I.
Sollte es in einigen Jahrzehnten (so ab der Mitte des laufenden Jahrhunderts) noch Historiker geben, die sich mit der Geschichte dieses Landes ab dem Jahrtausendwechsel in klassischer Manier beschäftigen und dabei auch die Optik, die Obsessionen und den Umgang der Mächtigen miteinander und der Medien mit ihnen ins Auge fassen, dann dürften sie ab dem Jahr 2010, spätestens aber seit der Ägide des Kabinetts Merkel IV, der stetig zunehmende Anteil an Ministern oder Parteivorsitzenden der Regierungsparteien ins Auge stechen, deren Eignung und Interesse für ihr Amt durchweg negativ war, die „zu ihrer Zeit“ eine fast lähmende mediale Dauerpräsenz verbuchen konnten und die nach dem Abschied so rasant im Nirwana verschwunden sind, wie unverhofft daraus aufgetaucht sind. Welche Spuren hat das Wirken eines Heiko Maas, eines Martin Schulz, einer Claudia Roth, einer Andrea Nahles, eines Jens Spahn, einer Annegret Kramp-Karrenbauer e tutti quanti hinterlassen? Oder eines Peter Altmeier – außer der Tatsache, daß er einer der lautesten Claqueure von Kanzlerin Merkel war und seiner, es muß gesagt werden, grotesken Physiognomie? Blickt man einmal zwei Politiker-Generationen zurück, auf das entsprechende Personal unter den Kanzlern Brandt, Schmidt und Kohl, ist der Eindruck schlagend, daß solche Gestalten damals niemals in solche Positionen gewählt worden wären. Ein erster Vorläufer dieses Typs war wohl der unvergessene Norbert „Die Rente ist sischa!“ Blüm – aber genau deshalb ist er ins kollektive Gedächtnis der späten Westrepublik eingegangen: weil er ein Solitär war. Seit einigen Jahren, spätestens ab 2015, drängt sich jedoch der Eindruck auf, daß die politische Negativauslese dafür gesorgt hat, daß immer mehr Spitzenpositionen von solchen Gestalten besetzt werden und man nicht einmal den Kleinen Zyniker geben muß, um den Eindruck zu haben, ein Großteil der Mannschaft auf der Brücke des Traumschiffs „Germania“ sei von Federico Fellini gecastet worden. Im Kabinett von Merkels Nachfolger Scholz fallen einem sofort die Namen Schulze, Lemke, Spiegel, Lambrecht und Faeser ein, nach der Aussgae von Bauernverbänden auch der Name Özdemir. Frau Baerbock, hat sich, das muß man ihr lassen, als Außenministerin aus dieser Anwartschaft weitgehend freigeschwommen, seit der Krieg in der Ukraine klargemacht hat, daß „Regierung stellen“ mit Verantwortung verbunden ist und es nicht um die Selbstverwirklichung von Personen geht, denen in der freien Wirtschaft nicht einmal die Verwaltung einer Garderobe anvertraut worden wäre. Oder um die Befassung mit den konkreten Folgen von Vorgängen in der Welt – und nicht mit der Regelung der weltweiten Jahresdurchschnittstemperatur in 80 Jahren und der Rücksichtnahme auf fortwährend erfundene Geschlechter, von denen Biologie und Alltagserfahrung seit Jahrtausenden nichts gewußt haben. (Daß Fellinis letzter gelungener Film, „E la nave va“ aus dem Jahr 1983, bei uns im Kino unter dem Titel „Fellinis Schiff der Träume“ lief, fügt sich gut in diesen symbolischen Rahmen.)
Ein Name fehlt bewußt in meiner obigen Aufzählung, obwohl es sich bei ihm um die erkennbar groteskeste Ausformung dieses Typs handelt: Karl Lauterbach („bekannt aus Funk und Fernsehen!“), auch Klabauterbach oder Klaboosterminister genannt. Zu groß ist der Kontrast zwischen seiner manischen Fixiertheit auf sein einziges Dauerthema „Alle impfen gegen Corona!“, zu bizarr seine fahrigen, mit histrionischer Gestik untermalten Auftritte vor der Presse, auf denen er offenkundig Schwierigkeiten hat, einen schlichten Relativsatz in seiner Muttersprache unfallfrei zu artikulieren (etwas, daß für diesen Typ Politiker seit Frau Merkel selbst symptomatisch zu sein scheint). Zu oft ist nachgewiesen worden, daß er die Studien, deren Lektüre er als Begründung seiner Behauptungen anführt, gar nicht zur Kenntnis genommen oder schlicht nicht verstanden hat. Was ist eigentlich aus seiner Ankündigung von Ende Oktober 2021 geworden, bis März seien alle ungeimpften „geimpft, genesen oder leider verstorben“? (Der Kleine Zyniker meint: wenn Fellini den Typ des „Mad Scientist“ hätte besetzen wollen, hätte er keine bessere Wahl treffen können.)
Nota bene: die Ankündigung unseres Herrn Ministers lohnt das Ansehen im Original:
Den jetzt folgenden Passus muß ich vorsichtig formulieren, weil ein Fehlgriff hier handfeste juristische Folgen nach sich ziehen könnte. Aber an dieser Stelle folgt oft der Einwand, daß Lauterbach doch zumindest ein Akademiker mit dem Rang eines ordentlichen Professors sei und viele Jahre im universitären Bereich gearbeitet und publiziert habe. Und daß er immerhin eine Publikationsliste von fast 300 Titeln vorweisen könne. Ein genauer Blick darauf lohnt sich schon. Lauterbach ist kein Fachmann für Epidemiologie oder Virologie – seine Äußerungen zum Thema haben das gleiche fachliche Gewicht wie die Einlassungen eines Hals-Nasen-Ohrenarztes zum Thema Gebärmutterkrebs. Lauterbach hat sich seine Studien in Aachen und Düsseldorf, in Boston, Austin und Harvard haben sich neben der Allgemeinmedizin einzig auf das Thema Gesundheitspolitik“ und „Verwaltung“ konzentriert. Die Auswahlliste seiner Veröffentlichungen auf seiner eigenen Webseite führt keine einzige Publikation zu einem „streng medizinischen“ Thema an, dafür aber nur solche zum Bereich „Bürgerversicherung“ und „Gesundheit, Familie und Bildung.“ Seine Doktorarbeit befaßt sich mit dem Thema „Justice and the Functions of Health Care;“ seinen Grad als Master of Science hat er 1992 auf dem Gebiet „Policy and Health Management“ erhalten; seit 1998 und dem Eintritt in die aktive Landes- und Bildungspolitik für die SPD hat sich seine tatsächliche universitäre Funktion auf die nominelle Leitung des neugegründeten Instituts für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) an der Universität Köln (mittlerweile in „Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE)“ umbenannt), von der er seit 1999 (!) beurlaubt ist, beschränkt. Seine Approbation als Arzt hat er in Deutschland 1998 nach dem Ende seines Studiums nicht erhalten, weil er die die dafür nötige 18-monatige Pflichtzeit als Arzt im Praktikum nicht nachweisen konnte. Über die, sagen wir, „bemerkenswerte“ Verflechtung des IGKE mit der Pharmaindustrie und die Besonderheiten seiner Promotion in Harvard hat vor zwei Jahren dieser Artikel auf der „Achse des Guten“ aufmerksam gemacht. Wenn ich schreiben würde, daß sich einem Skeptiker der Eindruck aufdrängt, bei Herrn L. handele es sich um einen fachfremden Lobbyisten der Pharmaindustrie, so könnte das justifiziabel sein; deswegen lasse ich das hier als reinen Konjunktiv stehen.
