19. Mai 2016

Was AfD und Grüne gemeinsam haben


Ich schrieb vor einigen Tagen einen Beitrag, in dem ich versuchte den politischen Erfolg der AfD über ihren Widerstand gegen die zeitgeistige, politische Alternativlosigkeit zu begreifen, der mir gleichsam wie der Konflikt zweier gesellschaftlicher Epochen erscheint. Im Verlauf der sich anschließenden, interessanten Diskussion eröffneten sich für mich neue Blickwinkel. Es erscheint mir unter diesen immer wahrscheinlicher, dass die AfD im Kern der teilweise Gegenentwurf zu dem aktuellen, politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnis der Eliten unserer Zeit ist, welches in den letzten Jahrzehnten maßgeblich durch die Partei der Grünen und ihr propagiertes Moralempfinden normiert wurde.

Kürzlich, stieß ich im Weiteren auf einen Text des geschätzten Quentin Quencher, der sich äußerst interessant mit der "Empörung" als einem Katalysator bei der politischen Willensbildung, während der Parteigründung der Grünen auseinandersetze. Die Quintessenz, des auf jeden Fall zur vollumfänglichen Lektüre anempfohlenen Textes, lautet in meinen Worten: Um neu auftretende, politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu begreifen, reicht es nicht aus, alleine den Anlaß zu betrachten, aus dem heraus sie entstanden sind. Man muß viel mehr verstehen, warum sich ein immer stärkeres Verlangen nach politischer und gesellschaftlicher Veränderung entwickelt, welches schließlich die Zeit reif werden läßt für einen Anlaß, der diese Veränderung anstößt.

Genau das ist, was AfD und Grüne verbindet: Es sind die jeweils parteipolitisch manifestierten Widerstände gegen einen starken gesellschaftlichen Konsens ihrer Zeit, der auf Abweichung mit Druck reagiert(e). Bei den Grünen war dieser gesellschaftliche Konsens, gegen den man sich zur Wehr setzte, die wirtschaftlich prosperierende, kapitalistische, spießige Nachkriegsgesellschaft, die sich nie ausreichend mit ihrer „nationalsozialistischen Schuld“ auseinandergesetzt hatte. Bei der AfD ist dieser gesellschaftliche Konsens, gegen den man sich zur Wehr setzt, die ökologische, totalpazifischte, feminine, bunte und empathiegesteuerte Gesellschaft, welche sich seit dem ausgehenden letzten Jahrhundert immer mehr etabliert hat.

Für die Grünen war der Anlaß, der sie zur ernstzunehmenden politischen Kraft machte, der Widerstand gegen die Kernkraft [Zu diesem Thema sei die Komplette Lektüre aller acht Teile dieser außergewöhlichen Serie Zettels anempfohlen]. Für die AfD war dieser Anlaß der Widerstand gegen eine Bundeskanzlerin, die Staatsgrenzen zu einem Relikt vergangener Zeiten erklärte.

In diesem Bild wird der Grund für die Härte des politischen Kampfes deutlich, welcher gerade in Deutschland geführt wird: Es stehen sich in Teilbereichen zwei Weltbilder diametral entgegen. Es sind Antipoden, unvereinbare Gegenentwürfe, die den jeweils anderen Blick auf die Welt überwinden wollen. AfD wie auch Grüne sind bzw. waren die Abrechnung mit aus eigener Sicht nicht akzeptablen Selbstverständnissen der etablierten Gesellschaft, der man hierbei kein Pardon gewähren möchte. Auch bei der AfD wird man in der Folge wohl immer mehr beobachten, was man auch schon bei den Grünen beobachten konnte: Ein Sklave möchte nicht die Freiheit, sondern die Macht des Sklavenhalters. In diesem Sinne sind sowohl die AfD, wie auch die Grünen, Fleisch vom Fleische des "deutschen Wesens".

Das deutsche Verhältnis zur Freiheit war schon immer ein besonderes. Freiheit wird hierzulande nicht "negativ definiert", als ein Abwehrrecht des Individuums gegen das Kollektiv, sondern positiv, als die Form des gewünschten Miteinanders: Gleichsam eine Freiheit des Kollektivs. Entsprechend fern echter, bürgerrechtlicher Liberalität gestalten sich daher auch die politischen Annäherungsversuche Deutschlands an die Freiheit. Und gleich ob sie grün oder blau eingefärbt sind, tragen sie, als Fleisch vom gleichen Fleische, stets auch nationalistische Züge, wie der geschätzte Meister Petz in seinem jüngsten Beitrag in Zettels Raum ebenfalls völlig zurecht feststellte: Entweder man möchte die starke Abgrenzung der eigenen Nation oder die Missionierung der Welt mit den eigenen Idealen.

Der mit so mancher begnadeten Formulierung gesegnete Harald Martenstein schrieb in seiner Kolumne über die Freiheitsliebe der Deutschen einmal so treffend:
"Ich esse gern Eisbein. Persönliche Freiheit ist mir sehr wichtig. Deshalb nehme ich mir die Freiheit, allen anderen Deutschen das Eisbeinessen zu verbieten. Sämtliche Eisbeine sind vom 1. Januar 2014 an bei mir abzuliefern."

Diejenigen, die Freiheit als eine positiv definierte Form des Miteinanders begreifen, werden die AfD entweder umarmen oder strikt ablehnen, je nachdem welchen gesellschaftlichen Entwurf sie goutieren. Diejenigen, welche die Freiheit als Abwehrrecht des Individuums gegen das Kollektiv begreifen, werden in der AfD den Feind ihres Feindes sehen. Ob zwei mächtige Feinde, die sich unerbittlich bekämpfen, besser oder schlechter sind als nur einer, der unangefochten herrscht, ist dabei eine mitunter hitzig geführte Debatte innerhalb dieses kleinen Häufleins.


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