14. März 2015

Keine Oberschicht, nur die da oben

"Your name is heard in high places / You know the Aga Khan / He sent you a racehorse for Christmas / And you keep it just for fun..."
Peter Sarstedt, 1969


Diese großartige Ballade ist entstanden, als der internationale Jet-Set auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung war. Gunter Sachs und Brigitte Bardot trennten sich 1969 so aufsehenerregend, wie sie drei Jahre vorher zusammengekommen waren. Diese Verbindung von ererbtem Reichtum, aber auch Unternehmertum mit einem feinsinnigen Geschmack auf der einen Seite und der Inkarnation einer ganzen Nation im Bikini (die übrigens selbst eine Industriellentochter war) auf der anderen steht exemplarisch für alles, was das kontinentaleuropäische Bild des Begriffs "Oberschicht" auf Jahrzehnte geprägt hat. 

Fast fünfzig Jahre später ist in Deutschland zwar ständig von "denen da oben" im pejorativen Sinne die Rede, auch von den "Reichen". Und Verschwörungstheorien, die elitäre Zirkel annehmen, unter denen Macht und Geld aufgeteilt ist, haben Hochkonjunktur. Ein Schattendasein in der öffentlichen Wahrnehmung führt dagegen die "Oberschicht". Im traditionellen Volksmund auch nicht ohne Respekt als "die oberen Zehntausend" genannt, ist der Begriff der Oberschicht durchaus immer als etwas erstrebenswertes betrachtet worden - zumindest auch als Rollenmodell für den Lebenswandel. 

So kam es, dass in einem Thread hier im kleinen Zimmer bislang kein Konsens darüber entstanden ist, nach welchen Kriterien man heute eine Oberschicht beschreiben kann, geschweige denn ob bestimmte Berufs- oder Personengruppen oder gar Einzelpersonen ihr zuzuordnen sind. 

Die Soziologie hilft da wenig weiter - schon Schelsky mit seinem Begriff der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" rüttelte am Schichtenmodell - und seitdem das Prekariat nur noch als Prozentsatz des Durchschnittseinkommens definiert wird, können wir nach qualitativen Kriterien lange suchen.

Auch der Blick in Länder mit eindeutig definierter Oberschicht helfen wenig weiter: In Großbritannien existiert mit dem Adel eine zentrale Akkreditierungsinstanz für die Oberschicht, die die so typische Mischung aus Aristokratie (die hereditary peers) und Meritokratie (die life peers) festlegt. In Frankreich dagegen existiert eine Bildungs- und Funktionärselite. Die Absolventen der grandes écoles, an der Spitze natürlich die énarques, machen es weitgehend unter sich aus. Und weite Teile der jeweiligen Öffentlichkeit akzeptieren diese Sichtweise. 

Diese Diskussion kann, glaube ich, exemplarisch dafür angesehen werden, dass es in Deutschland keine allgemein akzeptierte Idee einer Elite gibt. Und so wird vorrangig negativ definiert. Man weiß ganz genau, wer nicht dazugehören soll.

Geld ja, aber es kommt darauf an, wo es herkommt; Einfluss ist schön, aber dann ist Bodo Ramelow plötzlich über Gloria von Tutundmachtnix, das kanns ja auch irgendwie nicht sein. Abstammung - einerseits sind wir ja nicht im restaristokratischen England, andererseits sind so neureiche Parvenüs wie die Geissens schon irgendwie pfuibäh. 

Als Minimalkonsens für die Oberschicht kann gerade mal festgehalten werden: Kann schön mit Messer und Gabel essen und verdient seinen Reichtum nicht mit Massenbelustigung. 

Zweitens verrät das Ganze viel mehr über den Diskutanten als über die Gesellschaft, über die diskutiert wird. Denn ein Kriterium, wer bei wem reinkommt, ist offenbar, dass er Eigenschaften aufweist, die derjenige respektiert. Denn die Oberschicht soll ja noch einen Vorbildcharakter haben. Nehmen wir mal den Fall Guttenberg. KT war in seiner Außendarstellung eigentlich ein Phänomen vergangener Zeiten, die Verbindung von Abstammung, Manieren, Macht und Geld. Und sowohl die Begeisterung über seinen Aufstieg als auch die Enttäuschung und die Häme über seinen Fall belegen: Der Wunsch nach Vorbildern ist da.

Dem entgegen steht das Gleichheitsstreben. Für die professionellen Umverteiler könnte nichts fataleres passieren, als wenn die Reichen sich plötzlich nicht als die Monster erweisen, als die man sie nimmermüde karikiert (Achtung Verschwörungstheorie: Die Produktion der Geissens wird in Wahrheit über eine Briefkastenfirma in Caracas aus der Parteikasse der Kommunistischen Plattform finanziert...). Bei KT ist es noch einmal gut gegangen, und auch das philanthropische Engagement eines Warren Buffet oder Bill Gates lässt sich schön als Feigenblatt ihres ausbeuterischen Wesens verkaufen. 

Zur Zeit ist das Pendel sehr stark in Richtung Gleichheit ausgeschlagen. Was bedeutet das also für die Existenz einer Oberschicht?

Eine Oberschicht ist - zumindest außerhalb von ständisch verfassten Gesellschaften - immer eine Frage der Wahrnehmung. Diejenigen, die dazugehören, müssen das gleiche darunter verstehen wie die, die nicht dazugehören. Dann ist nämlich der Zugang klar. 

Fazit: Es gibt in Deutschland keine Oberschicht. Es gibt nur die da oben. Und die sind für jeden offen. Lediglich eine Bedingung muss eingehalten werden: Es sind immer die anderen.
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Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Lufteinlassschlitze eines Ferrari 250 GTO, des aktuell mit bis zu ca. 55 Mio Euro teuersten Serienautomobils der Welt. Vom User Alzy007 gemeinfrei auf Wikimedia Commons gestellt. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an alle Diskutanten aus dem "Luxusproblem"-Thread von R.A. für den Anstoß zu diesen Gedanken