Dessen ungeachtet war der Auftritt von Minister Lauterbach vor drei Tagen eine weitere Revuenummer aus dem Tollhaus. Bei Licht betrachtet ging es bei der zweitägigen Klausurtagung der Gesundheitsminister der G7-Länder im Roten Rathaus in Berlin am 19. und 20. Mai (unter anderem) um den Start der Vorbereitungen zu einer Ausarbeitung eines „Global Pandemic Plan,“ mit dem das gemeinsame Vorgehen der sieben führenden Wirtschaftsnationen für den Fall einer neu auftretenden Pandemie festgelegt werden soll – nachdem das Fehlen eines solchen abgestimmten Vorgehens über die Meldepflichten bei der Weltgesundheitsorganisation WHO im Zuge der Corona-Pandemie in den letzten zwei Jahren oft negativ vermerkt worden ist, so etwa in diesem Kommentar in der führenden englischen medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ vom 16. Mai 2022, in dem es heißt: „The COVID-19 pandemic has highlighted profound weaknesses in the global governance of health; inadequate preparation, coordination, and accountability hampered the collective response of nations at each stage. Changes to the global health architecture are necessary to mitigate the health and socioeconomic damage of the ongoing pandemic, and to prepare for the next major global threat to health.“
Wenn man nach dem Presseauftritt unseres Gesundheitsapostels Karl (und dem Echo in den deutschen Medienberichten) urteilt, ging es bei dem Treffen am Donnerstag und Freitag allerdings um etwas ganz anderes: um die „Simulierung“ einer zu diesem Zweck erst einmal postulierten neuen Pandemie, deren Verlauf nicht an COVID-19, sondern eher an einen Roman wie Lawrence Wrights „The End of October“ oder Steven Soderberghs Film „Contagion“ aus dem Jahr 2011 erinnerte (zu beidem sh. Zettels Raum vom 26. Mai 2020) – den Ausbruch der „Leoparden-Pocken.“ In diesem Zusammenhang erinnerte Lauterbach an die in den letzten Tagen weltweit in den Medien gemeldeten Fälle von Affenpocken, die seitdem gerade in deutschen sozialen Medien als reine Panikmache des Chefdirigenten des Panikorchesters figurieren, seitdem sein einziger Dauerhit nach 26 Monaten Dauerbeschallung „irgendwie nicht mehr der totale Burner ist“ und dessen Bestellung von noch gar nicht entwickelten Impfdosen für die noch gar nicht entstandenen SARS-CoV-2-Varianten für die unvermeidlich anrollende neue Welle im Herbst in Höhe von 830 Millionen Euro (Tagesschau vom 18. Mai. 2022) nur noch fassungsloses Kopfschütteln ausgelöst hat. Zu den Affenpocken und ihrem tatsächlichen (sehr geringen) Bedrohungspotential schreibe ich im zweiten Teil meines Beitrags Näheres.
In Lauterbachs „Plandemie“ (SCNR) geht es um eine „Zoonose,“ eine vom Tier auf menschliche Wirte übertragbare Infektion, die in seinem Planspiel „durch den Biß eines Leoparden übertragen wird.“ (Der Kleine Zyniker erinnert sich an den Gag, den Bernd Eilert vor vielen Jahren für Otto Waalkes geschrieben hat: „Wußten Sie, daß schon der Biß eines einzigen Pferdes für eine Hornisse tödlich sein kann?“). Lauterbachs Vorgaben waren, daß diese neue Pestilenz sich rasant unter den neuen Wirten verbreitet, nach 8 Wochen Fälle in 21 Ländern gemeldet und für Jugendliche, die besonders davon betroffen sind, oft tödlich ist – im Gegensatz zu „Corona,“ wo schnell klar war, daß das tatsächliche Risiko eines letalen Verlaufs für Menschen unter 50, die nicht schwere Vorschädigungen aufweisen, sehr gering und im Fall von Jugendlichen vernachlässigbar klein war. Das „Durchspielen“ bestand in der Präsentation dreier kurzer Videos zu unterschiedlichen Reaktionen der Weltgemeinschaft und einer 20-minütigen „Diskussion“ über das Gezeigte. Der Kleine Zyniker befindet, daß er im Fall eines Handgemenges mit einem Leoparden wohl andere Sorgen haben dürfte als das Risiko, nach dem Match die klar erkennbaren und behandelbaren äußeren Symptome einer Pockeninfektion auszubilden. (Allerdings sei hinzugefügt, daß solche nicht-tödlich verlaufenden Angriffe durchaus häufiger vorkommen, als man auf den ersten Blick glauben möchten. Für Indien vermeldet die Statistik für das Jahr 2015 23 solcher Attacken, von denen drei tödlich verliefen. Für Indien gibt es keine gesonderte Statistik der „glimpflich“ verlaufenden Angriffe; für den gesamten Subkontinent vermeldete die amtliche Zählung des britischen Raj für den Zeitraum von 1875 bis 1912 insgesamt 11.909 Todesopfer; für ganz Indien im Zeitraum von 1982 bis 1989 170; für den Bundesstaat Gujarat zwischen 1994 und 2007 ebenfalls 170.) Der Leopard, der in der Gemeinde Rudraprayag im indischen Bundesstaat Uttarakhand (in dem bis heute die meisten dieser Attacken vorfallen) zum Menschenfresser wurde, hat zwischen 1918 und 1926 mindestens 125 Menschen getötet, bevor er von dem englischen Großwildjäger James Corbett erlegt wurde. Corbett (1875-1955) beschreibt in seinem Buch „Man-Eaters of Kumaon“ aus dem Jahr 1944 sieben solcher Jagden auf „Man-Eater,“ zumeist Tiger, die er im Regierungsauftrag zwischen 1907 und 1938 durchgeführt hat – und daß er vorzog, lieber lebendige Tiger mit der Kamera zu erwischen.
(Als kleine Fußnote sei noch angefügt, daß die einzigen Viren, die bislang bei Leopardenpopulationen festgestellt worden sind, die auch auf den Menschen übertragen werden können, der bakterielle Erreger der Leptospirose ist, die in 9 von 10 Fällen wie eine leichte Grippe verläuft und nur selten in Verbindung mit einer dadurch ausgelösten Bindehautentzündung in sehr seltenen Fällen zu tödlichen Komplikationen führen kann; die Zahl der jährlichen Fälle in Deutschland schwankt zwischen 80 und 200; der letzte größere Ausbruch unter Erntehelfern in Düren im Jahr 2007 betraf 39 Personen; bei den Leoparden, bei denen der Erreger festgestellt wurde, handelt es sich ausschließlich um solche in Zoos – die generell durch die von Hauskatzen übertragenen Erreger empfänglich sind. Für Deutschland vermeldet das Robert Koch-Institut für den Zeitraum von 2001 bis 2014 insgesamt 14 Todesfälle im Zusammenhang mit Leptospirose.)
II.
