3. Juni 2019

Arrivebätschi

Es war einmal ein kleines Mädchen, das ward von seinen Eltern Andrea geheißen, aber weil es so quirlig und vorlaut und nervig war, nannte alle Welt es nur "Bätschi". Es kam aus der Krachmacherstraße in Irgendwo; leider stammte es nicht aus Schweden, wo quirlige Anarchistinnen sonst gern herkommen, und es hatte auch keinen NeSüdseekönig als Papa, sondern stammte aus der Vulkaneifel, was vielleicht ihr explosives Temperament erklären könnte (später, nach vielen Jahren, erklärte sie einem Interviewer auf die Frage, ob die "Frankfurter Schule" sie beeinflußt habe: "He? Hallo? Ich habe eine Schule in der Eifel besucht!").

All das konnte sie nicht verwinden und trat der SPD bei. Auf die Frage, inwieweit ihr Denken von der Frankfurter Schule beeinflusst wurde, retournierte sie einst: “Hey hallo! Ich habe eine Schule in der Eifel besucht.” Andrea Nahles gilt als Ziehtochter der großen rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten Kurt Beck und Rudolf Scharping. Bis heute unverkennbar, die Mixtur aus Bär und Ziege.



Immerhin erhielt sie in Schweden, dem alten Wunderland der Sozialdemokratie, das Kainsmal der Blitznarbe auf der Stirn, als sie mit 18 die Kontrolle über das ihr anvertraute Fahrzeug verlor (im Rückblick zeigt sich hier die Ironie, mit der die Nornen den ihr zugemessenen Schicksalsfaden einfädelten) - auch ihr ward Großes bestimmt in einem Bereich, in dem die Naturgesetze und die Logik aufgehoben sind und die Magie des Symbolischen Berge versetzen und dämonische Bösewichte bekämpfen kann: mangels eines reellen Hogwarts ward nun die Politik ihr Schicksal.

Zuvor aber trieb sie allerlei Allotria, doch immer mit weiser Sicht darauf, daß es brauchen könne, was es gelernt hat, wie Johanna Spyri es für ein anderes Mädel aus wilder Berggegend formuliert. So las sie allerhand Perry-Rhodan-Hefte (in deren Mittelpunkt bekanntlich der "Erbe des Universums" steht; ohne daß er bis heute Erbschaftssteuer dafür zahlen mußte) und berichtete darüber:

Ich bin bei den Jusos sehr dafür angegriffen worden, daß ich auch mal was ganz anderes mache: Ich bin z.B. auf eine Science-Fiction-Convention gegangen, da waren rund 400 Perry-Rhodan-Fans. Ich habe mit denen über das Frauenbild bei Perry Rhodan diskutiert und sie ordentlich angegriffen, weil ich gesagt habe: die sind entweder Mutanten oder tot, oder Gespielinnen von Atlan und Perry. Und das ist nicht das, was eine starke Frau repräsentiert. Ich bin nämlich eine, und das gefällt mir nicht. Das hat die schockiert, und die haben ein ganzes Jahr in den Fanzeitschriften darüber geredet
Als aber die kleine Andrea nach zwanzig Semestern Germanistik-Studium (1989 bis 1999) endlich mit dem vorbildich gegenderten Titel einer Magistra an der Universität Bonn belohnt wurde, begehrten ihre Altvorderen den Titel ihrer Arbeit zu erfahren. "Die Funktion von Katastrophen im Serien-Liebesroman!" - "Aber Kind! Was willst du damit anfangen? Ist das nicht völlig wirklichkeitsfremd und unbrauchbar?" Oh nein, soll sie geantwortet haben: ich werde Chefin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und kann das dort in die Praxis umsetzen! Und so wurde sie denn Chefin des Soziversums.

