31. Juli 2025

Vor 60 Jahren: Der erste Blick auf den Mars. Mit einem Gastbeitrag von Robert J. Sawyer





(Bild 11 aus der Photosequenz von Mariner 4)

„Lassen wir mal die Vorspeisen weg und kommen gleich zum Eingemachten,“ sagte von Braun, der sich auch mit dreiundfünfzig seinen Pennälerhumor bewahrt hatte. „Das entscheidende Photo ist das hier, Nummer elf.“ Er schob es in die Mitte des Tisches, und die anderen Wissenschaftler beugten sich darüber. Oppie spürte, wie sein Herz heftig schlug. Er hörte, wie Rabi tief Luft holte, und Kitty murmelte: „Mist!“

„Das ist aus einer Entfernung von 7800 Meilen aufgenommen worden,“ sagte von Braun und machte einen Schritt zurück, damit die anderen besser sehen konnten. „Von Osten nach Westen erfaßt das 170 Meilen, und von Norden nach Süden 150.“

„Und wo?“ wollte Oppie wissen. „Welche Koordinaten?“

Von Braun blätterte in einem Stoß zusammengehefteter Blätter, den er mitgebracht hatte. „Das ist ausgerichtet auf 31 Grad Süd und Ein-neun-sieben Grad Ost.“

Oppie wandte sich der großen Marskarte zu, die die Air Force 1962 veröffentlicht hatte, und strich die Knickfalten mit der Hand glatt. Er fand die Stelle schnell. Auf der Karte durchschnitt ein Kanal diagonal die Mitte des Gebiets, der sich vom Südwesten bis Nordosten erstreckte, als ob er vom Mare Cimmerium zum Mare Sirenum fließen würde.

Und auf dem MARINER-Photo war, möglicherweise, sehr schwach, wenn er sich wirklich anstrengte und etwas ausmachen wollte, eine schwache diagonale Linie zu sehen, in einem weniger steilen Winkel verlaufend. Sie mündete ... nein, nicht in ein Meer, nicht einmal eine Ebene, sondern in -

Es konnte sich um gar nichts anderes handeln, oder?

… in einen KRATER. Nur gut die Hälfte des Kraterrandes war zu sehen, wie die rechte Seite eines großgeschriebenen D, aber er beherrschte den Großteil des Bildes. Und er war nicht der einzige. Oppie zählte rasch sieben – nein, acht! – andere Krater auf Photo Nummer 11. Gemessen an der abgebildeten Fläche mußte der D-Krater einen ungefähren Durchmesser von 80 Meilen haben, der direkt daneben liegende vielleicht einen von 30, zwei weitere 20, und der Rest maß 10 bis hinunter zu 5 Meilen.

Oppie wußte, daß das Mare Cimmerium zu Ehren der Kimmerer benannt worden war, einem Volk, das Homer in der Odyssee erwähnte hatte und das in ewiger Finsternis lebte. Und nach dreieinhalb Jahrhunderten, in denen der Mars mit Teleskopen beobachtet worden war, hatte sich die Finsternis endlich gelichtet, und die Menschheit sah zum ersten Mal das wahre Angesicht ihres Nachbarn im All.

Es war herzzerreißend.

28. Juli 2025

Stippvisite im Sonnensystem III. Avi Loeb





Aber er hatte auch versagt. Es ließen sich endlose Spekulationen anstellen – aber die Natur der Ramaner und der Zweck ihres Besuchs waren immer noch zur Gänze unbekannt. Sie hatten das Sonnensystem als Zwischenstation genutzt, als Tankstelle – der Name tat nichts zur Sache - und ihm dann den Rücken gekehrt, unterwegs zu dringenderen Geschäften. Vielleicht hatten sie überhaupt nicht registriert, daß die Menschheit existierte – und solch eine Gleichgültigkeit wog schwerer als die gröbste Demütigung.