Zu den von Lauterbach erwähnten Fällen von „Affenpocken“ - zum Einen: es gibt diese Erreger tatsächlich, sie sind nicht der auf alarmistisch überhitzten Phantasie unseres diensthabenden Klabautermanns oder der auf Coronapanik justierten Medien entsprungen. Sie sind seit 1958 bekannt, und es gibt seit ihrem Bekanntwerden einen sicheren, milliardenfach erprobten Impfstoff dagegen. Zum Anderen: es handelt sich – sowohl was die Frage des Risikos wie auch der Prophylaxe betrifft, um eine „völlig andere Hausnummer“ als bei SARS-Cov-2 – ungeachtet der Tatsache, daß auch „Corona“ anders als in den ersten Monaten zurecht befürchtet, nicht das Zeug zu einer menschheitsbedrohenden Pandemie wie der Schwarze Tod oder die Cholera vor Jahrhunderten hatte (das hatte schon die Spanische Grippe nicht, die die Menschheit weltweit zwischen 1918 bis 1921 heimsuchte).
Beim Erreger der Affenpocken handelt es sich um eine recht großes Virus auf der Basis der Erbsubstanz Desoyribonukleinsäure, also anders als bei SARS-CoV-2, das auf der einsträngigen Variante RNS, der Ribonukeinsäure, beruht, die bei davon befallenen Zellen in die Erbinformations-Stränge eingespleißt und abgelesen werden und dadurch dafür sorgen, daß die Zelle Kopien des Erregers erzeugt. Da bei dem Doppelstrange der DNS für Reparaturmechanismen der Zellen zur Anwendung kommen, treten bei diesen Viren Mutationen in sehr viel geringerem Maß auf als bei der einsträngigen Variante. Das Virus (ich erspare mir an dieser Stelle eine weitere überflüssige Diskussion darüber, ob es sich im Deutschen um „das“ oder „den“ Virus handelt) ist vom Aufbau her dem Pockenvirus sehr ähnlich, stammt aber nicht von ihm ab oder ist näher mit ihm verwandt. Die Symptome, die eine Infektion hervorruft, sind einer Pockeninfektion sehr ähnlich; allerdings ist der Verlauf weit milder und das Risiko, an ihr zu sterben, um astronomische Größenordnungen geringer. Bei den Pocken, an denen bis in die späten 1960er Jahre jedes Jahr (!) Millionen Menschen starben, lag das Risiko eines tödlichen Verlaufs bei 30 Prozent. Es wird geschätzt, daß in den letzten hundert Jahren, als die Krankheit noch eine Seuche darstellte, ihr weltweit eine halbe Milliarde Menschen zum Opfer gefallen sind. 1967 wurde die Zahl der Fälle auf 15 Millionen geschätzt.
Die Folge war die größte Impfkampagne in der Geschichte der Menschheit. Die erste wirksame Impfung überhaupt wurde dagegen von dem englischen Arzt Edward Jenner 1796 entwickelt; die erste weltweit durchgeführte Impfkampagne wurde der Vorläuferorganisation der Weltgesundheitsbehörde WHO, der World Health Assembly, WHA, 1958 von dem damaligen Gesundheitsminister der Sowjetunion, Wiktor Schdanow vorgeschlagen (die zweite solche weltumspannende Kampagne war die fast zeitgleich vorher angelaufene Eradikation der Kinderlähmung durch den von Jonas Salk entwickelten Impfstoff). Die Ähnlichkeit der Aufbaus des Erregers der Affenpocken mit dem Pockenvirus, dem Variolavirus, hat zur Folge, daß eine Impfung mit dem dagegen entwickelten Impfstoff eine Wirksamkeit von 85% entwickelt. Darüber hinaus beruhen diese Vakzinen auf den ältesten in dieser Hinsicht erprobten Wirkmechanismen und sind im Verlauf der letzten Jahrzehnte in milliardenfacher Zahl zur Anwendung gekommen. Sollte es sich wirklich als notwendig erweisen, daß im Zug der jetzt zunehmenden Fälle eine Impfkampagne notwendig werden würde, so könnte die Neuproduktion sehr schnell aufgenommen werden. Komplikationen und fortwährende Unsicherheiten wie bei den nie zuvor „im Feldversuch“ erprobten mRNS-Impfstoffen, sind nicht nur nicht zu erwarten, sondern auszuschließen. Allerdings rechnet niemand der Experten, die dazu zurzeit ihre Meinung äußern, damit, daß es nach allem, was über die gegenwärtigen Fälle bekannt ist, dazu kommen wird. Im „schlimmsten Fall“ wird damit gerechnet, daß es zu sogenannten „Ringimpfungen“ kommen könnte – so wie es in der Endphase der Ausrottung des Pockenerregers in den späten 1960ern Jahren der Fall war oder bei der erfolgreichen Eindämmung des Ebola-Ausbruchs im der Provinz Équateur im Kongo, in dem zwischen dem 8. Mai und dem 24. Juli 2018 bei 54 Fällen blieb, von denen 33 tödlich verliefen. Bei dem nächsten großen Ausbruch der Krankheit zwischen August 2018 und Juni 2020 in den Provinz Kivu, bei dem diese Maßnahmen unterblieben, kam es dagegen zu beinahe 3500 Fällen. In diesem Fall werden nur die Personen gegen den Erreger geimpft, die unmittelbar in Kontakt zu nachgewiesenen Fällen kommen können, wobei die Infizierten – und die infragekommenden Kontaktpersonen für die Zeit der Infektiosität streng isoliert werden.
Daß die WHO ein Auge auf die aktuelle Welle der gemeldeten Affenpocken-Fälle hat, ist nach den Erfahrungen mit SARS-CoV-2 alles andere als überraschend. Jedes neue und weitverbreitete Auftreten einer Infektionskrankheit braucht eine hohe Aufmerksamkeit, gerade in ihrem Anfangsstadium – vor allem, wenn sich diese Fälle durch bislang nicht beobachtete Merkmale auszeichnen. Das ist hier der Fall.
Bislang waren Fälle von Affenpocken auf äquatornahe Bereiche in Afrika beschränkt gewesen; zumeist auf die oben erwähnte Provinz Équateur im Kongo; es gibt zwei Varianten des Virus, der auch die Bezeichnung MPV oder MPXV (für „Monkeypox Virus“): ein milderer, in mehreren westafrikanischen Ländern auftretender Stamm (Virologen sprechen von einer „Klade“) und eine auf die nordwestlichen Provinzen des Kongo beschränkte Klade, die seit 1970 auch Menschen zum Auftreten der pockenähnlichen Symptome geführt hat. Bei diesen ersten Fällen ist unter jüngeren Patienten in armen Gebieten ohne ausreichenden Zugang zu moderner medizinischer Versorgung eine Todesrate von 10 Prozent ermittelt worden. Aber man sollte solche Zahlen als Gesamtbild sehen: Von 1970 bis 1986 handelte es sich dabei um insgesamt 338 Fälle, von denen 34 tödlich verliefen. Auch in den Gebieten, in denen die Krankheit heute als endemisch gilt, ist sie äußerst selten.
(Stastitik des CDC zum Ausbruch der Affenpocken im Kongo 1996-1997)
Nachgewiesen worden ist der Erreger zuerst 1958 von dem dänischen Virologen Preben von Marcus in Kopenhagen bei Langschwanzmakaken (auch Javaneraffen genannt), die in der Hirnforschung und der Medikamentenforschung als Versuchstiere dienen. Die erste Beschreibung des Befundes erfolgte im Journal „Acta Pathologica Microbiologica Scandinavia im Jahr darauf (P. Magnus, E.A. Petersen, K. B..Petersen und A. Birch-Andersen, „A Pox-Like Disease in Cynomolgus Monkeys,“ Band 49, S. 159). Anders als bei dem berüchtigten Erreger, der neben Affen auch den Menschen heimsuchen kann, dem HIV-Virus, sind die Affen aber nicht das eigentliche Reservoir des Erregers und von dort auf Genus Homo übergesprungen. Die „eigentlich Quelle“ dürften eher Nagetiere sein: bei Bilchen und Rotschenkelhörnchen ist der Erreger ebenfalls nachgewiesen worden.
