4. Februar 2018

邓丽君 / Dèng Lìjūn / Teresa Teng

Der Sonntag den Künsten!



In der westlichen Pop- und Rockmusik gibt es das Phänomen des "Club 27" - jene Stars und Monstres sacrés des ungezügelten Lebens, die in diesem Alter von der irdischen Bühne abgetreten sind  Brian Jones, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin - zuletzt Kurt Cobain und Amy Winehouse (der erste im Reigen dieses Danse Macabre war übrigens 1938 Robert Johnson, später zur Legende gewordener Bluessänger, dessen ihm angedichtete Dämonie womöglich zur unfokussierten Legendenbildung um dieses zufällige Alter beigetragen hat). Im Chinesischen dürfte ein Pendant dazu der Monat Januar sein,  die Zeit, in die viele Geburts- oder Todestage derer fallen, die viel zu früh von uns gegangen sind, etwa von 鳳飛飛, Fong Fei Fei, am 3. Januar 2012 im Alter von nur 58 Jahren gestorben, der "Sängerin mit den 600 Hüten" - dme Kennzeichen jedes ihrer Auftritte, oder  陈琳, Chen Lin, die am 31. Januar 2018 48 Jahre alt geworden.


Chen Li zählte zu den großen Stars der neunziger Jahre in der Volksrepublik China, als das Genre nach dem Wegfall der Zensurbeschränkungen und der Ideologiegetriebenheit richtig aufblühte. Sie hat insgesamt 7 Alben veröffentlicht, hat aber die Belastungen, die das Leben als überall bekannter Star und öffentliche Figur mit sich bringt, wohl nicht ertragen. 2008 wurde sie offiziell zur "Grünen Botschafterin" der chinesischen Umweltschutzbehörde ernannt. Am 31. Oktober 2009 hat sie sich durch einen Sprung aus ihrer Pekinger Wohnung im 6. Stock das Leben genommen; ihre Freunde habe berichtet; daß sie in den letzten Monaten ihres Lebens sehr unter Depressionen gelitten hat.

In den Januar fällt auch das Geburtsdatum der wohl berühmtesten Popsängerin Chinas, 邓丽君, in der Sinosphäre jedermann als  Dèng Lìjūn geläufig und bei uns bekannt als Teresa Teng, die am vergangenen Montag, den 29. Januar, ihren 65. Geburtstag hätte feiern können. Die Suchmaschine Google hat ihr aus diesem Anlaß sogar eines ihrer Doodles (sh. oben) gewidmet - freilich nicht bei uns, falls Sie sich fragen, warum Ihnen diese Reminiszenz am Wochenanfang entgangen sein sollte, dafür aber neben Australien und Neuseeland bei uns in der Alten Welt in Schweden und in Island.

