16. Januar 2018

Kurioses, Kurz Kommentiert. "Feuer und Zorn": Drump gelaufen



Vor genau einer Woche, am 9. Januar 2018,  ist in den USA ein Sachbuch erschienen - nein, dieser Auftakt ist womöglich unter Fake News (oder Alternative Fakten) einzuordnen, da das Verhältnis dieses Textes zur sogenannten Wirklichen Wirklichkeit schon aufgrund seiner Genrezugehörigkeit ein schilldrndes ist. Vor 7 Tagen also erschien im New Yorker Verlag Henry Holt ein "politisches Enthüllungsbuch," eine vermeintliche Chronique scandaleuse der ersten elf Regierungsmonate des amerikanischen Präsidenten, dessen Verlagsankündigung ungeahnte Aufschlüsse und Einblicke versprach und das, nach den gewaltigen Stapeln in den Filialen der großen Buchhandelsketten und dem sofortigen Besetzen der Pole position der Bestsellerlisten zu urteilen, sich jenseits des "Großen Teichs" tatsächlich verkauft wie das sprichwörtliche geschnittene Brot. Das Buch Fire and Fury: Inside the Trump White House des amerikanischen Journalisten Michael Wolf ist, so könnte man meinen, zu jenem Projektil geworden, mit dem der fünfundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten endlich waidwund geschossen, politisch erledigt und aus seiner Position entfernt werden kann. Die auf allen Kanälen betrieben Bewerbung beschränkt sich freilich auf geringe Variationen des Satzes "Trump is worse than we thought." Ein Skeptiker mag an dieser Stelle fragen, wie eine weitere Verschlechterung seines Rufes im Spiegel der Medien, hüben wie drüben des Atlantiks, bitteschön erreicht werden soll angesichts des seit eineinhalb Jahren andauernden Dauerfeuers, der Gehässigkeit, Unterstellungen und schlichten Niederträchtigkeit, mit der seine Amtsführung und vor allem seine Person bedacht wird. Eine Niederträchtigkeit, die in der Geschichte der Massenmedien in der freien Welt wohl noch niemals dagewesen ist. Wer so fragt, verkennt die Natur solcher Propaganda: nicht der Rückblick, die kontinuierliche Steigerung, die Erzeugung eines sich entwickelnden Narrativs gehört zu ihrer Natur, sondern die momentane Wirkung, die schiere Gegenwart. Es erlaubt dieser Art von Suggestivbeschallung, sich chamäleonartig zu wandeln und morgen das glatte Gegenteil von dem zu verkünden, was gestern noch unumstößliche Wahrheit war. Eurasia has always been at war with Oceania.

Bei Licht betrachtet bleibt die Ausbeute dieses Werkes überaus schütter: Berichte über grob pöbelhaftes Verhalten, über angebliches Chaos in der Führung und Verwaltung des Weißen Hauses, einhellige Berichte sämtlicher Betroffenen, die der Autor für sein Buch interviewt haben will, über Verstimmung und sogar Haß auf ihren Arbeitgeber - und all dies stützt sich auf anonyme Aussagen, aus Angst vor Konsequenzen - und auf einige Aussagen von Steve Bannon, Trumps geschaßtem Berater - wobei unser Skeptiker sich fragen könnte, ob die Gelegenheit, hier Rache zu nehmen, der Wahrheitsfindung wohl dienlich gewesen sein dürfte. Nach Auskunft des Weißen Hauses war Wollf nie vor Ort; er war auch nicht dort akkreditiert. Wie dem auch sei: konkrete Vorwürfe, punktgenaue Inkriminationen - wie sie bisherige "Enthüllungsgeschichten" ausgezeichnet haben - etwa jener Vorwurf, Trump habe in Moskauer Hotelzimmern so infantile wie ekelerregende skatologische Exzesse durchgezogen (nein: es handelt sich dabei nicht um Kartenspielen) - hat die Presse dem neuen Anlauf nicht abgewinnen können. Vielleicht ist es ganz nützlich, daran zu erinnern, daß die bisherigen Berichte, angefangen von der angeblichen Manipulation der Präsidentenwahl durch "russische Hacker," über krumme Deals aus seinem Umfeld, ebenfalls mit russischen Magnaten oder Politikern bis zur Unterstellung des Rassismus, sich ausnahmslos als eben jenes erwiesen haben: Unterstellungen ohne Wahrheitsgehalt, als perfide Rufschädigung. Freilich ist dem medialen Dauerfeuer eins gelungen, wie man zugeben muß - mehr auf unserer Seite des Atlantiks als auf der anderen: das Verstellen des Blicks auf die tatsächlichen bisherigen Erfolge seiner Präsidentschaft, auf das Erfüllen seiner Wahlversprechen, auf den geradezu sprachlos machenden Boom, den die amerikanische Wirtschaft in den letzten zwölf Monaten durchgemacht hat (jetzt, als ich dies gerade schreibe, macht sich der Dow Jones zum ersten Mal in seiner Geschichte, anheischig, die Marke von 26.000 zu knacken). Das ohrenbetäubende Lärmen der Medien hat den nüchternen Blick auf die realen Gegebenheiten verstellt.

