10. Juni 2011

Marginalie: Warum ist Europa so schlecht? Eine Antwort aus den USA. Pfeifen im Walde? - Eurosklerose!

In dem amerikanischen Internet-Magazin Slate gibt es die Rubrik The Explainer, in der Fragen von Lesern beantwortet werden. Und zwar nicht auf dem Niveau von "Fragen Sie Tante Elfriede"; sondern es wird eine meist gut recherchierte journalistische Antwort gegeben.

Jetzt beantwortete Brian Palmer die Frage, warum eigentlich aus Europa so wenig Innovationen kommen; trotz dessen Wirtschaftskraft.

In der Tat: Von den 100 erfolgreichsten Technologie-Unternehmen im Bloomberg-Ranking der Tech 100 haben ganze sieben ihren Sitz in Europa. Ebenso stammen Innovationen im Internet selten aus Europa; auch wenn das die französische Regierung gern anders hätte, die es jüngst verbot, im TV von "Facebook" und "Twitter" zu sprechen, wenn es um die neuen sozialen Medien geht. Schließlich seien das amerikanische Unternehmen.

Warum ist das so? Warum ist Europa so wenig innovativ?
  • Erstens wegen seiner Zersplitterung meint Palmer - wegen der trotz der EU noch immer vorhandenen nationalen Märkte, der vielen Sprachen, der unterschiedlichen nationalen Gesetzgebung.

  • In Europa hätten es zweitens Unternehmensgründer schwerer als in den USA oder in Ländern wie Singapur, Thailand und Taiwan. Es fehle ein Gegenstück zu Silicon Valley - eine Kombination aus Talentschmiede und der Verfügbarkeit von Risikokapital. (Palmer meint, am ehesten käme in Europa Irland an Vergleichbares heran - und Bayern, das der Guardian kürzlich als das Silicon Valley Europas bezeichnet hat).

  • Der Kündigungsschutz in Ländern wie Frankreich und Deutschland erschwere das hiring and firing; was besonders in innovativen Branchen mit ihrer hohen Job-Mobilität von Nachteil sei. Das jedenfalls führten Anhänger des freien Marktes ins Feld.
  • Soweit Palmer. Sie finden das reichlich trivial? Ja, in der Tat. Es ist das, was man einmal Eurosklerose nannte; Euroverkalkung. Nichts Neues also.

    Bemerkenswert ist nicht, daß Palmer diese Gründe nennt, sondern daß er es im Jahr 2011 tut. Daß man von Eurosklerose sprach, ist jetzt mehr als eine Generation her. Und Palmer erinnert an einen Artikel in Time Magazine vom 13. Januar 1967, in dem bereits eine "Technologie-Lücke" (technology gap) zwischen Europa und den USA diagnostiziert worden war.



    Dabei geht es uns Europäern doch immer noch ganz gut. Ist das, was Palmer schreibt, also nur Gerede, vielleicht gar Zweckpropaganda aus den USA; sich aus Konkurrenzneid speisend? Pfeifen sie nur im Walde, die Amerikaner, wenn sie sich immer noch als die Speerspitze des Fortschritts sehen, und uns Europäer im Troß hinterhertrabend?

    Was die ökonomische Seite angeht, überlasse ich es den Ökonomen, das zu beurteilen. Eher zuständig fühle ich mich für den, sagen wir, Zeitgeist; den dieser technologischen Lücke korrespondierenden Unterschied in der herrschenden Mentalität.

    Hier scheint mir in der Tat Europa immer mehr ins Hintertreffen zu geraten. Ins Hintertreffen sowohl gegenüber den USA, die trotz Obamas Versuch einer Sozialdemokratisierung ihre Vitalität nicht verloren haben; vor allem aber gegenüber den Ländern Asiens.

    Alte Kulturnationen wie China und Indien benehmen sich inzwischen wie junge Völker; so, als seien sie gerade erst im Begriff, die welthistorische Bühne zu betreten. Sie sind hungrig wie ein Jungmanager, der einmal CEO werden will. Europa dagegen ähnelt eher einem Beamten kurz vor der Frühpensionierung.

    Es fehlt uns in Europa die Zukunftsorientierung, die den USA als einer Nation von Einwanderern in die Wiege gelegt ist und die sich in China und Indien eingestellt hat, seit der Kapitalismus dort Einzug hielt. Dort blickt man mit positiven Erwartungen in die Zukunft; wir ängstigen uns vor ihr.

    Nichts macht das sinnfälliger als das, was den Deutschen als eine erstrebenswerte Zukunft erscheint: Der "Ausstieg" aus einer Hochtechnologie. Gestern publizierte die ARD den aktuellen "Deutschlandtrend":
    Den Atomausstieg, den sich alle Parteien auf ihre Fahnen schreiben wollen, bewerten die befragten Wähler eindeutig: Die Entscheidung hält eine klare Mehrheit für richtig, auch in der Eile, in der sie getroffen wurde. Das Ausstiegsdatum 2022 halten die meisten für richtig. Die Mehrheit derjenigen, die sich ein anderes Jahr wünschen, wollen lieber früher abschalten als später. (...)

    Die Wähler geben außerdem an, auch selbst Konsequenzen tragen zu wollen. 71 Prozent sagen, dass sie nichts gegen Windräder und Hochspannungsleitungen in der Nachbarschaft haben, und 65 Prozent sind bereit, mehr Geld für Strom zu bezahlen, wenn der nicht aus einem Atomkraftwerk kommt.
    So sieht der deutsche Blick in die Zukunft aus; geprägt von Angst, nicht vom Geist der Innovation.
    Zettel



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