Es hat bislang nur einen Ausbruch der Krankheit außerhalb der oben genannten Gebiete im äquatorialen Westafrika gegeben. Das war im Sommer 2003, als es in den US-Bundestaaten Illinois, Indiana und Wisconsin eine aus Westafrika importierte Gambia-Riesenhamsterratte bei einem Zoohändler in Texas eine – wie sagt man? Lieferung? Herde? Gruppe? von 200 Präriehunden infizierte, die wiederum, die in den Folgewochen ihre neuen menschlichen Besitzer ansteckten (bei 94 dieser Tiere konnte in der Folgezeit das Virus nachgewiesen werden). Zwischen dem 15. Mai und dem 20. Juni kam es bei insgesamt 47 Personen zum Auftreten der typischen Symptome, die denen der „klassischen“ Pocken ähneln. Weitverbreiteter Ausschlag, ausgehend von Oberkörper, Ausbildung von großen, nässenden Schwellungen, die nach gut zehn Tagen abheilen, mitunter unter Narbenbildung. In den meisten Fällen wurde das Virus durch Bisse übertragen; in einigen wenigen Fällen aber wohl auch ohne direkten Kontakt, also als Schmier- oder Tröpfcheninfektion. 11 der Fälle erforderten eine stationäre klinische Behandlung; keine verlief tödlich. Zu den übrigen Symptomen zählen Fieber und Muskelschmerzen. Unter den Betroffenen im Alter zwischen 1 und 51 Jahren ließen sich keine verstärkenden oder lindernden Faktoren ausmachen; in keinem Fall konnte eine Übertragung von Mensch zu Mensch festgestellt werden. Alle Betroffenen waren entweder gar nicht oder seit 1972 nicht mehr gegen Pocken geimpft worden. Als Konsequenz hat die amerikanische Bundes-Gesundheitsbehörde, das Center for Disease Control (CDC) damals eine Isolationszeit von 21 Tagen vorgeschrieben und den Import von Nagetieren aus Westafrika untersagt.
Dieser Übertragungsweg scheint sich beim aktuellen Ausbruch, nach allem, was man bislang sagen kann, geändert zu haben. Hier scheint die direkte Übertagung von Mensch zu Mensch zu überwiegen. Auch das schlagartige Auftreten von heute 108 bestätigten Fällen (und weiteren 88 Verdachtsfällen in hauptsächlich in 11 Staaten der EU (und einem gestern in der Schweiz nachgewiesenen Fall) seit Mitte der letzten Woche allein (auf Kanada entfallen 5, aus Israel 1, auf die USA und Australien jeweils 2) zeigt, daß die Gesundheitsbehörden gut daran tun, hier ein Auge auf die Entwicklung zu haben. Der „Patient Null,“ bei dem die Infektion zuerst an 6. Mai in London nachgewiesen worden ist, handelte es sich um jemanden, der in den Wochen zuvor die Provinz Delta State in Nigeria bereist hatte und dort zuerst am 29. April Symptome entwickelte. Die nächsten beiden Fälle wurden am 12. Mai registriert; sämtliche Folgefälle erst seit dem vergangenen Mittwoch. Wie es scheint, sind in vielen Fällen sexuelle Kontakte zwischen Männern als Übertragungsvektor ausgemacht worden (bei den ersten sieben Fällen in London sollen 4 darauf zurückgehen). Unklar ist noch, ob tatsächlich der Intimkontakt mit seinem Austausch von Körperflüssigkeiten wie Speichel und Sperma ursächlich für die Übertragung ist, es sich also jetzt um eine Geschlechtskrankheit handelt, oder ob der „Nahkampf“ nur ideale Bedingungen für eine Weitergabe wie bei anderen Infektionskrankheiten bietet. Eine erste vorläufige Analyse der Genomsequenz ist als Donnerstag in Portugal veröffentlicht worden; die Forscher betonen, daß es sich um ein „Work in Progress“ handelt und Ungenauigkeiten in der Sequenzierung hier noch keine eindeutigen Erkenntnisse zulassen; fest steht wohl, daß das Genom weitgehend mit den Stämmen übereinstimmt, die bei der Analyse von Fällen in Nigeria in den Jahren 2018 und 2019 registriert worden sind. Eine weitere Sorge ist, daß das schlagartige Auftreten solche Fälle darauf hindeuten könnte, daß die symptomlose Inkubationszeit bei der neuen Variante länger als die bekannten 10 bis 14 Tage dauern könnte. (Für Interessenten: eine hochfachspezifische Diskussion der laufenden Genom-Analyse findet sich hier.)
„Discussion of on-going MPXV genome sequencing“
Diese Fragen sind zurzeit noch nicht zu beantworten. Es steht zu erwarten, daß die Fallzahlen in den nächsten zwei Wochen noch erheblich zunehmen. Heute, am Sonntag, den 22. Mai, steht die Zahl der stationär behandelten Fälle bei 11. Eins aber läßt sich schon jetzt sagen: wenn sich die Verläufe nicht wesentlich von dem amerikanischen Ausbruch vor 19 Jahren unterscheidet, wird man nicht von einer „Pandemie“ sprechen können. Die englische Presse hat gestern darüber berichtet, daß in vielen der in England bis heute registrierten Fälle das „Gran Canaria Pride Festival“ ausgemacht worden ist, bei dem mehr als 80.000 Besucher vom 5. bis 15. Mai auf der „Maspalomas Parade“ das Ende der Corona-Einschränkungen feierten: überwiegend eben Mitglieder der, wie es heute heißt „LGBQT+“-Gemeinde. Und an dieser Stelle muß ich zum zweiten Mal sehr vorsichtig formulieren, um keine Angriffsfläche für ein Mißverständnis zu bieten und einen Sturm mit sagen wir unreinen Substanzen auszulösen.