Neu ist dergleichen nicht: das Genre hat ein beträchtliches Alter auf dem Buckel. Am berüchtigsten war während der ersten Welle dieser Titel La Saxe galante von 1734 von Karl Ludwig von Pöllnitz (1692 bis 1775), aus dem die geneigten Leser alles über alles #MeToo am Hofe August des Starken informiert wurden; ihm vorausgegangen war zwei Generationen vorher 1665 die Histoire amoureuse des Gaules des französischen Adligen Roger de Bussy-Rabutin (1618 bis 1693), die sich zwar in die Form einer Decameron-Nachahmung über das Lotterleben der "nos ancêtres les gaulois" verlarvte, hinter denen aber eindeutig die Züge Ludwig XVI, seiner Minister, seiner Mutter und zahlreicher bekannter Hofdamen erkennbar wurden (um begriffsstutzigeren Lesern auf die Sprünge zu helfen, findet sich in den  - selbstverfreilich klandestinen - Nachdrucken ab 1672 ein aufschlüsselndes Namensverzeichnis beigebunden) Schon Suetons Kaiserviten lebten zum größten Teil von dieser Art von Rufmord (um, unvermeidlich, ins Chinesische hinüberzublenden: auch sämtliche historischen Berichten über die acht bezeugten Kaiserinnen auf dem Drachenthron sind ausschließlich davon geprägt), und mit den beiden Bänden von Kenneth Angers Hollywood Babylon und Albert Goldman "Biographie" John Lennons ist noch noch längst nicht an sein Ende gekommen. Der wohl berühmteste Rufmörder in diesem Panoptikum der Niedertracht hieß übrigens William Shakespeare. Der Ruf seines Opfers, König Richard der Dritte von England, hat sich, allen Rehabilitationsversuchen späterer Historiker zum Trotz, nie mehr davon erholt.

Zu den amüsanten Nebenwirkungen (die es, ja doch, zu vermelden gibt) dieser Causa gehört, daß auch ein anderes Buch zu unverhofften Bestsellerehren gelangt ist: Randall Hansens Geschichte des englischen und amerikanischen Bombenkriegs gegen Deutschland 1942 bis 1945.

Confused readers are buying a military book in droves all because it has a title similar to Michael Wolff’s bombshell “Fire and Fury: Inside the Trump White House,” according to a new report. “It amused me and part of me thought, can people really be that dumb to be confusing these books?” Randall Hanson, the author of “Fire and Fury: The Allied Bombing of Germany, 1942-1945” told the Guardian.
“I haven’t seen this level of interest since the book first came out,” said Hansen. New buyers of Hansen’s book didn’t seem happy with their mistake. [...] Others left unhappy reviews on Amazon. “I don’t see anything about President Trump! I don’t know why the democrats are so happy with this book and making a big deal out of this!” one Amazon user said. (New York Post, 10. Januar: "Confused readers are buying the wrong 'Fire and Fury'")


Weniger spaßig ist der Umstand, daß auch Hansen in Trump nur jenen Popanz zu sehen vermag, der uns auf allen Kanälen jeden Tag aufs neue grüßt: ein kriegslüsterner Wahnsinniger mit einem Atomknopf. (Woran sich die Frage nach seiner Tauglichkeit als Historiker nahtlos anschließt: wer außerstande ist, hinter die Medienfassade zu schauen und das Geschehen um sich nüchtern zu gewichten - wieso sollte ich ihm beim Urteil über Vergangenes auch nur einen Fußbreit weit trauen?) (Und das lähmende Gefühl, sich wie Bill Murray in Punxutawney in Groundhog Day in einem sich täglich unentrinnbar wiederholenden Irrsinn gefangen zu sein, dürfte jedem Medienkonsumenten mittlerweile innig vertraut sein.)
“And we’re talking about that at a moment when we have this warmongering, unstable, deranged demagogue in the White House,” he said. “So that coincidence actually makes me happier than the sales.” (The Guardian, 10. Januar)
(Es mutet wie ein Hohn an - aber der Weltgeist, sensu Hegel, scheint mitunter über Anflüge rabenschwarzen Humors zu verfügen - daß das Ungeheuer im Menschengestalt, das man am ehesten ins fahle Leichenlicht solchen Giftes getaucht sehen würde - von der historischen Forschung am gründlichsten salviert worden ist. Von Hitlers kolportierten Bizarrerien, vom Teppichbeißen über seine angebliche Mutterfixierung bis zum Monochordismus, ist nichts verblieben, nicht einmal eine abgesunkene Folklore, und kein Historiker würde es, selbst wenn es belegt wäre, als Schlüssel zu seinem Handeln oder Wirken nehmen.)

