15. Februar 2018

SpaceX: "There's a starman waiting in the sky..."



(Bildquelle: NASA: Astronomy Picture of the Day, APOD Nr. 1802, 10. Februar 2018)

... He'd like to come and meet us
But he thinks he'd blow our minds
There's a starman waiting in the sky
He's told us not to blow it
Cause he knows it's all worthwhile

Nach einiger Überlegung habe ich mich entschlossen, meinen fragmentarischen Post aus der vorigen Woche anläßlich des Teststarts der prospektiven Mondrakete Falcon Heavy von der "Mondstartrampe" 39A in Cape Canaveral in seinem improvisierten Zustand zu belassen, als Dokument eines Moments, der die Geschichte der Raumfahrt verändern wird, und nur einige kurze Bemerkungen als Coda hinzuzufügen. Natürlich ist so etwas nichts als ein Publicity stunt, eine nette, überraschende symbolische Geste. Aber mit welchem Stil! Normalerweise werden Erststarts von neuen Trägerraketen ohne Nutzlast durchgeführt - sie dienen allein dazu, zu testen, ob das Zusammenspiel der Komponenten funktioniert, ob die Belastungen beim Start die Planspiele auf dem Reißbrett übersteigen; ob nicht durch das Zusammenspiel der einzelnen Baugruppen deletorische Synergieeffekte auftreten. Auch Elon Musk war sich keineswegs des Gelingens sicher, als er im Vorfeld im Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender  CNN ankündigte: "Whether the rocket succeeds or fails, it's gonna be exciting. People are coming from all around the world to see what will either be a great rocket launch, or the best fireworks display they've ever seen."  

Daß solche Teststarts als Feuerwerk enden, hat die Geschichte der Raumfahrt der letzten sechzig Jahre gezeigt. Unvergessen in den USA der fehlgeschlagene Versuch, überhastet nach dem "Sputnik-Schock" vom 4. Oktober 1957 und dem erfolgreichen Start des zweiten Erdsatelliten einen Monat später mit der Hündin Laika an Bord (daß sie kurz nach dem Start an einem Hitzschlag starb, weil die Reibungswärme der Atmosphäre, die die kleine improvisierte Raumkapsel auf über 60 Grad aufgeheizt hatte, nicht abgeführt werden konnte, erfuhr die Weltöffentlichkeit erst mit der Öffnung der Archive nach dem Ende der Sowjetunion), ihrerseits, ausgerechnet am Nikolaustag, dem 6. Dezember 1957, einen Satelliten in die Umlaufbahn zu befördern. Daß der Start(versuch) landesweit zur besten Sendezeit live im Fernsehen übertragen wurde, war ein Ausweis der offenen Kommunikation des Westens (im Gegensatz zur Geheimniskrämerei des Ostblocks), führte aber nach dem unrühmlichen Ende der Vanguard TV3 umgehend zu Kommentaren  wie "Sputnik ... Muttnik ... Kaputtnik!"


  

Auch der Erststart der Ariane 5 von Kourou am 4. Juni 1996 endete nach 40 Sekunden in einem Feuerwerk, als der Treibstoff der zweiten Stufe infolge der unerwartet hoch ausfallenden Vibrationen ungebremst hochzuschwappen begann und der Rakete eine tödliche Unwucht verlieh. Die ESA war sich ihres Erfolg so sicher gewesen, daß sie als Nutzlast die vier Satelliten der Cluster-Mission an Bord genommen hatte, die im Formationsflug als Tetraeder in der niedrigen Erdumlaufbahn das Schwerefeld unseres Heimatplaneten kartieren sollten (die sich infolge von dessen Abweichungen verändernden Abstände sollten durch die veränderte Laufzeit von Laserstrahlen ermittelt werden).