Manchen Sängern werden mitunter (zum Teil von ihnen selbst) nachgerade Wunderdinge angedichtet: ihre Musik habe den "Soundtrack einer Zeit" geliefert, sei zum akustischen Signum einer (mehr oder weniger großen) Veränderung geworden. Für manche Stücke mag man dies sogar gelten lassen: Glenn Millers "In the Mood" ist unzweifelhaft ein solches Stück, das das Ende des Dritten Reiches für unzählige Deutsche garantierte und zum Zeichen für den Aufbruch in die Freiheit, den Westen und den American Way of Life signalisierte. Michael Jackson hat im Umfeld der Promotion seines vorletzten Albums, HIStory von 1995 mehr oder weniger unverblümt für sich in Anspruch genommen, seine Musik habe das Ende des osteuropäischen Kasernensozialismus und den Fall der Berliner Mauer eingeleitet. Ach nein, Jacko, zuviel der Ehre. Aber wenn es jemanden gegeben hat, der einen solchen Anspruch für sich hätte beanspruchen können, wäre es Teresa Teng gewesen. Zu den ersten Reformen Deng Xiaopings, mit denen 1978 das Ende des Maoismus eingeleitet wurde, zählten, neben den ersten zaghaften Wirtschaftsreformen und dem Ende der oktroyierten, alle gleichmachenden Armut (gefaßt in dem Losungsspruch 致富光荣, zhìfù guāngróng - "reich werden ist herrlich!" - obwohl dieses Motto, wie so oft in diesem Bereich, bestenfalls als apokryph gelten kann; es gibt keinen Beleg, daß Deng diesen Satz gesagt oder geschrieben hat) zählten auch die Lockerung der literarischen Zensur (die sich in den Folgejahren in der sogenannten "Narbenliteratur" niederschlugen, der Erinnerung an den Terror der "Kulturrevolution" in den Jahren nach 1967; die Verheerungen des "Großen Sprungs nach vorn" sind hingegen weiterhin eines der großen Tabuthemen der chinesischen Erinnerungskultur; obwohl auch sie schemenhaft im kollektiven Gedächtnis präsent sind) und der Abschottung gegen alle kulturellen Einflüsse aus jener chinesischen Diaspora, die nicht unter die Diktatur der KPC gefallen war: Hongkong, Singapur, und vor allem Taiwan. (Man sollte hier anfügen, daß diese Abschottung, wie in allen solchen Fällen, nie vollständig war. Aber Bücher und Klänge waren klandestines Schmuggelgut, nur in vertrauensvolle Hände weitergegeben und nachts in leisestem Rauschen mit dem Radio am Ohr im Äther belauscht.) Zu den Klängen, die das monotone Einerlei der aufputschenden Marschfanfaren, der strammen Ausrichtungen an den Parteidirektiven, unterbrachen, die hunderten von Millionen eine Ahnung nahebrachten, daß nicht nur der der private Gewinn, die Ungleichheit im wirtschaftlichen Erfolg erlaubt waren, sondern auch das Atemholen, die privaten Leidenschaften und Sehnsüchte, das Nicht-Uniformierte, die Melancholie ebenso wie die reine Lebensfreude - dazu gehörten die Lieder Teresa Tengs. Wie nichts anderes verkörperten sie diese neue Freiheit - noch nicht im täglich gelebten Leben, das weiterhin von den Strikturen der "blauen Ameisen" geprägt war, aber in den Nischen, nach Feierabend, im Rückzugsraum des Privaten. Ausdruck fand das in der damals sprichwörtlich gewordenen Redewendung "Am Tag beherrscht der alte Deng China, und nachts die kleine Deng" (eine Anspielung auf die Aussprachevariante ihres Namens mit der Anlauterweichung, die das Mandarin im Laufe der Jahrhunderte gegenüber dem Kantonesischen durchlaufen hat, das den Lautstand des Wenjan, des "klassischen Chinesisch" weitgehend bewahrt hat.) Versuche, ihre Musik in den Jahren 1979 und 1980 zu zensieren, waren von vornherein zum Scheitern verurteilt: zuviele Mitschnitte auf Tonbandkassetten kursierten und wurden in Restaurants, Nachtklubs und selbst Parteibüros gespielt. Steve Tsang hat an diese Episode als bezeichnend für die Macht der niederschwelligeren Einflüsse jenseits der Tagespolitik und der harten Wirtschaftsdaten in dem von ihm herausgegebenen Band Taiwan's Impact on China: Why Soft Power Matters More than Economic or Political Inputs (London: Palgrave Macmillan, Februar 2017) erinnert. Seit jener Zeit ist diese Art der Populärmusik auf dem Festland als 港臺, Gǎng Tái bekannt: benannt nach einer Kontraktion  des gǎng/gong für Hong Kong und des Tái für Taiwan.