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Bemühten Scherz beiseite: Der Protokollant hat vor zwei Tagen in den Tiefen des Diskussionsforums zu diesem Netztagebuch, noch bevor Frau N. gestern den Bettel hinwarf und einen Schlußstrich unter ihre politische Karriere zog (ach nein, sagt der Kleine Zyniker: das war einmal, zu Zeiten von Björn Engholm oder Rudolf Scharping: heute bleiben uns solche Gestalten unbeschadet ihres Entfleuchens auf alle Ewigkeit präsent) zwei kleine Gedanken entfaltet, die hiermit noch einmal zu Protokoll gegeben seien; er sieht seine Diagnose durch die laufenden Ereignisse bestätigt - ohne jetzt im Einzelnent die Details seiner Analyse aufzuriefeln:

1. "Die Genossen sind auf der Zielgerade ihrer Selbstdemontage angelangt. Es lohnt nicht mehr, einen Gedanken an ihre nichtvorhandene Zukunft zu wenden. Falls das nach den klaren Anzeichen der infantilen Schulzzugkampa und der Vorsitzenden aus der Villa Kunterbunt noch nicht deutlich gewesen sein sollte. Es reicht, Popcorn einzulagern und das unwürdige, aber zweifelsohne unterhaltsame Schauspiel zu genießen."

2. (Verfertigung des Gedankens beim Sprechen): "Wobei der Kurs der SPD Richtung Wand ja nur ein Symptom der Zerlegung des traditionellen politischen Spektrums in Europa ist, allerdings in seinen Ausprägungen in der SPD ein besonders knalldeutsches. Wir sehen hier gerade querbeet die Zerlegung der alten politischen Konstellationen der Neuzeit, wobei die jeweiligen Parteien ja schon seit der 68er-Zäsur nur dem Namen nach für die Positionen galten, als deren politisch wirkmächtigen Kristallisationen sie mal für Generationen galten. In England sind die Tories, als älteste existierende politische Partei mit 320 Jahren auf dem Buckel, gerade entsorgt worden. Frankreich hat sich mit Macron vom alten politischen Spielfeld, wie es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben war, bis zur Etablierung der Kommunisten im 20. Jahrhundert,  verabschiedet und kennt-keine-Parteien-mehr. Es geht ersichtlich nur noch um Statuserhalt bzw. um die Ausweitung des EU-Status (oder, auf der Seite der "Rechten", der "Nationalisten", der "Populisten", wie immer man die Brexiteers, die Anhänger des Front National, Orbans Parteigänger oder die bundesdeutschen Blauen auch nennen mag: dagegen): also klassischen Machtimperialismus, nicht um die Austarierung widersprüchlicher Impulse innerhalb eines komplexen Gefüges, was der Sinn eines multipolaren Systems wie der Demokratie ist. Liberale Impulse werden in Zukunft allein noch von denen vertreten werden, die es unter dem Fittich des Nationalkonservativen im Werkzeugkasten haben. Dagegen steht der alte sozialistische Kollektivierungsanspruch, nur daß hier "die Menschheit", die mal in Gestalt des Dritten Stands zum utopischen Subjekt erhoben wurde, geschlossen auf die Strafbank verbannt worden ist. Vorerst nur in Gestalt Alter Weißer Männchen; aber da bei utopischen Projekten stets nur der Himmel die Grenze ist, folgt der Rest auch noch nach."