Als Norton Rama zum letzten Mal gesehen hatte, als winzigen Stern, der die Venusbahn hinter sich gelassen hatte, wußte er, daß ein Teil seines Lebens vorbei war. Er war erst dreiundfümnfzig, aber er hatte seine Jugend dort auf der gekrümmten Ebene zurückgelassen, unter den Wundern und Geheimnissen, die sich jetzt unwiderruflich dem Zugriff der Menschen entzogen. Was immer die Zukunft auch an Auszeichnungen und Erfolgen bereithielt, würde er für den Rest seines Lebens mit dem Gefühl der Enttäuschung leben müssen, mit versäumten Gelegenheiten.

Er redete sich das ein - aber schon zu diesem Zeitpunkt hätte er es besser wissen können.

Und weit entfernt, auf der Erde, hatte Dr. Carlos Perera noch niemandem erzählt, daß er aus einem unruhigen Schlaf erwacht war, weil ihn eine Botschaft aus seinem Unterbewußtsein hochgeschreckt hatte:

Die Ramaner machen alles drei Mal.

(Arthur C. Clarke, Rendezvous with Rama, Kap. 46, “Zwischenspiel”)


I.

Ganz im Sinn der Schlußpassage von Clarkes Roman möchte ich mich heute in dritter Folge mit dem aktuellen Besucher aus den Tiefen der Milchstraße, dem Kometen 3I/ATLAS, befassen. Clarke selber hatte nie beabsichtigt, eine der in Aussicht gestellten weiteren Visiten zu schildern (*) – das übernahm dann sein amerikanischer Kollege Gentry Lee mit einer Romantrilogie, deren Bände zwischen 1989 und 1993 erschienen sind und bei denen Clarke, obwohl er zur Erhöhung der Verkaufszahlen auf dem Titel als Ko-Autor geführt wurde, nur noch als Stichwortgeber diente. Diese Bände, die mit dem Auftauchen einer zweiten Weltraumarche 70 Jahre später einsetzen, werden von treuen Clarke-Lesern, wie alle Bände, deren Abfassung Clarke ab Mitte der 1980er Jahre an Autoren wie Mike McQuay oder Paul Preuss delegierte, als „nichtkanonisch“ betrachtet. Zu sehr unterscheidet sich die „neue“ Rama-Serie (Rama II, The Garden of Rama und Rama Revealed) in Thematik, Aufbau und Schreibstil vom ersten Band.

Und für Avi Loeb, seit 1997 Professor für Astrophysik an der Harvard University, gilt in diesem Fall ebenfalls die „magische Zahl drei“ (zur Erklärung, was es mit diesen „drei als magischen Zahl“ auf sich hat, bitte ich um einen Blick auf den ersten Satz meines letzten Beitrags) Zum dritten Mal hat er vor wenigen Tagen 3I/ATLAS nicht zu einem normalen Asteroiden oder Kometen, nur mit ungewöhnlichen Ursprung, sondern zu einem Raumfahrzeug, zum Produkt einer außerirdischen Zivilisation, erklärt – in dem Entwurf eines Papers, das er am 16. Juli auf dem Preprint-Server arXiv hochgeladen hat (Adam Hibberd, Adam Crowl, Abraham Loeb, "Is the Interstellar Object 3I/ATLAS Alien Technology?"). In ihrem Abstract und der Einleitung erklären die Autoren, daß dies als reine mathematische Denksportaufgabe und Gedankenspiel gedacht ist – aber für die Medien, für die dergleichen im Sommerloch, gerade beim Thema „Aliens!“ wahre Katzenminze darstellt, neigen naturgemäß dazu, diesen Vorbehalt nur beiläufig zu erwähnen.