Vielleicht wird sich der eine oder andere Leser (falls es sie in dieser Musikalienabteilung noch gibt)  dieser doch nun zum Musikblog mutierten Sonntagsecke dieses Netztagebuchs gefragt haben, warum an dieser Stelle bislang kein Hinweis auf Teresa Teng zu finden war. Der Grund ist schlicht: de gustibus. Wenn ich chinesische Musik vorstelle, dann nicht um einer Chronistenpflicht oder einer Vollständigkeit zu frönen, sondern rein einem hedonistischen Pläsier: dem privaten Vergnügen, der Freude an Texten und Melodien, die mich unmittelbar ansprechen, die etwas zum klingen bringen - genau wie in jeder anderen Musikbranche auch. Jenes unmittelbare Etwas, das sich kaum beschreiben läßt, aber unmittelbar präsent ist (es macht die kritische Vermittlung von Musik, durch reine Beschreibung, so ungeheuer schwer: man kann versuchen zu beschreiben, welche Facetten einer Interpretation gelungen erscheinen, worauf man beim Zuhören achten sollte - aber WARUM einen bestimmte Stücke ansprechen, was die Banalität anderer ausmacht, das erschließt sich nur durch den unmittelbaren Höreindruck. Auch in dieser Hinsicht hat das größte Musikarchiv der Menschheitsgeschichte - YouTube - einen unschätzbaren Dienst für das kulturelle Gedächtnis der Menschheit geleistet: all diese Klänge sind nur noch einen Mausklick entfernt, und wenn sie bislang unbekannt waren, dann bedarf es nur des Hinweises auf sie und die Bereitschaft, sich für einige Minuten Lebenszeit darauf einzulassen.) Und Teresa Tengs Lieder haben, leider, nur sehr selten, jenes gewisse Etwas, das so viele andere Stücke des Cantopop, des Mandopop, des Shidaiqu auszeichnet: sie haben nette Melodien, sie sind mit großer Freunde und Können gesungen, aber bis auf wenige Ausnahmen fehlt ihnen der Funke; oft, so könnte man es despektierlich ausdrücken, scheinen sie schlichte Schlager vom Fließband. Vielleicht tut man Teresa Teng - gerade auch, was ihre Popularität im Tandem mit ihrem Vortragsstil betrifft - nicht völlig Unrecht, wenn man sie als chinesisches Pendant avant la lettre zu Helene Fischer bezeichnet. (Auch Frau Fischer hat ein zahlreiches Publikum, auch über ihre Musik sollte man sich nicht dünkelhaft erheben - aber ein Ewigkeitswert ist ihrer Musik wohl nicht eingeschrieben.) 

Sei es drum. Einer des bekanntesten Lieder Teresa Tengs - ihr akustisches Markenzeichen sozusagen - ist 月亮代表我的心, Yuèliàng dàibiǎo wǒ de xīn, "Der Mond steht für mein Herz". Sie war nicht die erste Interpretin dieses Stücks, das 1972 von 翁清溪 (Weng Qingqi) zu einem Text von 孫儀 (Sun Yi) entstand. Auf Schallplatte erschien das Stück 1973 zweimal, zum einen auf der im Mai erschienenen LP 夢鄉, Mèngxiāng ("Traumland") von 陳芬蘭, Chen Fenlan und im November auf einer nach dem Stück betitelten LP von 劉冠霖, Liu Guanlin. Zum großen Hit zunächst in Taiwan und danach eben auch auf dem Festland wurde das Stück, nachdem Teresa Teng es für ihre im August 1977 auf Hong Kong Polygram erschienene LP 島國之情歌第四集-香港之戀 ("Liebeslieder für die Insel, Teil 4: Liebe in Hong Kong") aufegonnem hatte.



你问我爱你有多深
我爱你有几分
我的情也真
我的爱也真
月亮代表我的心

你问我爱你有多深
我爱你有几分
我的情不移
我的爱不变
月亮代表我的心

轻轻的一个吻
已经打动我的心
深深的一段情
叫我思念到如今

你问我爱你有多深
我爱你有几分
你去想一想
你去看一看
月亮代表我的心

轻轻的一个吻
已经打动我的心
深深的一段情
叫我思念到如今


Du fragst mich, wie tief meine Liebe für dich ist
Ich liebe dich über alles.
Mein Gefühl ist echt
Und meine Liebe ist wahr.
Der Mond steht für mein Herz.

Du fragst mich, wie tief meine Liebe für dich ist
Ich liebe dich über alles.
Mein Gefühle schwanken nicht
Meine Liebe wird sich nie ändern.
Der Mond steht für mein Herz.

Refrain:
Ein sanfter Kuß
reicht, um mein Herz zu bewegen
Eine Zeit tiefer Liebe
Hält mich bis heute in Bann.

Du fragst mich, wie tief meine Liebe für dich ist
Ich liebe dich über alles.
Warum denkst du nicht darüber nach?
Warum siehst du das nicht?
Der Mond ist ein Bild meines Herzens.

