht. Darin geht es um einen großen Skandal: Der Bürgermeister eines kleinen Städtchens will seine Wiederwahl sichern, indem er eine Bedürfnisanstalt direkt gegenüber der Kirche bauen lässt. Er bricht einen Konflikt mit der Kirche vom Zaun, um Aufmerksamkeit zu erregen und die eigenen Wähler zu mobilisieren.
An das Städtchen Clochemerle musste ich denken, als ich die wütenden Reaktionen auf Harald Martensteins Glosse über die Einrichtung von Toiletten für die Bedürfnisse transsexueller und intersexueller Menschen las. Die Einführung solcher Toiletten hatten – auf Vorschlag der Piraten – die Vertreter der Parteien Linke, SPD und Grüne in Berlin-Kreuzberg beschlossen. Martenstein stellt sich in seinem Artikel die Frage:
Kann solch ein Mensch nicht einfach in die Toilette hineingehen, die seinem äußeren Erscheinungsbild am ehesten entspricht, dort eine Zelle betreten, abschließen und auf die ihm oder ihr gemäße Weise sein oder ihr Geschäft verrichten? Im Sitzen? Das ist doch gar nicht so schlimm, wenn man dabei sitzen muss.
Kritiker wie Stefan Niggemeier sehen darin einen Affront. Sie werfen Harald Martenstein Mangel an Respekt und Toleranz vor:
Harald Martenstein meint, sich Respekt und Toleranz nicht mehr leisten zu können, nicht einmal dann, wenn sie so wenig kosten wie im Fall des Beschlusses der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Das ist keine Frage des Geldes. Er hat einfach das Gefühl, dass sein Respekt-und-Toleranz-Konto als normaler Mensch längst über Gebühr belastet wurde und die anderen jetzt erstmal ohne seinen Beitrag auskommen müssen.
Stefan Niggemeier greift unerschrocken zu einer der schärfsten Waffen im Arsenal der Gutmeinenden: Er versichert Harald Martenstein seines Mitleids. Davon wird sich Martenstein so schnell nicht mehr erholen.
Doch wie sieht es in den öffentlichen Toiletten dieses Landes wirklich aus? Im Normalfall besuchen Männer eine Männertoilette und Frauen eine Damentoilette. Wenn die Sitzplätze in den Damentoiletten knapp sind, benutzen manche Frauen die Boxen in der Herrentoilette. Daran haben sich die meisten Toilettenbesucher gewöhnt: Es dient ja im Grunde der besseren Nutzung knapper Ressourcen.
Wahrscheinlich werden sich noch einige Menschen daran gewöhnen müssen, dass es Transsexuelle gibt, die in eher unorthodoxer Kleidung und vielleicht auch mit einem ungewöhnlichen Make-up auf die Toilette gehen wollen.
Das erfordert auf beiden Seiten Toleranz und Rücksichtnahme. Aber was wäre die Alternative? Wenn wir die WC-Befindlichkeiten jeder noch so kleinen Gruppe berücksichtigen würden, wäre das nicht nur eine sinnlose Verschwendung von Ressourcen, sondern auch kontraproduktiv für das Zusammenleben. Menschen aller Arten müssen schließlich im täglichen Leben überall vernünftig miteinander umgehen.
Wer in anderen Ländern oder in der Vergangenheit die primitiven Toiletten der sibirischen Art kennengelernt hat, weiß das Niveau der (meisten) öffentlichen Toiletten in Deutschland zu schätzen. Aus der Sicht eines Großteils der Weltbevölkerung muss es völlig absurd erscheinen, wenn die Kiez-Abgeordneten in einem Bezirk Berlins zu einem solchen Beschluss kommen:
Das Bezirksamt wird beauftragt, zu prüfen in welchen öffentlichen Gebäuden, für die der Bezirk zuständig ist, zusätzlich zu Damen- und Herrentoiletten auch Unisextoiletten eingerichtet werden können. Bei der Prüfung ist zu berücksichtigen, dass mit der Umwidmung mindestens einer bereits vorhandenen geschlechtergetrennten Toilette pro geeignetem Gebäude in eine Unisextoilette eine sehr kostengünstige Umsetzungsmöglichkeit besteht.
Dem ersten Anschein nach ist das eine sehr kostengünstige Lösung. Der Teufel steckt aber in einem kleinen Detail. In der Drucksache DS/0550/IV ist ein weiterer Satz enthalten:
Die Umsetzung ist zu evaluieren.
Verwaltungsmitarbeiter und externe Experten werden sich also mit den Auswirkungen der Maßnahme befassen und Berichte darüber schreiben. Die Kosten werden aus dem Haushalt der Berliner Verwaltung beglichen, der zu einem nicht geringen Anteil aus Überweisungen anderer Bundesländer gefüllt wird, die sich solchen Unsinn nicht leisten.
Man darf prophezeien, dass diese Evaluierung nicht einfach wird: Zur Gruppe der Trans– und Intersexuellen zählt je nach Quelle im Schnitt einer von etwa 5.000 bis 10.000 Menschen und wie viele davon überhaupt Probleme mit der Auswahl eines WCs haben, ist bisher noch nicht ausreichend erforscht worden.
Warum kommt niemand auf die Idee, dass sich das Problem der Toilettenbenutzung ganz ohne staatliche Maßnahmen und ohne teure Evaluierung lösen lässt: Indem die Menschen einfach Rücksicht aufeinander nehmen und anständig miteinander umgehen? Der Beschluss ist völlig unnötig. Er zwingt die Verwaltung, die Arbeitszeit von öffentlich Bediensteten für Dinge einzusetzen, die vergleichsweise irrelevant sind.
Es erscheint absurd, dass sich Politiker mit solchen Scheinlösungen für Scheinprobleme profilieren, während Berlin in Schulden versinkt und viele wirklich wichtige Probleme nicht angepackt werden. Man darf sich fragen, was der nächste Schritt sein wird: Die Berufung einer hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten für die sanitären Anlagen des Bezirks Kreuzberg-Friedrichshain?
stefanolix
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