Ein Hegelianer - und der Protokollant ist der erste, der zugibt, daß seine Sicht auf die Kräfte, die Vorgänge, die sich im Zerfall der alten politischen Ordnung und in der Neuordnung hier mehr als nur schemenhaft abzeichnen, zutiefst hegelianisch grundiert ist - wird darin den Ausdruck, das Zutagetreten veränderter Impulse sehen, die die politische Zukunft des Alten Kontinents auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte bestimmen wird - jedenfalls, soweit die Weichenstellungen der letzten Jahre nicht ein Ende all unserer seit Jahrhunderten gewachsenen politischen Traditionen und Lager darstellen: Sollten der Ökowahn, der grüne Utopismus zu eine nachhaltigen Zerstörung unseres Wohlstands führen, die ersichtlichen Dekadenz und Erschöpfung ungebremst weiter fortschreiten in der gnadenlosen Zersetzung aller gesellschaftlichen Rückhalte, sollte es gar zu einer Staffelübergabe an eine totalitär grundierte, nichtreformierbare Ideologie im Gewand einer unhinterfragbaren Religion (und damit ist nicht der "rechtspopulistische Nationalismus" gemeint): dann gilt: all bets are off. Solange das "alte Schauspiel der Schatten auf der Mauer der Jahrhunderte" (um den Auftakt von Victor Hugos Epos La legende des siècles anklingen zu lassen) sich aber, wenn auch in matter, blasser Form, noch fortschleppt, steht für der nächste Jahrzehnt, wahrscheinlich aber schon innerhalb der nächsten fünf Jahre, auch bei uns eine komplette Neujustierung des politischen Gegensatzpaare ins Haus: Eine Selbstzerlegung der beiden "klassischen" bundesrepublikanischen Großgewichte: der Sozialdemokratie, die gerade vor unseren Augen stattfindet, und etwas zeitversetzt der Christdemokraten, sobald die eiserne Klamme, die die Gegenwart von Frau Merkel darstellt, einmal wegfällt - egal, ob sie ihr unseliges Treiben als Symbolfigur auf EU oder UN-Bühne fortsetzt oder als Politrentnerin ihr Dasein im Herrgottswinkel der Uckermark zubringt - zu sehr hat sich die CDU zur reinen Echokammer dieser Frau gemacht, zu sehr all ihrer blinden Fehlentscheidungen mitgetragen, deren katastrophale Folgen sich jetzt immer schneller abzeichnen. Dieser CDU das gleiche Schicksal vorauszusagen wie der italienischen Democrazia Cristiana nach dem Abgang Giolio Andreotti vor einem Vierteljahrhundert, und zwar in Monatsfrist, sobald Frau Merkel das Szepter aus der Hand gegeben hat, ist keine prophetische Leistung.

Es zeichnet sich jetzt schon deutlich ab, daß sich der Lagerantagonismus in Deutschland alsbald auf ein Grünes, utopisch-weltrettendes, "progressistisches", jeglicher Spielart des Alarmismus und der grassierenden unmündigen Infantilität frönendes Lager reduzieren wird, dem ein national-konservatives als Widerpart gegenüberstehen wird, das sich - hoffentlich - die Tugenden des Pragmatismus (also der Kunst des Machbaren, des unter den gegebenen Umständen und Mitteln überhaupt Erreichbaren), der Aufklärung und des über Jahrhunderte Bewährten zu eigen macht. Beide Pole werden die Residuen etwa der Liberalismus (der in Deutschland nie wirklich eine Heimstatt hatte) wie auch der rot-roten "Träumereien an sozialistischen Kaminen" (also jener Ex-SED-Ostalgiker, die heilfroh sein dürften, daß ihr Arbeiterparadies zu Staub zerfallen ist und sie ihr Sowohl-als-Auch des Beschwörens alter Illusionen wie des ungefährdeten Genießens politischer Pfründe unter den Auspizien einer tatsächlichen, wenn auch stets mehr gefährdeten FDGO genießen zu können) in sich aufsaugen: als eigenständiges politisches Lager dürfte ihnen keine Zukunft beschert sein.

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Nachtrag: Und während ich dies schreibe, stellt Hadmut Danisch unter der Überschrift "Antifa, Polizeidaten und Geheimdienst-Informationen" die Frage:

Fällt noch irgendwem irgendetwas ein, von dem man erwarten könnte, dass es noch 5 oder 10 Jahre zuverlässig funktionieren würde?

Antwort:
Nein. Nichts. Überhaupt nichts.






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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.