7. Januar 2018

Kein linkes Land? Kein linker Land?

An anderer Stelle im vorliegenden Blog hat der Verfasser dieser Zeilen bereits ausgeführt, worin er die Stärken des CSU-Politikers Alexander Dobrindt sieht: nicht in der Leitung eines - noch dazu - technokratischen Ministeriums, sondern in der polemischen Konfrontation mit dem ideologischen Gegner. Dem einen oder anderen wird die "schrille Minderheit" oder der "Falschmünzer Europas" (bezogen auf den EZB-Präsidenten Mario Draghi) im Gedächtnis haften geblieben sein.

Dobrindt hat aber auch die Gabe, auf eine - wie man in Bayern sagen würde - eher hinterkünftige Art und Weise zu provozieren. In einem nur für die zahlende Klientel der WELT zugänglichen Beitrag (Auszüge daraus gibt es in einem unentgeltlich zugänglichen Artikel) sinnierte der CSU-Landesgruppenchef unter anderem über die linke Meinungsführerschaft in Deutschland und deren Abkopplung von der konservativer eingestellten Restbevölkerung. Der Ursprung dieser Diskrepanz liege in der Achtundsechziger-Bewegung.
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Dieser Gedankengang ist an und für sich wenig spektakulär. In der liberal-konservativen Blogosphäre wird regelmäßig über die Linksneigung derjenigen Schichten geschrieben, die der Verfasser dieser Zeilen "Multiplikatoren" nennt. Was die Berufsgruppe der Journalisten angeht, lässt sich diese weltanschauliche Präferenz auch gut durch Umfrage-Ergebnisse belegen. Und auch Sigmar Gabriel hat jüngst in einem ebenfalls kostenpflichtigen SPIEGEL-Beitrag angedeutet, dass die SPD in den letzten Jahrzehnten zu sehr um die Akklamation der meinungsbildenden Schichten und zu wenig um die Interessen der Arbeiterklasse besorgt war.

Gleichwohl scheint Dobrindt mit seinen Einlassungen einen schmerzenden Nerv getroffen zu haben. Marietta Slomka, die Fachfrau beim ZDF für demonstrativ parteilichen Journalismus, erging sich im Heute-Journal-Interview mit dem bayerischen Politiker in durchschaubaren Insinuationen. Und Christian Bangel poltert in seinem Kommentar auf ZEIT-Online über den "Quatsch", den Dobrindts Essay seines Erachtens darstellt, und phantasiert darüber, dass Leute wie der CSU-Landesgruppenchef "einen Siegfrieden" und "die Linken weghaben" wollten. Diese (und all die anderen) Erregungen typischer Vertreter des linken Meinungsestablishments belegen freilich auf vortreffliche Weise, dass Dobrindt so Unrecht nicht hat. Es ist durchaus plausibel, dass es ihm genau auf diese Wirkungskette ankam, wie Ulf Poschardt, der Chefredakteur der WELT, vermutet.

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Während Gerhard Schröder noch davon sprach, dass er "BILD, BamS und Glotze" zum Regieren brauche (wobei dieses Zitat apokryph sein könnte), hat seine Amtsnachfolgerin zur komfortablen Absicherung der eigenen Machtposition auf einen möglichst geschlossenen Rückhalt in der Klasse der Multiplikatoren gesetzt. Deshalb schied zum Beispiel die sogenannte Ehe für alle als Verlobungsgeschenk der Bundeskanzlerin an ihren präferierten Koalitionspartner, die Grünen, aus. Denn darin konnten die deutschen katholischen Würdenträger, auch wenn manche unter ihnen in diesem Punkt insgeheim eine von der offiziellen apostolischen Lehrmeinung abweichende Ansicht vertreten, nicht mitziehen.

Bei der Zulassung ungehinderter Migration durch die Öffnung der Grenzen im September 2015 stellte sich ein derartiges Problem hingegen nicht. Von den Kirchen bis zu den Gewerkschaften, von den Arbeitgeberverbänden bis zur Aktivistenszene, und in den Medien von der BILD bis zur TAZ wurde dieser Schritt einhellig begrüßt. Kritik an Angela Merkel aus der eigenen Partei war nahezu undenkbar: Wer wollte es wagen, gegen die große Vorsitzende zu pesten, die soeben von der gesamten veröffentlichten Meinung heiliggesprochen worden war? Die Dominanz des linken Weltbildes war in jenem (man wäre versucht zu schreiben: ach so deutschen) Herbst bleiern-erdrückend. Und die Bundeskanzlerin hätte ihren Publicity-Coup zweifellos länger genießen können, wenn das Fanal der Kölner Silvesternacht die von den Multiplikatoren propagierte Willkommenseuphorie nicht als realitätsfernes Hirngespinst entlarvt hätte.

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Bangel evoziert in seinem weiter oben verlinkten ZEIT-Online-Beitrag das Schreckgespenst der AfD. Dem ließe sich entgegnen, dass bei allem Unappetitlichen, das man in den sogenannten Rechtspopulisten erblicken kann, unter sämtlichen im Bundestag vertretenen Parteien die AfD unter den derzeitigen Prämissen die am wenigsten gefährliche ist. Warum? Weil sie keinerlei Regierungsperspektive hat. Vor einer Neuauflage der Großen Koalition warnt dagegen niemand, wenn man die bloßen Unmutsbezeugungen darüber, dass CDU, CSU und SPD den abgestandenen Kaffee aufwärmen könnten, außer Acht lässt.

Die Frage, ob Heiko Maas oder Beatrix von Storch durch das jeweilige politische Wirken dieser Republik mehr geschadet hat, ist für den Verfasser dieser Zeilen eindeutig zu beantworten. Mit dem von der Großen Koalition abgesegneten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) scheint, außer seinem Urheber, nun niemand mehr zufrieden zu sein. In linken Kreisen rührt der Missmut wohl daher, dass nicht nur wirklich oder vermeintlich rechte Äußerungen blockiert werden, sondern dass die Schere auch an die Wortspenden von Sympathisanten der eigenen politischen Vorstellungen angelegt wird.

Das NetzDG schafft eine Denunziationsinfrastruktur, die es für Betreiber sozialer Netzwerke opportun erscheinen lassen mag, ein gemeldetes Posting vorsorglich zu sperren. Anders formuliert: Der Shitstorm erhält - man wäre versucht zu schreiben: in typisch deutscher Manier - einen obrigkeitlichen Überbau. Die Beschwerde über einen missliebigen Beitrag wird gesetzlich formalisiert. So wie der Spießer in der Wohnungseigentümergemeinschaft auftrumpft, wenn er mit der Hausordnung argumentieren kann, so kann sich nun jeder von unmittigen Zumutungen peinlich berührte Zeitgenosse auf das NetzDG stützen, ohne in den Verdacht des Querulantentums zu geraten.

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Deutschland ist kein linkes Land. Aber es ist ein Land, das durch die realen Effekte der linken Meinungsdominanz weniger lebenswert geworden ist.

Noricus

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