27. März 2013

Wie der NSU-Prozeß zu einer Sternstunde des demokratischen Rechtsstaates werden kann

Am 2. 2. 2013 ist mir eine Meldung auf der Internetpräsenz des Nachrichtensenders n-tv aufgefallen, die sich in anderen Medien zunächst kaum wiederfinden ließ. Hier wurde der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichts München, Dr. Karl Huber, zum ab April stattfindenden NSU-Prozeß mit den folgenden Worten zitiert:

Wir führen ein rechtsstaatliches Verfahren und keinen Schauprozeß für die Öffentlichkeit. Wir machen das nicht in einem Fußballstadion, wie das totalitäre Staaten tun.
Diese Aussage verwirrte mich nicht wenig. Was veranlaßte den Vorsitzenden Richter dazu, mit solch einer Aussage an die Öffentlichkeit zu treten? Waren das nicht Selbstverständlichkeiten in einem demokratischen Rechtsstaat? Wie anders sollte denn dieser Prozeß geführt werden, und wer machte sich im Verborgenen dafür stark?
­Das Thema verschwand dann wieder für einige Wochen aus meiner medialen Wahrnehmung, bis es mit einem Paukenschlag zurückkehrte und mich gezwungen hat, obige Fragen vorläufig auf unerquickliche Weise zu beantworten:

Ja, offensichtlich wird versucht, auf die Gestaltung der äußeren Rahmenbedingungen des Prozesses Einfluß zu nehmen. Zum einen scheint es sich hierbei um den Versuch zu handeln, den Prozeß gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer der Serienmörder zu einer politischen Aufarbeitung der Verbrechen des sog. NSU zu nutzen. In der Begründung der zunehmend massiven Kritik am OLG München ist immer wieder von der politischen Dimension des Verfahrens die Rede.

Zum anderen scheint es ein erhebliches Interesse der Medien daran zu geben, möglichst zahlreich im Prozeß vertreten zu sein, was aus Sicht der Medienvertreter schon mit Blick auf den zu erwartenden Nachrichtenwert einerseits verständlich ist, das Gericht jedoch nur insoweit tangieren darf, als die geforderte "Öffentlichkeit" hinreichend vertreten ist.

An dieser Stelle muß man sich nochmal vor Augen führen, daß es sich bei dem am 17. April beginnenden Prozeß um ein rechtsstaatliches Strafverfahren zur Feststellung der individuellen Schuld und ggf. Feststellung des Strafmaßes gegen die fünf Angeklagten handelt. Die "politische Dimension" wird hier nicht verhandelt; sie ist durch das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung nachgerade als Thema ausgeschlossen. Hierbei hat das Gericht in erster Linie auf die peinlich genaue Einhaltung der Strafprozeßordnung zu achten, um ein revisionssicheres Verfahren möglichst sicherzustellen. Genau dies ist das Anliegen des Gerichtes.

Es geht beispielsweise darum, umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen über ein Jahr und länger gewährleisten zu können. Insbesondere die Nebenkläger und Opferangehörigen sollen vor Zudringlichkeiten durch Rechtsextreme, aber im Zweifel sicherlich auch durch die Medien, geschützt werden. Hierfür werden der Verhandlungssaal und angrenzende Räume umfangreich umgebaut.

Offenbar gingen die Forderungen an das Gericht sogar so weit, den Prozeß in Messe-, Kongress- oder Hotelsäle zu verlegen. Eine rechtsstaatlich absurde Vorstellung, die wiederum geeignet wäre, Assoziationen an totalitäre Schauprozesse hevorzurufen.

Ob das deutsche Prozeßrecht eine Kameraübertragung für Journalisten in einen Nebenraum zuläßt, wie vielfach gefordert, ist zumindest umstritten. Eine falsche Entscheidung in dieser Frage -oder auch ein vor Betreten des Nebenraumes versehentlich nicht abgegebenes Kamerahandy eines Journalisten-  könnte wiederum einen Revisionsgrund darstellen. Hier begründet das Gericht seine Rechtsauffassung zu den genannten Punkten in einer Pressemitteilung.

Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, hatte sich darüber hinaus empört, dass dem türkischen Botschafter kein fester Sitzplatz für die Dauer der Verhandlung zugewiesen wurde. Bemerkenswert ist, dass dem Botschafter dies vom Politiker Edathy zugesagt worden war, ohne dies mit dem Gericht abzustimmen. Dass das Gericht sich über diesen Vorgang "verwundert" gezeigt hat, muß seinerseits wohl nicht verwundern. Edathy beschwor daraufhin eine Belastung des deutsch-türkischen Verhältnisses durch den NSU-Prozeß herauf. Deutlicher kann der Versuch, einen Strafprozeß zu politisieren, und politisch Einfluß auf den Verlauf zu nehmen, kaum ausfallen.

Den vorläufigen Höhepunkt dieser versuchten Einflußnahme dürfte in den gestern (27.3.13) auf Spiegel Online zitierten Stellungnahmen von Mitgliedern der Bundesregierung bestehen. Während Regierungssprecher Seibert noch zurückhaltend formuliert,

"Wir haben großes Verständnis in der Bundesregierung, dass es in der Türkei ein so großes Medieninteresse gibt, schließlich stammten die meisten der Opfer dieser schrecklichen Mordserie aus der Türkei [...] und die Hoffnung muss sein, dass mit diesem Medieninteresse auch sensibel umgegangen wird."
wird  die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer erheblich deutlicher:

"Aus Respekt vor den Opfern und den Angehörigen der Mordserie und um Vertrauen wieder zurückzugewinnen, halte ich es für unverzichtbar, dass türkische und griechische Medienvertreter bei der Platzvergabe für den NSU-Prozess berücksichtigt werden".
Während es der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, bei einer Belehrung des Oberlandesgerichts über den Rechtsstatus von Emotionen beläßt:

"Es ist ja nicht unlösbar, wenn man ein bisschen guten Willen einsetzt. Ich habe so das Gefühl, da wird sehr stark nach den Paragrafen geschaut, was ja auch richtig ist bei einem Gericht, aber Herz und Empathie sind ja nicht illegal."

Darf man hier von einem ungeheuerlichem Vorgang gegenüber der unabhängigen Justiz eines demokratischen Rechtsstaates sprechen?

Der zu verhandelnde Serienmord des sog. NSU dürfte das schwerste rassistisch motivierte Serienverbrechen der Nachkriegsgeschichte sein. Es bedarf einer politischen Aufarbeitung durch die Politik und ggf. einer Aufklärung eventuellen Versagens von Verfassungsorganen wie der Landesverfassungsämter.

Wünschenswert wäre auch eine kritische Selbstanalyse der Medien, deren Heerscharen hochbezahlter Investigativjournalisten allesamt seinerzeit nicht auf die Idee gekommen sind, den Begriff "Dönermorde" einmal zu hinterfragen und eigene Recherchen anzustellen.

Natürlich hat diese Verbrechensserie politische Implikationen, die ihrerseits politisch bewertet werden müssen.

Dieser Prozeß ist nicht der Ort dafür.

Momentan sieht es so aus, als ob das OLG München und insbesondere der Vorsitzende Richter in der Lage sind, dem Druck und der versuchten politisch-medialen Einflußnahme auf die äußere Gestaltung dieses Prozesses standzuhalten, wenngleich die Kritik momentan weiter massiv an Schärfe zunimmt. Man kann nur hoffen, daß das Gericht sich auch weiterhin jeglichen Versuchen der Vereinnahmung des Prozesses durch Politik und Medien erfolgreich widersetzen wird.

Dann, und nur dann, kann dieser Prozeß eine Sternstunde für den demokratischen Rechtsstaat werden.




Andreas Döding


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