Du fragst mich, wie tief meine Liebe für dich ist
Ich liebe dich über alles.
Warum denkst du nicht darüber nach?
Warum siehst du das nicht?
Der Mond steht für mein Herz.

Teresa Teng, am 29. Januar 1953 in Baozhong im Bezirk Yunlin auf Taiwan geboren, war so etwas wie ein taiwanischer Kinderstar. Ihren ersten Plattenvertrag (für Yeu Jow Records) erhielt sie 1967, nachdem sie einen Gesangswettbewerb im Fernsehen gewonnen hatte. Eindruck machte vor allem ihr unkomplizierter, fast naiver Vortragsstil und ihre klare Stimme (der Liedermacher Tsuo-Hung Yun beschrieb sie als "sieben Teile Süße, gemischt mit drei Teilen Tränen"). Selbst im Vergleich zu anderen chinesischen Popsängerinnen, deren Werkverzeichnis beeindruckend ist, ragt das ihre heraus: von unzähligen Komplationen, Best-of-Zusammenstellungen abgesehen umfaßt ihr Werk um die 70 Langspielplatten (auf Mandarin allein 18 Alben für Yeu Jow Records zwischen 1967 und 1971; 4 LPs für Han Shan Records (bis heute das größte Studio Taiwans) von 1971 bis 75, 11 Alben für Life Records, 1971-76 und 16 Alben für Kolin/Polygram, 1975-87. Ab 1973 begann sie mit Aufnahmen auf Japanisch; zwischen 1974 und 1981 erschienen 11 japanische Alben bei Polygram, und zwischen 1983 und 1991 acht weitere auf dem Label Taurus Records. Apropos Polyglossie (im Bereich der Populärmusik kein ganz unbekanntes Phänomen):  Teresa Teng dürfte übrigens zu den Popstars zählen, die Aufnahmen in der größten Zahl von Sprachen gemacht haben. Neben Mandarin und Kantonesisch hat sie Lieder in Hokkien gesungen (das ist eine Sprache/variante des Chinesischen, die im Norden Taiwans und direkt gegenüber auf dem Festland verbreitet ist), in Japanisch, in Koreanisch, Malayisch, Vietnamesisch, und Englisch. Hier ein kleines Video als Erweis:



Die Sprachen in Reihenfolge: Mandarin, Englisch, Italienisch, Hokkien ("Taiwanese"), Kantonesisch, Japanisch, Malayisch.

Teresa Tengs tragischer, viel zu früher Tod im Alter von nur 42 Jahren in thailändischen Ferienort Chiang Mai war die Folge eines schweren Asthmaanfalls, während ihr Lebenspartner, Paul Quilery, den sie im August hätte heiraten wollen, gerade Einkäufe erledigte und ihr keine Hilfe leisten konnte - sie hatte zeitlebens darunter gelitten.

Und natürlich gilt das oben gesagte - daß der Funke zumeist nicht überspringt - nicht flächendeckend. Man ist es eben doch der Fall, wie etwa bei 淚的小雨,  lèi de xiǎoyǔ ("Tränen des Regens"; genauer: des leichten/des Nieselregens, des "kleinen" 小) aus dem Jahr 1969 (die Mandarin-Coverversion des japanischen Songs 長崎は今日も雨だった aus dem gleichen Jahr).



Aus dem Jahr 1972: 我要咖啡, wǒ yào kāfēi ("Ich möchte Kaffee"):


Oder dies: 月兒像檸檬 von 1970 Yuè er xiàng níngméng, "Ein Mond wie eine Zitrone", wo deutlich wie, wie sehr auch eine solche banalen Stückchen mit ihrer Inszenierung stehen und fallen (die flirrende Hammondorgel trägt das Liedchen durch die Untiefen des Textes):


Oder, ein persönlicher Favorit,  昨夜星辰 zuóyè xīngchén ("Die Sterne von letzter Nacht") - ein Erweis, neben J.J.Cales "Call Me the Breeze", daß eine schlichte Drum-Machine, richtig eingesetzt, einem Stück einen ganz eigenen Flair verleihen kann. 

















Ulrich Elkmann

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