Bei allem Ärger über solche offenkundigen Fake News - und mehr noch: über das Phänomen, das dahinter sichtbar wird und das weitaus beunruhigender ist: nämlich, daß die "vierte Gewalt", die Medien, die Nachrichtenindustrie, das, was vor einem halben Jahrhundert Hans Magnus Enzensberger die "Bewußtseinsindustrie" genannt hat - augenscheinlich unkorrigierbar korrumpiert ist, auf beiden Seiten des Atlantiks und seine Aufgabe nur noch darin sieht, losgelöst von aller Wirklichkeit ein "Narrativ" aus Lügen und Gift zu kredenzen - sollte es ein Trost sein, daß sich die Wirklichkeit, wie immer in der Geschichte, auf Dauer als der stärkere Hebel erweisen wird. An Präsident Trump sind die Schmutzwürfe abgeperlt; im Gegenteil: jeder seiner Tweets setzt eine Agenda, lenkt die Diskussion. Und stellt, nebenbei, das Gerede von der "Postmoderne," des "Postfaktischen" als das bloß, was es immer war: dummes Gerede einer nur um sich selbst bekümmerten Monade aus "Meinungsmachern" und Zeitgeistsurfern. Fire and Fury wird, wenn nicht alle Anzeichen täuschen, so spurlos verdunsten wie die Narretei so frustierter wie naiver SJWs, social justice warriors, die mit ihrem Treiben jeden Bestandteil ihres Spottnamens mit Füßen treten, hilflos den Himmel anzuschreien.

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PS. Von Trumps neuester kolportierter Ungeheuerlichkeit sei, lieber Leser, dies vermeldet. Die Chance, daß das in den Hauptstrommedien Erwähnung findet, und sei es nur als audiatur et altera pars, dürfte gering sein. Die Leiterin der amerikanischen Landesschutzbehörde, dem Department of Homeland Security, Kirstjen Nielsen, hat heute, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet, bestätigt, daß bei den Gesprächen im kleinen Kreis über die Neuregelung von DACA (der "Deferred Action for Childhood Arrivals") die inkriminierte Injurie nicht gefallen ist - so wie es Trump selbst in einem Tweet mitgeteilt hat: "The language used by me at the DACA meeting was tough, but this was not the language used" (04:28 - 12 Jan. 2018) - die seitdem bei den Medien einen Reflex ausgelöst hat, der nur noch als klinisches Tourette-Syndrom verbucht werden sollte. Jemand hat sich gestern die Mühe des Nachzählens gemacht und die pöse Vokabel ("Nicht wahr, Papa, Seise darf man nicht sagen?") einhundertfünfzehn Mal in seinen Nachrichten unterzubringen.



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NACHTRAG, 01 Uhr 09: Und noch während ich diese Zeilen tippe bringt, die Zeitung "Washington Examiner" die folgende Meldung. Als perfekte Coda setzte ich sie unübersetzt hierhin.

White House doctor: Trump scored 30 out of 30 on a cognitive exam he requested

President Trump insisted on taking a cognitive assessment exam as part of his annual physical last week, and scored a 30/30 on the test, confirming his doctor's belief that he does not show any signs of mental deterioration.
"I had no concerns about the president's cognitive ability," Dr. Ronny Jackson, Trump's in-house doctor who oversaw his physical exam at Walter Reed Medical Center in Bethesda, Md., last week, told reporters on Tuesday.
Jackson said Trump nevertheless requested that he undergo a neurological exam, presumably to combat heightened speculation among his critics about his fitness for office and overall mental health. He said it's the first time any president took this kind of test, as far as he knows.
"He mentally is very sharp, very tact," Jackson told reporters, noting that Trump scored 30 out of of 30 on the Montreal Cognitive Assessment, a test that can help detect mild cognitive impairment or Alzheimer's disease.
[What is the MoCA, the cognitive exam Trump took?]
"The cognitive test, it's well-respected. It's a test that's used throughout the United States," he said. "The fact that the president got 30/30 on that exam, there's no indication whatsoever that he has any cognitive issues."
In a book released earlier this month, several unnamed White House aides said Trump has been known to constantly repeat himself and forget the names of key people in his circle and the West Wing. The passages led critics of the president to suggest he may be unfit for office.
MSNBC's Joe Scarborough, for instance, claimed on air that Trump may be suffering from "dementia." Others suggested he may not have the stamina to spend three more years in office.
But Jackson disputed that narrative on Tuesday, suggesting the president has "incredible genes" and is extremely healthy despite having no regular exercise regime or diet.
"All clinical data indicates that [Trump] is currently very healthy, and that he will remain so for the duration of his presidency," he said.





Ulrich Elkmann

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