Als vor knapp 40 Jahren die ersten Fälle von AIDS/HIV auftauchten und es ab 1984 zu alarmistischen Befürchtungen über die künftige Entwicklung kam, gab es durchaus Vorwürfe an die Szenen, die Milieus von Homosexuellen – der despektierliche Begriff „Schwulenpest“ wurde durchaus gebraucht, wenn auch schon damals, noch nicht im Zeichen der „politischen Korrektheit“ und der allgegenwärtigen Regenbogenbanner die meisten Politiker und Medienmacher alles daran setzten, um eine solche Stigmatisierung zu verhindern. Es bleibt aber aus dem Rückblick dabei: außerhalb von Afrika, jedenfalls im Westen, war die menschliche Immunschwäche außerhalb homo- und bisexueller Männer und Drogenkonsumenten, die sich Injektionsnadeln teilten, nie ein großes, bedrohliches Risiko. Und die „schwulen Communities“ haben sich an die neuen Gegebenheiten sehr schnell angepaßt (genau wie ein Großteil der „Hetero-Normativen“). Es hat nun einmal nichts mit „Schwulenfeindlichkeit“ zu tun, wenn man darauf hinweist, daß homosexueller Intimverkehr, in Verbindung mit einer verbreitet ausübten massiven Promiskuität für die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten ideale Bedingungen darstellen. Das ist simple Biologie; es ist das gleiche Phänomen, das in der Landwirtschaft Monokulturen großflächig anfällig für Schädlinge macht. Es gehört zu den Aufgaben vernunftbegabter Wesen, davon zu wissen und sich diesen Umständen entsprechend zu verhalten. (An dieser Stelle zitiert der Kleine Zyniker Blaise Pascals Satz „Le cœur a ses raisons que la raison ne connaît point," um nicht das griffige jiddische Sprichwort „Wem der Putz steht…“ zu gebrauchen, weist aber auf die Ironie hin, daß für die Wokisten, für die sexuelle Orientierung, verhalten, Partnerwahl nichts als soziale Gepflogenheiten und „Unterdrückungsmethoden“ darstellen, sich hier auf ein biologisches Phänomen konzentriert haben, daß wie kein anderes von – eben – biologischen, hormonellen, evolutionsgeschichtlich entstandenen Grundlagen gesteuert und bestimmt wird, daß sich blind über Hunderte von Millionen Jahren zum Zweck der Arterhaltung herausgebildet hat.)
III.
(Standfoto aus Howard Hawks‘ „Bringing Up Baby“ (1938), dt. Titel “Leoparden küßt man nicht”: Katharine Hepburn (1.v.l.), Gary Grant (2 v.l.), Neissa (3 v.l.).)
Um auf das Eingangsthema zurückzukommen: von der Lauterbach’schen „Leopardenpest“ sind wir also Lichtjahre entfernt. Aber beim Gedanken an ein trautes Zusammenleben von Mensch und Großkatze, das solchen Wechselwirkungen förderlich wäre, fällt manchem alten Cineasten vielleicht der deutsche Titel von Howard Hawks‘ Film aus dem Jahr 1938, „Bringing Up Baby“ ein, der bei uns als „Leoparden küsst man nicht“ in die Kinos kam – man ist überrascht, daß der Film, der heute als Glanzstück der überdrehten „Screwball Comedy“ gilt, zu seiner Zeit ein absoluter Reinfall in den USA war und der Hauptdarstellerin Katharine Hepburn einen langanhaltenden Ruf als „Kassengift“ einbrachte. In Westdeutschland kam der Film erst im März 1966 in die Kinos; in der DDR lief er erst im Dezember 1977 im Vorweihnachtsprogramm im Fernsehen.
(Promotionsphoto von 1938: K. Hepburn (links) und Neissa (rechts))
In der Kurzgeschichte der Autorin Hagar Wilde (1905-1971) mit dem gleichen Titel, die am 10. April 1937 im „Collier’s Magazine“ erschien, und in dem Drehbuch, daß sie zusammen mit Dudley Nichols für das Studio RKO (ja genau: dem wir auch den anderen klassischen Hollywoodstreifen zum Thema „wildes Dschungeltier in der modernen Großstadt“ jener Jahre verdanken: „King Kong“) handelte es sich bei Baby um einen schwarzen Panther. Mangels Verfügbarkeit in der Nähe des Studios mutierte es dann zu einem Leoparden – gestellt und betreut von seiner Dompteuse Olga Celeste aus dem Luna Park Zoo in den Lincoln Heights in Los Angeles. (Im Film stammt Baby seltsamerweise aus Brasilien. Solche Permutationen erinnern daran, daß Edgar Rice Burroughs in seinem ersten Roman um den „Herrn des Dschungels,“ „Tarzan of the Apes“ in der Magazinfassung des Buches seinen Helden im zentralafrikanischen Dschungel auf einen Tiger treffen ließ. Oder daß der „Gattopardo,“ das Wappentier des Hauses der Salinas in Tommasi di Lampedusas Roman, in der deutschen und englischen Fassung von einem Serval zu einem – Leoparden mutierte.) Der Park, der auf Zirkus-Dressurnummern spezialisiert war, war 1915 an der Adresse an der Adresse 3800 North Mission Road eröffnet worden war, diente für die aufblühenden Filmstudios Hollywoods als Lieferant für vierbeinige Komparsen und wechselte in den 25 Jahren seines Bestehens den Namen so oft wie ein Plutokrat die Lebensabschnittspartnerinnen – Selig Zoo, Luna Park Zoo (in den Jahren 1925-31), L.A. Wild Animal Farms, California Zoological Gardens und Zoopark.
Olga, 1888 als Olga Cecilia Knutsson im schwedischen Skàne geboren, war in jungen Jahren in die Neue Welt ausgewandert, um ihr Glück im Schaugeschäft zu machen, und hatte sich auf die Dressur von Leoparden spezialisiert. Als durchtrainiertes Muskelkätzchen, das mühelos 100 Kilo zu stemmen vermochte, war sie in der Lage, ihre Schützlinge unter Kontrolle zu halten; bei den Dreharbeiten stand sie stets mit einer Peitsche sprungbereit neben der Kamera. Katharine Hepburn, die die leicht zerstreute Heldin Susan Vance spielt, zeigte sich von ihrem Gegenüber zunächst nicht eingeschüchtert („Ich muß gestehen, daß ich einfach nicht genug Verstand hatte, um Angst zu empfinden,“ sagte sie später in einem Interview) – bis Neissa, die beide Leoparden im Film spielt, ein einer Szene nach ihrem Rocksaum schlug, der mit Bleigewichten beschwert war, als sie sich in einer Szene hastig umdrehen mußte. (Katzen bleiben eben Katzen…) Das Peitschenknallen bannte die Gefahr augenblicklich. Cary Grant hingegen, der den erheblich zerstreuten Paläontologen David Huxley gibt, konnte hingegen seinen Bammel vor dem Raubtier nie überwinden und weigerte sich, mit Nissa (in den Quellen finden sich beide Schreibweisen) gemeinsam vor der Kamera zu stehen. Wenn man sich den Film aufmerksam ansieht, merkt man, wie viele seiner entsprechenden Szenen in ausschnitthafter Nahaufnahme oder per Rückprojektion aufgenommen worden sind. Hepburn hat sich während der Dreharbeiten über diese Phobie…diese Vorsicht lustig gemacht, indem sie Grant durch das offenstehende Glasdach seines Schminkraums mit einem großen Plüschleoparden beworfen hat.
(Olga Celeste und Neissa)
Der Kleine Cineast erinnert sich an einer vergleichbare Szene in Werner Herzogs „Fitzcarraldo,“ in der Claudia Cardinale einen Ozelot streichelt, der auf ihrem Schoß sitzt. Da sie genau bemerkt hatte, daß ihr Filmpartner Klaus Kinski eine geradezu panische Angst vor diesem Tier hatte, rächte sie sich für sein oft absolut unausstehliches Benehmen während der Drehabreiten, indem sie ihm das Katzentier am Ende der Szene einfach auf seinen Schoß warf. Herzog hat 1999 in der Dokumentation „Mein liebster Feind“ zahlreiche der berserkerhaften Ausraster Kinskis bei den Dreharbeiten zu dem Film zusammengeschnitten; diese Szene findet sich nicht dabei; auf jeden Fall soll das Resultat spektakulär gewesen sein.