19. Juli 2025

Stippvisite im Sonnensystem II. Duncan Lunan, "Der Komet, der Cairn und die Kapsel" (1972)





Drei war die magische Zahl bei der Konstruktion des Raumschiffs „Newtonian“ gewesen. Beim Start hatte sie drei Treibstofftanks nebeneinander besessen – eine Anordnung, die ältere Ingenieure immer noch als „Titan-III-Konfiguration“ bezeichneten. Tanks A und B hatten alles gegeben, um die Umlaufbahn zu erreichen und waren abgeworfen worden – zusammen mit den Hilfsbrennkammern und einen großen Teil der Strahlungsschutzverschanzung. Übrig blieben der Hauptantrieb, der Reaktor, die Abschirmung, Tank C – dann folgte das Versorgungsmodul, der kugelförmige Bereich für die Besatzung, flankiert von zwei modifizierten Mondlande-Shuttles. Einer davon trug eine Kapsel (das Penetrationsmodul); der andere eine geflügelte Landefähre für die Rückkehr zur Erde. Wenn der Lander der Sonne zugewandt war und sein Schatten auf die Kugel für die Besatzung fiel, bot das Schiff den Anblick eines zeremoniellen Dreizacks, der da im Raum hing.

Im Schiff selbst war drei alles andere als eine magische Zahl. Paxton und Schermer nutzten jetzt den Lander und das Penetrationsmodul als Schlafquartier, um Scherner und sich selbst aus dem Weg zu gehen. Vielleicht lag es daran, daß sich hier zum ersten Mal Menschen auf einem Kurs befanden, auf dem sie das Sonnensystem hinter sich lassen würden, wenn sie nicht abbremsen würden – eine andere Erklärung konnte ihnen die Flugleitung für diese unvorhergesehene Entwicklung nicht anbieten. Aber der Konflikt zwischen ihnen war drei Wochen nach dem Start ausgebrochen und hatte in den Wochen darauf noch zugenommen. Während der letzten Tage waren sich die Männer nur noch beim Abholen ihren Essensrationen begegnet und hatten nur noch während der Routinechecks miteinander gesprochen.

Vielleicht, dachte Scherner, lag es an dem Anblick, der sich ihnen vor den Sichtfenstern bot. Weniger als eine Woche vor dem Perihel hatte der Komet seine größte Aktivität entwickelt, und die „Newtonian“ hatte ihm bis auf kurze Distanz genähert. Das überwältigende Schauspiel des Kometenschweifs, der sich über eine Länge von Millionen von Meilen erstreckte und infolge der zunehmenden Geschwindigkeit des Kopfs jetzt eine Krümmung aufwies, war aufgrund der perspektivischen Verkürzung nicht mehr zu sehen – vor ihnen lag nur die Schockwelle des Komas, die aus dem hellen Fleck, der den Kern markierte, hervorschoß und dann wie eine gewaltige Rauchfahne vom Sonnenwind vor die Sterne geweht wurde. Durch die langsame Rotation des Schiffes kreiste der Kometenkopf vor den nach vorn hinausgehenden Fenstern wie der Suchstrahl eines himmlischen Radars, aber durch die Seitenfenster war nur ein schwaches Nebel sichtbar, der bis zur Unsichtbarkeit verblaßte. Es hatte etwas Beunruhigendes, daß etwas, das so immens war, nur aus der Ferne sichtbar war; es wirkte, als ob sich der Kopf selbst auflösen könnte, während sie sich ihm näherten.

Aber jetzt konnten sie immer mehr Einzelheiten erkennen. Jetzt ließen sich Verdichtungen und Rauchmuster in dem Gas, das aus dem Kern strömte, ausmachen, und der helle Punkt des Kerns selbst glich jetzt einer Sonnenscheibe, aus der helle Lichtsäulen aufstiegen. Hinter dem Kern erstreckte sich ein dunkler Tunnel, dessen unscharfe Ränder verschwammen, bis er sich im glühenden Nebel des Kometenschweifs auflöste. Jetzt erstreckte sich das Koma über den gesamten Himmel, der vor ihnen lag und bewegte sich rasch durch ihr Gesichtsfeld – es war Zeit, die Bahn der „Newtonian“ der des Kometen anzugleichen. Eine Bahn, die eine Hyperbel beschrieb - eine ungewöhnliche Bahn. Dieser Komet war ein Fremdkörper, der nicht zum Sonnensystem gehörte und der nie wiederkehren würde.

