10. Februar 2018

"Neue Hymnen braucht das Land." Liebe SPD...

... liebe Parteimitglieder, liebe Genossinnengenossen, liebe Ls, Bs, Qs., liebe Trans- und Cis-, liebe Von und Zus, liebe Unerschlossene, liebe Entsprungene und Fassungslose, liebe Neuzugänge und Altkader: aus Anlaß der aktuellen Entwicklung und der fünften Jahreszeit, da der Matto regiert und die demnächst nach dem Willen des EU-Politbüros die ganzjährige Sommerzeit ablösen wird, wird es Zeit, uns auf unsere alten Traditionen zu besinnen, aber dabei auch nicht das Neue aus dem Blick zu verlieren. Es ist schön, daß man in der SPD wieder begonnen hat, sich auf das traditionelle Liedgut zu besinnen ("Die Genossen singen wieder die alten Lieder"). Aber, liebe Genossnn'ngenossn, darin spiegelt sich nicht das Neue, das Unerhörte, das die Menschen im Land aufhorchen läßt, ja sie geradezu in den Bann schlägt und unsere Partei an die Spitze einer Entwicklung setzt, der die anderen Parteien unweigerlich folgen werden. Und, seien wir ehrlich: mit alten Gassenhauern wird "Wenn wir schreiten Seit' an Seit'" und "Wir ziehen der Sonne entgegen" wird das heutige Wesen unserer Partei, ihr ureigenstes Lebensgefühl, nicht wirklich getroffen. Zudem sollte zumindest die Melodie einigen anwesenden Genossen geläufig sein. Wir sind ja keine Nationalmannschaft, in der solche Wissenlücken als Zeichen lauterer Gesinnung gelten. "Peinlichkeit und Recht auf Freizeit" könnte so manchem Genossen die Schamröte ins Gesicht treiben, ohne daß es der oder die Betreffende als Begeisterung für die Farbe unserer Partei ("glüh' im Glanze dieses Glückes") rechtfertigen könnte. "Völker leert die Regale" ließe sich als konsumistisches Manifest mißdeuten; "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" von Väterchen Franz könnte nicht gefestigten Glaubensgefährten, die törichterweise Ironie und Subversivität vermuten, wo platte Handlungsanweisungen vorliegen, Anlaß zu Kontaktaufnahme mit blauroten Schmuddelkindern geben. Die "Polonäse Blankenese", die an sich in Melodie wie Text auf das Ausmaß der musischen Befähigungen unserer Partei perfekt zugeschnitten scheint, ist leider angesichts der Zeile "und jetzt geht es weiter, mit ganz großen Schritten"  - welch hervorragendes Motto für unsere Partei! - "und Erwin faßt der Heidi von hinten an die - Schulter" unter progressierendes #MeToo-Verdikt gestellt worden. Reinhard Meys "Was kann schöner sein auf Erden als Politiker zu werden" ist zwar treffgenau, übersteigt aber leider die Merkfähigkeit der meisten Genossen um Lichtjahre, Entschuldung: Megabyte.

Weil ich pleite, faul, gefräßig bin, entscheide ich prompt,
Daß für mich nur ein erholsamer Beruf in Frage kommt.
So komm‘ ich um die Erkenntnis nicht umhin,
Daß ich wohl zum Staatsmann geboren bin,

Etwas Anständiges hab‘ ich Gott sei Dank nicht gelernt,
Hielt mich stets vom rechten Pfad der Tugend entfernt,
Und so steht, wenn ich mir meine Fähigkeiten überleg‘,
Einer Laufbahn als Politiker schon gar nichts mehr im Weg.

Ein Gleiches gilt für das Lied vom Narrenschiff des gleichen Barden:

Das Quecksilber fällt, die Zeichen stehen auf Sturm,
Nur blödes Kichern und Keifen vom Kommandoturm
Und ein dumpfes Mahlen grollt aus der Maschine.
Und rollen und Stampfen und schwere See,
Die Bordkapelle spielt „Humbatäterä“,
Und ein irres Lachen dringt aus der Latrine.
Die Ladung ist faul, die Papiere fingiert,
Die Lenzpumpen leck und die Schotten blockiert,
Die Luken weit offen und alle Alarmglocken läuten.
Die Seen schlagen mannshoch in den Laderaum
Und Elmsfeuer züngeln vom Ladebaum,
Doch keiner an Bord vermag die Zeichen zu deuten!

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken
Und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,
Die Mannschaft lauter meineidige Halunken,
Der Funker zu feig‘ um SOS zu funken.
Klabautermann führt das Narrenschiff
Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff.

Aber, liebe Genossnn'nGnssn, Abhilfe naht. Das folgende Lied, mit leichten Textänderungen an die gegebene Lage unserer geliebten Partei angepaßt, dürfte keinen Zweifel an unserer entschlossenen Gesinnung und dem festen Willen, sie durchzusetzen, lassen. Ich schlage vor, dieses Stück bis zum anstehenden baldigen Untergang zur offiziellen Parteihymne zu küren.

Im Willy-Brandt-Haus spielt ne Rentnerband seit 20 Jahren Dixieland
'Nen Groupie ham' die auch, die heißt Eidan oder so
Und die tanzt auf dem Tisch den Go-Go-Go
Und dann Olaf aus St. Pauli, der alles immer kraus zieht
Und Eva hat Geburtstag und alle trinken darauf
Daß sie mal so alt wird wie sie jetzt schon aussieht.

Und überhaupt ist heut mal wieder alles klar
Auf der Andrea Nahlia.

Thorsten heißt der Typ dort hinten am Klavier
Und für jede Nummer Ragtime kriegt er 'nen Korn und 'nen Bier
Ein Typ namens Heiko zensiert seine Braut
Und Ralf S. denkt er wär' Astronaut
Jetzt kommt noch einer rüber aus der ÖR-Bedröhndiskothek
Und ich glaub', daß unser Dampfer bald untergeht

Doch ansonsten ist heute wieder alles klar
Auf der Andrea Nahlia

Es kommt mal wieder gar nicht so drauf an
Und die Malu träumt von einem Pelikan
Und überhaupt ist alles längst zu spät
Und der Nervenarzt weiß auch nicht mehr, wie's weitergeht.
Aber sonst ist heute wieder alles klar
Auf der Andrea Nahlia





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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.