Der Kleine Pedant merkt an, daß er sich nicht sich ist, ob der „Running Gag“, der Anfang und Ende des Films verklammert – der letzte Knochen, der Doktor Huxley für seine Rekonstruktion des Brontosaurierskeletts fehlt, die ihn seit Jahren beschäftigt - ein bewußtes Echo ist oder ob es nun in der Rückblende so aussieht. In der allerersten Szene erhält er per Telegram die Nachricht, daß dieser Halswirbelknochen jetzt endlich ausgegraben wurde. Natürlich wird das Corpus delicti von Susans Terrier (gespielt von Asta aus der Filmserie um den „Dünnen Mann“) gemopst und im Garten verbuddelt. Als Susan in der Schlußszene ihrem Zukünftigen die endlich aufgefundene Preziose präsentiert und auf den Malerbrett hoch oben vor Ort vor Freude zu schaukeln beginnt, folgt, was jedem Zuschauer von Anfang an klar war: Huxley kann die abrutschende Susan gerade noch festhalten, aber der Ex-Saurer stürzt in einer stiebenden Trümmerwolke in sich zusammen. Möglich, daß es sich um einen Seitenhieb auf die „Bone Wars“ zwischen den amerikanischen Paläontologen Othniel Cope und Jonathan Drinker Marsh handelt, die sich in den Jahren zwischen 1867 und 1877 einen erbitterten Konkurrenzkampf bei der Entdeckung der spektakulären Fossilien der Riesenechsen im amerikanischen Westen, besonders den Wüstenstaaten New Mexico und Wyoming, lieferten. Das amerikanische Publikum – und das der übrigen „gebildeten“ Welt, wurde damals zuerst mit den ikonischen Gestalten bekannt gemacht, die bis heute unsere Vorstellung von „Dinosauriern“ prägen: die Knochenplatten auf dem Rücken des Stegosaurus, die Beine des Brontosaurus mit dem Ausmaß von Treibhauspalmen, das riesige Gebiß des Tyrannosaurus (ich weiß, daß viele dieser Spezies mittlerweile andere Bezeichnungen tragen – aber für das Publikum ist ein Brontosaurier bis heute ein Brontosaurier und kein Apathosaurier.)
Besonders Marsh, der von jeder Reise in den Westen zahllose Kisten mit alten Knochen zurückbrachte und zu spektakulären Ausstellungstücken montierte, hatte schon seit weit über 100 Jahren in Fachkreisen einen sagen wir halbseidenen Ruf. Zu oft hat er Überbleibsel, die erkennbar unterschiedlichen Spezies angehören, mit Draht zu einer anderen zugeordnet; zu oft sein die Rekonstruktionen der Anatomie durch nichts gestützt oder durch frei seiner Vorstellung nachgeahmten Zwischenglieder entstellt.
Es könnte auch sein, daß sich in einer solchen mirakulösen Auffindung eines „Missing Link“ ein kleiner „Tip of the hat,“ ein Hinübergrüßen an die Entdeckung des Gilgamesch-Epos durch den englischen Ausgräber George Smith verbirgt. Smith war 1872 bei seinen Ausgrabungen im in der königlichen Bibliothek von Assurbanipal des Königspalastes von Ninive auf die Tontafeln gestoßen und hatte seine Übersetzung am 3. Dezember 1872 vor der Londoner Society of Biblical Archaeology präsentiert. Allerdings fehlte die elfte Tafel, auf der sich der Flutbericht befindet, der erstaunliche Parallelen mit dem biblischen Bericht im alten Testament im Buch Genesis aufweist. Die Society finanzierte Smith daraufhin eine weitere Grabungsreise, und während des ersten Tages seiner neuen Suche im Schutt des Palastes stieß Smith auf das Gesuchte. (Smith ist allerdings mit seinem Erfolg nit langer glücklich geworden. 1876, auf dem Weg zu einer dritten Grabung in diesem Archiv, ist er im Alter von 36 Jahren in der Nähe von Aleppo an der Ruhr gestorben.)
Es soll niemand glauben, daß sich solche Heldenlegenden nur auf das „klassische Zeitalter der Archäologie“ (das sich von den Tagen Heinrich Schliemanns bis zur Entdeckung des Grabs von Tut-ench-Amun 1923 und Leonard Woolley Ausgrabung der königlichen Grabstätten in Ur in Jahr 1930 erstreckt) beschränken. Im Jahr 2000 wurde bei einer Nachgrabung an der Stelle, wo 1858 zuerst der „Holotypus“ Neandertal 1 in der kleinen Feldhofer Grotte zwei Stunden Fußmarsch von Düsseldorf entfernt gefunden wurde, das gut zwei Zentimeter fehlende Fragment des linken Jochbeins dieses ersten Neandertaler-Schädels gefunden. In der anschließenden Präsentation vor der Presse konnte Ralf W. Schmitz, der seit Jahren ermittelt hatte, wo der Abraum aus der Höhle, die im 19. Jahrhundert als Steinbruch diente, deponiert worden sein könnte, das kleine Fragment mit einem hörbaren „Klick!“ an dem fragmentarisch erhaltenen Gesichtsschädel einrasten lassen. („Da bekommt der Ausdruck „Missing Link“ gleich einen Beigeschmack von Wahrheit,“ meldet sich der Kleine Zyniker.)
Vielleicht aber verbirgt sich hinter diesen Motiven nichts als ein Zufall, und meine Mustererkennung unterliegt wieder mal einem Fall von „motivischer Pareideulie,“ jenem evolutiv geprägten Erbe, das uns in den Umrissen des antiken Griechenlands eine Hand, im Umriß Italiens einen Stifel und im unscharfen Schatten eines Felsens aus dem Mars ein menschenähnliches Gesicht vorgaukelt.
IV.
Ein anderes Beispiel einer sagen wir risikobehafteten Kohabitation zwischen Mensch und Großkatze findet sich in der fast genau 100 Jahren alten und skandalumrankten Erzählung „The Cheetah Girl“ des englischen Autors Edward Heron-Allen. Es handelt sich, wie aus dem Titel ersichtlich, um ein „Geparden-Girl“ – aber das Oszillieren zwischen den Spezies habe ich ja weiter oben schon erwähnt. Heron-Allen, 1861 in London geboren und 1943 in Sussex gestorben, war im Zivilstand Major und Rechtsanwalt, bis er sich nach dem Tod seines Vaters 1911 als reicher Erbe ganz seinen Privatinteressen widmen konnte, die im Übersetzen klassischer persischer Literatur, dem eingehenden Studium von Kieselalgen und dem Zusammentragen einer Bibliothek von 100.000 Bänden bestand. Als Nebenstrang frönte er der Literatur. Zu Beginn seiner Laufbahn veröffentlichte er zwischen 1885 und 1890 zwei Romane und eine Sammlung mit Erzählungen; 1921 erschien im Londoner Verlag Philip Allen & Co. unter dem Pseudonym „Christopher Blayre“ die Sammlung „The Purple Sapphire,“ in der er acht „posthume Aufzeichnungen“ von dem Kollegium der „Universität von Cosmopoli“ schildert, deren Erlebnisse den verstatteten Rahmen ihrer akademischen Zulässigkeit weit hinter sich lassen. In „Aalila“ und „The Cosmic Dust“ widerfährt es beispielweise dem ehrwürdigen Professor für Sternkunde, durch das neuerfundene Teufelswerk der drahtlosen Telegraphie Kontakt mit den uns überaus ähnlichen Bewohnern des Venus aufzunehmen – eine Verstrickung, die in der zweiten Erzählung für ihn tödlich endet, als der eifersüchtige Gatte der Venus-Frau, mit der er in Verbindung getreten ist, seinen vermeintlichen Nebenbuhler mit einer Strahlenwaffe zu eben diesem kosmischen Staub pulverisiert.