13. Juli 2025

Stippvisite im Sonnensystem. A11pl3Z





(Aufnahme des 2m-Twin Telescope des Observatorio del Teide auf Teneriffa vom 3. Juli 2025)

“Mit dem Jahr 2130 entdeckten die Radarteleskope auf dem Mars Asteroiden mit einer Rate von einem Dutzend pro Tag (…) Das Objekt, das zunächst als 31/439 katalogisiert wurde, nach dem Jahr und der Reihenfolge seiner Entdeckung, wurde entdeckt, als es sich noch außerhalb der Jupiterbahn befand. (…) Dann wurde die Umlaufbahn berechnet, und das Rätsel wurde gelöst – und durch ein größeres ersetzt. 31/439 bewegte sich nicht entlang einer gewöhnlichen Asteroidenbahn, auf einer Ellipse, die sie alle paar Jahre mit der Präzision eines Uhrwerks wiederholte. Es handelte sich um einen einsamen Wanderer zwischen den Sternen, der dem Sonnensystem seinen ersten und letzten Besuch abstattete – denn es bewegte sich so schnell, daß die Schwerkraft der Sonne es niemals einfangen konnte. Es würde sich ihr nähern, näher als die Umlaufbahnen von Jupiter, Mars, Erde, Venus und Merkur, und dabei beschleunigen, um dann die Sonne zu umrunden und erneut im Unbekannten zu verschwinden.

„An diesem Punkt schalteten die Computer ihr ‚Achtung! Wir haben etwas Interessantes aufgespürt“-Signal ein, und die Menschen wurden auf 31/439 aufmerksam. In der Zentrale von SPACEGUARD entstand eine kurze Aufregung, und der interstellare Vagabund wurde schnell mit einem Namen statt einer Katalognummer geehrt. Die Astronomen hatten die Götter und Mythen der griechischen und römischen Antike längst vergeben; jetzt arbeiteten sie sich durch die indische Götterwelt. Und so wurde 31/439 auf den Namen Rama getauft.“


(Arthur C. Clarke, „Rendezvous with Rama,“ 1973, Kapitel II, “Eindringling”)

„Das Objekt wurde zum ersten Mal am 1. Juli durch ein Teleskop in Chile gesichtet, das Teil des „Asteroideneinschlags-Warnsystems“ (Asteroid Terrestrial-Impact Last Alert System/ATLAS) ist, ein von der NASA finanziertes Projekt mit Sitz an der Universität von Hawaii in Manoa. Dieses System macht Forscher automatisch auf interessante Himmelsobjekte aufmerksam. Im Durchschnitt meldet das Team pro Tag ein Objekt an das Minor Planet Center für weitere Beobachtungen durch andere Astronomen. Als ATLAS-Manager Larry Denneau, ein Astronom an der University of Hawaii, diese spezielle Beobachtung weiterleitete, sah sie „absolut gewöhnlich aus,“ wie er sagt.

Aber andere Astronomen stellten sehr rasch fest, daß das keineswegs der Fall war. Sie sichteten neue und archivierte Daten von einer Reihe von Instrumenten, um weitere Aufnahmen des Objekts zu finden – einschließlich solcher, die schon vor Tagen oder Wochen aufgenommen worden. Sie dienten dazu, die Bahn von 3I/ATLAS zu bestimmen, und es stellte sich heraus, daß es sich dabei um eine offene, weitgeschwungene Hyperbelbahn handelt, nicht eine elliptische Umlaufbahn um unsere Sonne, und daß es sich somit um ein interstellares Objekt handelt, daß nicht durch die Schwerkraft an einem bestimmten Stern gebunden ist.

„An diesem Punkt wird einem schlagartig klar, daß dein simpler Mausklick aus der vergangenen Nacht diese Aufregung ausgelöst hat, und daß hunderte von Astronomen und Millionen von Laien sich jetzt dafür interessieren,“ sagt Dennau. (Nature.com, 3. Juli 2025)