Elon Musk selbst hat im September eine "Blooper Reel" veröffentlicht, eine Kompilation spektakulärer Explosionen, die im Zuge der Entwicklung der Falcon 9 vorgekommen sind, also jener Booster, die als wiederverwendbare Erststufen senkrecht landen und die Kosten der Raketenstarts erheblich senken. Die Startkosten einer Falcon 9 in den Erdorbit belaufen sich auf gut 30 Millionen US-Dollar; die einer Falcon Heavy, die immerhin 63,8 Tonen Nutzlast in die niedrige Erdumlaufbahn befördern kann, 26,7 Tonnen bis zum Mond und 16,3 Tonnen bis zum Mars auf 90 Millionen. Das seit 2012 von der amerikanischen Weltraumbehörde NASA geplante SLS, das "Space Launch System", das seit dem Auslaufen des Shuttle-Programms 2011 erstmals wieder Zubringerdienste zur Internationalen Raumstation ISS übernehmen soll und wieder Astronauten in die Erdumlaufbahn, und darüber hinaus, befördern soll, wird mittlerweile auf gut eine halbe Milliarde Dollar pro Start taxiert.



Ganz reibungslos ist auch der Pionierstart der vorigen Woche nicht abgelaufen. Neben der Bildbuchlandung der beiden seitlichen Erststufenkomponenten in Tandem auf der Landefläche in Cape Canaveral - jeweils einer wiederverwendeten, schon einmal gestarteten Erststufe der Falcon 9 - schlug das Aufsetzen der mittleren Komponente auf der unbemannten schwimmenden Landeplattform Of Course I Still Love You spektakulär fehl: beim "Rücksturz zur Erde" wird der freie Fall der (immer leichter werdenden) Raketenstufen aus rund 90 bis 100 Kilometern Höhe, deren Startgewicht zu neun Zehnteln aus Treibstoff besteht, durch drei Neu-Zündungen der Haupttriebwerke abgebremst; zum einen in gut 45 Kilometern Höhe, zum anderen ab einer Höhe von gut 5 Kilometern, wo der Fall von der knapp dreifachen Schallgeschwindigkeit auf knapp unter Mach eins vermindert wird, und auf den letzten anderthalb Kilometern bis zum Boden; bei der Falcon 9 werden dafür drei der jeweils neun Merlin-Brennkammern gezündet; im Fall der Kernstufe hat vor neun Tagen nur ein Triebwerk gezündet, so daß die Stufe am Ende mit einer Geschwindigkeit von 500 Stundenkilometern einige hundert Meter vor der Plattform auf die Wasseroberfläche aufschlug und der resultierende Wellenschlag zwei der vier Antriebe beschädigte. Nach der ersten Analyse von Elon Musk auf der Pressekonferenz dürfte die Ursache in einem Ausfall des flüssigen TEA-TEB-Zünders gelegen haben. TEA steht für Triethylaluminium, TEB für Triethylboran; beine Flüssigkeit finden, im Verhältnis 1:10 gemischt, in der Raumfahrt Anwendung, um den Flüssigtreibstoff zur Reaktion zu bringen (viele Flüssigkeitsraketen verwenden die Knallgasreaktion, bei dem Wasserstoff und Sauerstoff miteinander reagieren; seit einigen Jahrzehnten findet allerdings speziell aufbereitetes Kerosin anstelle des Wasserstoffs Anwendung aufgrund der höheren Energieausbeute). TEA-TEB ist ein chemisches Teufelszeug, daß in Stickstoff zu lagern ist; beim Kontakt mit Sauerstoff setzt die themrische Reaktion automatisch ein. Die NASA hat es zuerst für die Neuzündungen der Saturnraketen der Mondlandungen des Apollo-Programms verwendet sowie für die Triebwerke des LEM (des Lunar Excursion Modules), der Mondfähren. Man wollte sichergehen, daß der Start von der Mondoberfläche auf jeden Fall eingeleitet werden konnte, und sich nicht vielleicht ein elektrischer Draht gelockert hatte (viele Raketen verwenden elektrische Zündungen anstelle chemischer. Es gilt allerdings zu bedenken, daß die Falcon-Stufen mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit, mit den offenen Brennkammern voraus, in die tieferen Schichten der Atmosphäre eintauchen und der Innendruck, unter dem die Zündung erfolgen muß, entsprechend hoch ist). Wer sich übrigens fragt, warum die beiden Landeplattformen von SpaceX solche bizarre Namen aufweisen (Just Read the Instructions im Fall der vor der Vandenberg Air Force Base an der Pazifikküste stationierten): hier handelt es sich um Zitate auf die SF-Romane des schottischen Autors Iain M. Banks (1954-2013), in dessen "Culture"-Zyklus die gigantischen, intelligenten Raumschiffe des Sternenreichs der fernen Zukunft noch einer viel bizarreren Nomaklatur unterliegen. In diesem speziellen Fall finden sich beide Namen im zweiten Band des Zyklus, The Player of Games von 1988.