Ein Text wurde vor der Drucklegung vom Verleger aus Gründen der Skandalträchtigkeit unmittelbar vor der Drucklegung ausgeschieden, obwohl er im Inhaltsverzeichnis schon aufgelistet war – „The Cheetah Girl“. Stattdessen findet sich an der angegebenen Seite im Buch der Hinweis, dieser Text sei „leider nicht für ein größeres Publikum geeignet.“ Durchaus möglich, daß der Verleger angesichts der Literaturskandale, die zu dieser Zeit in England und in den USA um einige als „obszön“ geltende Bücher losgebrochen waren, bemüßigt fühlte, auf Nummer sicher zu gehen. In den USA war es 1919 zu einem Prozeß um James Branch Cabells Roman „Jurgen“ gekommen, dessen Held in seiner mittelalterlichen Kulisse zahllose erotische Techtelmechtel hinter sich bringt (einschließlich mit des Teufels guterhaltener Großmutter). In England und Irland kam es nach dem Erscheinen von James Joyces „Ulysses“ im Februar 1922 zu Verbotsverfahren; es gab in der unmittelbaren Zeit nach dem Ende des „Großen Kriegs“ zahlreiche solche Verfahren. „The Cheetah Girl“ erschien zwei Jahre nach dem Buch, 1923, als Privatdruck in einer Auflage von 20 Exemplaren.
(Edward Heron-Allen)
Und „The Cheetah Girl,” in dem es um solche Themen wie lesbische Liebe, Prostitution und vor allem um die Erzeugung von Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier geht, hatte durchaus das Zeug, einen solchen veritablen Skandal loszutreten – auch wenn uns heutigen Lesern der Text, abgesehen von seinem Thema, durchaus harmlos vorkommt. Der Erzähler, Rex Magley, berichtet, wie er der Haushälterin seines früheren Chefs, eines Professors der Biologie, nach dessen plötzlichem Tod einen recht amtlichen Kondolenzbesuch abstattet, und dabei deren Tochter kennenlernt, deren merkwürdige, überaus exotische, fast bizarre Schönheit ihn unverzüglich in Bann schlägt. Es wird spät, der Weg vom entlegenen Landsitz zurück in die ungenannt bleibende Universitätsstadt, hinter der sich augenscheinlich Oxford verbirgt, ist zu lang, der Gast bleibt über Nacht, und das Unvermeidliche folgt. Heron-Allen/Blayre trifft die aufgeladen-schwüle Stimmung gut, die den Leser darauf vorbereitet, daß Frau Claytons Tochter Uniqua ihn in eindeutiger Absicht besuchen wird.
„Mutter hat gestern nacht nicht schlafen können,“ sagte sie,“ und heute abend hat sie das Haus abgeschlossen und ist zu Bett gegangen. Ich bin aus dem Fenster geklettert. Ich will dich so sehr.“
Eine Stunde verging in einem Delirium sinnlichen Genusses, den nicht zu beschreiben ist – nicht weil ich Diskretion üben möchte; ich möchte alle Einzelheiten genau so beschreiben, wie sie vorfielen, ohne etwas auszulassen, sondern weil das Wunder, das Uniqua darstellte, sich jeder Beschreibung entzieht. Ich hatte gedacht, daß ich alle menschenmögliche Lust kennen würde – Narr der ich war! Ich kannte nicht einmal deren Anfang.
Wenn Uniqua schon in ihrem dunkelroten Sarong einen atemberaubenden Anblick bot, so war daß noch nichts gegen sie, als sie nackt war. Kein Maler, kein Bildhauer hat je solch einen vollkommenen Leib vorgestellt, keiner hat ihn je dargestellt. Ihre Brüste wiesen perfekte Proportionen auf, die Brustwarzen standen vor, umgeben von einem seidenen Halo gekräuselter purpurroter Härchen, weich und faszinierend. Ihre Körperbehaarung war von phänomenaler Dichte, und ich stellte fest, daß es sie in lodernde Ekstase versetzt, als ich sie unter den Achseln küßte und streichelte. Ich werde später berichten, warum es gut war, daß mir das im Gedächtnis geblieben ist. Ihr gesamter Körper war von einem leichten, weichen Flaum bedeckt, wie man ihn auch mitunter bei anderen Frauen findet, aber bei Uniqua war er dunkler als üblich, und bildete hier und da helle Streifen und kleine runde Flecken von dunklerer Tönung. Unterhalb des Nabels verdichtete er sich zu einem herrlichen Pelz von Schambehaarung, der sich von Hüfte zu Hüfte spannte. Und trotz seiner Dichte war er von erstaunlich weicher Textur, bedeckte unteren Bereich des Bauches vollständig mit einer wahren „Fourrure“ – es war wundervoll, und um noch einmal das einzige Wort zu gebrauchen, das auf Uniquas exotische Züge paßt: es war berauschend. Ihre Unterarme und Beine waren hinreißend behaart, und sogar ihre Rückenwirbel wiesen ein pelziges Band auf, daß zu immer neuen Liebkosungen einlud. Wer auch immer ihr den Namen Uniqua gegeben hatte, hatte eine prophetische Gabe besessen.
Wir lagen uns in den Armen und flüsterten uns leidenschaftliche Geheimnisse zu – ich in einem seidenen Bademantel und sie nur mit ihrer wunderbaren Haartracht angetan, als die Tür – die wir vergessen hatten abzuschließen, aufflog und Mrs. Clayton vor uns stand – sichtbar versteinert und entsetzt.
(Der Kleine Zyniker verkneift sich die Mutmaßung, ob es sich beim Autor um einen Pelzfetischisten handeln könnte. Derlei tut in solchen Texten nichts zur Sache – es kommt nur darauf an, daß ein Autor solche Empfindungen glaubhaft schildern kann, nicht daß er ihnen aus Neigung frönt.)
Ich hielt inne. Frau Clayton hatte kein Wort gesagt, sie war in einen Sessel gesunken und blickte abwechselnd auf mich und auf Uniqua, die selbstvergessen in ihrer herrlichen Nackheit auf dem Divan lag und uns beide ansah, mit demselben wundervollen Lächeln, das mich gefangengenommen hatte, während ihre tiefrote Zunge über die Unterlippe fuhr. Dann erhob sich Frau Clayton – mit sichtlicher Anstrengung – und sagte:
„Nein – nein- nein. Das darf niemals passieren. Sie haben ja keine Ahnung! Ach! Ich bin eine schlechte Frau! In diesem Zustand ist nicht für das verantwortlich, was sie tut, sie versteht nichts davon. Ich lasse sie keinen Augenblick aus den Augen, bis die Krise vorbei ist.“
Der Verfasser steht noch an Beginn seiner akademischen Laufbahn als Juniorprofessor; er versucht den Skandal zu entschärfen, indem er Mutter Clayton versichert, natürlich werde er ihre Tochter heiraten. Als Frau Clayton ihn des Hauses verweist, steigt Uniqua zum zweiten Mal „aus dem Fenster“ und brennt mit ihm durch.