Welches ist nun die Sonnenumlaufbahn von Musks kleinem Elektroroadster? Gemäß der Kalkulation von David Sims (auf Reddit) sehen die Bahndaten von "Elon's Roadster" (den die NASA unter die Liste der von ihre verfolgten Himmelobjekte mit der Nummer 143205 auflistet), wie folgt aus:

Here's the final heliocentric orbit of Elon's Roadster/Starman, using data from NASA/JPL Horizons, where its object ID is [-143205].
Keplerian orbital elements
Elon's Roadster
Epoch: 6 April 2018
a = 1.326427 AU
e = 0.256580
i = 1.052577°
Ω = 317.118857°
ω = 177.454188°
T = 2458153.505755 JD
The orbit diagram that Elon Musk tweeted on 7 February 2018 was incorrect. He might have done a conservation of energy calculation wrong and arrived at an overly high value for the Tesla Roadster's hyperbolic excess speed, relative to Earth.
https://ssd.jpl.nasa.gov/horizons.cgi#top
Earth's gravity is still slowing the speed of Elon's Roadster, so don't take the present (early February) heliocentric state vector as predictive of the final heliocentric orbit. I picked a time two months from launch to read off the orbital elements.
Elon's Roadster will have an aphelion distance of 1.6667 AU, a perihelion distance of 0.9861 AU, and an orbital period of 558 days. When the roadster is at the part of its orbit that is closest to the sun, it will be just a little inside Earth's orbit. When the roadster is at the part of its orbit that is furthest from the sun, it will be a little outside Mars' orbit.
However, it won't be so far as the asteroid belt.
Ephemeris with observer at the Earth-moon barycenter.
Date , distance from Earth , right ascension , declination
01 April 2018 , 0.10695 AU , 14h 07m 10s , −22° 29' 24"
... → 3.5° N of π Hydrae, leaving Hydra for Virgo
15 April 2018 , 0.14468 AU , 13h 49m 28s , −19° 37' 26"
01 May 2018 , 0.20478 AU , 13h 37m 58s , −16° 48' 01"
15 May 2018 , 0.27516 AU , 13h 37m 45s , −15° 21' 50"
01 June 2018 , 0.38324 AU , 13h 48m 04s , −14° 57' 25"
... → Turns prograde in apparent celestial motion just SE of Spica
The orbits of the roadster and Mars almost intersect at heliocentric ecliptic longitude 262.5°. This means that the roadster can make a fairly near pass by Mars, though usually when Mars reaches that near-intersection point the roadster will be at some other part of its orbit, and vice versa.
On the other hand, Elon's Roadster will pass Mars at a distance of 0.050271 AU on 7 October 2020. And on 22 Apr 2035, Elon's Roadster will pass Mars at a distance of 0.016056 AU. So Starman will occasionally be within waving distance of Mars.



Eine weitere Bahnberechnung wurde vor zwei Tagen auf der akademischen Dokumentarseite ArXiv als Vorabdruck einer kommenden Publikation in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society eingestellt, von Hanno Rein, Daniel Tamayo und David Vokrouhlický unter dem hübschen Titel  "The random walk of cars and their collision probabilities with planets" (hier), die zu dem Schluß kommen: "By running a large ensemble of calculations with slightly perturbed initial conditions, we estimate the probability of a collsion with Earth and Venus over the next one million years to be 6% and 2.5%, respectively. We estimate the dynamical lifetime of the Tesla to be a few tens of millions of years."

Die Referenzen im Treiben von SpaceX an die Science Fiction der ludischeren Spielart klangen schon an. Im Handschuhfach des kleinen Automobils befindet sich übrigens ein kleiner Datenträger der neuesten Kompaktbauweise, auf dem neben zahllosen anderen Daten die Bände der "Foundation"-Serie von Isaac Asimov gespeichert sind. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere der wirklich alten Leser des Genres an jene Serie von Erzählungen aus dessen Urzeiten als eigenständige Sparte, Neil R. Jones' "Professor Jameson"-Stories, deren erste, "The Jameson Satellite", im Juli 1931 im Magazin Wonder Stories veröffentlicht, mit der Auffindung des Helden, der sich nach seinem Tod behufs Bewahrung in der eisigen Weltraumkälte in eine Erdumlaufbahn hat schießen lassen, durch besuchsweise vorbeischauende außerirdische Automatenwesen und seine Wiederbelebung in einem Roboterkörper. Mit Starman, dem leeren, an den Fahrersitz angenähten Raumanzug an Bord des Tesla, würden sie freilich eine Überraschung erleben. Sei's drum: hier werden, unerwartet, aber zu den alten Projektionen für das "21. Jahrhundert" passend, die jene alten Weltraumscharteken auszeichnete, wirklich einmal jene schrägen, aber inspirierenden Bilder erzeugt, die einen Großteils der Rezipientenspaßes an jenem Genre einmal ausmachte. (Hinter dem Pseudonym "Calvin M. Knox" verbirgt sich übrigens Robert Silverberg; es war in jenen Jahren nicht ungewöhnlich, daß die Zeichner bzw. Maler für solche Magazine ein ungewöhnliches Motiv beim Verleger einreichten und dieser einen bewährten Autor bat, doch bitte eine halbwegs plausible Münchhausiade darum herum zu erfinden. So auch in diesem Fall. Wer herausfinden möchte, wie sich der Autor dieser Denksportaufgabe gestellt hat, findet das Resultat als letzte Erzählung im ersten der neun Bände seiner Gesammelten Erzählungen, To Be Continued, Subterranean Press, 2006.)


Der weitere Startfahrplan für SpaceX ist jedenfalls beeindruckend: vorgesehen sind, nach dem jetzigen Stand, folgende Starts in den kommenden Monaten:

17. Febr. - Falcon 9 - Paz
25. Febr. - Hispasat 30W-6
Am 18. März soll die nächste Tranche der neuen Iridium-Satelliten  (Iridium Next 41-50) folgen
20. März - TESS (Transiting Expoplanet Survey Satellite)
- des weiteren im März: Bangabadhu 1 (Kommunikationssatellit für Bangladesch)
am 2. April - CRS 14, die 14. Dragon-Versorgungskapsel zur ISS
April - SES 12
14. April - die Iridium Next-Satelliten 51 bis 55 und die GRACE Follow-On-Missoin, gemeinsam von der NASA und der GFZ des Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam betrieben.
im Juni ein weiter Falcon Heavy-Start (mit Nutzlast: STP-2, dem recht kryptisch benannten Space Test Program 2 der amerikanischen Air Force)
am 9. Juni - CRS 15, als 15. Versorgungsflug zur ISS
im August - Crew Dragon Demo 1 als erster Test der bemannten Version der Dragon-Raumkapsel
und im September - GPS 3-01



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Ulrich Elkmann

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