Einige Wochen nach ihrer stante pede angesetzten Trauung erhält der frühere Assistent von Professor Barrowdale eine Vorladung von Frau Claytons Anwalt, auf der ihn dieser Eröffnung, daß seine Mandantin „unter seltsamen Umständen verstorben ist“ – ihre Unterhaltung läßt keinen Zweifel daran, daß sie Selbstmord gegangen hat, und händigt ihn eine Manuskript von Professor Clayton aus, in dem er, von namenlosem Entsetzen gebeutelt, die Wahrheit über Uniquas Herkunft erfährt – die Leser schon halbwegs geahnt hat. Professor Clayton lebenslange Obsession war die Entstehung von Zwitterwesen, Mischwesen gewesen, und anders als in H. G. Wells‘ „Die Insel des Dr. Moreau,“ in dem der in Titel genannte Mad Scientist seine tierischen Versuchsobjekte mit chirurgischen Verformungen bei vollem Bewußtsein zu menschenähnlichen Wesen umformen will (Clayton erwähnt das Buch mit tiefem Abscheu), setzt sein Nachfolger auf die Verschmelzung des Keimplasmas im Reagenzglas und auf die Einpflanzung der entstehenden Blastozyte in eine Gebärmutter. Unaqua ist das Resultat eines erfolgreichen Kreuzungsversuchs. Professor Barrowdale hat das Sperma eines Geparden mit einer Eizelle einer menschlichen Frau verschmolzen, die er vor dem Selbstmord aus Verzweiflung aus der übelsten Straßenprostitution in London bewahrt hat und die aus Dank dafür, daß er sie für den Rest ihres Lebens in sein Haus aufgenommen und sie zur Alleinerbin eingesetzt hat, in dieses Experiment einwilligt – eben Frau Clayton.
Rex Magley, der ob dieser Enthüllungen glaubt, den Verstand zu verlieren, erhält bei seiner Rückkehr in seiner Wohnung von seiner Frau, die über ihre eigene Natur keine Ahnung hat, die Mitteilung, daß sie schwanger ist. Entsetzt verlangt er von ihr, die Leibesfrucht abtreiben zu lassen. Uniquas Entsetzen über diese Verstoßung, diesen tiefsten möglichen Affront führt bei ihr zu einer psychischen Krise, die sie alle menschlichen Züge einbüßen läßt.
Nach einigen Minuten, während denen ich sie inständig bat, die Tür zu öffnen, hört ich sie mit jener heiseren Stimme, die mich unten mit solchem Grauen erfüllt hatte, sagen:
„Wenn ich die Tür für einen Moment aufmache – versprichst du mir, daß du nicht mit Gewalt hier ins Zimmer kommst?“
Mir blieb keine andere Wahl. Ich versprach es ihr. Dann öffnete sie die Tür. Sie hatte ihr Cape abgelegt und trug nur ein Unterkleid aus Chinakrepp, das auf der einen Seite bis zur Hüfte herabgerutscht war und auf der anderen von einem Schulterstraps gehalten wurde. Sie hatte noch niemals so hinreißen ausgesehen. Und sie sagte, so leise, daß es fast nur ein Flüstern war:
„Wenn du heute nacht hier herein kommst, zerreiße ich dich mit meinen Nägeln. Ich werde dich beißen. Ich werde dich umbringen, auf welche Weise auch immer. Vielleicht kann ich deinen Anblick morgen wieder ertragen. Ich muß jetzt nachdenken – laß mich mit meinem Baby allein.“
Und sie schloß die Tür wieder und drehte den Schlüssel um. Ich ging die Treppe hinunter. Der ganze Schrecken meiner Situation wurde mir schlagartig klar. Sie war keine menschliche Frau mehr – sie war jetzt ein Gepard! Der Instinkt, ihr Kind zu beschützen, hatte sie überwältigt. Ich versuchte nicht, mir etwas vorzumachen – sie war jetzt gefährlich. Vor mir sah ich, wie sich eine Tragödie anbahnte. Um ihr ungeborenes Kind zu beschützen, war sie zu allem fähig -sogar dazu, mich zu töten. Für einen Augenblick wünschte ich mir, sie würde es tun. Für mich wäre es eine Erlösung gewesen – aber danach? Wie lange würde die Tragezeit…die Schwangerschaft dauern? Wie bei einem Menschen? Oder bei einer Raubkatze? Das hing, dachte ich, wohl davon ab, was geboren werden würde. Bei dem Gedanken an dieses Grauen zog sich meine Kopfhaut schmerzhaft um meinen Schädel zusammen. Nur eins war mir klar – eins und nichts sonst: ich durfte es nicht zulassen, daß ich am Weiterbestehen einer solchen Brut von Ungeheuern teilhatte. Es lief darauf hinaus, daß ich Vorbereitungen treffen mußte, ich mußte sie töten. Und doch liebte ich sie auch jetzt noch, wie noch nie ein Mann eine frau geliebt hat – mit jeder Faser, blind – und sogar in diesem furchtbaren Moment begehrte ich ihren wunderbaren Leib. Ich dürstete nach ihrer Liebkosung.
Um keinen Skandal im Kollegenkreis zu verursachen, willigt Uniqua ein, mit dem Auszug bis zu den Semesterferien zu warten. Die Zwischenzeit nutzt Magley, um eine Spritze mit Aconitin vorzubereiten, dem Gift des Blauen Eisenhutes. Er tröstet sich damit, daß es zwar eine Obduktion geben wird, aber daß die beteiligten Mediziner, um den Skandal zu vermeiden, über die Erkenntnisse über den Fötus den Mantel des Schweigens breiten werden. Das Nachwort des Archivars Christopher Blayre informiert den Leser darüber, das Professor Magley an einer zweiten Injektion des Pflanzengifts gestorben ist – genau wie Professor Barrowdale, dessen botanische Kenntnisse ausreichten, um seinen Selbstmord als Herzinfarkt aussehen zu lassen.
IV.
Immerhin: ob nun Leopardenpocken oder Affenpocken: immerhin können wir es uns diesmal ersparen, Vorwürfe an unsere phylogenetisch nächste Verwandtschaft im Tierreich zu senden und sie mit dem imaginären Gram über solche biologischen Mißgeschicke verschonen. Oder, wie es Albert Vigoleis Thelen in seinem Gedicht „Affenschande“ formulierte:
Ein Affe saß auf einem Baum
und krault sich den Afterflaum
Mit tiefer Nonchalance.
Doch zu des Tieres Mißgeschick
war, wo sonst Haar ist, schwielendick
die bunte Steißfayence.
Da wöhnt der alte Affe arg,
weil sich ihm hinterlich verbarg
des Leibes ärgste Blöße -
und auch die nackte Innenhand
erweist sich jetzt als Tatbestand
von unverschämter Größe.
Worauf der Affe bitter spricht:
ich bin doch kein Naturmensch nicht!
Man könnt mich konfundieren
mit meiner Rasse Dekadenz,
bekannt als homo sapiens -
das soll mir nicht passieren.
Mit Affenschande ganz bedeckt
fällt er vom Ast und bleibt verreckt
auf seinem Podex liegen.
Die Hände schließen sich zur Faust,
weil es ihm noch im Tode graust,
mit Menschlichem zu trügen.
(Die Titelvignette mit dem Leopardenminister stammt von Stefan Klinkigt, dem für seine freundlich Genehmigung zur Verwendung hiermit ganz herzlich gedankt sei. Thelens Gedicht „Affenschande“ wurde zuerst 1954 in dem Band „Vigolotria,“ Verlag Eugen Diederichs, gedruckt.)
U.E.
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